Produktdetails
- Verlag: Faber & Faber, Leipzig
- 2000.
- Seitenzahl: 461
- Deutsch
- Abmessung: 33mm x 146mm x 221mm
- Gewicht: 722g
- ISBN-13: 9783932545597
- ISBN-10: 3932545591
- Artikelnr.: 09012573
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2001Intimer Blick in die Gralsburg
Die Lebenserinnerungen des Regisseurs Manfred Wekwerth
Wenn ein Theatermacher eine Biographie schreibt, wird daraus naturgemäß auch Theater. Manfred Wekwerth ist klug genug, das zu wissen, und kokett genug, damit zu spielen. Er nennt seine Erinnerungen "Eine dramatische Autobiographie" und gliedert sie nach der klassischen Dramaturgie in fünf Akte. Doch sein eigentliches Talent als Regisseur zeigt sich erst beim Arrangieren der Szenen, bei der Gewichtung der Auftritte, bei der Verteilung von Licht und Schatten. Seine Jugend faßt der 1929 in Köthen/Anhalt Geborene in einem kurzen Prolog zusammen, den Erziehungsbemühungen der Nationalsozialisten begegnet er mit Resistenz und Ironie: "Sie hatten nicht vermocht, aus mir einen Jungsiegfried zu machen, und ich hatte mich mit Erfolg gedrückt, Zögling einer Napobi, einer Nationalsozialistischen Politischen Bildungsanstalt, zu werden, aber eines hatten sie mit großem Geschick erreicht: Eine ganze Generation kopflos zu machen."
Indem er ausdrücklich auf die Rolle Siegfrieds verzichtet, bereitet er seinen Auftritt als Parzival vor. Der reine Tor gelangt aus der Waldeinsamkeit zur Gralsburg wie Wekwerth aus der Köthener "Arbeitsgemeinschaft Theater" ans Berliner Ensemble. Und da erst, mit der Ankunft unter den grauen Gralsrittern der Brechtschen Runde beginnt das Theater.
Als Laienspielleiter hatte Manfred Wekwerth in Köthen Brechts Stück "Die Gewehre der Frau Carrar" inszeniert und die Chuzpe gehabt, den ihm bis dahin unbekannten Autor zur Premiere einzuladen. Der schickte, statt selbst zu kommen, die beiden Autobusse des Berliner Ensembles nach Köthen, um sich die Inszenierung in Berlin anzusehen. Nach der Vorstellung auf der Probebühne des Berliner Ensembles kommt es zur ersten Begegnung des Jungregisseurs mit dem Meister, eine Szene, in der der rückblickende Regisseur Wekwerth beweisen kann, daß er sein Handwerk gelernt hat: "Helene Weigel hatte mir, überglücklich, gesagt, ich solle gleich zu Brecht kommen, und ich ging auf den Mann zu mit der grauen Jacke und dem Brecht-Haarschnitt. Er schien mir auch bedeutend genug, denn er war von einer Traube von Leuten umringt, die an seinen Lippen hingen. Irrtum. Es war Paul Dessau. Der nächste, den ich als Brecht ansprach, war der Schauspieler Peter Kalisch: wieder Brecht-Schnitt, wieder die graue Jacke, aber diesmal allein und nachdenklich in einer Ecke. Außer dem Pförtner, der ebenfalls eine graue Jacke trug, fiel mir sonst niemand mehr als ,brechtisch' auf, bis mir ein unauffälliger Mann mittlerer Größe die Hand gab und vor sich hinmurmelte: ,Brecht'."
Die ersten beiden Akte der Wekwerthschen Biographie lesen sich wie eine Komödie. In seinem schwungvoll-koketten Spiel mit der Form gesteht der Regisseur sogar ein, daß die Wahrhaftigkeit einer Anekdote nicht von ihrem Wahrheitsgehalt abhängt. Er läßt bei einem Gastspiel des Berliner Ensembles in Paris im Juni 1954 Brecht und Ionesco zufällig in einem Café zusammentreffen. An diese Pariser Pointe der Weltliteratur knüpft Wekwerth einen sophistischen Kommentar: "Es kann sein, daß ich diese Geschichte, die inzwischen in Brecht-Biographien zu finden ist, erfunden habe und Brecht niemals mit Ionesco zusammengetroffen ist. Was macht das schon? Kunst ist die Lüge, die zur Wahrheit führt."
