Eine rasante literarische Satirevoll Witz und Anspielungsreichtum.
Sex und Kapitalismus in der Krise
Daniel Deserno, 39, Investmentbanker, ist Patient in der Klinik Waldhaus. Freundin Selma aus der Kulturstiftung hat ihm seinen »Porsche« ruiniert, wie sein männlichstes Teil unter Daniels Kollegen hieß. Plötzlich taucht in der Klinik eine junge Patientin auf, die mit einem Buch über ihre Hämorrhoiden großen Erfolg hatte. Daniel und die Neue kommen sich rasch näher. Dann aber kündigen Selma und Daniels altlinke Mutter ihren Besuch an, weil im Waldhaus ein berühmter Autor aus seinem Goethe-Roman liest. Ein aberwitziger Roman über die Krisen in der Welt des Geldes und der Literatur.
Sex und Kapitalismus in der Krise
Daniel Deserno, 39, Investmentbanker, ist Patient in der Klinik Waldhaus. Freundin Selma aus der Kulturstiftung hat ihm seinen »Porsche« ruiniert, wie sein männlichstes Teil unter Daniels Kollegen hieß. Plötzlich taucht in der Klinik eine junge Patientin auf, die mit einem Buch über ihre Hämorrhoiden großen Erfolg hatte. Daniel und die Neue kommen sich rasch näher. Dann aber kündigen Selma und Daniels altlinke Mutter ihren Besuch an, weil im Waldhaus ein berühmter Autor aus seinem Goethe-Roman liest. Ein aberwitziger Roman über die Krisen in der Welt des Geldes und der Literatur.
Ein aberwitziger Roman über die Krisen in der Welt des Geldes und der Literatur. TEAM News, 01/2012
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009Fertigmachen zum großen Crash
Der Roman zur Krise: Bodo Kirchhoff schickt Porschefahrer, Banker und Kultautorinnen ins Sanatorium.
Von Sandra Kerschbaumer
Offenbar in rasender Geschwindigkeit hat Bodo Kirchhoff die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit in die Tasten gehauen und prescht bereits im frühsten Frühjahr mit einem Roman zur Finanzkrise vor. Mit rauchenden Reifen kommt er zum Stehen, und aus dem Wagen taumelt ein angeschlagener Protagonist: Daniel Deserno, ein Investmentbanker, der mit dem Ölpreis und dem Feuer spielt, fette Boni auf Schweizer Konten und schlanke Mädels in allen erdenklichen Lagen liebt - bis sich sein Schicksal mit dem des Finanzsektors verbindet und ihm die Lust an schnellen Autos, schnellem Sex und schnellem Geld gründlich vergeht.
Bodo Kirchhoff möchte mit rasanter Komik, Trash und Trivialitäten unterhalten, indem er diesen Macher und Macho nicht nur beruflich vor die Wand fahren lässt, sondern ihn auch privat in eine entsprechende Lage bringt. Seine Freundin entmannt ihn am Heiligen Abend mit einem Alessi-Korkenzieher. Vom darauf folgenden Totalzusammenbruch muss sich der Hedge-Fonds-Spezialist erst einmal in der Abgeschiedenheit einer noblen Schwarzwälder Kurklinik erholen. Hier sitzt er, dem nicht nur die Beine den Dienst versagen, kann an kaum etwas anderes als den Schwerverletzten denken, den er liebevoll seinen Porsche nennt und über dessen ehemalige Qualitäten er den Leser keinen Augenblick im Zweifel lässt.
