François René Vicomte de Chateaubriand (1768–1848) gehörte zu den französischen Lesern Goethes, dessen „Werther“ in seinem Werk deutliche Spuren hinterlassen hat. In diesem Band sind Erinnerungen an seine Reise nach Nordamerika 1790/91 mit Berichten aus den beiden klassischen europäischen Reiseländern des 18. Jahrhunderts zusammengestellt. Die Aufzeichnungen zählen zu den Büchern der Anna Amalia Bibliothek, die zum Bild der Neuen Welt bei den Bewohnern des alten Europa beitrugen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.05.2007Chateaubriands „Erinnerungen aus Italien, England und Amerika”
Der Horizont der Neuen Welt
Am 24. Oktober 2007 wird die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar nach ihrer Restaurierung wiedereröffnet. Schon seit dem Frühjahr erscheint die SZ-Edition „Bibliotheca Anna Amalia”. Die zwölf ausgewählten Bände aus den historischen Beständen der Bibliothek werden jeweils durch ein Nachwort und einen Anhang erschlossen. Chateaubriands „Erinnerungen aus Italien, England und Amerika” wurden 1816 von Wilhelm Adolf Lindau ins Deutsche übertragen. Wir bringen einen Auszug aus dem von Johannes Willms verfassten Nachwort zur Neuausgabe dieser Erstübersetzung. SZ
François-René Vicomte de Chateaubriand brillierte in seinem fast achtzigjährigen Leben in vielen Rollen: als Reisender in Nordamerika und im Heiligen Land, in Italien und Griechenland, als Diplomat, Minister und Politiker, vor allem jedoch als Schriftsteller.
Der Band „Erinnerungen aus Italien, England und Amerika” versammelt Fragmente von Reisebeschreibungen, die zwischen 1801 und 1806 in der Zeitschrift Mercure de France erschienen. Der Band verdankt sich vermutlich einer buchhändlerischen Spekulation des Londoner Verlegers Henry Colborn, der das lebhafte Verlangen des zeitgenössischen Publikums nach Reiseliteratur und den europäischen Ruhm Chateaubriands ausbeuten wollte, der mit dem im April 1814 erschienenen politischen Pamphlet „De Buonaparte et des Bourbons” neuen Glanz erhalten hatte. Doch eignet dieser Kompilation ein eigener Reiz. Dem heutigen Leser gewährt sie einen Einblick in die Werkstatt des Autors, und sie regt an, einen bekannten Unbekannten wiederzuentdecken. Dazu könnte etwa die zu Recht berühmte Schilderung Roms und der Umgegend verführen, die am 3. März 1804 unter dem Titel „Lettre à M. de Fontanes sur la campagne romaine” im Mercure de France erschien und die mit lebhaftem Kolorit den Anblick der Ewigen Stadt malt, wie er sich Chateaubriand im Sommer 1803 darbot. Entsprechendes gilt auch für die Reise auf den Montblanc, einen Ausflug, den Chateaubriand Ende August 1805 unternahm und dessen Bericht er am 1. Februar 1806 im Mercure de France veröffentlichte.
Der Ausbruch der Revolution 1789 sowie eine nach dem Verzehr des Erbes rasch wachsende Schuldenlast veranlassten Chateaubriand im Frühjahr 1790, erneut Pläne für eine Reise nach Amerika zu schmieden. Dies stand ganz im Einklang mit jener schwärmerischen Mode, die unter der „Generation von 1789” grassierte, für die Nordamerika der ferne, lockende Horizont war, auf den sie ihre Sehnsüchte, Ideale, Hoffnungen und Mythen projizieren konnten, die von der Aufklärung geweckt worden waren. Davon ließ sich auch Chateaubriand umtreiben, aber für ihn war zudem charakteristisch, dass er für diese Amerika-Reise stets ein zwar grandioses, aber ebenso praktisches Motiv in den Vordergrund stellte: die Entdeckung der Nordwest-Passage des amerikanischen Kontinents. Immer wieder kam er darauf zurück: In dem „Essai sur les révolutions” (1794), in der Erzählung „Atala” (1801) und in dem Bericht über die „Voyage en Amérique”, der ursprünglich Teil seiner „Mémoires d’outre-tombe” sein sollte, aber dann als eigenständiger Text erstmals in den Œuvres complètes von 1826 veröffentlicht wurde. Am ausführlichsten ging er darauf in den „Mémoires d’outre-tombe” ein, an denen er seit 1811 arbeitete, die aber erst 1849/50, ein Jahr nach seinem Tod, in zwei Bänden publiziert wurden.
Seine Absicht, so hieß es dort, sei gewesen, die schiffbare Verbindung zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean zu entdecken, eine Chimäre, die damals zahlreiche Gemüter narrte. Wie Bonaparte sei er ein kleiner, völlig unbekannter Unterleutnant gewesen. „Zur nämlichen Zeit traten der eine wie der andere aus ihrer Unbekanntheit heraus: Ich, um mein Ansehen in der Einsamkeit zu finden, er, um sich Ruhm unter den Mitmenschen zu erwerben.”
Diese Forschungsreise wollte er angeblich auf dem Landweg entlang der Nordwestküste Amerikas stets in Sichtweite des Meeres bis zur äußersten nördlichen Spitze des Kontinents unternehmen, um sich dann nach Osten zu wenden und, dem Saum des Polarmeers folgend, über Labrador, Kanada und die Hudson Bay wieder in die Vereinigten Staaten zurückzukehren – eine pure Phantasmagorie, die sich Chateaubriand von dem englischen Abenteurer Jonathan Carver „ausgeborgt” hatte.
