Was weiß man überhaupt über das Zusammenleben? Philip, ein erfolgreicher Schriftsteller, ist aus seiner Wahlheimat Paris zurück nach New York gezogen. Er hat alles verloren, was ihm lieb war, seine Frau und seine Tochter, doch nach der Trauer kam die Resignation und mit ihr auch eine neue Art von Leichtigkeit. Philip lebt in seinen Erinnerungen, ein glücklicher Witwer, dem Ambitionen so fremd geworden sind wie Ängste. Dann begegnet er Lucy, einer Jugendfreundin - Lucy, die schöne Erbin, die lebenslustige und frivole junge Frau, mit der er einst mondäne Partys feierte. Jetzt ist sie eine scharfzüngige alte Dame, die voller Verbitterung über ihre Ehe mit Thomas Snow spricht, einem sozialen Aufsteiger, von dem sie sagt, dass er ihr Leben zerstört habe. Und Philip, der ihr zunächst nur widerwillig zuhört, lässt sich infizieren von der Geschichte, die immer mehr Fragen aufwirft. Er beginnt, der Sache auf den Grund zu gehen, in der Vergangenheit zu forschen. Dabei darf er sich, anders als in seiner Jugend, nicht in Lucys Bann ziehen lassen. »Erinnerungen an eine Ehe« ist ein konzentrierter, temperamentvoller Gesellschaftsroman um Liebe, Kränkung und Verrat, das Porträt einer widerspenstigen Frau und einer ganzen Generation.
»Gewohnt leichthändig verknüpft Louis Begleys neuer Roman zwei Ehegeschichten miteinander und umkreist erzählerisch die ewigen Themen der Literatur: Liebe und Tod « Meike Fessmann Süddeutsche Zeitung 20131008
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2013Beste Lage, schlechte Aussicht
Was weiß man überhaupt über das Zusammenleben? Louis Begleys Roman "Erinnerungen an eine Ehe" entwirft das Panorama der amerikanischen Oberschicht.
In der Regel, schreibt Schopenhauer, "läuft zuletzt jeder schiffbrüchig und entmastet in den Hafen ein." So ist es im Leben, und so auch im neuen Roman von Louis Begley. Die Figuren wirken alle ziemlich zerfleddert und entmastet, auch wenn es ihnen an Komfort und Luxus nicht mangelt. Alter, Krankheit, Tod fordern immer höhere Tribute, diese Progressionstabelle ist unerbittlich.
In der Eingangsszene erinnert sich der Schriftsteller Philip, der siebzigjährige Ich-Erzähler des Romans, während einer Ballettaufführung an die glücklichen Jahre seiner Ehe. Dann wurde sein einziges Kind von einem herabfallenden Ast im Central Park erschlagen. Später starb seine wunderschöne Frau Bella an Blutkrebs.
An diesem Abend in New York trifft Philip auch eine Jugendbekannte wieder, Lucy de Bourgh. Eine elegante Erscheinung ist sie geblieben, eine verbitterte alte Frau offenbar geworden. Philip ist ein bisschen schockiert, als sie aus dem Konversationston fällt, mit dem man sonst über verstorbene Ehepartner redet: Ihrer sei ein "Monster" gewesen.
Thomas Snow, die "Wall-Street-Koryphäe", der "brillante Investmentbanker", der Präsidenten beriet und mit immensen Spenden das Kulturleben unterstützte - hatte dieser Mann eine dunkle Seite, die nur seine Exfrau kannte? Der Vorwurf lässt Philip keine Ruhe. Er denkt an die ersten Treffen im Paris der frühen sechziger Jahre zurück, und in der Annahme, dass die Erforschung einer zerrütteten Ehe seinem Schreiben zugutekomme, beginnt er, weitere Informationen einzuholen. Er trifft sich immer wieder mit Lucy, sie schüttet vor ihm die Seele aus und schiebt ihrem Exmann die Schuld für ihre Lebensmisere zu, lässt den Hass köcheln: fünfundzwanzig Jahre nach der Scheidung, zehn Jahre nach dem Tod von Thomas Snow, der beim Baden von einem Schnellboot überfahren wurde.