Die Erinnerungen an die Vorgeschichte der Wirtschaftskrise und der weihnachtlichen Tragödie, an den Kitzel beim Wetten auf fallende Kurse und schwellende Körper, werden überlagert von neuen amourösen Turbulenzen. Denn in der gediegenen Abgeschiedenheit der Klinik findet Daniel ein Mädchen mit ausgeprägtem Interesse an menschlichen Feuchtgebieten, eine Jungautorin, die vom Erfolg ihres "Hämorrhoidenbestsellers" überwältigt wurde. Im "Waldhaus" sammeln sich schattenhafte Gestalten aus Medien, Wirtschaft und Kultur, depressive Prominente, die alle ihr mehr oder minder deutlich erkennbares Vorbild in der Wirklichkeit haben: Sabine Christiansen, Klaus Zumwinkel, Elke Heidenreich. Sie sollen den Witz des Romans steigern und die parodistischen Fähigkeiten des Autors erneut unter Beweis stellen. Natürlich darf das literarische Leben nicht fehlen. Also kündigt sich ein alter Herr mit Goethe-Roman zur Lesung im vornehmen Sanatorium an. Doch warum müht sich im Hintergrund auch noch eine andreaypsilantiartige Figur, hessische Ministerpräsidentin zu werden?
Der jüngste Roman von Bodo Kirchhoff will eine hochtourige Spritztour durch die überzeichnete Realität der gerade vergangenen Gegenwart sein. Dabei möchte er en passant die Welt erklären, die gerade für Schriftsteller keine gute ist. Danny Deserno ist nicht zufällig ein sexbesessener Banker. Die Lust am schnellen Profit wird ihm zum doppelten Verhängnis. Denn auf den bei Fesselspielen unter dem Weihnachtsbaum geäußerten Kinderwunsch seiner Freundin antwortet er mit einem fatalen: "Nee, Selma, nee." Und zeigt damit seinen unbekümmerten Umgang mit der sozialen Verantwortung. Der mangelnde Wille zur Nachhaltigkeit löst den Crash mit dem Korkenzieher aus und macht das Liebesleben zum Gleichnis. Und was ist mit Andrea Ypsilanti? Die Verkörperung des staatlich regulierten Marktes bietet keine Alternative. Sie wird der Lächerlichkeit preisgegeben - wie so vieles in diesem überdrehten Buch, dessen Protagonist und Porschefahrer am Ende eine wunderbare Heilung erfährt. Vielleicht dürfen wir auch auf eine baldige Gesundung des internationalen Finanzsystems hoffen?
Bodo Kirchhoff: "Erinnerungen an meinen Porsche". Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 224 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Roman zur Krise: Bodo Kirchhoff schickt Porschefahrer, Banker und Kultautorinnen ins Sanatorium.
Von Sandra Kerschbaumer
Offenbar in rasender Geschwindigkeit hat Bodo Kirchhoff die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit in die Tasten gehauen und prescht bereits im frühsten Frühjahr mit einem Roman zur Finanzkrise vor. Mit rauchenden Reifen kommt er zum Stehen, und aus dem Wagen taumelt ein angeschlagener Protagonist: Daniel Deserno, ein Investmentbanker, der mit dem Ölpreis und dem Feuer spielt, fette Boni auf Schweizer Konten und schlanke Mädels in allen erdenklichen Lagen liebt - bis sich sein Schicksal mit dem des Finanzsektors verbindet und ihm die Lust an schnellen Autos, schnellem Sex und schnellem Geld gründlich vergeht.
Bodo Kirchhoff möchte mit rasanter Komik, Trash und Trivialitäten unterhalten, indem er diesen Macher und Macho nicht nur beruflich vor die Wand fahren lässt, sondern ihn auch privat in eine entsprechende Lage bringt. Seine Freundin entmannt ihn am Heiligen Abend mit einem Alessi-Korkenzieher. Vom darauf folgenden Totalzusammenbruch muss sich der Hedge-Fonds-Spezialist erst einmal in der Abgeschiedenheit einer noblen Schwarzwälder Kurklinik erholen. Hier sitzt er, dem nicht nur die Beine den Dienst versagen, kann an kaum etwas anderes als den Schwerverletzten denken, den er liebevoll seinen Porsche nennt und über dessen ehemalige Qualitäten er den Leser keinen Augenblick im Zweifel lässt.
