Erich Mendelsohn (1887-1953) gehört zu den vielseitigsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Sein Werk verbindet die Gegensätze von organischem und rationalem Bauen, von technologischer Innovation und einer regionalistischen Haltung, von individueller Form und einem universalen Ausdruck. Auch nach seiner Emigration aus Deutschland 1933 über England und Palästina in die USA bleibt er einflussreich bis heute.
Die umfassende Monografie dokumentiert sämtliche 70 bekannten, realisierten Bauten Mendelsohns in Text und Bild. Sie setzt sich in zwei Essays aber auch mit den ungebauten Projekten auseinander. Ein neu erstelltes Werkverzeichnis listet sämtliche Arbeiten auf. Zahlreiche neue Fotografien Carsten Krohns, neu gezeichnete Pläne sowie historische Abbildungen illustrieren die Publikation.
Die umfassende Monografie dokumentiert sämtliche 70 bekannten, realisierten Bauten Mendelsohns in Text und Bild. Sie setzt sich in zwei Essays aber auch mit den ungebauten Projekten auseinander. Ein neu erstelltes Werkverzeichnis listet sämtliche Arbeiten auf. Zahlreiche neue Fotografien Carsten Krohns, neu gezeichnete Pläne sowie historische Abbildungen illustrieren die Publikation.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2022Er brachte neue Formen in die Architektur
Erich Mendelsohn hat Geschäfts- und Wohnhäuser, Hospitäler und Synagogen gebaut. Ein Band stellt nun all seine Gebäude in Text und Bild vor.
Mit wenigen Kohlestrichen den Zeitgeist einer ganzen Generation und den künstlerischen Aufbruch einer neuen Epoche ausdrücken zu können, das gelang in den frühen Zwanzigerjahren wohl keinem deutschen Architekten besser als dem Meister des dynamischen Expressionismus: Erich Mendelsohn. Der Einsteinturm auf dem Telegrafenberg in Potsdam, das Verlagshaus Mosse und die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin gehören zu seinen Meisterwerken, deren Eleganz noch heute begeistern. Auch in England, Israel und den Vereinigten Staaten hinterließ Mendelsohn Bauten, die ihn zu einem der einflussreichsten Architekten der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts machen.
Der Frage, warum Mendelsohn im Vergleich zu Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe, mit denen er 1924 in der Künstlervereinigung "Ring" zusammentraf, einen weniger prominenten Platz in der Architekturgeschichte der Moderne bekommen hat, geht ein Buch nach, das der Berliner Architekt Carsten Krohn und der Architekturhistoriker Michele Stavagna herausgegeben haben. Es verbindet feine Zeichnungen mit bestechenden Fotografien und überzeugenden Texten. Die Wiederentdeckung von Mendelsohn und die neue Wertschätzung, die dessen OEuvre dadurch widerfährt, ist vollkommen verdient.
Schlüsselwerke wie die Hutfabrik in Luckenwalde von 1923 und das ehemalige Kaufhaus Schocken in Chemnitz dürfen in dem Band nicht fehlen. Weniger bekannt sind Mendelsohns Frühwerke in Polen und in der Tschechischen Republik wie das Bet Tahara in Olsztyn, wo Mendelsohn vor 125 Jahren zur Welt kam. Das "Haus der Reinigung" im damaligen Allenstein wurde zwischenzeitlich zu einem "Zentrum für Interkulturellen Dialog" umgebaut, während das Kaufhaus in Chemnitz - mit seiner bogenförmigen Front und den horizontalen Fensterbändern eines der Meisterwerke moderner Kaufhausarchitektur - unlängst zum Landesmuseum für Archäologie umgestaltet wurde.
Mendelsohns gebautes Erbe ist also im Fluss, auch andernorts: Das Gebäude der B'nai-Amoona-Synagoge in St. Louis wird derzeit als Teil des Center of Creative Arts genutzt. Beim Maimonides-Krankenhaus in San Francisco ging die Leichtigkeit der Architektur Mendelsohns durch Umbaumaßnahmen nach der Eröffnung verloren. Die Park-Synagoge der Gemeinde Anshe Emeth Beth Tefilo in Cleveland Heights von 1950, einer Vorstadt von Cleveland in Ohio, ist hingegen noch intakt und in Betrieb.
