Vom Erfolg der Hip-Hop-Kultur inspirieren lassenHip-Hop ist die bedeutendste popkulturelle Strömung unserer Zeit. Rap dominiert die Charts, Streetwear und Sneakers prägen die Mode und aus der Hip-Hop-Kultur entstehen Milliardenunternehmen. Die Bedeutung ist immens: Hip-Hop ist Selbstermächtigung, die Überwindung von Klassismus und Rassismus, ein Identifikations-angebot an Millionen.Phillip Böndel und Tobias Kargoll zeigen, wie sich Techniken und Mindset der Hip-Hop-Kultur für persönlichen und unternehmerischen Erfolg nutzen lassen. Auf einer Reise durch die Hip-Hop-Geschichte von den Wurzeln in den USA bis zur Gegenwart in Deutschland wird deutlich, worin der Erfolg der Kultur begründet liegt.Die Geschichten von Szenegrößen wie Specter (Aggro Berlin), Elvir Omerbegovic (Selfmade Records), Kool Savas und Raf Camora aber auch Banksy, Virgil Abloh, Karl Kani, Achraf Ait Bouzalim und Kanye West veranschaulichen die Erfolgsgeheimnisse der Hip-Hop-Kultur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2021Hip-Hop als Lifehack
Rap ist längst nicht mehr ganz jugendlich und zugleich erfolgreicher denn je. Nun erzählen Hip-Hopper, wie es dazu kam.
Im doppelten Sinn hat Deutschrap als das begonnen, was man heute kulturelle Aneignung nennt, wobei die Frage wäre, ob kulturelle Verehrung besser passt. Klar, deutsche Jugendliche übernahmen die schwarze Jugendkultur aus der Bronx. Es waren aber nicht die Hip-Hop-Fans in Deutschland, aus deren Breakdance- und Graffitiszene die ersten deutschsprachigen "Rapper" kamen - ein Vorabendunterhalter im Öffentlich-Rechtlichen namens Thomas Gottschalk ("Rapper's Deutsch") und der Wiener Falco ("Der Kommissar") stürmten mit deutsch-englischen Nonsense-Reimen Anfang der Achtzigerjahre die Hitparaden. Bevor es Deutschrap als Begriff gab, hatten die Gutelaunekinder das Genre gekapert. Lange würden reale deutsche Rapper lieber englisch rappen, als sich der Peinlichkeit weiterer Haus-Maus-Reime auszusetzen.
Womöglich liegt es an dieser Herkunft und natürlich an der Herkunft seiner Protagonisten von den Rändern der Gesellschaft, dass Hip-Hop eine irre Obsession damit hat, ernst genommen zu werden und Respekt zu kriegen. Wurde man, bekam man lange nicht. Erst mit dem Erfolg wurde der Respekt erzwungen. Und erst die Dominanz während der letzten Jahre hat Leute aus der Szene in die Position gebracht, die Geschichte des Hip-Hop selbst zu erzählen; was sie seither in vielen fiktiven und dokumentarischen Formaten tun. Das amerikanische Vorbild, die Netflix-Dokureihe "Hip-Hop Evolution", hat mittlerweile vier Staffeln, und mit ihrer "Oral History" des Deutschraps, "Könnt ihr uns hören?", schrieben die Hip-Hop-Journalisten Davide Bortot und Jan Wehn 2019 einen Bestseller. Diesen Herbst erscheinen drei neue Erzählungen aus dem und über deutschen Hip-Hop: die hr-Doku "Dichtung und Wahrheit", die Webserie "We Wear the Crown" des Hip-Hop-Journalisten Falk Schacht für Arte und das Ratgeberbuch "Erfolgsformel Hip-Hop" von Phillip Böndel und Tobias Kargoll, Gründer der "ersten auf Hip-Hop-Kultur spezialisierten Unternehmensberatung". Ja, auch das gibt es inzwischen.
Wieso hat eine nicht mehr ganz so jugendliche Jugendkultur mehr Erfolg denn je? Was hält die Kultur angesichts ihrer musikalischen Vielfalt zusammen? Hat Hip-Hop noch eine größere Message als das ultrakapitalistische "Get rich or die tryin'"? Das berühmteste Zitat von 50 Cent hängt längst als Motivationsspruch in Start-up-Spaces. Vielleicht geben die Dokus und das Buch ein paar Antworten.