Die Erinnerungen an die Vorgeschichte der Wirtschaftskrise und der weihnachtlichen Tragödie, an den Kitzel beim Wetten auf fallende Kurse und schwellende Körper, werden überlagert von neuen amourösen Turbulenzen. Denn in der gediegenen Abgeschiedenheit der Klinik findet Daniel ein Mädchen mit ausgeprägtem Interesse an menschlichen Feuchtgebieten, eine Jungautorin, die vom Erfolg ihres "Hämorrhoidenbestsellers" überwältigt wurde. Im "Waldhaus" sammeln sich schattenhafte Gestalten aus Medien, Wirtschaft und Kultur, depressive Prominente, die alle ihr mehr oder minder deutlich erkennbares Vorbild in der Wirklichkeit haben: Sabine Christiansen, Klaus Zumwinkel, Elke Heidenreich. Sie sollen den Witz des Romans steigern und die parodistischen Fähigkeiten des Autors erneut unter Beweis stellen. Natürlich darf das literarische Leben nicht fehlen. Also kündigt sich ein alter Herr mit Goethe-Roman zur Lesung im vornehmen Sanatorium an. Doch warum müht sich im Hintergrund auch noch eine andreaypsilantiartige Figur, hessische Ministerpräsidentin zu werden?
Der jüngste Roman von Bodo Kirchhoff will eine hochtourige Spritztour durch die überzeichnete Realität der gerade vergangenen Gegenwart sein. Dabei möchte er en passant die Welt erklären, die gerade für Schriftsteller keine gute ist. Danny Deserno ist nicht zufällig ein sexbesessener Banker. Die Lust am schnellen Profit wird ihm zum doppelten Verhängnis. Denn auf den bei Fesselspielen unter dem Weihnachtsbaum geäußerten Kinderwunsch seiner Freundin antwortet er mit einem fatalen: "Nee, Selma, nee." Und zeigt damit seinen unbekümmerten Umgang mit der sozialen Verantwortung. Der mangelnde Wille zur Nachhaltigkeit löst den Crash mit dem Korkenzieher aus und macht das Liebesleben zum Gleichnis. Und was ist mit Andrea Ypsilanti? Die Verkörperung des staatlich regulierten Marktes bietet keine Alternative. Sie wird der Lächerlichkeit preisgegeben - wie so vieles in diesem überdrehten Buch, dessen Protagonist und Porschefahrer am Ende eine wunderbare Heilung erfährt. Vielleicht dürfen wir auch auf eine baldige Gesundung des internationalen Finanzsystems hoffen?
Bodo Kirchhoff: "Erinnerungen an meinen Porsche". Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 224 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2009Das Weichei und der Korkenzieher
Die Finanzkrise als Roman – eine Ejaculatio praecox: Bodo Kirchhoff schwelgt in „Erinnerungen an meinen Porsche”
Was haben Charlotte Roche und Thomas Mann gemeinsam? Der eine liefert die Idee für das Setting, die andere ist Blaupause für eine Hauptperson in Bodo Kirchhoffs neuem Roman „Erinnerungen an meinen Porsche”. Nur, dass der „Zauberberg” hier Kurklinik Waldhaus heißt und die Autorin der „Feuchtgebiete” nunmehr Helene (Roches Protagonistin heißt Helen Memel). Sie hat ebenfalls einen „Hämorrhoidenrenner” verfasst. Im Übrigen ist Helene gekleidet wie ein „englisches Fräulein” und notorisch notgeil.
Auch sonst speist sich Kirchhoffs Sanatoriums-Personal aus hinlänglich bekannten, kaum fiktionalisierten Gestalten der bunten Seiten, VIP-Empfänge und Tagesschau-Meldungen: Klaus Zumwinkel, Elke Heidenreich, Sabine Christiansen, Andrea Ypsilanti leiden allesamt am „Prominentenklimakterium” – und auch ein „Volksschwuchtel” genannter Sänger eher traditionellen Liedguts lässt sich im Waldhaus mental aufmöbeln.
