Was folgte auf Golo Manns Jugend in Deutschland? Der erste Band seiner Erinnerungen endete mit einer bitteren Note. Vierundzwanzigjährig war dem Autor die Rückkehr in sein Heimatland verwehrt, er saß fest in Sanary-sur-Mer, umgeben von Emigranten aus Deutschland, wieder einmal seinen Eltern sehr nah, vielleicht zu nah.
Hier setzt der zweite Band von Golo Manns Memoiren ein - und es ist ein in vielem helleres Bild, das vor den Augen der Leser entsteht. Denn die Jahre in Frankreich gehörten wohl zu den unbeschwertesten in Golo Manns Leben. Erstmals konnte er sich in einer 'unbelasteten' Umgebung frei fühlen, hier durfte er seine eigenen Fähigkeiten entfalten und er selbst sein, nicht nur der Sohn des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, mit dem ihn in der französischen Provinz die wenigsten in Verbindung brachten. Er wurde Deutschlektor in St. Cloud und schloß Freundschaft mit dem Direktor der dortigen Schule, Felix Pécaut, eine Freundschaft, die Golo Mann tief prägte und dieer noch lange aufrechterhielt; später wechselte er, ebenfalls als Lektor, nach Rennes.
Besuche zu Hause bei den Eltern in Küsnacht, Exkurse über den Einfluß französischer Dichter und vor allem Historiker auf sein Werk (hier ist Golo Mann auch als glänzender Übersetzer kennenzulernen) und ein Kapitel über seine Zeit in einem französischen Internierungslager in der Provence runden diese Erinnerungen zu einem eindrucksvollen »Porträt des Historikers als junger Mann«.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hier setzt der zweite Band von Golo Manns Memoiren ein - und es ist ein in vielem helleres Bild, das vor den Augen der Leser entsteht. Denn die Jahre in Frankreich gehörten wohl zu den unbeschwertesten in Golo Manns Leben. Erstmals konnte er sich in einer 'unbelasteten' Umgebung frei fühlen, hier durfte er seine eigenen Fähigkeiten entfalten und er selbst sein, nicht nur der Sohn des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, mit dem ihn in der französischen Provinz die wenigsten in Verbindung brachten. Er wurde Deutschlektor in St. Cloud und schloß Freundschaft mit dem Direktor der dortigen Schule, Felix Pécaut, eine Freundschaft, die Golo Mann tief prägte und dieer noch lange aufrechterhielt; später wechselte er, ebenfalls als Lektor, nach Rennes.
Besuche zu Hause bei den Eltern in Küsnacht, Exkurse über den Einfluß französischer Dichter und vor allem Historiker auf sein Werk (hier ist Golo Mann auch als glänzender Übersetzer kennenzulernen) und ein Kapitel über seine Zeit in einem französischen Internierungslager in der Provence runden diese Erinnerungen zu einem eindrucksvollen »Porträt des Historikers als junger Mann«.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999Tourist am ewigen Brunnenrand
Betrachtungen eines Politischen: Golo Manns Memoiren, zweiter Akt / Von Jürg Altwegg
Im Juni 1933 sitzt Golo Mann auf einem Brunnen im Züricher "Niederdorf". Noch Jahrzehnte später erinnert er sich an die "Stadtlandschaft mit ihrer engen Hauptstraße, ihren Plätzen, ihren in die Höhe und hinunter zum Fluß führenden Gassen und Treppen, wie ich sie so sehr liebte". Der Sohn Thomas Manns ist vierundzwanzig. In Zürich weilt er "geschäftehalber". Im Niederdorf wartet er auf den Nachtzug, der ihn zu seiner Familie im südfranzösischen Exil zurückbringen soll. Die Wartezeit verkürzt Golo Mann sich mit der Lektüre von Ernst Jüngers "Der Arbeiter". Den Autor hält er für den "bedeutendsten geistigen Vertreter des Regimes, was er war und auch nicht war und nicht sein wollte". Eine Kulisse wie das Zürcher Niederdorf "durfte" Mann "nach Jünger nicht mehr lieben; denn das war nur noch ,museal', es hatte mit der Wirklichkeit, wie sie nun werden mußte, nichts mehr zu tun. Dergleichen hatte ich schon bei Spengler gelesen, von den ,harten, römischen Zeiten', die jetzt kommen und keine Schöngeister, Dichter, Maler, Philosophen mehr dulden würden."
