Erdtagzeit: Das von der Sonne durchschossene Blätterdach auf der Flugbahn der Mauersegler. Die Epoche, in der ein Meer zu Sandstein vertrocknet. Der vor unseren Fenstern tobende Krieg.
Diese Gedichte sind Zeitzeugen des Lichts, das es seit viereinhalb Milliarden Jahren gibt, Zeitzeugen der Schwerkraft, welche die Erde auf ihrer Umlaufbahn hält, Zeitzeugen des Lächelns in einem Vorortzug, das zwischen zwei Stationen über die Gesichter huscht.
Jan Röhnerts Poesie durchdringt auch in seinen neuen Gedichten die Schönheiten und Abgründe unserer Innen- und Außenwelten auf eine höchst sinnliche als auch tief analysierende Weise, die einzigartig ist in der deutschsprachigen Dichtung der Gegenwart.
Von Jan Röhnert erschien 2019 der Gedichtband "Wolkenformlen« in der Edition Faust.
»Dichter darf man nicht fragen: Gibts was Neues? Eher: Hast du was Altes entdeckt? Wenn ich die Gedichte von Jan Röhnert lese,bekomme ich auf beides reichlich Antwort. Sie kennen sich im Alten aus, in der langen Vorgeschichte dieser kurzen Gattung mit ihren Regeln, Vorschriften und Zwängen, aber sie entdecken auch immer Neues, das heißt sie sind durchlässig für die Gegenwart und ihre Zersetzungen von Regeln, Vorschriften und Zwängen. Ich freue mich immer auf die neuen Gedichte von Jan Röhnert - nicht zuletzt deshalb, weil ich immer neugierig bin, welchen Vögeln er diesmal zugehört hat beim Dichten.« Michael Krüger
Diese Gedichte sind Zeitzeugen des Lichts, das es seit viereinhalb Milliarden Jahren gibt, Zeitzeugen der Schwerkraft, welche die Erde auf ihrer Umlaufbahn hält, Zeitzeugen des Lächelns in einem Vorortzug, das zwischen zwei Stationen über die Gesichter huscht.
Jan Röhnerts Poesie durchdringt auch in seinen neuen Gedichten die Schönheiten und Abgründe unserer Innen- und Außenwelten auf eine höchst sinnliche als auch tief analysierende Weise, die einzigartig ist in der deutschsprachigen Dichtung der Gegenwart.
Von Jan Röhnert erschien 2019 der Gedichtband "Wolkenformlen« in der Edition Faust.
»Dichter darf man nicht fragen: Gibts was Neues? Eher: Hast du was Altes entdeckt? Wenn ich die Gedichte von Jan Röhnert lese,bekomme ich auf beides reichlich Antwort. Sie kennen sich im Alten aus, in der langen Vorgeschichte dieser kurzen Gattung mit ihren Regeln, Vorschriften und Zwängen, aber sie entdecken auch immer Neues, das heißt sie sind durchlässig für die Gegenwart und ihre Zersetzungen von Regeln, Vorschriften und Zwängen. Ich freue mich immer auf die neuen Gedichte von Jan Röhnert - nicht zuletzt deshalb, weil ich immer neugierig bin, welchen Vögeln er diesmal zugehört hat beim Dichten.« Michael Krüger
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
So geht Gegenwartslyrik, findet Rezensent Alexander Kosenina. Jan Röhnerts Gedichte über den Karst im Friaul, die Jaherszeiten, Wetterphänomene, den Bienenfresser und seinen Sang, Landschaften in der Ukraine und im Nahen Osten überzeugen ihn mit Wortschöpfungen, poetologischen Gedanken und einer Erweiterung der Idee des "Nature writing". Röhnert kann diskret und sinnlich schreiben und anhand weniger genau beobachteter Details Orte und Gegenden lyrisch erfassen, lobt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2024Klangteppich
Jan Röhnert belauscht in "Erdtagzeit" die Welt
Wenn Jan Röhnert seiner großen Wanderleidenschaft folgt, geht es über Strecke und Ziel hinaus stets um genaueste Wahrnehmung der Natur vor, neben und über ihm. Diese Sinnlichkeit oder Aisthesis in der ursprünglichen Bedeutung von Ästhetik spricht aus vielen seiner neuen Gedichte mit dem kunstwörtlichen Titel "Erdtagzeit". Tatsächlich handeln sie gleichermaßen von Tagzeiten in der Natur, von Tagen in verschiedenen Erdteilen wie von Erdzeitaltern. Zugleich spielt der neugebildete Begriff Erdtagzeit auf den seit 1970 in Amerika ausgerufenen und jährlich zelebrierten "Earth day" als Umweltaktionstag an.
