Produktdetails
- Verlag: agenda Verlag
- Nachdr. d. Ausg. v. 1741/42.
- Seitenzahl: 157
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 302g
- ISBN-13: 9783896880376
- Artikelnr.: 24935077
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2000Kleine Kirche, dickes Grab
Ein französischer Offizier langweilt sich in Deutschland
"Die Stadt Paderborn ist rund und recht hübsch. Sie hat fünf Tore", notierte vor 250 Jahren ein junger flämischer Prinz kurz und bündig in sein Tagebuch. Lakonischer kann eine Stadtansicht kaum ausfallen, und wenn es stimmt, dass die Würze in der Kürze liegt, versprechen die Reisebeschreibungen des Emmanuel Duc de Croÿ aus den Jahren 1741/42 einiges.
Ungewöhnlich, ja fast obskur für einen Mann von Stand und Bildung ist auch das Reiseland: der Westen des Heiligen Römischen Reiches, vor allem das Rheinland, die Pfalz und das tiefste Westfalen. Es scheint bezeichnend, dass bei Veröffentlichung der Lebenserinnerungen des Duc diese Reisen bislang ausgelassen wurden.
Allerdings befindet sich de Croÿ auch nicht auf Kavalierstour. In Mitteleuropa herrscht, wie so oft, Krieg. Preußen und Frankreich marschieren gegen Maria Theresia, und der erst Vierundzwanzigjährige kommandiert ein Regiment in der französischen Armee des Marschalls Belle-Isle. Da die Truppen zumeist tatenlos in ihren westfälischen Quartieren liegen, findet der wissbegierige Edelmann reichlich Gelegenheit, sich in den Territorien seiner rheinischen Parteigänger umzusehen. Dies tut er erstaunlich gründlich: Straßenzustand, Wirtschaftsstrukturen und die verzwickten Herrschaftsverhältnisse - alles findet sein Interesse.
Dabei kann es nicht überraschen, dass sein besonderes Augenmerk dem Zustand von Befestigungsanlagen und der Verfassung von Truppenkontingenten gilt. Schließlich steht Emmanuel de Croÿ am Anfang einer militärischen Laufbahn, die ihn bis in den Rang eines Marschalls von Frankreich führen soll. Dennoch scheint weniger das militärische Umfeld als vielmehr das recht nüchterne und ernsthafte Naturell für den trockenen Stil seiner Schilderungen verantwortlich zu sein. Am kürzesten kommen dabei die Städte weg: Dülmen zum Beispiel erscheint "klein und ziemlich hässlich, fast ganz aus Holz erbaut". Ausgerechnet Dülmen: Hier, im herzoglichen Archiv, fand die Übersetzerin Elisabeth Hergeth die Aufzeichnungen de Croÿs.
Doch nicht nur das Kleine und Hässliche lernt der Herzog in Deutschland kennen, sondern auch das Große und Prächtige, wie in Frankfurt die Wahl und Krönung des unglücklichen bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht zum Kaiser, eine endlose Abfolge teils recht skurriler Zeremonien. Als Mitglied einer ursprünglich aus Ungarn stammenden Familie mit Besitzungen in halb Europa führt Emmanuel de Croÿ auch den Titel eines deutschen Reichsfürsten. Dieser Umstand und die Protektion des Kurfürsten von Köln verschaffen ihm überall Zugang, buchstäblich bis in des Kaisers Schlafzimmer. Von der Wahlversammlung fertigt er eine Skizze an - nicht einmal der mächtigste Mann vor Ort, der Marschall Belle-Isle, darf hier dabei sein, da er Ausländer ist. Dem aufmerksamen Beobachter de Croÿ entgeht nicht, dass sich die Begeisterung der Deutschen für einen Kaiser, der offensichtlich von Frankreich "gemacht" wurde, in Grenzen hält. Da ändern auch die schmeichelnden Glückwünsche des anwesenden Hochadels nichts. Denn so genau hört Emmanuel schon hin, um mitteilen zu können, dass man Sachsenhausen "Saxenhausen" ausspricht.
Ansonsten wird er Deutsch wohl kaum verstanden haben, ein halbwegs verschmerzbarer Verlust, da doch seine deutschen Standeskollegen fast ausnahmslos Französisch sprechen. Und standesgemäß ist sein Reisen allemal, also mit eigener Kutsche und Pferdewechsel nebst zwei Knechten. Einkehr findet sich in der Regel in allerlei Schlössern, und die Abendessen sind mehr oder minder festliche Diners - ein chevaleresker Zug durch die Crème des Ancien Régime, einschließlich sachkundiger Besichtigung der verwaisten Feldstellungen des letzten Krieges in der Pfalz.
Da kommen dann schon "für die Zeit vom 11. Jan.-2. März 3.300" an Reisekosten zusammen, wie der Duc de Croÿ gewissenhaft festhält. Auch hier verlässt ihn die schnörkellose Nüchternheit nicht, die den gesamten Reisebericht prägt, am stärksten freilich die Stadtbeschreibungen. Wie zum Beispiel die von Aachen, wo er die "Kirche" besichtigt: "Diese ist schön, klein, rund und Karl der Große ist da begraben."