Der erwachsene Mann hat diese Zeiten nicht mehr im Deutschland seiner Jugend verbracht. Als angesehener Historiker mit schriftstellerischem Temperament schrieb er seine Erinnerungen. Der erste Band erschien 1986, er schließt mit dem Beginn des Exils in Sanary-sur-Mer. Bevor Golo Mann die Arbeit an der Fortsetzung abgeschlossen hatte, ist er gestorben. Seit seinem Tod im Jahr 1994 haben rund zweihundertfünfzig Seiten beim Verlag gelegen. Aus den vorhandenen Texten, in die der Autor oft sehr lange Auszüge aus seinem Tagebuch einbaute, haben Hans-Martin Gauger und Wolfgang Mertz einen zweiten Band mit "Erinnerungen und Gedanken" über die "Lehrjahre in Frankreich" zusammengestellt. Sie erscheinen in diesem Frühjahr, in dem Golo Manns neunzigster Geburts- und fünfter Todestag nahezu zusammenfallen.
Frankreich war für Golo Manns "innere Entwicklung entscheidend", schreibt der Verlag in einer Vorbemerkung über die Entstehungsgeschichte, "weil er hier zum erstenmal aus dem Schatten des Vaters trat". Distanziert, manchmal voller Spott schildert Mann das Leben der Familie und ihrer Schriftstellerfreunde im Exil. Aldous Huxley, der ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid behandelte, bleibt ihm fremd. Lionel Feuchtwanger wird als wunderlicher Prahlhans geschildert. Im Falle von Joseph Breitbach rätselt er wie alle in dieser illustren Gesellschaft über die Herkunft seines Vermögens. Arnold Zweig ist ein "eitler, mittelgescheiter, geschwätziger Mann, wie die anderen auch. Außer dem Alten und Heinrich habe ich noch keinen wirklich bedeutenden Emigranten getroffen."
Auf dem kurzen Abstecher in die Schweiz kommt es im Züricher Niederdorf zum existentiellen Schockerlebnis. Während er auf jenem Brunnen saß, las Golo Mann Jüngers "Arbeiter" mit Erschütterung: "Wo war dann für einen wie mich noch Platz auf dieser Erde?" In den Diskussionen mit dem Bruder Klaus zählt er Jüngers Buch "zu den vorzüglichsten schriftstellerischen Leistungen" und bedauert, daß "ihm die Linke etwas Ebenbürtiges in dieser Sphäre nicht entgegenzusetzen hat".
Erst nach 1945 beschäftigte sich Golo Mann wieder mit Jünger, der im Alter "gütiger, hilfreicher" wurde, aber "stolz" wie eh und je blieb: "So bestritt er, daß seine ,Marmorklippen' irgend etwas mit Hitler und seinen Helfern oder Schindern zu tun hätten, was doch offensichtlich und bis zum Erstaunlichen der Fall war." Genauso deutlich äußert er sich über seines Vaters "Betrachtungen eines Unpolitischen": "Immer, so glaubte er, entsprach seine eigene geistige Entwicklung untergründig jener seiner Nation, weswegen er sich denn für ein Sonntagskind hielt bis zum Jahre 1933 und der Hitlerismus schon darum falsch war, weil er nun sich unter qualvollen Zweifeln von Deutschland trennen mußte, was ihm im Grunde niemals gelang. Dann wieder wollte er mit der ihm verhaßten ,Demokratie' gerade jene gemeint haben, die jetzt in der Heimat herrschten. Kurz, wie er sich drehte und wendete, ein schwererer Irrtum war ihm nie unterlaufen."