Der Buchtitel verdankt sich einem gleich überschriebenen Gedicht des Bandes, in dem es um alle drei Facetten geht: Die Geologie vom Muschelkalk bis zum Marmor verbindet sich mit der Erdgeschichte vom Pleisto- bis zum Anthropozän und der Montanpolitik des Abbaus - von Eisenhüttenstadt bis zum Asow-Stahlwerk in Mariupol. Alles "macht weiter", so die These: Jahreszeiten, Wetter, Tropfsteinhöhlen, Kriege und Tränen, sogar die "Hölderlininterpretationen". Solche Seitenwinke - auch auf Büchner, Eichendorff, Novalis, Schiller, Tieck und andere - sind keine Eitelkeiten des Literaturwissenschaftlers und Brinkmann-Exegeten Röhnert, sondern dienen zur Verortung dieser lyrischen Stimme in einem viel weiteren Feld von "Nature writing".
Während das Titelgedicht die Erdtagzeitperspektive maximal weitet, konzentrieren sich die meisten Texte auf die konkrete, fast mikroskopierte Natur. Auffällig viele befassen sich mit Vögeln, etwa dem kunterbunten Bienenfresser, den der poetische Ornithologe am "Südhang des Kyffhäuser" aufspürt. Zunächst ist gar nichts zu sehen, nur das "vielkehlige Schwärmen" zu hören, zusammengewoben als "vibrierender Teppich aus Klang". Auch sonst sind überall Vogelstimmen vernehmbar, nur ist das "Flötenecho am Auwaldsaum" nicht immer leicht identifizierbar: Handelt es sich um Ammer, Amsel, Kuckuck, Lerche, Mauersegler, Neuntöter, Pirol, Schwalbe, Specht oder Wiedehopf? Über akustische Wahrnehmungen hinaus gibt es überall viel zu sehen. Doch ist Sprache für den Reichtum der Natur hinreichend? Röhnert antwortet auf die Grenzen des Ausdrucks einerseits mit komplexen Wortschöpfungen wie dem "Flügelbogenschwanzantennenpaar" einer Schwalbe, andererseits mit poetologischen Überlegungen: "Wir stecken in den Wörtern fest", heißt es etwa im Gedicht "Von Gegenwind und Gegenlicht", denn "keiner trifft den Ton, der auf der Wiese blüht" - angesichts von "176 Namen" allein für die Farbe Grün.
Röhnert entwirft keinen lyrischen Brehm der Flora und Fauna, sondern führt in konkrete Weltteillandschaften. Da sind immer wieder der bereits mit einem anderen Band poetisch durchwanderte Karst und die Bergketten Friauls, etwa am einzigartig kalkmilchblauen "Wasser / des Nadisone / slowenisch Nadiza" im Gedicht "Hinter Cividale". Hier, wie in anderen Texten, kommt es zu Vergleichen mit der bildenden Kunst, etwa mit Bildern von Cézanne, Tiepolo, Tintoretto oder zu Verweisen auf die "Kinematographie", der Röhnert bereits eine lyrische Anthologie widmete. Andere Texte führen sehr aktuell in die Ukraine, auf den "jüdischen Friedhof / von Czernowitz" oder ins "Tiefland zwischen Dnipro und Don", wobei das Wort Krieg selten fällt. Im Gedicht "Die Nachrichten von nebenan" ist von einem "Boomerangeffekt" die Rede, wenn wir in Worten verharren und nicht zu den eigentlichen Dingen dringen: "Die Stadt, das Stahlwerk, gesprengte Bunker, keine Tür geht auf / in den Nachrichten vom Krieg." Das ist keine Kriegslyrik, dürfte aber zu den ersten literarischen Reflexen über Mariupol und andere Orte in der Kampfzone gehören.