Wenn man sich nicht wirklich mag, sollte man nicht heiraten, heißt es einmal. Das Dilemma besteht darin, dass man "mit jemandem leben muss, um zu erkennen, dass man ihn nicht ausstehen kann", so die steinreiche Erbin, die uramerikanischem Sklavenhändler-Adel entstammt. Thomas Snow dagegen war ein Emporkömmling, sein Vater betrieb eine Autowerkstatt, wo Menschen aus Lucys Kreisen die Dellen aus ihren Jaguars und Bentleys entfernen ließen.
Seine Herkunft, seine Anzüge, seine manchmal "komische kleine Stimme", sein unzulänglicher Aufschlag beim Tennis - alles war Lucy zuwider, selbst die Art, wie er eine Lammkeule tranchierte, war "typisch Unterschicht". Warum hat sie ihn dann überhaupt geheiratet? Für ihn war die Ehe ein sozialer Sprung nach oben, aber für sie? Es bleibt ein bisschen rätselhaft. Hat es sie gereizt, dass er den unbedingten Willen zur Karriere hatte, dass ihm kommender Erfolg ins attraktive Gesicht geschrieben stand?
Thomas wollte ständig Sex, konnte ihn aber nicht so praktizieren, dass auch Lucy auf ihre Kosten gekommen wäre. Deshalb hat sie ihn fröhlich betrogen, vor allem mit dem virilen Journalisten und Bergsteiger Hubert, dessen erotische Inszenierungen Schlagseite ins Sadistische haben. Lucy bevorzugt zwei Männer-Typen: den "romantischen Liebhaber", vorzugsweise Künstler oder Schriftsteller, oder aber "herrschsüchtige Mistkerle". Thomas gehörte zu keiner der beiden Spezies.
Dort, wo die Ansprüche hoch sind, sind auch die Anlässe für Unzufriedenheit vielfältig. Da wohnt man in bester Central-Park-Lage, aber leider auf der falschen Straßenseite! Lucy leidet offenbar wirklich daran, dass sich Thomas nach einem Tag in der Bank im Anzug an den Esstisch setzt - wo sie doch von ihrem Vater gewohnt war, dass er zum Dinner in ein "pflaumenblaues Smokingjacket aus Samt mit Foulard" wechselte. Und dann will er ihr noch den Besuch bei seinen Eltern zumuten, diesen ordinären Leuten mit einem Haus, dessen Aluverkleidung ihr schlicht ein Greuel ist.
Während der Schriftsteller Philip eine blasse Figur bleibt, ist Lucy eine komplexe Gestalt, die allerdings auf Leser, die von der Literatur weichzeichnende Geschlechtergerechtigkeit fordern, irritierend wirken kann. Diese vormals sehr attraktive, sexuell zupackende Frau hat Kultur und arrogantes Klassenbewusstsein zugleich. Sie ist eine Egomanin, die unermüdlich um die eigenen Probleme kreist; fast tägliche psychoanalytische Sitzungen gehörten lange zu ihrem Lebensstil, und sie pflegte zu reden, "als hätte sie auf Freuds Knie studiert". Wenn aus ihr schließlich eine zänkische Lästerzunge wird, die sich in Larmoyanz und Lebenslügen verfangen hat, mögen manche rufen: Geschlechterklischees! Aber bekanntlich hängt an Klischees meist auch ein Batzen Wahrheit. Und eins ist gewiss: Ohne Lucy mit ihren Unverblümtheiten und Aversionen wäre dieser Roman langweilig.
Denn die Erzählkonstruktion hat Vorzüge und Nachteile. Würde der Roman in direkter Form die Ehegeschichte erzählen, hätte sie vermutlich mehr Dringlichkeit. Die indirekte Darstellung dagegen, die stückweisen Rekonstruktionsversuche legitimieren sich nur durch die Aufklärungs-Obsession des Schriftstellers, die sich anfangs nicht auf den Leser überträgt. Man hat eher das Gefühl, einer sublimen Form des Klatsches beizuwohnen. Erst in der zweiten Hälfte, wenn immer mehr Angehörige und Freunde in den Rekonstruktionsprozess einbezogen werden, bekommt die Ehe-Erforschung etwas Exemplarisches. Was lässt sich überhaupt Zuverlässiges sagen über das Zusammenleben zweier Menschen? Es kommt zu einem faszinierenden Wechselspiel der Perspektiven.