Die dichteste Erzählung ist "Dichtung und Wahrheit". Ihre Autorinnen Mariska Lief und Wero Jägersberg haben im Gegensatz zu den langjährigen Hip-Hop-Journalisten Schacht und Kargoll und dem ehemaligen Rapper-Manager Böndel keinen bekannten Hip-Hop-Lebenslauf. In vier halbstündigen Folgen für den Hessischen Rundfunk beschränken sich Jägersberg und Lief auf die Deutschrap-Geschichte aus Frankfurter Perspektive, eine kluge Beschränkung. Über den Flughafen und die in der Nähe stationierten GIs schwappte Hip-Hop nach Deutschland und wurde zum amerikanisch-deutschen Verständigungsprojekt. Mit der US Army kamen Breakdancer und DJs wie Rico Sparx und trafen auf hessische Hip-Hop-Fans wie Moses Pelham, zusammen bildeten sie um sich die frühe Hip-Hop-Crew "We Wear the Crown", nach der wiederum die Arte-Webdoku benannt ist. In ihren Worten erzählen Stars wie Sabrina Setlur, Azad und Haftbefehl die immer gute Aufstiegsgeschichte - die vom Rap und ihre eigene, von der Straße in die Charts.
Man sieht an diesen Namen, wie sich das Verhältnis von Hip-Hop und der sogenannten Mehrheitsgesellschaft und ihren Medien verändert hat. Kaum mehr jemand verweigert sich der bürgerlichen Presse, die angeblich keine Ahnung von Hip-Hop hat. Als Preis für die Zusammenarbeit darf eine Szene ungestört über sich selbst reden. Und es macht ja Spaß, den älteren Herren mit ihren Caps und Frankfurt-Bomberjacken zuzuhören, wie sie von Jugendklubs und dem Weglaufen vor der Polizei erzählen. Es ist ein bisschen rührend, ihren Nachfolgern zuzuschauen, wie sie von ihren Vorbildern erzählen, die wiederum die Musik ihrer Nachfolger super finden.
Irgendwann fragt man sich aber, ob da nicht mehr möglich gewesen wäre, mehr Herausforderung und Überraschung. Gerade weil Rap sich längst nicht mehr beweisen muss, hätte man diesen Rappern doch mehr zumuten können. Warum Azad, den ersten Solorapper mit einem Nummer-eins-Hit auf Deutsch ("Prison Break Anthem"), nicht mal fragen, weshalb er früher solche Zeilen gerappt hat: "Ich komm wie Hitler, und von dir Schmock bleibt nur noch Asche." Wollte er provozieren, war für ihn damals "Jude" eine Beleidigung wie "Schwuchtel", wie auf so vielen Schulhöfen? Was denkt er über diese Zeile heute? Zwischen Verurteilen und Ehrfurchtstarre hätte es ein paar Fragen gegeben, aber "Dichtung und Wahrheit" stellt sie nicht und bleibt bei der Dichtung. Seine Kollegen dürfen aus Azad den Straßenmelancholiker machen, der er ohne Zweifel auch ist.
Auch die Rothschild-Theoretiker Celo und Abdi dürfen als nette Rap-Onkel noch mal erklären, dass Rapper die neuen Dichter sind. Ja, ja. Aber warum? Warum wollen Rapper Dichter sein? Ist Rap auch für Rapper bloß als Dichtkunst Kunst, verrenken selbst sie sich zu dem Feuilleton-Move, Haftbefehl zu Goethe zu erheben, damit sie ihn guten Gewissens hören dürfen? Dabei macht das schlechte Gewissen doch gerade einen Teil der dunkel-anziehenden Aura von Rap aus. Und ging es nicht sowieso mal darum, die Reclam-Heftchen zu zerreißen, statt Strophen für Gedichtinterpretationen zu schreiben?
