Nur wenn wir begriffen haben, womit wir es seit 150 Jahren in unseren Motoren, Laboren, Körpern und Träumen zu tun haben, können wir uns von dieser ebenso zauberhaften wie verhängnisvollen Substanz wieder lösen. Die Entstehung von Erdöl braucht Ewigkeiten, seine Verwendung aber kennt nur den Augenblick: ob als Kraftstoff oder Plastiktüte, als Lippenstift oder Luftballon. Erdöl ist allgegenwärtig und doch unsichtbar. Es ist vorzeitlicher Naturstoff und hypermoderner Kunststoff. Es ist Kriegstreiber, Wohlstandsbringer und sogar Lebensmittel. Dieser reich bebilderte Atlas lädt ein zu Spaziergängen durch Geografien, Industrien und historische Prozesse und fördert in Praktiken, Wissensformen und Bildwelten erstaunliche Geschichten zutage: vom ersten Öltanker »Zoroaster« von 1878, der sich heute im Fundament einer Bohrinsel im Kaspischen Meer befindet, vom fossilen Plankton, das erdölbildend beinah die neuesten norwegischen Geldscheine geziert hätte, vom verarmten österreichischen Adelsspross, der als Ölarbeiter sein Glück in Argentinien suchte und zur Romanfigur wurde, von »Science-fashioned Molecules« als Helden des US-amerikanischen Industriefilms. Denn schließlich ist Erdöl weit mehr als die Summe seiner Moleküle.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Helmut Höge scheint Benjamin Steiningers und Alexander Kloses Sachbuch, in dem sich die Autoren mit dem abgeschlossenen Erdöl-Zeitalter befassen, aufschlussreich zu finden. Nach einer eröffnenden Auseinandersetzung mit dem Mythos "Atlas" lernt der Rezensent von paläontologisch aufschlussreichen Bohrkernen bei der Ölförderung, vom Zuwachs an Unternehmen im "Oilfield-Service" und vom sogenannten "Neo-Extraktivismus", der uns Menschen als Rohstofflieferanten für IT-Konzerne denkt, weil wir unablässig Daten produzieren. Auch auf die "aufwendige und tiefschürfende" Ausstellung der Autoren zum Thema, die Anfang September im Kunstmuseum Wolfsburg starten soll und auch die Probleme Anthropozän und Klimaerwärmung behandelt, verweist der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.02.2021Der schwarze
Orgasmus
Ein Buch erzählt die Mentalitätsgeschichte
des Erdölzeitalters. Gibt es Hoffnung auf
ein Ende der kollektiven Gier?
JÖRG HÄNTZSCHEL
Die Diagnose lautet: Sucht, Ölsucht. Körperliche und psychische Abhängigkeit. Und wer noch Belege braucht, muss sich nur auf den Straßen umsehen. Im selben Moment, da das Ende des Ölzeitalters nicht nur von Aktivisten und Politikern, sondern von den Konzernen selbst eingeläutet wird – eben hat General Motors erklärt, von 2035 an keine Verbrenner mehr zu verkaufen – werden weltweit mehr Autos denn je verkauft, und sie sind so groß und PS-stark wie nie. Die Menschheit verhält sich wie ein schwerer Alkoholiker, der noch einmal einen ganz großen Schluck nimmt, aber wirklich den letzten, morgen ist Schluss.
Noch fackeln wir das Öl also fröhlich ab wie immer, doch allmählich tut sich eine innere Distanz auf, die es erlaubt, den Irrsinn dieser so märchen- wie albtraumhaften Ära zu überschauen, der „Petromoderne“, wie die Kulturwissenschaftler Benjamin Steininger und Alexander Klose sie im Untertitel ihres an Ideen, Funden und Bildern prallvollen Bands „Erdöl“ nennen.
Über die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Folgen des Öls werden noch unzählige Bücher geschrieben werden. Steininger und Klose interessieren sich für die Kultur- und Mentalitätsgeschichte des Ölzeitalters. Schade nur, dass sie sich nicht für einen Titel entschieden haben, der ihre Faszination für das trügerische Schillern des Stoffs besser zum Ausdruck bringt: „Beauty of Oil“. So lautet der Name ihres Forscherkollektivs.
