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Ein Geschenk für die Leser: Die Erzählungen des jungen Cechov sind jetzt erstmals in deutscher Sprache erschienen. Der Melancholiker zeigt sich in ihnen als Spötter und Spaßvogel.
»Früher habe ich geschrieben, wie mir der Schnabel gewachsen war. Ich setze mich hin und schreibe. Ich überlege nicht, wie und worüber. Es schrieb sich von selbst Ich lachte und brachte die Umwelt zum Lachen. Ich nahm das Leben und zauste es, ohne darüber nachzudenken.«

Produktbeschreibung
Ein Geschenk für die Leser: Die Erzählungen des jungen Cechov sind jetzt erstmals in deutscher Sprache erschienen. Der Melancholiker zeigt sich in ihnen als Spötter und Spaßvogel.
»Früher habe ich geschrieben, wie mir der Schnabel gewachsen war. Ich setze mich hin und schreibe. Ich überlege nicht, wie und worüber. Es schrieb sich von selbst Ich lachte und brachte die Umwelt zum Lachen. Ich nahm das Leben und zauste es, ohne darüber nachzudenken.«
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Autorenporträt
Anton Cechov wurde 1860 in Taganrog, Südrussland, geboren, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und studierte dank eines Stipendiums in Moskau Medizin. Den Arztberuf übte Cechov nur kurze Zeit aus. Der Erfolg seiner Theaterstücke und Erzählungen machte ihn finanziell unabhängig. Seine Lungentuberkulose jedoch erzwang immer häufigere Aufenthalte in südlichem Klima, so dass Cechov auf die Krim übersiedelte. 1901 heiratete er die Schauspielerin Olga Knipper. Er starb 1904 in Badenweiler.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

""Auf über tausend Seiten kann man die Werkstatt eines Junggenies der Nüchternheit durchwandern!" schreibt niederkniend Rezensent Gerhard Stadelmaier und berichtet von herrlichen Streifzügen durch das "Desillusionserzähltheater" des jungen Autors. Aus den Logen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts könne man zuschauen, "wie böse uns das neunzehnte noch immer spiegelt". Begeistert streift der Chefkritiker durch die kleinen Geschichten, die er alle "irgendwo mitten im Leben" anfangen und dort auch wieder aufhören sieht und die kurzen Texte glitzern "wie Splitter im Licht". In seinen späteren Dramen habe Tschechow dem verklingen der Lebenshoffnungen länger nachgehört. Hier haue er sie kurz und schmerzlos in die Pfanne und grinse seinen "Depressionsfigürchen" höhnisch zu. Immer wieder ist Stadelmaier entzückt über diesen "rezeptlosen Doktor" und seinen Diagnosen, die er mit einem "italianisierend verschlenkerten" 'A. Tschechonte' unterschrieben fand. Lediglich dem Übersetzer der rund einhundertzwanzig Erzählungen verübelt er eine "slawische Umschrift-Marotte". Denn die nötigten ihn oft zum mühevollen Zurechtbuchstabieren ansonsten unlesbarer Namen.

© Perlentaucher Medien GmbH"

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Aufzeichnungen eines Prägers
Münzkunst der Libelle: Der junge Anton Tschechow erzählt die kleinen Splitter der großen Depression / Von Gerhard Stadelmaier

Die Leute, die in den sechziger Jahren aufgebrochen waren, um für mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit und ein "Bewußtsein des Volkes" zu kämpfen und dazu auch schon mal ein paar Steine oder gar Bomben geworfen haben, sind jetzt in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft hübsch am Drücker, haben aber, vollkommen angepaßt ans Reaktionäre, ihre alten Ideale längst verraten, halten große Reden, trinken Champagner, rauchen teure Zigarren, essen Gänseleber oder Eierchen vom Stör "an Blinys", kleiden sich beim besten Herrenschneider ein, schreien aber immer noch herum, krakeelen von "Reform!" und "Anstand!" und "Ausgleich!"

Doch sie schreien, süffeln, futtern und rauchen nur drinnen. Draußen geht schon lange nichts mehr. Das Land, eines der bedeutendsten und eigentlich zukunftsträchtigsten Europas, ist wie gelähmt in einer großen Depression. Eine große Reform täte not, ist aber seit zwanzig Jahren tot. Zugleich aber sind auch die großen Formen tot. Die gewaltigen Romane, die das Land noch einmal in seinem ganzen Wesen, seinen Träumen, Schmutz und Glanz erfaßten, sind längst geschrieben. Die Alten der Literatur sind tot oder verstummt. Neues ist nicht in Sicht oder tobt sich - trotz oder gerade wegen des allgemeinen Stillstands - als Spaßkultur aus. Alle leben schlecht und langweilig. Aber alle halten sich für ungeheuer wichtig und bedeutend. Und sind unsagbar schwermütig. Von der Literatur aber erwarten sie, daß sie ihnen "Richtung", "Visionen", "Meinungen" verschaffe. Man bittet also herzinnig um Lügen.