"Für ein kritisches Gespräch braucht man ja auch ein Gegenüber, das mitmacht. Selbstreflexion ist nicht unbedingt eine Stärke von Rappern", sagt Falk Schacht bei einem Zoom-Gespräch und zitiert dann den zweiten Pressesprecher des deutschen Hip-Hops, Marcus Staiger, Gründer des Labels Royal Bunker: "Rapper sind sehr gut in der Beschreibung von Verhältnissen. Aber oft schlecht in der Analyse." Etwas fies könnte man sagen, dass auch Schacht in seiner Doku für Arte besser beschreibt als analysiert. In den sieben circa zwanzigminütigen Folgen zeigt er so lückenlos wie vorher wohl keiner, wie Hip-Hop nach Deutschland kam - die ewigen Hip-Hop-Probleme Homophobie, Sexismus, Antisemitismus und Konsumgeilheit spricht auch Schacht nicht an, trotz persönlicher Beziehung zu vielen Rappern. Zumindest nicht in dieser Staffel, im Frühjahr soll eine zweite folgen, deren Folgen je ein Thema haben, wie Frauen im Rap. Als Grundlagenforschung sieht Schacht seine Arbeit; aus Respekt vor den Ahnen, auf deren Schultern er stehe, versuche er anderen zu zeigen, auf wessen Schultern sie stünden.
Das ist ihm gelungen, seine Hip-Hop-Chronologie hat so viele Details, dass man als nachgeborener Rap-Fan einige Künstlerinnen und Songs entdeckt und wiederentdeckt. Die bitter-stolzen Migrations-Erzählungen "Ahmet Gündüz" und "Fremd im eigenen Land" erinnern an eine Zeit, in der schon mal Unterkünfte von Geflüchteten brannten, und zugleich daran, dass Hip-Hop neben den Reportern immer auch ein paar Leitartikler hatte. "In den Neunzigern war fast die gesamte Untergrund-Hip-Hop-Szene antifaschistisch organisiert, auf vielen Platten stand 'gegen Nazis'", sagt Falk Schacht und fragt: "Wie kann es sein, dass nach Hanau, nach Halle nicht das Gleiche passiert?" Die heutige Rap-Generation sei desillusionierter, weil sich kaum etwas geändert habe. "Man befreit sich lieber aus der eigenen Scheiße und ermächtigt sich selbst, als für eine ganze Gemeinschaft einzutreten. Und zwanzig Jahre neoliberale Politik haben natürlich auch im Hip-Hop ihre Spuren hinterlassen."
Das ist der aktuelle Hauptvorwurf an Hip-Hop, jetzt, da er langsam weiblicher wird und nicht mehr abseits des Medieninteresses mit antisemitischen Erzählungen durchkommt: dass Rap die Musik zur Selbstoptimierung sei, der Soundtrack fürs Hochrüsten im Fitnessstudio und den Wettkampf im Büro, gern auch eine vertonte Shopping-Liste. Ganz ohne Ironie will die "Erfolgsformel Hip-Hop" nun ausdrücklich eine Anleitung zur Bosstransformation sein, Ratgeber "für persönlichen und unternehmerischen Erfolg" mit Learnings aus dem Aufstieg des Hip-Hop. Der Untertitel "Ambition und Underdog-Mindset als Businessfaktor" lässt erst mal nicht das Allerbeste erahnen, und in dieser Coach-Sprache geht es einmal durch die Hip-Hop-Geschichte, immer mit dem Blick auf straßenschlaue Lifehacks.
Genau diese Verschränkung von Kultur und Kommerz erweist sich aber als interessante Perspektive. Oldschool-Klassiker wie Public Enemys "Fight the Power" mögen das überdecken, aber auch den Urvätern des Hip-Hop ging es nicht nur darum, eine eigene Stimme zu haben, womöglich nicht mal hauptsächlich, es ging in zweiter oder sogar erster Linie um Geld. "Pelzmäntel, Rolls-Royces und Diamanten, den Sex und das Geld" habe er in den Clubs gesehen, in die er selten reinkam, erzählte ein Mitglied des Pioniertrios Run-D.M.C. einmal, und das habe er auch gewollt. Bloß konsequent, dass Run-D.M.C. für Adidas die ersten Markenbotschafter aus dem Hip-Hop wurden und ähnliche weiße Turnschuhe wie die Crew heute die halbe Junge Union trägt.