Im Zentrum des Treibens in der Luxus-Reha aber steht Daniel „Danny” Deserno, ein knapp 40-jähriger Schnösel, den es gleich doppelt erwischt hat: Als Investmentbanker, dessen Arbeitgeber vor der Pleite steht, sinnt er den Zeiten des ungebremsten Raubtierkapitalismus nach – und als außer Gefecht gesetzter Liebhaber der Unversehrtheit seines edelsten Teils, welches er „Porsche” nennt („Mein Porsche ist am Arsch”). Ein irrsinnig origineller Einfall, welchen Kirchhoff, um seinen libidinös gesteuerten Deserno gleich ins rechte Licht zu setzen, flugs für muntere Garagen-Metaphern nutzt, fürs „Ölablassen” in „Hinterhofklitschen” etwa und, ja, auch das, für „Auspuffnummern”.
Aber damit, sprich, mit dem „Einfahren”, ist es nun vorbei. Denn Daniels Freundin Selma hat dem Zocker am Weihnachtsabend mit einem Schraubkorkenzieher (von Alessi, wie Kirchhoff nicht zu erwähnen vergisst) sein flottes Cabrio arg ramponiert. Weil er keine Kinder will, also auch im Privaten ein rücksichtsloser, jetztfixierter Spekulant ist („Nee, Selma, nee”).
Alle Schwellkörper ruiniert
So wachsen Weltfinanzkollaps und Bankrott des männlichen Lustzentrums nahtlos, aber narbenreich zusammen: ob Aktienkurse oder Männerphantasien, alle Schwellkörper sind ruiniert. All systems down. Von nun an kann Daniel, zum Dauerpatienten mutiert, der nicht einmal mehr zu gehen imstande ist, nur noch melancholisch der vergangenen Größe seiner beiden Lieblingsobsessionen nachhängen. Und das tut er dann auch ausgiebig. So weit, so boulevardesk. Kirchhoff scheint sich spätestens seit dem Erfolg seines „Schundromans” eine Dauerlizenz fürs ironisch kolportierte Triviale, fürs Heftige und Deftige erworben zu haben – es blitzt, zwinkerzwinker, ja in dem aufpolierten Chromglanz dieser gewollten Trash-Stories immer die eigentliche Virtuosität des Autors durch, nicht wahr?
Doch unter der zweifellos windschnittigen Karosserie dieses Romans kreischt der Motor doch ziemlich übertourig. Von Lehman bis zur hessischen SPD wird kaum etwas ausgelassen, was die Nachrichtenticker im vergangenen Dreivierteljahr ausgespuckt haben. Ständig wird im Speisesaal des Sanatoriums dazu das Menü des gehobenen Bildungsbürgertums heruntergebetet, meist gibt’s erlesen Italienisches, etwa Morchelrisotto oder Fichi Secchi Ripieni, also getrocknete Feigen, ein Gericht, dessen korrekte Aussprache gleich wieder eindeutige Assoziationen weckt.
Um zu erklären, wie Deserno zum geldgeilen Erotomanen wurde, wird mit freudianischem Bildungsgut nicht gegeizt: Sein „Erzeuger”, ein Hippie-Weichei namens Gunther, kam irgendwie abhanden, die Mutter, Ursel, war wie weiland Joschka Fischer in Frankfurt mit Radau und Krawall unterwegs und lebt heute in einer altlinken Frauen-WG – bei der Hausgeburt war von den Feministinnen eigentlich ein Mädchen erwartet worden, aber „bei meinem termingerechten Ausscheiden aus der rein weiblichen Sphäre” war die Enttäuschung dann groß – zumal der kleine Daniel, so wird angedeutet, schon mit einer Mini-Erektion das Licht der Welt erblickte. Immer, wenn man denkt, noch dicker kann es nicht mehr kommen, jagt ein weiteres Herrenwitz-Detail aus der „Porsche”-Historie um die Kurve.