Wenn jetzt - wir befinden uns im Rußland von 1880 - ein Wind käme! Der da aber hochgelobt kommt im Namen des Windes und urplötzlich frisch und frech "in St. Petersburg Mode ist" und die Kritiker bezaubert, ist ein zwanzigjähriger Medizinstudent. Er schreibt unaufhörlich, im Bad, beim Essen, beim Spazierengehen, "mechanisch, überaus leichtsinnig, sorglos, unbesonnen, ohne an den Leser zu denken oder an mich". Seine Produktion ist massenhaft. Sechshundert Geschichten, Novellen, Erzählungen in kürzerster Zeit. Sofort aber hat er seinen Ton: die kürzeste Note, swingendes Staccato; seine Modulation: trockenwitzigste Knappheit; seine Melodie: aude sapere. Das heißt, übersetzt: Er läßt sich nichts vormachen. Er schreibt, "wie Reporter über Feuersbrünste schreiben": das, was er sieht, nicht das, was er träumt.

Der junge Mann gibt keine Richtung, keine Meinung, keine Ideologie vor. Er schwirrt wie eine schwerelose Libelle um alle und alles, erfaßt es und prägt es neu auf Papier. Seine kleinen Geschichten, die alle sehr kurz sind (im Durchschnitt zwölf bis sechzehn Druckseiten), haben keine Moral, meistens nicht einmal einen richtigen Schluß. Sie fangen irgendwo mitten im Leben an und hören dort auch wieder auf. Sie erscheinen in Zeitschriften, die wunderhübsche Namen tragen wie "Budilnik" (Der Wecker) oder "Oskolki" (Splitter) oder "Rasfletschenji" (Zerstreuung) oder "Strekosa" (Die Libelle) oder einfach "Sritel" (Der Zuschauer). Und sie rasseln denn auch höhnisch wie Wecker, schwirren wie Libellen, glitzern wie Splitter im Licht. Unterschrieben sind sie mit einem italienisierend verschlenkerten "A. Tschechonte".

Zehn bis zwanzig Jahre später wird er, todkrank, als Anton Tschechow berühmte Dramen schreiben, in denen er die Leute auf ihren verschuldeten Gutshöfen um 1900 dazu zwingt, sich selber zuzuschauen, wie sie ihr verfehltes Leben in kleinster Münze verscherbeln und verklingen lassen, sich aber immer nach dem großen Betrag sehnen. Das ist unsagbar traurig. Und seltsam komisch. Tschechow hört da dem verklingenden Silberklang länger nach. In seinen frühesten Erzählungen haut er die von ihm frisch geprägten Münzen kurz und schmerzlos auf den Tisch und in die Pfanne. Und über den Ton, den sie dabei machen, lächelt er kalt und schonungslos. Über den Ton des Stumpfsinns, der Langeweile, des falschen Lebens.

"O, wie alt und häßlich Sie geworden sind!" rufen in den späteren Dramen empfindsame, ältere lebenssüchtige Damen, wenn sie einem Mann begegnen, von dem sie alles erwarten würden, wenn sie nicht wüßten, daß sie nichts mehr von ihm erwarten dürfen. Der dramatische Mitfühler Tschechow läßt da den Verlust spüren.

"O, wie jung und häßlich Sie geworden sind!" scheint der junge Erzähler Tschechow allen seinen Depressionsfigürchen höhnisch zuzugrinsen: den in ein Gefühl, eine Karriere, ein Amt, eine Ehe oder nur in ein Wirtshaus aufbrechenden Minimalrevoluzzern. Sie wollen etwas verändern, und seien es nur ihre Finanzen oder ihre Kehle, ziehen sich aber mit eingezogenen Schwänzen wieder in die alte Hütte zurück, in der sie Kinder verprügeln, an ihren Frauen leiden oder an der Langeweile sterben. Und wenn sie auf die Jagd gehen, eines der Lieblingsmotive Tschechows, dann treffen sie nichts außer eine große Leere an, die sie vorzugsweise mit Alkohol auffüllen.