Je weiter Wekwerth ins Innere der Gralsburg des Berliner Ensembles vordringt, desto mehr gleichen seine Erinnerungen den Memoiren Saint-Simons mit ihrem intimen Blick auf die abgeschlossene Hofgesellschaft von Versailles. Die Mätressen spielen ihre diskrete Rolle, über allen aber schwebt am Berliner Ensemble der gute Geist Helene Weigels. Und obwohl es 1969 zum Zerwürfnis mit der Prinzipalin kam, so daß die Erben bei ihrem Tod im Jahre 1971 Wekwerth die Teilnahme an der Trauerfeier untersagten, porträtiert er sie in seinen Erinnerungen als Seele von Mensch, als Mutter Courage der Compagnie. Eine Frau, die nach Brechts Tod im Jahr 1956 seine Schüler, Benno Besson, Peter Palitzsch und Manfred Wekwerth zur Leitung des Berliner Ensembles heranzog und Widersprüchen der jungen Leute begegnete, indem sie eines ihrer famosen Essen servierte: Geselchtes mit böhmischen Knödeln und Buchteln mit Vanillesoße als Nachspeise.
Dichtung und Wahrheit sind da für den Nachgeborenen schwer zu unterscheiden, allenfalls eingefügte Tagebuchaufzeichnungen lassen erahnen, daß sich unter der Oberfläche der Mütterlichkeit ein gehöriges Maß an Herrschsucht verborgen haben könnte: "Berühmt sind ihre Streifzüge durch die Damengarderoben, wo sie auftoupierte Haare mit einem kurzen Schlag mit der flachen Hand zu Fall bringt", heißt es über die Weigel in einer Notiz von 1952. Aber auch die schriftlichen Zeitzeugnisse sind für Nachgeborene schwer auf ihren historischen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. So im Blick auf Brechts Haltung zum Aufstand vom 17. Juni 1953. Kurt Barthel, der Präsident des Schriftstellerverbandes, habe Brecht mit seinem auf der ersten Seite des "Neuen Deutschlands" veröffentlichten Appell an die Bauarbeiter der Stalinallee, das Vertrauen der Regierung durch doppelte Arbeit wiederzugewinnen, zu einem "Geniestreich" provoziert: Jenem bekannten Gedicht: "Die Lösung", aus dem Wekwerth zitiert: "Wäre es da / nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?" Das ist zweifellos genial gekontert, nur läßt Wekwerth die Frage offen, wo und wann Brechts Reaktion an die Öffentlichkeit gelangte. Zumindest nach westlichen Quellen gilt das Gedicht als aus dem Nachlaß veröffentlicht.
Es ist dieser uneingestanden persönliche Umgang mit schriftlichen Zeitzeugnissen, der bewirkt, daß der zweite Teil der Biographie schwerer zu lesen und schwieriger zu beurteilen ist als der erste. Denn die letzten drei Akte, die Zeit ab 1970, präsentiert der Theatermann als Dokumentarspiel. Die Jahre der grenzgängerischen Wanderschaft als Regisseur zwischen dem Londoner National Theatre, dem Schauspielhaus Zürich und den Babelsberger Fernsehstudios sowie Aufstieg und Fall als Intendant des Berliner Ensembles (1978 bis 1992) und Präsident der Akademie der Künste der DDR (1982 bis 1990) werden in Gesprächsaufzeichnungen, Stellungnahmen und Briefen rekonstruiert. Dieses Verfahren ist an sich nicht fragwürdig, doch weder das Gespräch mit Hans-Dieter Schütt über die Londoner "Coriolan"-Inszenierung noch das Gespräch mit Ulrich Dietzel über die Zeit als Akademiepräsident und Intendant sind mit Quellenangaben oder irgendwelchen Hinweisen versehen, die den Anteil der Bearbeitung durch den Autor verraten. Ein Schönheitsfehler, der weniger schwer wöge, wenn all die Dokumente dem Leser nicht das Gefühl gäben, sie sollten gegen den Handstreich ins Feld geführt werden, mit dem der Kultursenator Roloff-Momin Wekwerth 1992 als Intendant des Berliner Ensembles absetzte. Eine Rechtfertigungsstrategie, die Wekwerth eigentlich nicht nötig hat und die den letzten Teil seiner Lebenserinnerungen einseitig und beweislastig macht.
FRANK BUSCH.