Diese Andockpunkte für die scheinbar Hip-Hop-fernsten Milieus haben auch die Autoren Böndel und Kargoll, "zwei Vorstadtjungs", früh an die Szene gebunden. Man braucht keine neun Kugeln im Körper wie 50 Cent, um sein "Get rich or die tryin'" zu verstehen, es reicht vollkommen, in der siebten Klasse zu sein und Taschengeld mit Rasenmähen verdienen zu müssen. Ambition und Underdog-Mindset hat ja wirklich fast jeder - daran gemessen, wäre Donald Trump der größte Hip-Hopper. Vielleicht kein Zufall, dass Trump so einige Rapper als Fans hatte, seine Strategie, sich hartnäckig als Außenseiter und Anti-Establishment zu stilisieren, selbst als Präsident, ist die Hip-Hop-Strategie: Underdog forever bei kultureller Dominanz.
"Wir waren die einzige Subkultur, die sich des Kapitalismus bedient hat", zitieren Böndel und Kargoll den Aggro-Berlin-Mitbegründer Specter: "Die Mission war sozialer Aufstieg. Wir haben uns am System bereichert. (...) Der Staat hat mir nie geholfen. Was hat Hiphop für uns getan? Alles! (...) Hiphop ist eine Kriegskultur von Unterversorgten, die auf dem Weg nach oben sind." Und weil das dauernd und überall fast alle sind, wird dauernd und überall Rap gehört, wobei diese Musik mit Rap im klassischen Sinn oft nicht mehr viel zu tun hat. Die musikalische Flexibilität des Hip-Hop, schon in der Sampling-Technik angelegt, beschreibt Specter so: "Neuer Trend? Wir sind drauf. Wenn die Welt morgen Banjo-Gitarren mag, werden daraus Hiphop-Beats gemacht."
Und wenn zu den Banjo-Gitarren ein paar Rapperinnen weniger über abwesende Väter, unbeheizte Sozialwohnungen und das kleinkriminelle Business rappen und ein paar Rapper mehr über ihre Probleme, vor der Sparkasse mit dem AMG-Modell in keine Parklücke zu passen, dann kann man das auch Fortschritt nennen.
FLORENTIN SCHUMACHER.
"Dichtung und Wahrheit" ist in der ARD-Mediathek zu sehen, "We wear the Crown" in der von Arte. "Erfolgsformel Hip-Hop" ist bei Campus erschienen und kostet 29,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rap ist längst nicht mehr ganz jugendlich und zugleich erfolgreicher denn je. Nun erzählen Hip-Hopper, wie es dazu kam.
Im doppelten Sinn hat Deutschrap als das begonnen, was man heute kulturelle Aneignung nennt, wobei die Frage wäre, ob kulturelle Verehrung besser passt. Klar, deutsche Jugendliche übernahmen die schwarze Jugendkultur aus der Bronx. Es waren aber nicht die Hip-Hop-Fans in Deutschland, aus deren Breakdance- und Graffitiszene die ersten deutschsprachigen "Rapper" kamen - ein Vorabendunterhalter im Öffentlich-Rechtlichen namens Thomas Gottschalk ("Rapper's Deutsch") und der Wiener Falco ("Der Kommissar") stürmten mit deutsch-englischen Nonsense-Reimen Anfang der Achtzigerjahre die Hitparaden. Bevor es Deutschrap als Begriff gab, hatten die Gutelaunekinder das Genre gekapert. Lange würden reale deutsche Rapper lieber englisch rappen, als sich der Peinlichkeit weiterer Haus-Maus-Reime auszusetzen.