Ob Thomas' zweite Frau, seine Freunde oder sein Sohn - es stellt sich heraus, dass alle über ihn fast nur Gutes zu sagen haben. So entwickelt sich der Roman konträr zur Leseerwartung. Ein Mächtiger wird nicht (à la Strauss-Kahn) demontiert durch seine privaten Verfehlungen, sondern nach dem Monster-Vorwurf langsam wieder aufgebaut, während Lucys Beschuldigungen den Nachgeschmack von Denunziationen bekommen.
Nebenbei entwirft der Roman ein Panorama der amerikanischen Oberschicht. Dinnereinladungen, Cocktailpartys, Abende im exklusiven Club, Europa-Reisen in allerbesten Hotels, Besuche in den angesagten Pariser Restaurants, teure Wohnungen mit kostbaren Möbeln - es ist die musisch-kulinarische Vermessung einer Welt der Wohlhabenden und der Snobs, und angesichts der Drinks, die in fast jeder Szene serviert werden, fühlt man sich bisweilen an ältere Fernsehserien erinnert.
Begley schreibt eine schlichte, genaue, manchmal ein bisschen zu unaufwendige Prosa. Sparsam setzt er Adjektive ein, und wenn er es tut, sind sie oft abgegriffen. Dann ist ein Duft "berauschend", ein Examen "brillant", eine Frau von "atemberaubender" Schönheit. Nicht von der Sprache lebt dieses Buch, sondern von der hohen sozialen Intelligenz, der umfassenden Milieu- und Menschenkenntnis, die Philip in eigener Sache allerdings im Stich lässt. Er merkt offenbar nicht, dass die liebesbedürftige Lucy mit ihrer Offenherzigkeit auch um ihn wirbt; schließlich passt er in ihr Beuteschema. Da kommt noch etwas auf ihn zu.
WOLFGANG SCHNEIDER
Louis Begley: "Erinnerungen an eine Ehe". Roman.
Aus dem Englischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 222 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was weiß man überhaupt über das Zusammenleben? Louis Begleys Roman "Erinnerungen an eine Ehe" entwirft das Panorama der amerikanischen Oberschicht.
In der Regel, schreibt Schopenhauer, "läuft zuletzt jeder schiffbrüchig und entmastet in den Hafen ein." So ist es im Leben, und so auch im neuen Roman von Louis Begley. Die Figuren wirken alle ziemlich zerfleddert und entmastet, auch wenn es ihnen an Komfort und Luxus nicht mangelt. Alter, Krankheit, Tod fordern immer höhere Tribute, diese Progressionstabelle ist unerbittlich.
In der Eingangsszene erinnert sich der Schriftsteller Philip, der siebzigjährige Ich-Erzähler des Romans, während einer Ballettaufführung an die glücklichen Jahre seiner Ehe. Dann wurde sein einziges Kind von einem herabfallenden Ast im Central Park erschlagen. Später starb seine wunderschöne Frau Bella an Blutkrebs.
An diesem Abend in New York trifft Philip auch eine Jugendbekannte wieder, Lucy de Bourgh. Eine elegante Erscheinung ist sie geblieben, eine verbitterte alte Frau offenbar geworden. Philip ist ein bisschen schockiert, als sie aus dem Konversationston fällt, mit dem man sonst über verstorbene Ehepartner redet: Ihrer sei ein "Monster" gewesen.
Thomas Snow, die "Wall-Street-Koryphäe", der "brillante Investmentbanker", der Präsidenten beriet und mit immensen Spenden das Kulturleben unterstützte - hatte dieser Mann eine dunkle Seite, die nur seine Exfrau kannte? Der Vorwurf lässt Philip keine Ruhe. Er denkt an die ersten Treffen im Paris der frühen sechziger Jahre zurück, und in der Annahme, dass die Erforschung einer zerrütteten Ehe seinem Schreiben zugutekomme, beginnt er, weitere Informationen einzuholen. Er trifft sich immer wieder mit Lucy, sie schüttet vor ihm die Seele aus und schiebt ihrem Exmann die Schuld für ihre Lebensmisere zu, lässt den Hass köcheln: fünfundzwanzig Jahre nach der Scheidung, zehn Jahre nach dem Tod von Thomas Snow, der beim Baden von einem Schnellboot überfahren wurde.