Mendelsohn ist hierzulande vor allem als "Architekt der modernen Metropole", des Schwungs und der eleganten Geschäftshäuser bekannt, aber Krohns und Stavagnas Buch zeigt ihn auch als Architekt der modernen Wohnarchitektur und von sakralen Räumen. Der Vergleich der Originalzeichnungen, die teils im Buch vorgestellt werden, mit dem Status quo ermöglicht eine Einschätzung zum Erhaltungszustand dieses baukulturellen Erbes.
Autoren wie Bruno Zevi, Kathleen James-Chakraborty und Ita Heinze-Greenberg haben sich zuvor schon mit Mendelsohn in Büchern beschäftigt, aber der Blick, den Krohn und Stavagna eröffnen, unterscheidet sich deutlich von diesen Vorarbeiten. Wem Mendelsohn als zu kommerziell oder zu unintellektuell galt, um in die erste Reihe der Spitzenarchitekten vorzudringen, wird eines Besseren belehrt: Michele Stavagna, ausgewiesener Kenner von Mendelsohns Werk, betrachtet in seinem Essay das Wirken des Architekten auch nach der Emigration nach England 1933. In dieser Zeit entwarf Mendelsohn etwa die Villa in Rechovot bei Tel Aviv für Chaim Weizmann, den späteren ersten Staatspräsidenten Israels.
Mendelsohns Gebäude aus dieser Schaffensphase waren weder kommerziell noch gefällig, sondern frühe Meilensteine der Moderne in Israel - mit einem neuen Formenrepertoire. Im Jahr 1935 eröffnete er sein Architekturbüro in Jerusalem, aus dem Entwürfe wie für die Villa Schocken und die Hebräische Universität, das Hadassah-Universitätskrankenhaus und die Anglo-Palestine-Bank (alle in Jerusalem) sowie für das Regierungskrankenhaus in Haifa hervorgingen. Trotz seiner Erfolge ging Mendelsohn in die USA. 1945 ließ er sich in San Francisco nieder, wo er 1953 starb.
Stavagna zeichnet nicht nur die Lebensstationen und Werkphasen präzise nach, er betrachtet auch die ungebauten Projekte. Insgesamt dokumentiert die Monographie sämtliche siebzig Bauten in Text und Bild, die sich Mendelsohn zweifelsfrei zuschreiben lassen. Ein Werkverzeichnis listet alle Arbeiten auf. Hinzu kommen neue Fotos von Krohn, neu gezeichnete Pläne sowie historische Abbildungen.
Heute ist die Idee, die einem Gebäude bei der Planung zugrunde lag, häufig unter Auflagen aller Art verborgen. Bei den architektonischen Leistungen Mendelsohns - man denke an das Kaufhaus Petersdorff in Wroclaw, das Haus Bejach in Berlin oder das ebenfalls in Berlin errichtete Gebäude der Metallarbeitergewerkschaft - sieht das anders aus. Dieses Buch macht Lust darauf, sich Mendelsohns Gebäude noch einmal genauer anzusehen. ULF MEYER
Erich Mendelsohn: "Bauten und Projekte".
Hrsg. von Carsten Krohn und Michele Stavagna. Mit einem Vorwort von Kenneth Frampton. Birkhäuser Verlag, Berlin 2021. 240 S., Abb., geb., 69,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erich Mendelsohn hat Geschäfts- und Wohnhäuser, Hospitäler und Synagogen gebaut. Ein Band stellt nun all seine Gebäude in Text und Bild vor.
Mit wenigen Kohlestrichen den Zeitgeist einer ganzen Generation und den künstlerischen Aufbruch einer neuen Epoche ausdrücken zu können, das gelang in den frühen Zwanzigerjahren wohl keinem deutschen Architekten besser als dem Meister des dynamischen Expressionismus: Erich Mendelsohn. Der Einsteinturm auf dem Telegrafenberg in Potsdam, das Verlagshaus Mosse und die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin gehören zu seinen Meisterwerken, deren Eleganz noch heute begeistern. Auch in England, Israel und den Vereinigten Staaten hinterließ Mendelsohn Bauten, die ihn zu einem der einflussreichsten Architekten der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts machen.
Der Frage, warum Mendelsohn im Vergleich zu Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe, mit denen er 1924 in der Künstlervereinigung "Ring" zusammentraf, einen weniger prominenten Platz in der Architekturgeschichte der Moderne bekommen hat, geht ein Buch nach, das der Berliner Architekt Carsten Krohn und der Architekturhistoriker Michele Stavagna herausgegeben haben. Es verbindet feine Zeichnungen mit bestechenden Fotografien und überzeugenden Texten. Die Wiederentdeckung von Mendelsohn und die neue Wertschätzung, die dessen OEuvre dadurch widerfährt, ist vollkommen verdient.