Ihre Grundthese ist: So wie Öl sich unkontrollierbar auf Oberflächen ausbreitet, in feinste Ritzen findet, sogar in unsere Körper, so durchdringt es auch unser Denken, unsere Kultur, unsere Gesellschaft. Dies gibt auch ihre Methode vor: Da alles kontaminiert ist vom Öl, lassen sich auch beim Schreiben darüber die Sphären nicht trennen. Statt Systematiken zu erfinden, schlagen sie in Kapiteln mit Titeln wie „Männer und Erdöl“, „Schwarzer Spiegel“ oder „Petroporn“ immer neue Schneisen quer durch die Ölkultur. Mal gehen sie von einem Bild aus, mal von einem Archivfund oder einem Film. Gelegentlich treten sie ihre Geschichten zu sehr aus, verliebt, wie sie in ihre Material sind. Mal neigen sie zur Prätention. Meistens aber ist es begeisternd, zuzusehen, wie sich ihre Ideen ausbreiten wie ein Tropfen Motoröl in einer Pfütze.
Im Kapitel „True Oil“ kommen sie von Neil Youngs „Vampire Blues“ zu einem apostolischen Brief von Papst Franziskus, um anschließend bei der Fernsehserie „True Blood“ zu landen. Von dort geht es weiter zu einem dreibändigen Werk über Drogenpflanzen und einem Exkurs über das Schnüffeln von Lösungsmitteln zum vom Dromologen Paul Virilio untersuchten Rausch der Geschwindigkeit – und wieder zurück zu Neil Young: „I need my high octane“. All das auf fünf Seiten.
Wie ganz und gar wir dem Öl verfallen sind, das scheint erst nach und nach aus diesem Gewebe aus Popkultur, Geopolitik, Wissenschafts- und Wirtschaftsgeschichte auf. Als man es Mitte des 19. Jahrhunderts zu fördern begann, suchte man nur einen Ersatz für den Waltran als Brennstoff in Petroleumlampen. Mit dem Auto wurde das Öl zum Schlüsselrohstoff. Doch sein alchemistisches Potenzial wurde erst in den Zwanzigerjahren entdeckt, als BASF im ölarmen Deutschland versuchte, Benzin aus Kohle herzustellen und über diesen Umweg die Verfahren entwickelte, die Moleküle zu zerlegen und neu zusammenzusetzen, und damit die moderne Petrochemie begründete. Öl konnte nun jede erdenkliche Form, jede stoffliche Qualität annehmen: Kunstdünger und Sprengstoff, Arzneimittel und Kosmetik, Farbe und Vinyl und natürlich das Plastik, das Alain Resnais in seinem Frühwerk „Le chant du styrène“ in Reimen besingt.
Öl ist nicht nur hochverdichtete Energie, sondern auch komprimierte Zeit. In einem einzigen Jahr verbrennt die Welt so viel Öl, wie in 450 000 Jahren aus Algen und Plankton entstand. Kein Wunder, dass seit dem Beginn des Ölzeitalters immer wieder die Furcht umging, der magische Stoff könne zur Neige gehen. Doch statt zu sparen, drehte man die Hähne jeweils noch weiter auf, drang in immer schwerer zugängliche Gebiete vor, bohrte tiefer und presste – so entstand die jüngste Ölschwemme – mit immer aufwendigeren Techniken wie dem Fracking nun auch „tough oil“ aus dem Gestein.
Nicht Knappheit war das wahre Problem, sondern Überfluss und drohender Preisverfall: „Erstmals in der Geschichte der Menschheit gab es signifikant mehr Energie als mit bis dahin gewohnten Verhaltensmustern verbraucht werden konnte.“ Nur durch einen „zum Prinzip erklärten Kult der Verschwendung“, nur durch mehr Konsum, größere Motoren, neu erschlossene Märkte – ließen sich die Überschüsse abbauen. Kaum waren durch gestiegenen Verbrauch die Ölmassen abgebaut, fluteten die Förderer den Markt mit neuem inflationärem Öl und schufen weitere Anreize zum Verbrauchen, Verheizen und Verbrennen.