UWE SCHILDMEIER
Emmanuel de Croÿ: "Erinnerungen meines Lebens". Eine Reise durch den Westen des heiligen Römischen Reiches. Erstausgabe des Tagebuchs von 1741/42. Nach der französischen Handschrift übersetzt und mit Anmerkungen von Elisabeth Hergeth. Agenda Verlag, Münster 1999. 156 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein französischer Offizier langweilt sich in Deutschland
"Die Stadt Paderborn ist rund und recht hübsch. Sie hat fünf Tore", notierte vor 250 Jahren ein junger flämischer Prinz kurz und bündig in sein Tagebuch. Lakonischer kann eine Stadtansicht kaum ausfallen, und wenn es stimmt, dass die Würze in der Kürze liegt, versprechen die Reisebeschreibungen des Emmanuel Duc de Croÿ aus den Jahren 1741/42 einiges.
Ungewöhnlich, ja fast obskur für einen Mann von Stand und Bildung ist auch das Reiseland: der Westen des Heiligen Römischen Reiches, vor allem das Rheinland, die Pfalz und das tiefste Westfalen. Es scheint bezeichnend, dass bei Veröffentlichung der Lebenserinnerungen des Duc diese Reisen bislang ausgelassen wurden.
Allerdings befindet sich de Croÿ auch nicht auf Kavalierstour. In Mitteleuropa herrscht, wie so oft, Krieg. Preußen und Frankreich marschieren gegen Maria Theresia, und der erst Vierundzwanzigjährige kommandiert ein Regiment in der französischen Armee des Marschalls Belle-Isle. Da die Truppen zumeist tatenlos in ihren westfälischen Quartieren liegen, findet der wissbegierige Edelmann reichlich Gelegenheit, sich in den Territorien seiner rheinischen Parteigänger umzusehen. Dies tut er erstaunlich gründlich: Straßenzustand, Wirtschaftsstrukturen und die verzwickten Herrschaftsverhältnisse - alles findet sein Interesse.
Dabei kann es nicht überraschen, dass sein besonderes Augenmerk dem Zustand von Befestigungsanlagen und der Verfassung von Truppenkontingenten gilt. Schließlich steht Emmanuel de Croÿ am Anfang einer militärischen Laufbahn, die ihn bis in den Rang eines Marschalls von Frankreich führen soll. Dennoch scheint weniger das militärische Umfeld als vielmehr das recht nüchterne und ernsthafte Naturell für den trockenen Stil seiner Schilderungen verantwortlich zu sein. Am kürzesten kommen dabei die Städte weg: Dülmen zum Beispiel erscheint "klein und ziemlich hässlich, fast ganz aus Holz erbaut". Ausgerechnet Dülmen: Hier, im herzoglichen Archiv, fand die Übersetzerin Elisabeth Hergeth die Aufzeichnungen de Croÿs.
Doch nicht nur das Kleine und Hässliche lernt der Herzog in Deutschland kennen, sondern auch das Große und Prächtige, wie in Frankfurt die Wahl und Krönung des unglücklichen bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht zum Kaiser, eine endlose Abfolge teils recht skurriler Zeremonien. Als Mitglied einer ursprünglich aus Ungarn stammenden Familie mit Besitzungen in halb Europa führt Emmanuel de Croÿ auch den Titel eines deutschen Reichsfürsten. Dieser Umstand und die Protektion des Kurfürsten von Köln verschaffen ihm überall Zugang, buchstäblich bis in des Kaisers Schlafzimmer. Von der Wahlversammlung fertigt er eine Skizze an - nicht einmal der mächtigste Mann vor Ort, der Marschall Belle-Isle, darf hier dabei sein, da er Ausländer ist. Dem aufmerksamen Beobachter de Croÿ entgeht nicht, dass sich die Begeisterung der Deutschen für einen Kaiser, der offensichtlich von Frankreich "gemacht" wurde, in Grenzen hält. Da ändern auch die schmeichelnden Glückwünsche des anwesenden Hochadels nichts. Denn so genau hört Emmanuel schon hin, um mitteilen zu können, dass man Sachsenhausen "Saxenhausen" ausspricht.
Ansonsten wird er Deutsch wohl kaum verstanden haben, ein halbwegs verschmerzbarer Verlust, da doch seine deutschen Standeskollegen fast ausnahmslos Französisch sprechen. Und standesgemäß ist sein Reisen allemal, also mit eigener Kutsche und Pferdewechsel nebst zwei Knechten. Einkehr findet sich in der Regel in allerlei Schlössern, und die Abendessen sind mehr oder minder festliche Diners - ein chevaleresker Zug durch die Crème des Ancien Régime, einschließlich sachkundiger Besichtigung der verwaisten Feldstellungen des letzten Krieges in der Pfalz.
Da kommen dann schon "für die Zeit vom 11. Jan.-2. März 3.300" an Reisekosten zusammen, wie der Duc de Croÿ gewissenhaft festhält. Auch hier verlässt ihn die schnörkellose Nüchternheit nicht, die den gesamten Reisebericht prägt, am stärksten freilich die Stadtbeschreibungen. Wie zum Beispiel die von Aachen, wo er die "Kirche" besichtigt: "Diese ist schön, klein, rund und Karl der Große ist da begraben."
UWE SCHILDMEIER
Emmanuel de Croÿ: "Erinnerungen meines Lebens". Eine Reise durch den Westen des heiligen Römischen Reiches. Erstausgabe des Tagebuchs von 1741/42. Nach der französischen Handschrift übersetzt und mit Anmerkungen von Elisabeth Hergeth. Agenda Verlag, Münster 1999. 156 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main