Nun sitzt Deserno jedenfalls im Rollstuhl, seinen „Vorständer” in Mull verpackt, gibt Auskunft über sichere Geldanlagen an seine verunsicherten Mitpatienten – der Roman ist auch eine Art Finanzratgeber – und erwartet Besuch von seiner Korkenzieher-Attentäterin Selma sowie von Ursel. Und zwar zu dem Zeitpunkt, als auch eine Lesung in der Schwarzwaldklinik naht, mit dem Schriftsteller Ruprecht Truchseß, der einen Roman über Goethes Amalia-Affäre verfasst hat, begleitet von einem Kritiker mit dem Nabokov-Namen Dr. Humbert. Wie gewohnt spart Kirchhoff nicht mit Seitenhieben auf den Literaturbetrieb – auch Deserno selbst schreibt seine Erinnerungen an potentere Zeiten nieder und wird nicht mal müde, nebenbei Regeln fürs richtige Romanverfassen aufzustellen. Selbstreflexiv ist das „Porsche”-Buch also auch noch.
Schnell, zu schnell hat Kirchhoff, offenbar von der Börsen-Hysterie gepackt, die Jetztzeit in Romanform bündeln wollen – doch zerfasert die ironische Story zwischen Finanzcrash, Impotenz, Italianità, Promi-Groteske und Autorenworkshop in allenfalls amüsantem Klein-Klein. Das „Pulp Fiction”-Label allein rechtfertigt jedenfalls nicht jede abgegriffene Schlüpfrigkeit. Gerade als aus Truchseß’ Roman die Stelle vorgelesen wird, wo Johann einen „Strom, weißer als ihre Haut und stärker als der Sonnenstrahl” auf Amalia entlädt, erlebt auch Deserno, im Gartenhaus der Klinik mit Selma und Helene vereint, die Wiederauferstehung und damit einen neuerlichen Triumph seines Flitzers: „Ich jagte die verdammte Ladung Unglück als Glück in das Sonnenlichtbündel.”
Und siehe, er konnte wieder gehen – und flitzt ab, mit dem Flieger, in die Sonne. Ein Wunder? Leider nein. Nicht mal wunderlich. Aber vielleicht interessiert sich ja das Fernsehen für den Stoff? HOLGER LIEBS
BODO KIRCHHOFF: Erinnerungen an meinen Porsche. Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 240 Seiten, 18,50 Euro.
Danny hat sein edelstes Teil nach seinem 911er benannt. Letzterer ist ein Geschoss „mit einem Geräusch wie das Fauchen einer Frau, der es kommt, obwohl sie noch wütend auf einen ist”. Seltsam. Aber so steht es geschrieben. Foto: Porsche
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Die Finanzkrise als Roman – eine Ejaculatio praecox: Bodo Kirchhoff schwelgt in „Erinnerungen an meinen Porsche”
Was haben Charlotte Roche und Thomas Mann gemeinsam? Der eine liefert die Idee für das Setting, die andere ist Blaupause für eine Hauptperson in Bodo Kirchhoffs neuem Roman „Erinnerungen an meinen Porsche”. Nur, dass der „Zauberberg” hier Kurklinik Waldhaus heißt und die Autorin der „Feuchtgebiete” nunmehr Helene (Roches Protagonistin heißt Helen Memel). Sie hat ebenfalls einen „Hämorrhoidenrenner” verfasst. Im Übrigen ist Helene gekleidet wie ein „englisches Fräulein” und notorisch notgeil.
Auch sonst speist sich Kirchhoffs Sanatoriums-Personal aus hinlänglich bekannten, kaum fiktionalisierten Gestalten der bunten Seiten, VIP-Empfänge und Tagesschau-Meldungen: Klaus Zumwinkel, Elke Heidenreich, Sabine Christiansen, Andrea Ypsilanti leiden allesamt am „Prominentenklimakterium” – und auch ein „Volksschwuchtel” genannter Sänger eher traditionellen Liedguts lässt sich im Waldhaus mental aufmöbeln.
Im Zentrum des Treibens in der Luxus-Reha aber steht Daniel „Danny” Deserno, ein knapp 40-jähriger Schnösel, den es gleich doppelt erwischt hat: Als Investmentbanker, dessen Arbeitgeber vor der Pleite steht, sinnt er den Zeiten des ungebremsten Raubtierkapitalismus nach – und als außer Gefecht gesetzter Liebhaber der Unversehrtheit seines edelsten Teils, welches er „Porsche” nennt („Mein Porsche ist am Arsch”). Ein irrsinnig origineller Einfall, welchen Kirchhoff, um seinen libidinös gesteuerten Deserno gleich ins rechte Licht zu setzen, flugs für muntere Garagen-Metaphern nutzt, fürs „Ölablassen” in „Hinterhofklitschen” etwa und, ja, auch das, für „Auspuffnummern”.
Aber damit, sprich, mit dem „Einfahren”, ist es nun vorbei. Denn Daniels Freundin Selma hat dem Zocker am Weihnachtsabend mit einem Schraubkorkenzieher (von Alessi, wie Kirchhoff nicht zu erwähnen vergisst) sein flottes Cabrio arg ramponiert. Weil er keine Kinder will, also auch im Privaten ein rücksichtsloser, jetztfixierter Spekulant ist („Nee, Selma, nee”).
Alle Schwellkörper ruiniert
So wachsen Weltfinanzkollaps und Bankrott des männlichen Lustzentrums nahtlos, aber narbenreich zusammen: ob Aktienkurse oder Männerphantasien, alle Schwellkörper sind ruiniert. All systems down. Von nun an kann Daniel, zum Dauerpatienten mutiert, der nicht einmal mehr zu gehen imstande ist, nur noch melancholisch der vergangenen Größe seiner beiden Lieblingsobsessionen nachhängen. Und das tut er dann auch ausgiebig. So weit, so boulevardesk. Kirchhoff scheint sich spätestens seit dem Erfolg seines „Schundromans” eine Dauerlizenz fürs ironisch kolportierte Triviale, fürs Heftige und Deftige erworben zu haben – es blitzt, zwinkerzwinker, ja in dem aufpolierten Chromglanz dieser gewollten Trash-Stories immer die eigentliche Virtuosität des Autors durch, nicht wahr?
Doch unter der zweifellos windschnittigen Karosserie dieses Romans kreischt der Motor doch ziemlich übertourig. Von Lehman bis zur hessischen SPD wird kaum etwas ausgelassen, was die Nachrichtenticker im vergangenen Dreivierteljahr ausgespuckt haben. Ständig wird im Speisesaal des Sanatoriums dazu das Menü des gehobenen Bildungsbürgertums heruntergebetet, meist gibt’s erlesen Italienisches, etwa Morchelrisotto oder Fichi Secchi Ripieni, also getrocknete Feigen, ein Gericht, dessen korrekte Aussprache gleich wieder eindeutige Assoziationen weckt.
Um zu erklären, wie Deserno zum geldgeilen Erotomanen wurde, wird mit freudianischem Bildungsgut nicht gegeizt: Sein „Erzeuger”, ein Hippie-Weichei namens Gunther, kam irgendwie abhanden, die Mutter, Ursel, war wie weiland Joschka Fischer in Frankfurt mit Radau und Krawall unterwegs und lebt heute in einer altlinken Frauen-WG – bei der Hausgeburt war von den Feministinnen eigentlich ein Mädchen erwartet worden, aber „bei meinem termingerechten Ausscheiden aus der rein weiblichen Sphäre” war die Enttäuschung dann groß – zumal der kleine Daniel, so wird angedeutet, schon mit einer Mini-Erektion das Licht der Welt erblickte. Immer, wenn man denkt, noch dicker kann es nicht mehr kommen, jagt ein weiteres Herrenwitz-Detail aus der „Porsche”-Historie um die Kurve.
Nun sitzt Deserno jedenfalls im Rollstuhl, seinen „Vorständer” in Mull verpackt, gibt Auskunft über sichere Geldanlagen an seine verunsicherten Mitpatienten – der Roman ist auch eine Art Finanzratgeber – und erwartet Besuch von seiner Korkenzieher-Attentäterin Selma sowie von Ursel. Und zwar zu dem Zeitpunkt, als auch eine Lesung in der Schwarzwaldklinik naht, mit dem Schriftsteller Ruprecht Truchseß, der einen Roman über Goethes Amalia-Affäre verfasst hat, begleitet von einem Kritiker mit dem Nabokov-Namen Dr. Humbert. Wie gewohnt spart Kirchhoff nicht mit Seitenhieben auf den Literaturbetrieb – auch Deserno selbst schreibt seine Erinnerungen an potentere Zeiten nieder und wird nicht mal müde, nebenbei Regeln fürs richtige Romanverfassen aufzustellen. Selbstreflexiv ist das „Porsche”-Buch also auch noch.
Schnell, zu schnell hat Kirchhoff, offenbar von der Börsen-Hysterie gepackt, die Jetztzeit in Romanform bündeln wollen – doch zerfasert die ironische Story zwischen Finanzcrash, Impotenz, Italianità, Promi-Groteske und Autorenworkshop in allenfalls amüsantem Klein-Klein. Das „Pulp Fiction”-Label allein rechtfertigt jedenfalls nicht jede abgegriffene Schlüpfrigkeit. Gerade als aus Truchseß’ Roman die Stelle vorgelesen wird, wo Johann einen „Strom, weißer als ihre Haut und stärker als der Sonnenstrahl” auf Amalia entlädt, erlebt auch Deserno, im Gartenhaus der Klinik mit Selma und Helene vereint, die Wiederauferstehung und damit einen neuerlichen Triumph seines Flitzers: „Ich jagte die verdammte Ladung Unglück als Glück in das Sonnenlichtbündel.”
Und siehe, er konnte wieder gehen – und flitzt ab, mit dem Flieger, in die Sonne. Ein Wunder? Leider nein. Nicht mal wunderlich. Aber vielleicht interessiert sich ja das Fernsehen für den Stoff? HOLGER LIEBS
BODO KIRCHHOFF: Erinnerungen an meinen Porsche. Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 240 Seiten, 18,50 Euro.
Danny hat sein edelstes Teil nach seinem 911er benannt. Letzterer ist ein Geschoss „mit einem Geräusch wie das Fauchen einer Frau, der es kommt, obwohl sie noch wütend auf einen ist”. Seltsam. Aber so steht es geschrieben. Foto: Porsche
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Auf diesem Zauberberg wird Holger Liebs nicht froh. Was Bodo Kirchhoff in seiner Luxus-Reha an Yellow-Press-Personal und Zeitgeschehen versammelt, findet Liebs nicht sonderlich originell. Über die bildliche Vereinigung von Sportwagen und Geschlecht sowie von sexuellem und finanziellem Bankrott kann er auch bloß gähnen. Dass er hinter der dauernden Augenzwinkerei des Autors dessen Genialität erkennt, soll Kirchhoff von unserem Rezensenten gar nicht erst erwarten. Möglich, dass Liebs den Roman erträglicher gefunden hätte, wenn sein Autor sich mehr Zeit gelassen und nicht zwanghaft jede Pressemitteilung der letzten neun Monate und jeden Herrenwitz darin verbraten hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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