Wenn man sich nicht wirklich mag, sollte man nicht heiraten, heißt es einmal. Das Dilemma besteht darin, dass man "mit jemandem leben muss, um zu erkennen, dass man ihn nicht ausstehen kann", so die steinreiche Erbin, die uramerikanischem Sklavenhändler-Adel entstammt. Thomas Snow dagegen war ein Emporkömmling, sein Vater betrieb eine Autowerkstatt, wo Menschen aus Lucys Kreisen die Dellen aus ihren Jaguars und Bentleys entfernen ließen.
Seine Herkunft, seine Anzüge, seine manchmal "komische kleine Stimme", sein unzulänglicher Aufschlag beim Tennis - alles war Lucy zuwider, selbst die Art, wie er eine Lammkeule tranchierte, war "typisch Unterschicht". Warum hat sie ihn dann überhaupt geheiratet? Für ihn war die Ehe ein sozialer Sprung nach oben, aber für sie? Es bleibt ein bisschen rätselhaft. Hat es sie gereizt, dass er den unbedingten Willen zur Karriere hatte, dass ihm kommender Erfolg ins attraktive Gesicht geschrieben stand?
Thomas wollte ständig Sex, konnte ihn aber nicht so praktizieren, dass auch Lucy auf ihre Kosten gekommen wäre. Deshalb hat sie ihn fröhlich betrogen, vor allem mit dem virilen Journalisten und Bergsteiger Hubert, dessen erotische Inszenierungen Schlagseite ins Sadistische haben. Lucy bevorzugt zwei Männer-Typen: den "romantischen Liebhaber", vorzugsweise Künstler oder Schriftsteller, oder aber "herrschsüchtige Mistkerle". Thomas gehörte zu keiner der beiden Spezies.
Dort, wo die Ansprüche hoch sind, sind auch die Anlässe für Unzufriedenheit vielfältig. Da wohnt man in bester Central-Park-Lage, aber leider auf der falschen Straßenseite! Lucy leidet offenbar wirklich daran, dass sich Thomas nach einem Tag in der Bank im Anzug an den Esstisch setzt - wo sie doch von ihrem Vater gewohnt war, dass er zum Dinner in ein "pflaumenblaues Smokingjacket aus Samt mit Foulard" wechselte. Und dann will er ihr noch den Besuch bei seinen Eltern zumuten, diesen ordinären Leuten mit einem Haus, dessen Aluverkleidung ihr schlicht ein Greuel ist.
Während der Schriftsteller Philip eine blasse Figur bleibt, ist Lucy eine komplexe Gestalt, die allerdings auf Leser, die von der Literatur weichzeichnende Geschlechtergerechtigkeit fordern, irritierend wirken kann. Diese vormals sehr attraktive, sexuell zupackende Frau hat Kultur und arrogantes Klassenbewusstsein zugleich. Sie ist eine Egomanin, die unermüdlich um die eigenen Probleme kreist; fast tägliche psychoanalytische Sitzungen gehörten lange zu ihrem Lebensstil, und sie pflegte zu reden, "als hätte sie auf Freuds Knie studiert". Wenn aus ihr schließlich eine zänkische Lästerzunge wird, die sich in Larmoyanz und Lebenslügen verfangen hat, mögen manche rufen: Geschlechterklischees! Aber bekanntlich hängt an Klischees meist auch ein Batzen Wahrheit. Und eins ist gewiss: Ohne Lucy mit ihren Unverblümtheiten und Aversionen wäre dieser Roman langweilig.
Denn die Erzählkonstruktion hat Vorzüge und Nachteile. Würde der Roman in direkter Form die Ehegeschichte erzählen, hätte sie vermutlich mehr Dringlichkeit. Die indirekte Darstellung dagegen, die stückweisen Rekonstruktionsversuche legitimieren sich nur durch die Aufklärungs-Obsession des Schriftstellers, die sich anfangs nicht auf den Leser überträgt. Man hat eher das Gefühl, einer sublimen Form des Klatsches beizuwohnen. Erst in der zweiten Hälfte, wenn immer mehr Angehörige und Freunde in den Rekonstruktionsprozess einbezogen werden, bekommt die Ehe-Erforschung etwas Exemplarisches. Was lässt sich überhaupt Zuverlässiges sagen über das Zusammenleben zweier Menschen? Es kommt zu einem faszinierenden Wechselspiel der Perspektiven.