Womöglich liegt es an dieser Herkunft und natürlich an der Herkunft seiner Protagonisten von den Rändern der Gesellschaft, dass Hip-Hop eine irre Obsession damit hat, ernst genommen zu werden und Respekt zu kriegen. Wurde man, bekam man lange nicht. Erst mit dem Erfolg wurde der Respekt erzwungen. Und erst die Dominanz während der letzten Jahre hat Leute aus der Szene in die Position gebracht, die Geschichte des Hip-Hop selbst zu erzählen; was sie seither in vielen fiktiven und dokumentarischen Formaten tun. Das amerikanische Vorbild, die Netflix-Dokureihe "Hip-Hop Evolution", hat mittlerweile vier Staffeln, und mit ihrer "Oral History" des Deutschraps, "Könnt ihr uns hören?", schrieben die Hip-Hop-Journalisten Davide Bortot und Jan Wehn 2019 einen Bestseller. Diesen Herbst erscheinen drei neue Erzählungen aus dem und über deutschen Hip-Hop: die hr-Doku "Dichtung und Wahrheit", die Webserie "We Wear the Crown" des Hip-Hop-Journalisten Falk Schacht für Arte und das Ratgeberbuch "Erfolgsformel Hip-Hop" von Phillip Böndel und Tobias Kargoll, Gründer der "ersten auf Hip-Hop-Kultur spezialisierten Unternehmensberatung". Ja, auch das gibt es inzwischen.
Wieso hat eine nicht mehr ganz so jugendliche Jugendkultur mehr Erfolg denn je? Was hält die Kultur angesichts ihrer musikalischen Vielfalt zusammen? Hat Hip-Hop noch eine größere Message als das ultrakapitalistische "Get rich or die tryin'"? Das berühmteste Zitat von 50 Cent hängt längst als Motivationsspruch in Start-up-Spaces. Vielleicht geben die Dokus und das Buch ein paar Antworten.
Die dichteste Erzählung ist "Dichtung und Wahrheit". Ihre Autorinnen Mariska Lief und Wero Jägersberg haben im Gegensatz zu den langjährigen Hip-Hop-Journalisten Schacht und Kargoll und dem ehemaligen Rapper-Manager Böndel keinen bekannten Hip-Hop-Lebenslauf. In vier halbstündigen Folgen für den Hessischen Rundfunk beschränken sich Jägersberg und Lief auf die Deutschrap-Geschichte aus Frankfurter Perspektive, eine kluge Beschränkung. Über den Flughafen und die in der Nähe stationierten GIs schwappte Hip-Hop nach Deutschland und wurde zum amerikanisch-deutschen Verständigungsprojekt. Mit der US Army kamen Breakdancer und DJs wie Rico Sparx und trafen auf hessische Hip-Hop-Fans wie Moses Pelham, zusammen bildeten sie um sich die frühe Hip-Hop-Crew "We Wear the Crown", nach der wiederum die Arte-Webdoku benannt ist. In ihren Worten erzählen Stars wie Sabrina Setlur, Azad und Haftbefehl die immer gute Aufstiegsgeschichte - die vom Rap und ihre eigene, von der Straße in die Charts.
Man sieht an diesen Namen, wie sich das Verhältnis von Hip-Hop und der sogenannten Mehrheitsgesellschaft und ihren Medien verändert hat. Kaum mehr jemand verweigert sich der bürgerlichen Presse, die angeblich keine Ahnung von Hip-Hop hat. Als Preis für die Zusammenarbeit darf eine Szene ungestört über sich selbst reden. Und es macht ja Spaß, den älteren Herren mit ihren Caps und Frankfurt-Bomberjacken zuzuhören, wie sie von Jugendklubs und dem Weglaufen vor der Polizei erzählen. Es ist ein bisschen rührend, ihren Nachfolgern zuzuschauen, wie sie von ihren Vorbildern erzählen, die wiederum die Musik ihrer Nachfolger super finden.
Irgendwann fragt man sich aber, ob da nicht mehr möglich gewesen wäre, mehr Herausforderung und Überraschung. Gerade weil Rap sich längst nicht mehr beweisen muss, hätte man diesen Rappern doch mehr zumuten können. Warum Azad, den ersten Solorapper mit einem Nummer-eins-Hit auf Deutsch ("Prison Break Anthem"), nicht mal fragen, weshalb er früher solche Zeilen gerappt hat: "Ich komm wie Hitler, und von dir Schmock bleibt nur noch Asche." Wollte er provozieren, war für ihn damals "Jude" eine Beleidigung wie "Schwuchtel", wie auf so vielen Schulhöfen? Was denkt er über diese Zeile heute? Zwischen Verurteilen und Ehrfurchtstarre hätte es ein paar Fragen gegeben, aber "Dichtung und Wahrheit" stellt sie nicht und bleibt bei der Dichtung. Seine Kollegen dürfen aus Azad den Straßenmelancholiker machen, der er ohne Zweifel auch ist.
