Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 32,00 €
  • Gebundenes Buch

Nadeschda Mandelstam blickt auf Jahrzehnte zurück, von denen ihr Mann, der große Lyriker Ossip Mandelstam, in einem seiner Gedichte als Jahrhundert der Wölfe spricht. Ihr Erinnerungsbuch - erstmals neu und vollständig übersetzt - ist eine nachgetragene Liebesgeschichte und das eindringliche Porträt einer Epoche, in der 1938 ihr Mann in den Lagern verschwand und umkam.Als Nadeschda Mandelstams Erinnerungsbuch 1970 in einem russischen Verlag in den USA erschien und fast zeitgleich in englischer, französischer und deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde, kam das einer Sensation gleich. Mit der…mehr

Produktbeschreibung
Nadeschda Mandelstam blickt auf Jahrzehnte zurück, von denen ihr Mann, der große Lyriker Ossip Mandelstam, in einem seiner Gedichte als Jahrhundert der Wölfe spricht. Ihr Erinnerungsbuch - erstmals neu und vollständig übersetzt - ist eine nachgetragene Liebesgeschichte und das eindringliche Porträt einer Epoche, in der 1938 ihr Mann in den Lagern verschwand und umkam.Als Nadeschda Mandelstams Erinnerungsbuch 1970 in einem russischen Verlag in den USA erschien und fast zeitgleich in englischer, französischer und deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde, kam das einer Sensation gleich. Mit der Publikation des aus der Sowjetunion ins westliche Ausland geschmuggelten Manuskripts begann die Wiederentdeckung von Ossip Mandelstam.Nadeschda Mandelstams autobiographische Prosa gehört zu den Höhepunkten der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Anders als Wassili Grossman oder Alexander Solschenizyn, die ihre Berichte aus den Abgründen der Sowjetunion im Hinblick auf eine Publikation dort verfassten, schrieb die Dichterwitwe ihre Erinnerungen für sich selbst und spätere Generationen, ohne die Möglichkeit einer Veröffentlichung auch nur in Erwägung zu ziehen. Das Erbe ihres Mannes, sein lyrisches Werk, bewahrte Nadeschda Mandelstam lange Jahre nur im Gedächtnis, ehe sie es Freunden diktieren konnte. Ihre Erinnerungen erschienen in Russland erst 1986 - während der Perestroika.In ihrem Memoirenwerk erzählt Nadeschda Mandelstam mit mutiger Offenheit und in unzähligen Geschichten aus dem alltäglichen Leben jener Jahre: von Freunden, die Verrat üben, von Pasternak, von Stalin und vielen anderen - die Wahrheit über diese gewaltsame Epoche ist wohl nie wieder so berührend geschildert worden.Mit Ursula Kellers Neuübersetzung des ersten Bandes von Nadeschda Mandelstams Autobiographie wird eine den heutigen Ansprüchen genügende Fassung vorgelegt, die auf willkürliche Kürzungen und stilistische Glättungen verzichtet. In umfangreichen Kommentaren werden die zeithistorischen Ereignisse erläutert, auf die Mandelstam in ihrem Text Bezug nimmt.
Autorenporträt
Mandelstam, Nadeschda§
Nadeschda Mandelstam (1899-1980) hat sich auch als Schriftstellerin der Erinnerung an das Werk ihres Mannes Ossip Mandelstam (1891-1938) und das Leben der Künstler und Intellektuellen während des Stalinismus verschrieben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nicht nur eine Biografie ihres Mannes hat Nadeschda Mandelstam mit ihren Erinnerungen geschrieben, findet Rezensent Ulrich M. Schmid, sondern sie hat vor allem ein Bild der "Entfremdung" der Menschen voneinander in einer vom Geheimdienst durchsetzten Gesellschaft gezeichnet. So großartig diese Neuübersetzung und Neuherausgabe für ihn auch ist, so bedauert der Kritiker doch zwei große Mängel: Zum einen sei die mittlerweile gut recherchierte Beteiligung von Literaturfunktionären an Mandelstams Drangsalierung nur sehr "am Rande" dargestellt. Zum anderen, und dies musste inzwischen durch einen Aufkleber korrigiert werden, erwähnte die Übersetzerin auch in ihren Anmerkungen nicht, dass Ralph Dütli seit vielen Jahrzehnten Mandelstams Lyrik ins Deutsche übersetzt hat. (Auch von diesem Kritiker erfahren wir allerdings nicht, ob die 1970 publizierten Bände "Das Jahrhundert der Wölfe" und "Generation ohne Tränen" in dieser Publikation aufgegangen sind.)