Ob Thomas' zweite Frau, seine Freunde oder sein Sohn - es stellt sich heraus, dass alle über ihn fast nur Gutes zu sagen haben. So entwickelt sich der Roman konträr zur Leseerwartung. Ein Mächtiger wird nicht (à la Strauss-Kahn) demontiert durch seine privaten Verfehlungen, sondern nach dem Monster-Vorwurf langsam wieder aufgebaut, während Lucys Beschuldigungen den Nachgeschmack von Denunziationen bekommen.
Nebenbei entwirft der Roman ein Panorama der amerikanischen Oberschicht. Dinnereinladungen, Cocktailpartys, Abende im exklusiven Club, Europa-Reisen in allerbesten Hotels, Besuche in den angesagten Pariser Restaurants, teure Wohnungen mit kostbaren Möbeln - es ist die musisch-kulinarische Vermessung einer Welt der Wohlhabenden und der Snobs, und angesichts der Drinks, die in fast jeder Szene serviert werden, fühlt man sich bisweilen an ältere Fernsehserien erinnert.
Begley schreibt eine schlichte, genaue, manchmal ein bisschen zu unaufwendige Prosa. Sparsam setzt er Adjektive ein, und wenn er es tut, sind sie oft abgegriffen. Dann ist ein Duft "berauschend", ein Examen "brillant", eine Frau von "atemberaubender" Schönheit. Nicht von der Sprache lebt dieses Buch, sondern von der hohen sozialen Intelligenz, der umfassenden Milieu- und Menschenkenntnis, die Philip in eigener Sache allerdings im Stich lässt. Er merkt offenbar nicht, dass die liebesbedürftige Lucy mit ihrer Offenherzigkeit auch um ihn wirbt; schließlich passt er in ihr Beuteschema. Da kommt noch etwas auf ihn zu.
WOLFGANG SCHNEIDER
Louis Begley: "Erinnerungen an eine Ehe". Roman.
Aus dem Englischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 222 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wolfgang Schneider hat Louis Begleys Roman "Erinnerungen an eine Ehe" mit gemischten Gefühlen gelesen. Durchaus fasziniert folgt der Rezensent der Geschichte um einen siebzigjährigen Schriftsteller, der nach dem Tod seiner Frau eine Bekannte aus Jugendtagen, die begüterte Lucy, trifft, die ihm im Verlauf des Romans immer tiefere Einblicke in ihre gescheiterte Ehe mit einem namhaften Investmentbanker aus einfachen Verhältnissen gewährt. Die Ehegeschichte, insbesondere die Demontage des mächtigen Mannes und der darauffolgende Wiederaufbau seines Ansehens gestalten sich spannend, meint Schneider, der auch die Figur der Lucy trotz ihrer Klischeehaftigkeit komplex und interessant entworfen findet. Der erzählende Schriftsteller erscheint Schneider allerdings ein wenig zu blass; auch Begleys schlichte Sprache wirkt auf den Kritiker bisweilen zu "unaufwendig" und abgegriffen. Nichtsdestotrotz empfiehlt der Rezensent diesen Roman als sehr gelungene Milieu- und Menschenstudie.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013Bis der Sex uns scheidet
Gewohnt leichthändig verknüpft Louis Begleys neuer Roman zwei Ehegeschichten miteinander
und umkreist erzählerisch die ewigen Themen der Literatur: Liebe und Tod
VON MEIKE FESSMANN
Mit einer List, die eines antiken Helden würdig wäre, lockt Louis Begley den Leser in das Erinnerungslabyrinth seines neuen Romans. Philip, ein erfolgreicher Schriftsteller, nach dem Tod seiner französischen Frau erst kürzlich aus Paris wieder nach New York zurückgekehrt, trifft bei einer Ballettaufführung zufällig eine alte Freundin wieder. Äußerlich ist Lucy immer noch recht attraktiv, hoch gewachsen, sehr elegant. Doch kaum macht sie den Mund auf, kann er es kaum glauben: Wie ist es möglich, dass die einst charmante, schöne, waghalsige und stets zu erotischen Eskapaden aufgelegte junge Frau ein solcher Ausbund an Bösartigkeit und Bitternis werden konnte?