So entstand die fatale Beschleunigung, die „Great Acceleration“, die die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg ins Anthropozän katapultiert und schließlich die Klimakatastrophe ausgelöst hat. Diese Verschwendungs-Doktrin, dieses „Hineinwachsen“ des Öls in immer neue Lebensbereiche und unsere stetig wachsende Abhängigkeit wurde vom unaufhörlichen Sirenengesang der Öl-Propagandisten begleitet. Öl, so hieß es, schaffe Reichtum für alle, Öl sei die andere Seite der Demokratie, Öl habe das Ende von Sklaverei und Ausbeutung erst möglich gemacht.
Tatsache ist: Ölfunde bringen armen Ländern statt Wohlstand meist nur noch mehr Elend, Korruption und Gewalt. Öl stützt Diktatoren. Öl fördert sogar die Geschlechterungerechtigkeit, so die Autoren in einer ihrer spekulativeren Passagen: Während die Männer mit ihren dicken Bohrern „die Welt ficken“ und vom „gusher“ träumen, dem schwarzen Orgasmus aus Öl, sitzen die Frauen zu Hause vor dem Schminkspiegel und machen sich schön – mit Erdölkosmetik. Die Auswirkungen dieser „Explosion, die vor 200 Jahren gezündet wurde“ sind bekanntlich dramatisch. In den letzten drei Jahrzehnten wurde so viel CO&sub2; emittiert wie zwischen 1800 und 1990. 1990 wurden drei Milliarden Tonnen Rohöl jährlich verbrannt, heute sind es schon 4,5 Milliarden. Oder das: Auf der Welt sind 3,5 Millionen Kilometer Pipelines verlegt, aber nur 1,3 Millionen Kilometer Schienen. „Nach seinem Tod wurde Gott zu Öl“, schreiben die finnischen Philosophen Antti Salminen und Tere Vadén.
Wie können wir uns aus der Macht dieses Ölgotts befreien? Im vergangenen Frühjahr erschien es einen Moment lang möglich. Durch den Lockdown war der weltweite Konsum derart eingebrochen, dass Öl zu Minuspreisen gehandelt wurde, Händler ihren Kunden also Geld dafür zahlten, dass sie ihnen ihre Tankerladungen abnahmen. Doch als Arne Toman und Doug Tabbutt, Veteranen des Cannonball-Rennens zwischen New York und L. A., die leeren Straße sahen, konnten sie nicht widerstehen: In ihrem Audi S6 schafften sie die Strecke in 25 Stunden und 39 Minuten – Weltrekord!
In einem Jahr verbrennt die Welt
so viel Öl, wie in 450 000 Jahren
aus Algen und Plankton entstand
Funde bringen armen Ländern
statt Wohlstand meist nur mehr
Elend, Korruption und Gewalt
Benjamin Steininger, Alexander Klose: Erdöl – Ein Atlas der Petromoderne. Matthes & Seitz, Berlin 2020. 324 Seiten, 26 Euro.
„Nach seinem Tod wurde Gott zu Öl“: Eine Ansicht aus einem Kalender von Shell.
Foto: Norwegian Petroleum Museum
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Orgasmus
Ein Buch erzählt die Mentalitätsgeschichte
des Erdölzeitalters. Gibt es Hoffnung auf
ein Ende der kollektiven Gier?
JÖRG HÄNTZSCHEL
Die Diagnose lautet: Sucht, Ölsucht. Körperliche und psychische Abhängigkeit. Und wer noch Belege braucht, muss sich nur auf den Straßen umsehen. Im selben Moment, da das Ende des Ölzeitalters nicht nur von Aktivisten und Politikern, sondern von den Konzernen selbst eingeläutet wird – eben hat General Motors erklärt, von 2035 an keine Verbrenner mehr zu verkaufen – werden weltweit mehr Autos denn je verkauft, und sie sind so groß und PS-stark wie nie. Die Menschheit verhält sich wie ein schwerer Alkoholiker, der noch einmal einen ganz großen Schluck nimmt, aber wirklich den letzten, morgen ist Schluss.