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2021

Höllenbeförderer und Höllenbeförderte
Neu übersetzt, aber nicht in jeder Hinsicht: Nadeschda Mandelstams Erinnerungen an das Leben mit ihrem berühmten Mann im Stalinismus

Die vermutlich nachhaltigste Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts ist das Lager: als Vernichtungslager, Arbeitslager, Übergangslager, Flüchtlingslager. In einem Übergangslager in der Nähe von Wladiwostok ist der russische Dichter Ossip Mandelstam an Typhus gestorben, vermutlich am 27. Dezember 1938. Seine Witwe Nadeschda floh dann, um es mit Joseph Brodsky zu sagen, "ein Sechstel der Erdoberfläche durchmessend, von einem Schlupfwinkel zum nächsten ..., den Kochtopf fest an sich gedrückt, in dem zusammengerollt seine Gedichte lagen, die sie sich nachts immer wieder hersagte für den Fall, dass sie von Furien mit einem Durchsuchungsbefehl gefunden würden".

Mit solchen Furien, die 1934 nicht nur mit einem Durchsuchungs-, sondern zugleich auch einem Haftbefehl für Ossip Mandelstam vor der Wohnungstür stehen, beginnen die "Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe", die seine Witwe erstmals 1970 in den Vereinigten Staaten veröffentlichen konnte und die ein Jahr danach in der ersten deutschen Übersetzung erschienen. Dass nun eine Neuübersetzung von Ursula Keller vorliegt, ist zum einen sehr verdienstvoll. Über die Qualität der Übersetzung kann ich mangels Kenntnis des Russischen nichts sagen, sie liest sich jedoch sehr flüssig und elegant. Dass weder im umfangreichen Anmerkungsapparat noch sonst irgendwo auch nur ein einziger Hinweis auf Ralph Dutli zu finden ist, der Mandelstams Gesamtwerk ins Deutsche übertragen und herausgegeben und zudem eine Biographie des Dichters veröffentlicht hat, ist jedoch mehr als ein schmerzliches Versäumnis, es ist eine Unverschämtheit.

Nadeschda Mandelstams Erinnerungen, das gleich vorweg, haben mit "Künstlerwitwenmemoiren" nicht das Geringste zu tun, auch wenn es fast nur um ihren Mann zu gehen scheint, der im gesamten Text "O. M." genannt wird, sondern liefert den vielleicht aufschlussreichsten Bericht darüber, wie nicht nur der stalinistische Terror, sondern das System ingesamt funktionierte und tiefe Spuren hinterließ, die Jahrzehnte über Stalins Tod hinaus und sogar bis heute wirken. Schließlich kommt der heutige Herrscher Russlands aus dem Geheimdienst.

"Isolieren, aber erhalten", heißt die Anweisung, als Mandelstam nach der Untersuchungshaft in der berüchtigten Moskauer Lubjanka nach Tscherdyn im Uralvorland verbannt wird. Nadeschda, gegen die keine Anklage erhoben wird, darf mitkommen. Anlass ist das später berühmte "Epigramm gegen Stalin", in dem unter anderem vom "Verderber der Seelen und Bauernschlächter" sowie von Stalins Fingern gesprochen wird, "wie Maden so fett und so grau". Selbstverständlich war das Gedicht nirgendwo veröffentlicht, sondern nur einem ausgewählten kleinen Kreis bekannt, darunter Anna Achmatowa, die "O.M." als Dichterin am nächsten stand, und Boris Pasternak. Keiner von beiden kommt aber als "der Verräter" in Frage. Dass das Epigramm zu Stalin selbst durchdringt, ist unvermeidlich in einer Atmosphäre, die Nadeschda Mandelstam so beschreibt: "Wir lebten inmitten von Menschen, die ins Jenseits befördert wurden, in die Verbannung, ins Lager, in die Hölle, und denen, die andere ins Jenseits, in die Verbannung, ins Lager, in die Hölle beförderten." Und: "Jede Familie ging auf der Suche nach Provokateuren, Denunzianten und Verrätern sorgsam ihren Bekanntenkreis durch. Nach 37 hörten die Menschen auf, einander zu treffen. Und damit hatten die Organisationen des Geheimdienstes ihre hochgesteckten Ziele erreicht. Zum einen hatten sie erreicht, dass ununterbrochen Informationen erfasst wurden, zum anderen wurden die Verbindungen der Menschen untereinander geringer, die Gesellschaft fiel auseinander."

Es versteht sich, dass in einer solchen Gesellschaft jeder potentiell schuldig ist. Denn natürlich gilt die Regel: Wer "abgeholt" oder "einbestellt" wird, muss schuldig sein, sonst würde er nicht abgeholt. "Wir alle gingen den Weg des geringsten Widerstands. Wir schwiegen, in der Hoffnung, man möge nicht uns, sondern unseren Nachbarn töten. Wir wussten nicht einmal, wer unter uns ein Mörder war und wer einfach nur sein Leben durch Schweigen rettete."