Manfred Wekwerth: "Erinnern ist Leben - Eine dramatische Autobiographie". Verlag Faber & Faber, Leipzig 2000. 461 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Lebenserinnerungen des Regisseurs Manfred Wekwerth
Wenn ein Theatermacher eine Biographie schreibt, wird daraus naturgemäß auch Theater. Manfred Wekwerth ist klug genug, das zu wissen, und kokett genug, damit zu spielen. Er nennt seine Erinnerungen "Eine dramatische Autobiographie" und gliedert sie nach der klassischen Dramaturgie in fünf Akte. Doch sein eigentliches Talent als Regisseur zeigt sich erst beim Arrangieren der Szenen, bei der Gewichtung der Auftritte, bei der Verteilung von Licht und Schatten. Seine Jugend faßt der 1929 in Köthen/Anhalt Geborene in einem kurzen Prolog zusammen, den Erziehungsbemühungen der Nationalsozialisten begegnet er mit Resistenz und Ironie: "Sie hatten nicht vermocht, aus mir einen Jungsiegfried zu machen, und ich hatte mich mit Erfolg gedrückt, Zögling einer Napobi, einer Nationalsozialistischen Politischen Bildungsanstalt, zu werden, aber eines hatten sie mit großem Geschick erreicht: Eine ganze Generation kopflos zu machen."
Indem er ausdrücklich auf die Rolle Siegfrieds verzichtet, bereitet er seinen Auftritt als Parzival vor. Der reine Tor gelangt aus der Waldeinsamkeit zur Gralsburg wie Wekwerth aus der Köthener "Arbeitsgemeinschaft Theater" ans Berliner Ensemble. Und da erst, mit der Ankunft unter den grauen Gralsrittern der Brechtschen Runde beginnt das Theater.
Als Laienspielleiter hatte Manfred Wekwerth in Köthen Brechts Stück "Die Gewehre der Frau Carrar" inszeniert und die Chuzpe gehabt, den ihm bis dahin unbekannten Autor zur Premiere einzuladen. Der schickte, statt selbst zu kommen, die beiden Autobusse des Berliner Ensembles nach Köthen, um sich die Inszenierung in Berlin anzusehen. Nach der Vorstellung auf der Probebühne des Berliner Ensembles kommt es zur ersten Begegnung des Jungregisseurs mit dem Meister, eine Szene, in der der rückblickende Regisseur Wekwerth beweisen kann, daß er sein Handwerk gelernt hat: "Helene Weigel hatte mir, überglücklich, gesagt, ich solle gleich zu Brecht kommen, und ich ging auf den Mann zu mit der grauen Jacke und dem Brecht-Haarschnitt. Er schien mir auch bedeutend genug, denn er war von einer Traube von Leuten umringt, die an seinen Lippen hingen. Irrtum. Es war Paul Dessau. Der nächste, den ich als Brecht ansprach, war der Schauspieler Peter Kalisch: wieder Brecht-Schnitt, wieder die graue Jacke, aber diesmal allein und nachdenklich in einer Ecke. Außer dem Pförtner, der ebenfalls eine graue Jacke trug, fiel mir sonst niemand mehr als ,brechtisch' auf, bis mir ein unauffälliger Mann mittlerer Größe die Hand gab und vor sich hinmurmelte: ,Brecht'."
Die ersten beiden Akte der Wekwerthschen Biographie lesen sich wie eine Komödie. In seinem schwungvoll-koketten Spiel mit der Form gesteht der Regisseur sogar ein, daß die Wahrhaftigkeit einer Anekdote nicht von ihrem Wahrheitsgehalt abhängt. Er läßt bei einem Gastspiel des Berliner Ensembles in Paris im Juni 1954 Brecht und Ionesco zufällig in einem Café zusammentreffen. An diese Pariser Pointe der Weltliteratur knüpft Wekwerth einen sophistischen Kommentar: "Es kann sein, daß ich diese Geschichte, die inzwischen in Brecht-Biographien zu finden ist, erfunden habe und Brecht niemals mit Ionesco zusammengetroffen ist. Was macht das schon? Kunst ist die Lüge, die zur Wahrheit führt."
Je weiter Wekwerth ins Innere der Gralsburg des Berliner Ensembles vordringt, desto mehr gleichen seine Erinnerungen den Memoiren Saint-Simons mit ihrem intimen Blick auf die abgeschlossene Hofgesellschaft von Versailles. Die Mätressen spielen ihre diskrete Rolle, über allen aber schwebt am Berliner Ensemble der gute Geist Helene Weigels. Und obwohl es 1969 zum Zerwürfnis mit der Prinzipalin kam, so daß die Erben bei ihrem Tod im Jahre 1971 Wekwerth die Teilnahme an der Trauerfeier untersagten, porträtiert er sie in seinen Erinnerungen als Seele von Mensch, als Mutter Courage der Compagnie. Eine Frau, die nach Brechts Tod im Jahr 1956 seine Schüler, Benno Besson, Peter Palitzsch und Manfred Wekwerth zur Leitung des Berliner Ensembles heranzog und Widersprüchen der jungen Leute begegnete, indem sie eines ihrer famosen Essen servierte: Geselchtes mit böhmischen Knödeln und Buchteln mit Vanillesoße als Nachspeise.
Dichtung und Wahrheit sind da für den Nachgeborenen schwer zu unterscheiden, allenfalls eingefügte Tagebuchaufzeichnungen lassen erahnen, daß sich unter der Oberfläche der Mütterlichkeit ein gehöriges Maß an Herrschsucht verborgen haben könnte: "Berühmt sind ihre Streifzüge durch die Damengarderoben, wo sie auftoupierte Haare mit einem kurzen Schlag mit der flachen Hand zu Fall bringt", heißt es über die Weigel in einer Notiz von 1952. Aber auch die schriftlichen Zeitzeugnisse sind für Nachgeborene schwer auf ihren historischen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. So im Blick auf Brechts Haltung zum Aufstand vom 17. Juni 1953. Kurt Barthel, der Präsident des Schriftstellerverbandes, habe Brecht mit seinem auf der ersten Seite des "Neuen Deutschlands" veröffentlichten Appell an die Bauarbeiter der Stalinallee, das Vertrauen der Regierung durch doppelte Arbeit wiederzugewinnen, zu einem "Geniestreich" provoziert: Jenem bekannten Gedicht: "Die Lösung", aus dem Wekwerth zitiert: "Wäre es da / nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?" Das ist zweifellos genial gekontert, nur läßt Wekwerth die Frage offen, wo und wann Brechts Reaktion an die Öffentlichkeit gelangte. Zumindest nach westlichen Quellen gilt das Gedicht als aus dem Nachlaß veröffentlicht.
Es ist dieser uneingestanden persönliche Umgang mit schriftlichen Zeitzeugnissen, der bewirkt, daß der zweite Teil der Biographie schwerer zu lesen und schwieriger zu beurteilen ist als der erste. Denn die letzten drei Akte, die Zeit ab 1970, präsentiert der Theatermann als Dokumentarspiel. Die Jahre der grenzgängerischen Wanderschaft als Regisseur zwischen dem Londoner National Theatre, dem Schauspielhaus Zürich und den Babelsberger Fernsehstudios sowie Aufstieg und Fall als Intendant des Berliner Ensembles (1978 bis 1992) und Präsident der Akademie der Künste der DDR (1982 bis 1990) werden in Gesprächsaufzeichnungen, Stellungnahmen und Briefen rekonstruiert. Dieses Verfahren ist an sich nicht fragwürdig, doch weder das Gespräch mit Hans-Dieter Schütt über die Londoner "Coriolan"-Inszenierung noch das Gespräch mit Ulrich Dietzel über die Zeit als Akademiepräsident und Intendant sind mit Quellenangaben oder irgendwelchen Hinweisen versehen, die den Anteil der Bearbeitung durch den Autor verraten. Ein Schönheitsfehler, der weniger schwer wöge, wenn all die Dokumente dem Leser nicht das Gefühl gäben, sie sollten gegen den Handstreich ins Feld geführt werden, mit dem der Kultursenator Roloff-Momin Wekwerth 1992 als Intendant des Berliner Ensembles absetzte. Eine Rechtfertigungsstrategie, die Wekwerth eigentlich nicht nötig hat und die den letzten Teil seiner Lebenserinnerungen einseitig und beweislastig macht.
FRANK BUSCH.
Manfred Wekwerth: "Erinnern ist Leben - Eine dramatische Autobiographie". Verlag Faber & Faber, Leipzig 2000. 461 S., geb., 39,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Das ist doch mal ein klares Urteil: "Manfred Wekwerth hat mit 'Erinnern ist Leben' ein schlechtes Buch verfasst", findet der Rezensent "tlm." und erklärt dann warum. Es sei in erster Linie eine Abrechnung, eine eitle Selbstbespiegelung, eine ungelenke Beschönigung, dazu "ohne jeden Esprit geschrieben". Da hilft die Bekanntschaft mit den Theaterberühmtheiten der Welt - von Bertolt Brecht bis Laurence Olivier - kein bisschen: Wekwerth gelangt in seinen Anekdoten nicht über das Niveau von "Altherrenwitzen" hinaus, so der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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