Noch fackeln wir das Öl also fröhlich ab wie immer, doch allmählich tut sich eine innere Distanz auf, die es erlaubt, den Irrsinn dieser so märchen- wie albtraumhaften Ära zu überschauen, der „Petromoderne“, wie die Kulturwissenschaftler Benjamin Steininger und Alexander Klose sie im Untertitel ihres an Ideen, Funden und Bildern prallvollen Bands „Erdöl“ nennen.
Über die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Folgen des Öls werden noch unzählige Bücher geschrieben werden. Steininger und Klose interessieren sich für die Kultur- und Mentalitätsgeschichte des Ölzeitalters. Schade nur, dass sie sich nicht für einen Titel entschieden haben, der ihre Faszination für das trügerische Schillern des Stoffs besser zum Ausdruck bringt: „Beauty of Oil“. So lautet der Name ihres Forscherkollektivs.
Ihre Grundthese ist: So wie Öl sich unkontrollierbar auf Oberflächen ausbreitet, in feinste Ritzen findet, sogar in unsere Körper, so durchdringt es auch unser Denken, unsere Kultur, unsere Gesellschaft. Dies gibt auch ihre Methode vor: Da alles kontaminiert ist vom Öl, lassen sich auch beim Schreiben darüber die Sphären nicht trennen. Statt Systematiken zu erfinden, schlagen sie in Kapiteln mit Titeln wie „Männer und Erdöl“, „Schwarzer Spiegel“ oder „Petroporn“ immer neue Schneisen quer durch die Ölkultur. Mal gehen sie von einem Bild aus, mal von einem Archivfund oder einem Film. Gelegentlich treten sie ihre Geschichten zu sehr aus, verliebt, wie sie in ihre Material sind. Mal neigen sie zur Prätention. Meistens aber ist es begeisternd, zuzusehen, wie sich ihre Ideen ausbreiten wie ein Tropfen Motoröl in einer Pfütze.
Im Kapitel „True Oil“ kommen sie von Neil Youngs „Vampire Blues“ zu einem apostolischen Brief von Papst Franziskus, um anschließend bei der Fernsehserie „True Blood“ zu landen. Von dort geht es weiter zu einem dreibändigen Werk über Drogenpflanzen und einem Exkurs über das Schnüffeln von Lösungsmitteln zum vom Dromologen Paul Virilio untersuchten Rausch der Geschwindigkeit – und wieder zurück zu Neil Young: „I need my high octane“. All das auf fünf Seiten.
Wie ganz und gar wir dem Öl verfallen sind, das scheint erst nach und nach aus diesem Gewebe aus Popkultur, Geopolitik, Wissenschafts- und Wirtschaftsgeschichte auf. Als man es Mitte des 19. Jahrhunderts zu fördern begann, suchte man nur einen Ersatz für den Waltran als Brennstoff in Petroleumlampen. Mit dem Auto wurde das Öl zum Schlüsselrohstoff. Doch sein alchemistisches Potenzial wurde erst in den Zwanzigerjahren entdeckt, als BASF im ölarmen Deutschland versuchte, Benzin aus Kohle herzustellen und über diesen Umweg die Verfahren entwickelte, die Moleküle zu zerlegen und neu zusammenzusetzen, und damit die moderne Petrochemie begründete. Öl konnte nun jede erdenkliche Form, jede stoffliche Qualität annehmen: Kunstdünger und Sprengstoff, Arzneimittel und Kosmetik, Farbe und Vinyl und natürlich das Plastik, das Alain Resnais in seinem Frühwerk „Le chant du styrène“ in Reimen besingt.
Öl ist nicht nur hochverdichtete Energie, sondern auch komprimierte Zeit. In einem einzigen Jahr verbrennt die Welt so viel Öl, wie in 450 000 Jahren aus Algen und Plankton entstand. Kein Wunder, dass seit dem Beginn des Ölzeitalters immer wieder die Furcht umging, der magische Stoff könne zur Neige gehen. Doch statt zu sparen, drehte man die Hähne jeweils noch weiter auf, drang in immer schwerer zugängliche Gebiete vor, bohrte tiefer und presste – so entstand die jüngste Ölschwemme – mit immer aufwendigeren Techniken wie dem Fracking nun auch „tough oil“ aus dem Gestein.