Sie lädt ihn ein in ihre alte Wohnung, die zwar auf der falschen Seite des Central Parks liegt, sich aber natürlich trotzdem sehen lassen kann. Am liebsten würde er im letzten Moment noch absagen. Dann aber siegt die Höflichkeit. Und es siegt die Neugier, die im Lauf des Romans geradezu obsessive Züge annimmt. Philip will einfach wissen, was mit der alten Freundin geschehen ist, wie sich die strahlende Schönheit, die ihn als Studentin im Paris der Sechzigerjahre zu ihren Partys einlud, in ein „glanzloses Gespenst“ verwandeln konnte, wie sie sich selbstironisch nennt.
„Erinnerungen an eine Ehe“ („Memories of a Marriage“) heißt der von Christa Krüger in ein geschmeidiges Deutsch übersetzte Roman. Doch sind es genau genommen zwei Ehen, die Louis Begley porträtiert: die glückliche Ehe von Philip und Bella, die ebenfalls Bücher schrieb, und die zum Scheitern verurteilte Ehe von Lucy und Thomas, die vor vielen Jahren aufs Hässlichste auseinander brach.
Ein einziger Kunstgriff genügt dem 1933 in Polen geborenen Schriftsteller, der bis 2004 als Anwalt in New York arbeitete und mit seinem autobiografisch grundierten Roman „Lügen in Zeiten des Krieges“ berühmt wurde, um der saturierten Ostküsten-Mentalität, für die seine späteren Romane bekannt sind, eine neue Klangfarbe zu entlocken. Er lässt Philip Lucy lauschen, zunächst nur sporadisch, dann beinahe täglich, und erzählt seinen Roman konsequent zweistimmig: mit der warmen, melancholisch getönten Stimme Philips und mit Lucys schriller Intonation. Der Geist einer alternden, bösartigen Scheherazade verleiht dem Roman beträchtlichen Witz.
Wie ein doppelt gewirkter Ariadne-Faden führen die beiden Ehegeschichten ins Labyrinth transatlantischer Lebensläufe. Während Lucy eisern an der chronologischen Abfolge ihrer Geschichte festhält, kann sich Philip sicher vertäut seinen Erinnerungen überlassen. Weil ihm das Schlimmste im Leben schon geschehen ist, die gemeinsame Tochter Agnes wurde als Kind im Central Park von einem Ast erschlagen und die geliebte Frau ruht nach ihrem Krebstod auf dem Friedhof Montparnasse, fühlt er sich unverwundbar.
Nur die Tatsache, dass mit seinem Tod auch die Erinnerung an das Glück, das er mit Bella teilte, für immer erlischt, quält ihn manchmal – und auch der Gedanke, dass niemand „die ewige Einsamkeit“ seiner „Überreste“ bedauern wird. Seinem letzten Verwandten, einem Cousin, will er den Aufwand eines transatlantischen Begräbnisses nicht zumuten.
Zwischen seiner Wohnung in der Nähe des Central Park und seinem Landhaus in Connecticut, zwischen Paris, New York, Boston, Washington springt der Roman weltläufig hin und her. Quer durch die Zeiten, aber fest verankert im Amerika nach dem Mai 2003, als George W. Bush die „Mission“ im Irak für erfüllt erklärte und sich John Kerry um die Präsidentschaft bewarb. Während Philip, der Ich-Erzähler, eine nicht mehr von Ambitionen getriebene Figur sein darf, verkörpert Lucy jenes von Ehrgeiz zerfressene WASP-Milieu, für das der Besuch der richtigen Colleges und Universitäten ebenso wichtig ist wie ein Stammbaum, der sich möglichst bis zur Landung der Mayflower zurückverfolgen lässt. Kein gutes Haar lässt sie an Thomas, von dem sie seit fünfundzwanzig Jahren geschieden ist und der inzwischen bei einem Bootsunfall ums Leben kam. Er habe ihre gesellschaftliche Stellung und ihr Geld ausgenützt und sie dann mit einer anderen Frau betrogen, die er schließlich heiratete.