Auch die Rothschild-Theoretiker Celo und Abdi dürfen als nette Rap-Onkel noch mal erklären, dass Rapper die neuen Dichter sind. Ja, ja. Aber warum? Warum wollen Rapper Dichter sein? Ist Rap auch für Rapper bloß als Dichtkunst Kunst, verrenken selbst sie sich zu dem Feuilleton-Move, Haftbefehl zu Goethe zu erheben, damit sie ihn guten Gewissens hören dürfen? Dabei macht das schlechte Gewissen doch gerade einen Teil der dunkel-anziehenden Aura von Rap aus. Und ging es nicht sowieso mal darum, die Reclam-Heftchen zu zerreißen, statt Strophen für Gedichtinterpretationen zu schreiben?
"Für ein kritisches Gespräch braucht man ja auch ein Gegenüber, das mitmacht. Selbstreflexion ist nicht unbedingt eine Stärke von Rappern", sagt Falk Schacht bei einem Zoom-Gespräch und zitiert dann den zweiten Pressesprecher des deutschen Hip-Hops, Marcus Staiger, Gründer des Labels Royal Bunker: "Rapper sind sehr gut in der Beschreibung von Verhältnissen. Aber oft schlecht in der Analyse." Etwas fies könnte man sagen, dass auch Schacht in seiner Doku für Arte besser beschreibt als analysiert. In den sieben circa zwanzigminütigen Folgen zeigt er so lückenlos wie vorher wohl keiner, wie Hip-Hop nach Deutschland kam - die ewigen Hip-Hop-Probleme Homophobie, Sexismus, Antisemitismus und Konsumgeilheit spricht auch Schacht nicht an, trotz persönlicher Beziehung zu vielen Rappern. Zumindest nicht in dieser Staffel, im Frühjahr soll eine zweite folgen, deren Folgen je ein Thema haben, wie Frauen im Rap. Als Grundlagenforschung sieht Schacht seine Arbeit; aus Respekt vor den Ahnen, auf deren Schultern er stehe, versuche er anderen zu zeigen, auf wessen Schultern sie stünden.
Das ist ihm gelungen, seine Hip-Hop-Chronologie hat so viele Details, dass man als nachgeborener Rap-Fan einige Künstlerinnen und Songs entdeckt und wiederentdeckt. Die bitter-stolzen Migrations-Erzählungen "Ahmet Gündüz" und "Fremd im eigenen Land" erinnern an eine Zeit, in der schon mal Unterkünfte von Geflüchteten brannten, und zugleich daran, dass Hip-Hop neben den Reportern immer auch ein paar Leitartikler hatte. "In den Neunzigern war fast die gesamte Untergrund-Hip-Hop-Szene antifaschistisch organisiert, auf vielen Platten stand 'gegen Nazis'", sagt Falk Schacht und fragt: "Wie kann es sein, dass nach Hanau, nach Halle nicht das Gleiche passiert?" Die heutige Rap-Generation sei desillusionierter, weil sich kaum etwas geändert habe. "Man befreit sich lieber aus der eigenen Scheiße und ermächtigt sich selbst, als für eine ganze Gemeinschaft einzutreten. Und zwanzig Jahre neoliberale Politik haben natürlich auch im Hip-Hop ihre Spuren hinterlassen."
Das ist der aktuelle Hauptvorwurf an Hip-Hop, jetzt, da er langsam weiblicher wird und nicht mehr abseits des Medieninteresses mit antisemitischen Erzählungen durchkommt: dass Rap die Musik zur Selbstoptimierung sei, der Soundtrack fürs Hochrüsten im Fitnessstudio und den Wettkampf im Büro, gern auch eine vertonte Shopping-Liste. Ganz ohne Ironie will die "Erfolgsformel Hip-Hop" nun ausdrücklich eine Anleitung zur Bosstransformation sein, Ratgeber "für persönlichen und unternehmerischen Erfolg" mit Learnings aus dem Aufstieg des Hip-Hop. Der Untertitel "Ambition und Underdog-Mindset als Businessfaktor" lässt erst mal nicht das Allerbeste erahnen, und in dieser Coach-Sprache geht es einmal durch die Hip-Hop-Geschichte, immer mit dem Blick auf straßenschlaue Lifehacks.