Chateaubriand Foto: SV-Bilderdienst
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Der Horizont der Neuen Welt
Am 24. Oktober 2007 wird die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar nach ihrer Restaurierung wiedereröffnet. Schon seit dem Frühjahr erscheint die SZ-Edition „Bibliotheca Anna Amalia”. Die zwölf ausgewählten Bände aus den historischen Beständen der Bibliothek werden jeweils durch ein Nachwort und einen Anhang erschlossen. Chateaubriands „Erinnerungen aus Italien, England und Amerika” wurden 1816 von Wilhelm Adolf Lindau ins Deutsche übertragen. Wir bringen einen Auszug aus dem von Johannes Willms verfassten Nachwort zur Neuausgabe dieser Erstübersetzung. SZ
François-René Vicomte de Chateaubriand brillierte in seinem fast achtzigjährigen Leben in vielen Rollen: als Reisender in Nordamerika und im Heiligen Land, in Italien und Griechenland, als Diplomat, Minister und Politiker, vor allem jedoch als Schriftsteller.
Der Band „Erinnerungen aus Italien, England und Amerika” versammelt Fragmente von Reisebeschreibungen, die zwischen 1801 und 1806 in der Zeitschrift Mercure de France erschienen. Der Band verdankt sich vermutlich einer buchhändlerischen Spekulation des Londoner Verlegers Henry Colborn, der das lebhafte Verlangen des zeitgenössischen Publikums nach Reiseliteratur und den europäischen Ruhm Chateaubriands ausbeuten wollte, der mit dem im April 1814 erschienenen politischen Pamphlet „De Buonaparte et des Bourbons” neuen Glanz erhalten hatte. Doch eignet dieser Kompilation ein eigener Reiz. Dem heutigen Leser gewährt sie einen Einblick in die Werkstatt des Autors, und sie regt an, einen bekannten Unbekannten wiederzuentdecken. Dazu könnte etwa die zu Recht berühmte Schilderung Roms und der Umgegend verführen, die am 3. März 1804 unter dem Titel „Lettre à M. de Fontanes sur la campagne romaine” im Mercure de France erschien und die mit lebhaftem Kolorit den Anblick der Ewigen Stadt malt, wie er sich Chateaubriand im Sommer 1803 darbot. Entsprechendes gilt auch für die Reise auf den Montblanc, einen Ausflug, den Chateaubriand Ende August 1805 unternahm und dessen Bericht er am 1. Februar 1806 im Mercure de France veröffentlichte.
Der Ausbruch der Revolution 1789 sowie eine nach dem Verzehr des Erbes rasch wachsende Schuldenlast veranlassten Chateaubriand im Frühjahr 1790, erneut Pläne für eine Reise nach Amerika zu schmieden. Dies stand ganz im Einklang mit jener schwärmerischen Mode, die unter der „Generation von 1789” grassierte, für die Nordamerika der ferne, lockende Horizont war, auf den sie ihre Sehnsüchte, Ideale, Hoffnungen und Mythen projizieren konnten, die von der Aufklärung geweckt worden waren. Davon ließ sich auch Chateaubriand umtreiben, aber für ihn war zudem charakteristisch, dass er für diese Amerika-Reise stets ein zwar grandioses, aber ebenso praktisches Motiv in den Vordergrund stellte: die Entdeckung der Nordwest-Passage des amerikanischen Kontinents. Immer wieder kam er darauf zurück: In dem „Essai sur les révolutions” (1794), in der Erzählung „Atala” (1801) und in dem Bericht über die „Voyage en Amérique”, der ursprünglich Teil seiner „Mémoires d’outre-tombe” sein sollte, aber dann als eigenständiger Text erstmals in den Œuvres complètes von 1826 veröffentlicht wurde. Am ausführlichsten ging er darauf in den „Mémoires d’outre-tombe” ein, an denen er seit 1811 arbeitete, die aber erst 1849/50, ein Jahr nach seinem Tod, in zwei Bänden publiziert wurden.
Seine Absicht, so hieß es dort, sei gewesen, die schiffbare Verbindung zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean zu entdecken, eine Chimäre, die damals zahlreiche Gemüter narrte. Wie Bonaparte sei er ein kleiner, völlig unbekannter Unterleutnant gewesen. „Zur nämlichen Zeit traten der eine wie der andere aus ihrer Unbekanntheit heraus: Ich, um mein Ansehen in der Einsamkeit zu finden, er, um sich Ruhm unter den Mitmenschen zu erwerben.”
Diese Forschungsreise wollte er angeblich auf dem Landweg entlang der Nordwestküste Amerikas stets in Sichtweite des Meeres bis zur äußersten nördlichen Spitze des Kontinents unternehmen, um sich dann nach Osten zu wenden und, dem Saum des Polarmeers folgend, über Labrador, Kanada und die Hudson Bay wieder in die Vereinigten Staaten zurückzukehren – eine pure Phantasmagorie, die sich Chateaubriand von dem englischen Abenteurer Jonathan Carver „ausgeborgt” hatte.
Chateaubriand Foto: SV-Bilderdienst
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH