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Autorenporträt
Ernst Albrecht, geb. am 29. Juni 1930 in Heidelberg, studierte Philosophie und Theologie in Tübingen, an der Cornell University und in Basel sowie Wirtschaftswissenschaften in Bonn. Nach der Promotion (Dr.rer.pol) wurde er Attaché beim Ministerrat der Montanunion. Nach unterschiedlichen Stationen als Entscheider in der freien Wirtschaft wechselte er in die Politik. Von 1976 bis 1990 war er Ministerpräsident des Landes Niedersachsen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2000

Herr Harmlos in Person
In seiner Autobiographie verrät Ernst Albrecht nicht ein einziges, kleines Geheimnis
ERNST ALBRECHT: Erinnerungen, Erkenntnisse, Entscheidungen, Barton`sche Verlagsbuchhandlung, Göttingen 1999. 192 Seiten, 38 Mark.
Es ist, als hätte man die Jahre seit 1990 im Tiefschlaf verbracht und würde jetzt geweckt. „Vielleicht können wir ja zu Beginn das Inhaltsverzeichnis systematisch durchgehen”, sagt der alte Herr verbindlich. Auch sein Zahnpastalächeln vermag er noch genauso anzuknipsen wie früher. Gehorsam schlagen die Journalisten Seite fünf des Buches auf.
Ernst Albrecht, Niedersachsen Ministerpräsident zwischen 1976 und 1990, war ein konservativer Politiker und ist ein konservativer Mensch geblieben. Die Vorstellung des Buches „Erinnerungen, Erkenntnisse, Entscheidungen” in einem Hannoveraner Hotel hatte nichts von modernem Schick. Während sein früherer Kabinettskollege Walther Leisler Kiep (CDU) jüngst den aktuellen Bundeskanzler (SPD) als Laudator in die Bütt schickte, nominierte Albrecht einen Mann namens Thedel von Wallmoden; der aber ist einfach nur sein Verleger.
Pfeilgerader Aufstieg
„Die reine Erkenntnis war mir nie genug”, schreibt Ernst Albrecht im Vorwort. „Es hat mich immer gedrängt, praktische Schlussfolgerungen zu ziehen. ” Folgerichtig legt er jetzt ein Sachbuch vor, das sauber Entscheidungen nachzeichnet – anstelle einer Autobiographie, in der es zwischen den Zeilen auch mal menscheln dürfte. An die Stationen seiner Karriere angelehnt, teilt Albrecht das Buch in drei Kapitel ein: Europa, Niedersachsen und Deutschland. Seine Karriere begann er 1954 in Brüssel als Attaché in der Montanunion, die in der Europäischen Gemeinschaft Kohle und Stahl verwaltete. Vier Jahre später stieg er zum Kabinettchef der Europäischen Kommission auf; später wachte er als EG-Generaldirektor über den Wettbewerb.
Am 15. Januar 1976 wählte der Landtag Ernst Albrecht überraschend zum Ministerpräsidenten, obwohl der SPD-Kandidat Helmut Kasimier, der Alfred Kubel beerben sollte, eine Mehrheit hinter sich wähnte. Auch an dieser Stelle verweigert Albrecht den Blick hinter die Kulissen der Politik. Wilfried Hasselmann, in Niedersachsen eine Art fleischgewordene CDU, hatte den ebenso talentierten wie ehrgeizigen Ernst Albrecht 1970 nach Hannover gelotst. Die Umschulung zum Politiker fiel dem Beamten nicht leicht: „Es begann das, was ich die `Tour der tausend Kneipen` nannte: Basisarbeit eines demokratischen Politikers. ” Der gebürtige Heidelberger lernte das Besondere an diesem Bundesland kennen: „Niedersachsen ist oft als künstliche Schöpfung der britischen Besatzungsmacht gesehen worden. In der Tat war das Identitäsbewusstsein der Oldenburger, Ostfriesen, Emsländer, Bückeburger und Braunschweiger so stark, dass eine emotionale Beziehung zum Land Niedersachsen nicht bestand. ” Als Beleg für seinen braven Versuch, der Kleinstaaterei entgegenzuwirken, nennt Albrecht den Rückkauf des Evangeliars Heinrichs des Löwen, aber auch „die Achtung, die ich unseren ehemals regierenden Fürstenhäusern entgegenbrachte”.
In seinem Europa-Kapitel singt Ernst Albrecht das hohe Lied des Subsidiaritäts-Prinzips: „Einer der Fehler, welche die Europäische Gemeinschaft vor allem in den 70er und 80er Jahren gemacht hat, ist das Bemühen, eine Art Allzuständigkeit zu erreichen. ” Diese Melodie stimmt er auch im Niedersachsen-Kapitel an. Als der Bundestag die Gemeinden per Gesetz verpflichten wollte, für jedes Kind einen Kindergartenplatz zu garantieren, habe er dagegengehalten: „Die Frage, ob erst der Ausbau eines Kindergartens oder einer Schule oder einer Altenpflege-Einrichtung in Cloppenburg finanziert werden soll, ist Sache der Cloppenburger und nicht der Bonner Politiker. ”
Eine eher schlichte Erklärung bietet Albrecht dem Leser für die Tatsache an, dass die Niedersachsen ihn 1990 zu Gunsten Gerhard Schröders abwählten. „Unser Hauptproblem war die damals Abwehrbewegung eines Teils unserer Bürger gegen Lasten, die sich für sie aus der bevorstehenden Wiedervereinigung ergeben konnten. ” Selbstkritik verabreicht Albrecht sich in homöopathischen Dosen. „Celler Loch”, 'Spielbanken'-Affäre – in den Augen des Landesvaters i.R. nur „Skandalkampagnen der SPD” mit der unerquicklichen Folge, dass „Wilfried Hasselmann, der so ungewöhnliche Verdienste um das Land hat, wegen einer irrtümlich abgegebenen falschen Aussage vor einem der Untersuchungsausschüsse seinen Rücktritt erklärte”.
Lesenswert ist Albrechts Schilderung aus dem Kapitel „Deutschland”, wie er 1979 fast Kanzlerkandidat der Union geworden wäre, bevor sich doch Franz-Josef Strauß durchsetzte. Nach Albrechts Darstellung ist dieser Ausgang zu einem Gutteil jenem Machterhaltungsmechanismus geschuldet, der Bundestagsabgeordneten innewohnt. Deren Kalkül: An einem Kandidaten Albrecht zerbricht die Union, was zahlreiche Mandate ins Wanken brächte. Speziell bei diesem Kapitel lohnt es sich, Walther Leisler Kieps vergleichsweise geschwätziges Tagebuch „Was bleibt ist große Zuversicht” parallel zu lesen. Wo der noble Albrecht vor lauter Hervorheben der eigenen Integrität nicht dazu kommt, die Mitstreiter kritisch zu beurteilen, ätzt Leisler Kiep gegen den „Gummilöwen Heinrich Köppler” (damals Fraktionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen) und schimpft Lothar Späth „undurchsichtig”.
Der Privatier Ernst Albrecht mischt heute noch bei der Stiftung Niedersachsen mit und berät die Staatsführung Kirgistans. Fast zehn Jahre ist Ernst Albrecht nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten, eine Leistung, deren Bedeutung er gern hervorhebt: „Ich wollte nach 1990 aus dem Applausbezug heraus”. Das Buch „Erinnerungen, Erkenntnisse, Entscheidungen” ist nicht frei von Eitelkeiten, etwa wenn Albrecht eine Rede zur Neuordnung des NDR-Staatsvertrags mit der Emser Depesche vergleicht. Von Vorteil wäre es auch gewesen, wenn Ernst Albrecht ein strengerer Lektor an die Seite gesetzt worden wäre. Politsprech klingt nicht gut. Und es liest sich um so schlechter.
ARNE BOECKER
Verbindlich wie eh und je: Der einstige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht.
Foto: dpa
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