Bis 1937 hält noch Bucharin seine schützende Hand über Mandelstam; ihm ist es auch zu verdanken, dass dieser sich nach seinem Selbstmordversuch in Tscherdyn für einen anderen Verbannungsort freier Wahl entscheiden kann - ausgenommen selbstverständlich die verbotenen Städte Moskau und Leningrad und die zwölf Landkreise, die innerhalb einer Hundert-Werst-Zone, also zu nahe an den verbotenen Städten, liegen. Die Mandelstams ziehen nach Woronesch im südlichen Zentralrussland: "Wie schwierig das Leben in dieser sogenannten Phase des Wohlergehens auch gewesen sein mag, war die Atempause, die wir in Woronesch hatten, doch ein unerhörtes Glück." Mandelstam darf zwar den Landkreis nicht verlassen, bereist ihn aber "einige Male im Auftrag der Zeitung, für die er arbeitete". Sogar sechs Wochen auf dem Land können sich die Mandelstams leisten, weil Anna Achmatowa ihnen 500 Rubel schickt, die sie von Pasternak bekommen hat, und noch 500 Rubel drauflegt. "Wir fühlten uns reich und verbrachten sechs Wochen in der Sommerfrische."

Als die Sommerfrische vorbei ist, erfahren sie jedoch im Radio von den bevorstehenden Prozessen, denen dann auch Bucharin zum Opfer fallen wird. Mandelstam ist zu dieser Zeit bereits sehr krank. "Er bekam schwer Luft, aber er arbeitete weiterhin. Er rieb sich auf, brannte aus, und er tat gut daran. Wie viel Leid hätte er noch aushalten müssen, wäre er körperlich gesund gewesen. Ein schlimmer Weg stand ihm bevor, und heute wissen wir, dass der Tod sein einziger Ausweg war." Adornos Satz, nach Auschwitz gebe es Schlimmeres zu fürchten als den Tod, gilt gewiss auch für den stalinistischen Terror.

Dessen Entwicklung und verschiedene Phasen analysiert Nadeschda Mandelstam an einer Stelle sehr klarsichtig. "Die Tschekisten", schreibt sie, "waren in der Tat eine avantgardistische Stoßtruppe des ,neuen Menschen' und brachen vom Standpunkt des Übermenschen aus radikal mit allen allgemeinen Überzeugungen. Sie wurden ersetzt durch Menschen vollkommen anderen Typs, die absolut frei waren von irgendwelchen Überzeugungen ..." Der Terror wird gewissermaßen ideologiefrei und bürokratisiert, und die Maschine läuft umso reibungsloser.

Allerdings ist die Autorin weit davon entfernt, den Blick für die Ereignisse auf Stalin und den Stalinismus zu verengen. Sie geht mit der eigenen Klasse, der Intelligenzija, und der Verklärung der zwanziger Jahre, die angeblich eine Zeit des Aufbruchs waren, "eine unerhörte Blütezeit", hart ins Gericht. "Die idealisierenden Stoßseufzer, mit denen die zwanziger Jahre beschworen werden, basieren auf einer Legende, die von den damals dreißigjährigen Kapitulanten, die durch einen Zufall am Leben geblieben sind, und ihren jüngeren Brüdern erschaffen wurden. Tatsächlich aber waren die zwanziger Jahre jene Zeit, in der alle Vorbereitungen für unsere Zukunft getroffen wurden - die kasuistische Dialektik, das Außerkraftsetzen aller Werte, der Wille zu Gleichgesinntheit und Unterordnung ..." Mit anderen Worten: Stalin war ebenso die logische Konsequenz der russischen Revolution wie Robespierre und Saint-Just diejenige der französischen.

Nadeschda Mandelstam verfährt nicht linear, sondern greift immer wieder auf die Anfänge ihrer Beziehung zu Mandelstam zurück. Ihre große Erzählung enthält Beschreibungen von Mandelstams Arbeitsweise, eine ganze Reihe äußerst prägnanter Porträts von Zeitgenossen und eine Fülle von absurden Geschichten, die sich in einem System wie dem stalinistischen zwangsläufig ereignen. Bemerkenswert ist die lapidare, zuweilen bis zum Sarkasmus sich steigernde Ironie, die im Buch immer wieder durchscheint und die nötige Distanz schafft, die es braucht, um von der Hölle überhaupt erzählen zu können. Dieses Buch ist Zeitzeugnis und zugleich große Literatur.

JOCHEN SCHIMMANG

Nadeschda Mandelstam: "Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe".

Aus dem Russischen, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Ursula Keller. Die Andere Bibliothek, Berlin 2020. 785 S., geb., 44,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Nadeschda Mandelstams Erinnerungen sind nicht nur ein erschütterndes Dokument über den Kampf des Dichters Mandelstam mit der sowjetischen Zensur, sondern auch eine mit mutiger Offenheit erzählte Liebesgeschichte." Karlheinz Kasper Neues Deutschland 20201105