Thomas, Sohn eines Autohändlers, in dessen Werkstatt die Reichen ihre Bentleys und Jaguars reparieren ließen, sei ein Aufsteiger gewesen. Ohne ihre Hilfe hätte er es nie nach oben geschafft. Auch Philip kannte ihn. Er weiß, dass er ein brillanter Student war und einer der berühmtesten Investmentbanker wurde. Doch seine Einwände gibt er nur vorsichtig preis. Je unzensierter Lucys Bewusstseinsstrom dahin rauscht, desto lieber ist es ihm (vielleicht liefert sie ihm das Material für seinen nächsten Roman). Doch irgendetwas stimmt nicht an ihren Erzählungen. Also zieht er alte Freunde zu Rate, die ihm bereitwillig ihre Version der Geschichte erzählen. „Sie konnte ihn im Grunde nicht leiden. Das ist ein unlösbares Problem. Ohne schlichte Zuneigung, nicht Sex, sondern Neigung, kann eine Ehe nicht funktionieren“, sagt einer ihrer Freunde, der auch schon mit ihr im Bett war, das ließ sich damals, so betont er, keiner entgehen. Seine Mutter sei eine Romantikerin gewesen, der Vater schon immer ein Biedermann, erklärt sich der Sohn die unglückliche Ehe seiner Eltern.
Es geht um Liebe und um Sex, um Ehrgeiz und Betrug, um Vergeltung und Vergebung, die Angst vor dem Alter und dem Tod. Dass es die einzigen Themen sind, die sich wirklich lohnen, darüber haben sich Philip und Bella bei ihrer ersten Begegnung unterhalten. Ein nicht ganz uneitler, aber treffender Selbstkommentar des gerade achtzig gewordenen Autors, dem wieder einmal ein leichthändiger Roman über gewichtige Themen gelungen ist.
Wie ein doppelt gewirkter
Ariadne-Faden führen diese
Geschichten ins Labyrinth
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Gewohnt leichthändig verknüpft Louis Begleys neuer Roman zwei Ehegeschichten miteinander
und umkreist erzählerisch die ewigen Themen der Literatur: Liebe und Tod
VON MEIKE FESSMANN
Mit einer List, die eines antiken Helden würdig wäre, lockt Louis Begley den Leser in das Erinnerungslabyrinth seines neuen Romans. Philip, ein erfolgreicher Schriftsteller, nach dem Tod seiner französischen Frau erst kürzlich aus Paris wieder nach New York zurückgekehrt, trifft bei einer Ballettaufführung zufällig eine alte Freundin wieder. Äußerlich ist Lucy immer noch recht attraktiv, hoch gewachsen, sehr elegant. Doch kaum macht sie den Mund auf, kann er es kaum glauben: Wie ist es möglich, dass die einst charmante, schöne, waghalsige und stets zu erotischen Eskapaden aufgelegte junge Frau ein solcher Ausbund an Bösartigkeit und Bitternis werden konnte?
Sie lädt ihn ein in ihre alte Wohnung, die zwar auf der falschen Seite des Central Parks liegt, sich aber natürlich trotzdem sehen lassen kann. Am liebsten würde er im letzten Moment noch absagen. Dann aber siegt die Höflichkeit. Und es siegt die Neugier, die im Lauf des Romans geradezu obsessive Züge annimmt. Philip will einfach wissen, was mit der alten Freundin geschehen ist, wie sich die strahlende Schönheit, die ihn als Studentin im Paris der Sechzigerjahre zu ihren Partys einlud, in ein „glanzloses Gespenst“ verwandeln konnte, wie sie sich selbstironisch nennt.
„Erinnerungen an eine Ehe“ („Memories of a Marriage“) heißt der von Christa Krüger in ein geschmeidiges Deutsch übersetzte Roman. Doch sind es genau genommen zwei Ehen, die Louis Begley porträtiert: die glückliche Ehe von Philip und Bella, die ebenfalls Bücher schrieb, und die zum Scheitern verurteilte Ehe von Lucy und Thomas, die vor vielen Jahren aufs Hässlichste auseinander brach.
Ein einziger Kunstgriff genügt dem 1933 in Polen geborenen Schriftsteller, der bis 2004 als Anwalt in New York arbeitete und mit seinem autobiografisch grundierten Roman „Lügen in Zeiten des Krieges“ berühmt wurde, um der saturierten Ostküsten-Mentalität, für die seine späteren Romane bekannt sind, eine neue Klangfarbe zu entlocken. Er lässt Philip Lucy lauschen, zunächst nur sporadisch, dann beinahe täglich, und erzählt seinen Roman konsequent zweistimmig: mit der warmen, melancholisch getönten Stimme Philips und mit Lucys schriller Intonation. Der Geist einer alternden, bösartigen Scheherazade verleiht dem Roman beträchtlichen Witz.