In den großen Dramen stirbt die Liebe komisch. In den kleinen Erzählungen sterben vorzüglich Komiker. Im "Kirschgarten" reißt irgendwo ein Seil in einem Bergwerk. Und man kann es als Riß im Leben nehmen. In der Erzählung "Ein Komiker" zerreißt "etwas" in des Komikers Brust. Er wird sterben. Aber alle seine Kollegen füttern ihn mit guten Worten und Rizinusöl. So stirbt der Komiker nicht komisch, sondern grausam, aber nebenbei. Tschechows Lakonie gibt dem Tod nicht mehr Raum als die Feststellung, daß er eben eintritt. Keine weiteren Anmerkungen.

Unter den Titeln "Er und sie" und "Ende gut" hat Peter Urban rund einhundertzwanzig der frühen Erzählungen Tschechows aus den Jahren 1880 bis 1887 versammelt, darunter viele bisher ins Deutsche nicht übersetzte. Auf über tausend Seiten kann man die Werkstatt eines Junggenies der Nüchternheit, eines literarischen Medizinalassistenten der russischen und der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt durchwandern. Es ist kühl und frisch dort. Manchmal schaudert es einen ein bißchen. Immer aber ist man entzückt über den rezeptlosen Doktor: Er stellt die Diagnosen. Und die häufigste heißt: Lebens- oder Liebeslüge. Eine Therapie aber stellt er nicht in Aussicht.

Ein heiratswilliger Junggeselle, fett und geizig, verliebt sich in die Heiratsvermittlerin und wird sie unter seine Haube kriegen. Ein Eheunwilliger findet sich plötzlich in den Armen einer Frau, die er eigentlich verabscheut. Gescheite junge Männer werden dumm um ihre Mitgift geprellt. Männer schenken ihren Mätressen ein Lotterielos, um sie loszuwerden. Und das Los gewinnt dann Zehntausende von Rubeln. Das alles sind wenig mehr als Anekdoten, in deren Kern ein Drama, Dramen, deren Tragik ein Witz ist.

Darin macht die Stimmung nicht den Dialog, sondern der Dialog die Stimmung. So sind es nicht erzählte, es sind sozusagen gesprochene Erzählungen, Zungenübungen eines geborenen Dramatikers. Die Stimmung auf der Jagd, im Theater oder in der Ehe, den drei großen Illusionsspielplätzen par excellence, endet regelmäßig in einer großen Desillusion: Das Theater führt zur Schäbigkeit, die Ehe zur Einsamkeit, die Jagd zur entleerten Natur. Und der Mensch darin als größter Störfaktor.

Den Doktor zum Beispiel, der am Sterbebett des kleinen fiebrigen Jungen steht, der vielleicht sein Sohn ist, aber dessen Mutter von noch zwei weiteren Herren Alimentenzahlungen für den Jungen erhält, interessiert nicht die tödliche Hirnhautentzündung des Kleinen. Ihn peinigt allein die Ungewißheit seiner Vaterschaft. Grotesk und bitter und dumm - und absurd. Aber zugleich völlig wahrscheinlich. Die Seele des Doktors bekommt von Dr. Tschechow keinen Schlupfwinkel zugestanden, um sich zu erklären oder auszuweinen oder zu erholen. (Später, in den Dramen, wird es solche Winkel schon geben.) Hier steht vor aller Winkelei ein "Es ist so, Herrschaften! Akzeptiert, daß ihr so seid! Lebt damit! Basta!" Der junge Dr. Tschechow ist kein Psychologe. Er ist Anatom. Und skelettiert Glaube, Liebe, Hoffnung als ganz komische und kuriose Feinde des Menschen. Die Hoffnung aber als den größten unter ihnen.

Wenn man über die slawische Umschrift-Marotte des darin notorisch gewordenen Herausgebers bei den vielen russischen Namen auch in diesen beiden Bänden wieder einmal mühsam sich hinweggearbeitet und zum Beispiel einen "Vasilij Ivanyc" als lesbareren "Iwanitsch" zurechtbuchstabiert hat, dann kann man durch dieses Desillusionserzähltheater herrlich streifen und aus den Logen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts zuschauen, wie böse uns das neunzehnte noch immer spiegelt.

Anton Tschechow: "Er und sie". Frühe Erzählungen 1880 - 1885. "Ende gut". Frühe Erzählungen 1886 - 1887. Herausgegeben von Peter Urban. Diogenes Verlag, Zürich 2002. 2 Bände im Schuber, zus. 1146 S., geb., 45,90 [Euro].

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»Als Stilist ist Cechov unerreicht, und der künftige Literarhistoriker wird, wenn er über das Wachstum der russischen Sprache nachdenkt, sagen, diese Sprache ist von Puschkin, Turgenjew und Cechov geschaffen worden.« Maksim Gorkij