Nicht Knappheit war das wahre Problem, sondern Überfluss und drohender Preisverfall: „Erstmals in der Geschichte der Menschheit gab es signifikant mehr Energie als mit bis dahin gewohnten Verhaltensmustern verbraucht werden konnte.“ Nur durch einen „zum Prinzip erklärten Kult der Verschwendung“, nur durch mehr Konsum, größere Motoren, neu erschlossene Märkte – ließen sich die Überschüsse abbauen. Kaum waren durch gestiegenen Verbrauch die Ölmassen abgebaut, fluteten die Förderer den Markt mit neuem inflationärem Öl und schufen weitere Anreize zum Verbrauchen, Verheizen und Verbrennen.
So entstand die fatale Beschleunigung, die „Great Acceleration“, die die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg ins Anthropozän katapultiert und schließlich die Klimakatastrophe ausgelöst hat. Diese Verschwendungs-Doktrin, dieses „Hineinwachsen“ des Öls in immer neue Lebensbereiche und unsere stetig wachsende Abhängigkeit wurde vom unaufhörlichen Sirenengesang der Öl-Propagandisten begleitet. Öl, so hieß es, schaffe Reichtum für alle, Öl sei die andere Seite der Demokratie, Öl habe das Ende von Sklaverei und Ausbeutung erst möglich gemacht.
Tatsache ist: Ölfunde bringen armen Ländern statt Wohlstand meist nur noch mehr Elend, Korruption und Gewalt. Öl stützt Diktatoren. Öl fördert sogar die Geschlechterungerechtigkeit, so die Autoren in einer ihrer spekulativeren Passagen: Während die Männer mit ihren dicken Bohrern „die Welt ficken“ und vom „gusher“ träumen, dem schwarzen Orgasmus aus Öl, sitzen die Frauen zu Hause vor dem Schminkspiegel und machen sich schön – mit Erdölkosmetik. Die Auswirkungen dieser „Explosion, die vor 200 Jahren gezündet wurde“ sind bekanntlich dramatisch. In den letzten drei Jahrzehnten wurde so viel CO&sub2; emittiert wie zwischen 1800 und 1990. 1990 wurden drei Milliarden Tonnen Rohöl jährlich verbrannt, heute sind es schon 4,5 Milliarden. Oder das: Auf der Welt sind 3,5 Millionen Kilometer Pipelines verlegt, aber nur 1,3 Millionen Kilometer Schienen. „Nach seinem Tod wurde Gott zu Öl“, schreiben die finnischen Philosophen Antti Salminen und Tere Vadén.
Wie können wir uns aus der Macht dieses Ölgotts befreien? Im vergangenen Frühjahr erschien es einen Moment lang möglich. Durch den Lockdown war der weltweite Konsum derart eingebrochen, dass Öl zu Minuspreisen gehandelt wurde, Händler ihren Kunden also Geld dafür zahlten, dass sie ihnen ihre Tankerladungen abnahmen. Doch als Arne Toman und Doug Tabbutt, Veteranen des Cannonball-Rennens zwischen New York und L. A., die leeren Straße sahen, konnten sie nicht widerstehen: In ihrem Audi S6 schafften sie die Strecke in 25 Stunden und 39 Minuten – Weltrekord!
In einem Jahr verbrennt die Welt
so viel Öl, wie in 450 000 Jahren
aus Algen und Plankton entstand
Funde bringen armen Ländern
statt Wohlstand meist nur mehr
Elend, Korruption und Gewalt
Benjamin Steininger, Alexander Klose: Erdöl – Ein Atlas der Petromoderne. Matthes & Seitz, Berlin 2020. 324 Seiten, 26 Euro.
„Nach seinem Tod wurde Gott zu Öl“: Eine Ansicht aus einem Kalender von Shell.
Foto: Norwegian Petroleum Museum
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