Eine Reihe von Gedichten wechseln in den Nahen Osten, der bei Drucklegung des Bandes noch vergleichsweise friedlich war. Hier geht es um einen verlockenden Orient, wenn beispielsweise im "Wadi Degla" der Frühjahrsregen das ausgetrocknete Flussbett füllt. Oder in "Kairo, Winter" die Welt noch in Ordnung ist, solange "Brotmützen voll Humus, Bohnenmus, Ganoush" duften und mit Fladen in Stiegen auf Motorradsitze gehievt werden. Wie hier beweist Jan Röhnerts diskrete und leise Lyrik das Talent, wenige messerscharfe Details aufzugreifen und zu einer dichten, charakteristischen Landschaft, einer Stadtszenerie oder einer Sozialskizze zu verknüpfen. Konkrete Anschauung und Sinnlichkeit siegen dabei stets über bloße Assoziation oder vertrackte Abstraktheit. Der von Christian Metz propagierte Neuanfang eines "poetischen Denkens" in der Gegenwartslyrik ist mit Röhnerts Lyrik um eine bedeutende Stimme reicher geworden. ALEXANDER KOSENINA
Jan Röhnert: "Erdtagzeit". Gedichte.
Edition Faust, Frankfurt am Main 2023. 120 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jan Röhnert belauscht in "Erdtagzeit" die Welt
Wenn Jan Röhnert seiner großen Wanderleidenschaft folgt, geht es über Strecke und Ziel hinaus stets um genaueste Wahrnehmung der Natur vor, neben und über ihm. Diese Sinnlichkeit oder Aisthesis in der ursprünglichen Bedeutung von Ästhetik spricht aus vielen seiner neuen Gedichte mit dem kunstwörtlichen Titel "Erdtagzeit". Tatsächlich handeln sie gleichermaßen von Tagzeiten in der Natur, von Tagen in verschiedenen Erdteilen wie von Erdzeitaltern. Zugleich spielt der neugebildete Begriff Erdtagzeit auf den seit 1970 in Amerika ausgerufenen und jährlich zelebrierten "Earth day" als Umweltaktionstag an.
Der Buchtitel verdankt sich einem gleich überschriebenen Gedicht des Bandes, in dem es um alle drei Facetten geht: Die Geologie vom Muschelkalk bis zum Marmor verbindet sich mit der Erdgeschichte vom Pleisto- bis zum Anthropozän und der Montanpolitik des Abbaus - von Eisenhüttenstadt bis zum Asow-Stahlwerk in Mariupol. Alles "macht weiter", so die These: Jahreszeiten, Wetter, Tropfsteinhöhlen, Kriege und Tränen, sogar die "Hölderlininterpretationen". Solche Seitenwinke - auch auf Büchner, Eichendorff, Novalis, Schiller, Tieck und andere - sind keine Eitelkeiten des Literaturwissenschaftlers und Brinkmann-Exegeten Röhnert, sondern dienen zur Verortung dieser lyrischen Stimme in einem viel weiteren Feld von "Nature writing".