Wie ein doppelt gewirkter Ariadne-Faden führen die beiden Ehegeschichten ins Labyrinth transatlantischer Lebensläufe. Während Lucy eisern an der chronologischen Abfolge ihrer Geschichte festhält, kann sich Philip sicher vertäut seinen Erinnerungen überlassen. Weil ihm das Schlimmste im Leben schon geschehen ist, die gemeinsame Tochter Agnes wurde als Kind im Central Park von einem Ast erschlagen und die geliebte Frau ruht nach ihrem Krebstod auf dem Friedhof Montparnasse, fühlt er sich unverwundbar.
Nur die Tatsache, dass mit seinem Tod auch die Erinnerung an das Glück, das er mit Bella teilte, für immer erlischt, quält ihn manchmal – und auch der Gedanke, dass niemand „die ewige Einsamkeit“ seiner „Überreste“ bedauern wird. Seinem letzten Verwandten, einem Cousin, will er den Aufwand eines transatlantischen Begräbnisses nicht zumuten.
Zwischen seiner Wohnung in der Nähe des Central Park und seinem Landhaus in Connecticut, zwischen Paris, New York, Boston, Washington springt der Roman weltläufig hin und her. Quer durch die Zeiten, aber fest verankert im Amerika nach dem Mai 2003, als George W. Bush die „Mission“ im Irak für erfüllt erklärte und sich John Kerry um die Präsidentschaft bewarb. Während Philip, der Ich-Erzähler, eine nicht mehr von Ambitionen getriebene Figur sein darf, verkörpert Lucy jenes von Ehrgeiz zerfressene WASP-Milieu, für das der Besuch der richtigen Colleges und Universitäten ebenso wichtig ist wie ein Stammbaum, der sich möglichst bis zur Landung der Mayflower zurückverfolgen lässt. Kein gutes Haar lässt sie an Thomas, von dem sie seit fünfundzwanzig Jahren geschieden ist und der inzwischen bei einem Bootsunfall ums Leben kam. Er habe ihre gesellschaftliche Stellung und ihr Geld ausgenützt und sie dann mit einer anderen Frau betrogen, die er schließlich heiratete.
Thomas, Sohn eines Autohändlers, in dessen Werkstatt die Reichen ihre Bentleys und Jaguars reparieren ließen, sei ein Aufsteiger gewesen. Ohne ihre Hilfe hätte er es nie nach oben geschafft. Auch Philip kannte ihn. Er weiß, dass er ein brillanter Student war und einer der berühmtesten Investmentbanker wurde. Doch seine Einwände gibt er nur vorsichtig preis. Je unzensierter Lucys Bewusstseinsstrom dahin rauscht, desto lieber ist es ihm (vielleicht liefert sie ihm das Material für seinen nächsten Roman). Doch irgendetwas stimmt nicht an ihren Erzählungen. Also zieht er alte Freunde zu Rate, die ihm bereitwillig ihre Version der Geschichte erzählen. „Sie konnte ihn im Grunde nicht leiden. Das ist ein unlösbares Problem. Ohne schlichte Zuneigung, nicht Sex, sondern Neigung, kann eine Ehe nicht funktionieren“, sagt einer ihrer Freunde, der auch schon mit ihr im Bett war, das ließ sich damals, so betont er, keiner entgehen. Seine Mutter sei eine Romantikerin gewesen, der Vater schon immer ein Biedermann, erklärt sich der Sohn die unglückliche Ehe seiner Eltern.
Es geht um Liebe und um Sex, um Ehrgeiz und Betrug, um Vergeltung und Vergebung, die Angst vor dem Alter und dem Tod. Dass es die einzigen Themen sind, die sich wirklich lohnen, darüber haben sich Philip und Bella bei ihrer ersten Begegnung unterhalten. Ein nicht ganz uneitler, aber treffender Selbstkommentar des gerade achtzig gewordenen Autors, dem wieder einmal ein leichthändiger Roman über gewichtige Themen gelungen ist.
Wie ein doppelt gewirkter
Ariadne-Faden führen diese
Geschichten ins Labyrinth
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