Schlüsselwerke wie die Hutfabrik in Luckenwalde von 1923 und das ehemalige Kaufhaus Schocken in Chemnitz dürfen in dem Band nicht fehlen. Weniger bekannt sind Mendelsohns Frühwerke in Polen und in der Tschechischen Republik wie das Bet Tahara in Olsztyn, wo Mendelsohn vor 125 Jahren zur Welt kam. Das "Haus der Reinigung" im damaligen Allenstein wurde zwischenzeitlich zu einem "Zentrum für Interkulturellen Dialog" umgebaut, während das Kaufhaus in Chemnitz - mit seiner bogenförmigen Front und den horizontalen Fensterbändern eines der Meisterwerke moderner Kaufhausarchitektur - unlängst zum Landesmuseum für Archäologie umgestaltet wurde.
Mendelsohns gebautes Erbe ist also im Fluss, auch andernorts: Das Gebäude der B'nai-Amoona-Synagoge in St. Louis wird derzeit als Teil des Center of Creative Arts genutzt. Beim Maimonides-Krankenhaus in San Francisco ging die Leichtigkeit der Architektur Mendelsohns durch Umbaumaßnahmen nach der Eröffnung verloren. Die Park-Synagoge der Gemeinde Anshe Emeth Beth Tefilo in Cleveland Heights von 1950, einer Vorstadt von Cleveland in Ohio, ist hingegen noch intakt und in Betrieb.
Mendelsohn ist hierzulande vor allem als "Architekt der modernen Metropole", des Schwungs und der eleganten Geschäftshäuser bekannt, aber Krohns und Stavagnas Buch zeigt ihn auch als Architekt der modernen Wohnarchitektur und von sakralen Räumen. Der Vergleich der Originalzeichnungen, die teils im Buch vorgestellt werden, mit dem Status quo ermöglicht eine Einschätzung zum Erhaltungszustand dieses baukulturellen Erbes.
Autoren wie Bruno Zevi, Kathleen James-Chakraborty und Ita Heinze-Greenberg haben sich zuvor schon mit Mendelsohn in Büchern beschäftigt, aber der Blick, den Krohn und Stavagna eröffnen, unterscheidet sich deutlich von diesen Vorarbeiten. Wem Mendelsohn als zu kommerziell oder zu unintellektuell galt, um in die erste Reihe der Spitzenarchitekten vorzudringen, wird eines Besseren belehrt: Michele Stavagna, ausgewiesener Kenner von Mendelsohns Werk, betrachtet in seinem Essay das Wirken des Architekten auch nach der Emigration nach England 1933. In dieser Zeit entwarf Mendelsohn etwa die Villa in Rechovot bei Tel Aviv für Chaim Weizmann, den späteren ersten Staatspräsidenten Israels.
Mendelsohns Gebäude aus dieser Schaffensphase waren weder kommerziell noch gefällig, sondern frühe Meilensteine der Moderne in Israel - mit einem neuen Formenrepertoire. Im Jahr 1935 eröffnete er sein Architekturbüro in Jerusalem, aus dem Entwürfe wie für die Villa Schocken und die Hebräische Universität, das Hadassah-Universitätskrankenhaus und die Anglo-Palestine-Bank (alle in Jerusalem) sowie für das Regierungskrankenhaus in Haifa hervorgingen. Trotz seiner Erfolge ging Mendelsohn in die USA. 1945 ließ er sich in San Francisco nieder, wo er 1953 starb.
Stavagna zeichnet nicht nur die Lebensstationen und Werkphasen präzise nach, er betrachtet auch die ungebauten Projekte. Insgesamt dokumentiert die Monographie sämtliche siebzig Bauten in Text und Bild, die sich Mendelsohn zweifelsfrei zuschreiben lassen. Ein Werkverzeichnis listet alle Arbeiten auf. Hinzu kommen neue Fotos von Krohn, neu gezeichnete Pläne sowie historische Abbildungen.
Heute ist die Idee, die einem Gebäude bei der Planung zugrunde lag, häufig unter Auflagen aller Art verborgen. Bei den architektonischen Leistungen Mendelsohns - man denke an das Kaufhaus Petersdorff in Wroclaw, das Haus Bejach in Berlin oder das ebenfalls in Berlin errichtete Gebäude der Metallarbeitergewerkschaft - sieht das anders aus. Dieses Buch macht Lust darauf, sich Mendelsohns Gebäude noch einmal genauer anzusehen. ULF MEYER
Erich Mendelsohn: "Bauten und Projekte".