Während das Titelgedicht die Erdtagzeitperspektive maximal weitet, konzentrieren sich die meisten Texte auf die konkrete, fast mikroskopierte Natur. Auffällig viele befassen sich mit Vögeln, etwa dem kunterbunten Bienenfresser, den der poetische Ornithologe am "Südhang des Kyffhäuser" aufspürt. Zunächst ist gar nichts zu sehen, nur das "vielkehlige Schwärmen" zu hören, zusammengewoben als "vibrierender Teppich aus Klang". Auch sonst sind überall Vogelstimmen vernehmbar, nur ist das "Flötenecho am Auwaldsaum" nicht immer leicht identifizierbar: Handelt es sich um Ammer, Amsel, Kuckuck, Lerche, Mauersegler, Neuntöter, Pirol, Schwalbe, Specht oder Wiedehopf? Über akustische Wahrnehmungen hinaus gibt es überall viel zu sehen. Doch ist Sprache für den Reichtum der Natur hinreichend? Röhnert antwortet auf die Grenzen des Ausdrucks einerseits mit komplexen Wortschöpfungen wie dem "Flügelbogenschwanzantennenpaar" einer Schwalbe, andererseits mit poetologischen Überlegungen: "Wir stecken in den Wörtern fest", heißt es etwa im Gedicht "Von Gegenwind und Gegenlicht", denn "keiner trifft den Ton, der auf der Wiese blüht" - angesichts von "176 Namen" allein für die Farbe Grün.
Röhnert entwirft keinen lyrischen Brehm der Flora und Fauna, sondern führt in konkrete Weltteillandschaften. Da sind immer wieder der bereits mit einem anderen Band poetisch durchwanderte Karst und die Bergketten Friauls, etwa am einzigartig kalkmilchblauen "Wasser / des Nadisone / slowenisch Nadiza" im Gedicht "Hinter Cividale". Hier, wie in anderen Texten, kommt es zu Vergleichen mit der bildenden Kunst, etwa mit Bildern von Cézanne, Tiepolo, Tintoretto oder zu Verweisen auf die "Kinematographie", der Röhnert bereits eine lyrische Anthologie widmete. Andere Texte führen sehr aktuell in die Ukraine, auf den "jüdischen Friedhof / von Czernowitz" oder ins "Tiefland zwischen Dnipro und Don", wobei das Wort Krieg selten fällt. Im Gedicht "Die Nachrichten von nebenan" ist von einem "Boomerangeffekt" die Rede, wenn wir in Worten verharren und nicht zu den eigentlichen Dingen dringen: "Die Stadt, das Stahlwerk, gesprengte Bunker, keine Tür geht auf / in den Nachrichten vom Krieg." Das ist keine Kriegslyrik, dürfte aber zu den ersten literarischen Reflexen über Mariupol und andere Orte in der Kampfzone gehören.
Eine Reihe von Gedichten wechseln in den Nahen Osten, der bei Drucklegung des Bandes noch vergleichsweise friedlich war. Hier geht es um einen verlockenden Orient, wenn beispielsweise im "Wadi Degla" der Frühjahrsregen das ausgetrocknete Flussbett füllt. Oder in "Kairo, Winter" die Welt noch in Ordnung ist, solange "Brotmützen voll Humus, Bohnenmus, Ganoush" duften und mit Fladen in Stiegen auf Motorradsitze gehievt werden. Wie hier beweist Jan Röhnerts diskrete und leise Lyrik das Talent, wenige messerscharfe Details aufzugreifen und zu einer dichten, charakteristischen Landschaft, einer Stadtszenerie oder einer Sozialskizze zu verknüpfen. Konkrete Anschauung und Sinnlichkeit siegen dabei stets über bloße Assoziation oder vertrackte Abstraktheit. Der von Christian Metz propagierte Neuanfang eines "poetischen Denkens" in der Gegenwartslyrik ist mit Röhnerts Lyrik um eine bedeutende Stimme reicher geworden. ALEXANDER KOSENINA
Jan Röhnert: "Erdtagzeit". Gedichte.
Edition Faust, Frankfurt am Main 2023. 120 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main