Genau diese Verschränkung von Kultur und Kommerz erweist sich aber als interessante Perspektive. Oldschool-Klassiker wie Public Enemys "Fight the Power" mögen das überdecken, aber auch den Urvätern des Hip-Hop ging es nicht nur darum, eine eigene Stimme zu haben, womöglich nicht mal hauptsächlich, es ging in zweiter oder sogar erster Linie um Geld. "Pelzmäntel, Rolls-Royces und Diamanten, den Sex und das Geld" habe er in den Clubs gesehen, in die er selten reinkam, erzählte ein Mitglied des Pioniertrios Run-D.M.C. einmal, und das habe er auch gewollt. Bloß konsequent, dass Run-D.M.C. für Adidas die ersten Markenbotschafter aus dem Hip-Hop wurden und ähnliche weiße Turnschuhe wie die Crew heute die halbe Junge Union trägt.
Diese Andockpunkte für die scheinbar Hip-Hop-fernsten Milieus haben auch die Autoren Böndel und Kargoll, "zwei Vorstadtjungs", früh an die Szene gebunden. Man braucht keine neun Kugeln im Körper wie 50 Cent, um sein "Get rich or die tryin'" zu verstehen, es reicht vollkommen, in der siebten Klasse zu sein und Taschengeld mit Rasenmähen verdienen zu müssen. Ambition und Underdog-Mindset hat ja wirklich fast jeder - daran gemessen, wäre Donald Trump der größte Hip-Hopper. Vielleicht kein Zufall, dass Trump so einige Rapper als Fans hatte, seine Strategie, sich hartnäckig als Außenseiter und Anti-Establishment zu stilisieren, selbst als Präsident, ist die Hip-Hop-Strategie: Underdog forever bei kultureller Dominanz.
"Wir waren die einzige Subkultur, die sich des Kapitalismus bedient hat", zitieren Böndel und Kargoll den Aggro-Berlin-Mitbegründer Specter: "Die Mission war sozialer Aufstieg. Wir haben uns am System bereichert. (...) Der Staat hat mir nie geholfen. Was hat Hiphop für uns getan? Alles! (...) Hiphop ist eine Kriegskultur von Unterversorgten, die auf dem Weg nach oben sind." Und weil das dauernd und überall fast alle sind, wird dauernd und überall Rap gehört, wobei diese Musik mit Rap im klassischen Sinn oft nicht mehr viel zu tun hat. Die musikalische Flexibilität des Hip-Hop, schon in der Sampling-Technik angelegt, beschreibt Specter so: "Neuer Trend? Wir sind drauf. Wenn die Welt morgen Banjo-Gitarren mag, werden daraus Hiphop-Beats gemacht."
Und wenn zu den Banjo-Gitarren ein paar Rapperinnen weniger über abwesende Väter, unbeheizte Sozialwohnungen und das kleinkriminelle Business rappen und ein paar Rapper mehr über ihre Probleme, vor der Sparkasse mit dem AMG-Modell in keine Parklücke zu passen, dann kann man das auch Fortschritt nennen.
FLORENTIN SCHUMACHER.
"Dichtung und Wahrheit" ist in der ARD-Mediathek zu sehen, "We wear the Crown" in der von Arte. "Erfolgsformel Hip-Hop" ist bei Campus erschienen und kostet 29,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Kargoll und Böndel machen einen spannenden Deep Dive in die gesamte Kultur und erzählen nicht nur von den hiesigen Erfolgsgeschichten eines Specter (Aggro Berlin) oder Elvir Omerbegovic (Selfmade Records/Division), sondern wagen sich auch an Karrieren abseits der Musik und sprechen über Künstler wie Banksy und Designer wie Virgil Abloh oder 6PM-Mastermind Achraf Ait Bouzalim.« Redbull.com, 12.11.2021