Hrsg. von Carsten Krohn und Michele Stavagna. Mit einem Vorwort von Kenneth Frampton. Birkhäuser Verlag, Berlin 2021. 240 S., Abb., geb., 69,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Ulf Meyer empfiehlt den von Carsten Krohn und Michele Stavagna herausgegebenen Band, mit dem Erich Mendelsohn endgültig in eine Liga mit Gropius oder Mies van der Rohe aufsteigt. Den Autoren gelingt es laut Meyer mittels reichem Bildmaterial und informierten Texten zu bekannten wie weniger bekannten Bauten Mendelsohns im In- und Ausland die Bedeutung des Architekten herauszuarbeiten, sowohl im Bereich der Geschäfts-, als auch in der Wohnarchitektur und bei sakralen Bauten. Dass Mendelsohn zu kommerziell sei, kann nun niemand mehr behaupten, meint Meyer. Dass der Band neben den Lebens- und Werkphasen auch ungebaute Projekte behandelt, findet Meyer bemerkenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Krohns Aufnahmen lassen nachvollziehen, wie Mendelsohn in Berlin mit spektakulären Gewerbebauten und klug geplanten Villen Furore machte, wie er nach der Emigration in Palästina half, eine moderne Infrastruktur zu schaffen, und wie er sich in seinem Spätwerk in den USA intensiv mit dem Typus der Synagoge als Bauaufgabe auseinandersetzte. Zwei lesenswerte Aufsätze zur Einführung von Krohn und seinem Co-Autor Michele Stavagna ergänzen die Werkübersicht." (In Baumeister, 03.2022)
"Der Frage, warum Mendelsohn im Ver- gleich zu Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe. mit denen er 1924 in der Künstlervereinigung "Ring" zusam- mentraf, einen weniger prominenten Platz in der Architekturgeschichte der Moderne bekommen hat, geht ein Buch nach, das der Berliner Architekt Carsten Krohn und der Architekturhistoriker Michele Stavagna herausgegeben haben. Es verbindet feine Zeichnungen mit bestechenden Fotografien und überzeugenden Texten. Die Wiederentdeckung von Mendelsohnund die neue Wertschätzung, die dessen uvre dadurch widerfährt, ist vollkommen verdient. [...] Dieses Buch macht Lust darauf, sich Mendelsohns Gebäude noch einmal genauer anzusehen."(Ulf Meyer in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.2022)
"Wer sich durch die siebzig Bauten blättert, kommt nicht umhin, über die außergewöhnliche Bandbreite zu staunen - Kaufhäuser, riesige Industriekomplexe, Banken, Krankenhäuser, Friedhöfe sind darunter genauso wie Einfamilienhäuser, Wohnanlagen für Arbeiter und Apartments für die Mittelschicht. [...] Noch bemerkenswerter ist die Modernität und bis heute wirkende visionäre Kraft seiner Architektur." (Ulla Hanselmann in Stuttgarter Zeitung, 01.2022)
"Der Frage, warum Mendelsohn im Ver- gleich zu Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe. mit denen er 1924 in der Künstlervereinigung "Ring" zusam- mentraf, einen weniger prominenten Platz in der Architekturgeschichte der Moderne bekommen hat, geht ein Buch nach, das der Berliner Architekt Carsten Krohn und der Architekturhistoriker Michele Stavagna herausgegeben haben. Es verbindet feine Zeichnungen mit bestechenden Fotografien und überzeugenden Texten. Die Wiederentdeckung von Mendelsohnund die neue Wertschätzung, die dessen uvre dadurch widerfährt, ist vollkommen verdient. [...] Dieses Buch macht Lust darauf, sich Mendelsohns Gebäude noch einmal genauer anzusehen."(Ulf Meyer in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.2022)
"Wer sich durch die siebzig Bauten blättert, kommt nicht umhin, über die außergewöhnliche Bandbreite zu staunen - Kaufhäuser, riesige Industriekomplexe, Banken, Krankenhäuser, Friedhöfe sind darunter genauso wie Einfamilienhäuser, Wohnanlagen für Arbeiter und Apartments für die Mittelschicht. [...] Noch bemerkenswerter ist die Modernität und bis heute wirkende visionäre Kraft seiner Architektur." (Ulla Hanselmann in Stuttgarter Zeitung, 01.2022)