Am 3. November trifft in Sanary-sur-Mer die "erlösende" Nachricht ein: Der Vater von Pierre Bertaux hat ihm in Saint-Cloud die versprochene Stelle als Lektor ohne Gehalt gefunden: "Endlich Arbeit, endlich etwas Neues lernen!" Gelegentlich reist Golo Mann nach Paris. Das kurze Kapitel über das Gastspiel als Lehrer handelt von der Freundschaft mit dem Schuldirektor, Félix Pécaut, der ihn fast täglich besucht, "während ich in meinem Zimmer saß, meinen Unterricht vorbereitete, mein Tagebuch schrieb, demnächst auf französisch, der Übung halber, und las und las, französische Werke, klassische oder moderne Romane, philosophische, historische Werke, Lektüren, von denen ich mir Auszüge machte." Dieser war in jungen Jahren ein "passionierter Dreyfusard" gewesen und in den Protestzügen für den jüdischen Hauptmann mitmarschiert. Golo Mann schildert ihn als Sozialisten, "beinahe Kommunist", doch den Marxismus hielt er für "germanisches Spinngewebe". Pécaut war sich bewußt, daß die katholische Kirche und die Armee der Demokratie ihre Niederlage in der Dreyfus-Affäre nicht verziehen hatten und nur auf Rache warteten.
Die französische Politik der dreißiger Jahre kritisierte er heftigst. Die antifaschistischen Deutschen in Paris kommen bei ihm noch schlechter weg als die Emigranten in Sanary. Die Kommunistische Partei "tat der Weimarer Republik jeden nur erdenklichen Schaden, und zwar ganz bewußt: sollte ich nun vor ihren rührigen Generalagenten in Frankreich Achtung haben?" Ende Juni 1935 besucht er an fünf Abenden den Internationalen Schriftstellerkongreß, an dem Klaus und Heinrich Mann auftreten: "Mit mittelmäßigen Reden fing es an, ging es weiter, hörte es auf", berichtet er in einem Brief. Spöttisch kommentiert er auch die in Paris gegründete "Deutsche Volksfront für Frieden, Freiheit und Brot", als deren Präsident der Onkel Heinrich wirkte: "Aber Volk war keines dabei."
Weltgeschichtliche Betrachtungen finden sich in Golo Manns Memoiren, die ein eminent politisches Buch geworden sind, wenige. Das Kapitel "Innenpolitisches, Außenpolitisches" ist von einem Hang zum Literarischen gezeichnet. Mit ein paar Sätzen erledigt er Karl Kraus, auf ein paar brillanten Seiten Carl Schmitt. Der (französischen) Literatur ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Bevor Golo Mann nach Saint-Cloud kam, kannte er die Klassiker nicht. Er beginnt mit "Madame Bovary". Ihm fällt eine "Frühreife der französischen Sprache" auf. Man liest mit Interesse seine Bemerkungen zu La Bruyère und La Rochefoucauld oder "Zur französischen Geschichtsschreibung". Für das neunzehnte Jahrhundert stellt Golo Mann verblüfft ihre "Deutschfreundlichkeit" fest.
Sechs Wochen nach dem Sieg der Volksfront 1936 in Frankreich verläßt Golo Mann das Land: Die Einbürgerungsbestimmungen waren verschärft worden. Der Vater wohnte längst in der Schweiz - "TM also fühlte sich wohl in Küsnacht", und Golo verstand sich mit ihm "damals so gut wie nie zuvor; öfters bat er mich, ein Gutachten, eine Rede für ihn zu entwerfen, hielt also etwas von meinem Urteil". Eines Tages kam Paul Valéry zu Besuch. Goebbels hatte ihn zu ein paar Vorträgen nach Berlin eingeladen. "Ob er das wohl annehmen könne?" Thomas Mann reagierte verlegen und wollte dem Kollegen keine Ratschläge erteilen: "Leider hatte er die Frage nicht verstanden: Valéry wollte nichts anderes gebilligt haben als die Höhe des Honorars."
In Zürich litt die Familie Mann an einer zunehmenden gesellschaftlichen Isolierung. Als Gast, "als Tourist ohnehin" war man "jederzeit willkommen". Als Emigrant wurde man suspekt. Die Eltern zogen 1938 nach Amerika weiter. Als der Krieg in Westeuropa ausbrach, lebte Golo Mann noch immer in der Schweiz. Stündlich wurde mit einem Überfall Hitlers gerechnet. Golo Mann will sich einer tschechischen Legion in Frankreich oder der französischen Armee anschließen. Doch beim Grenzübertritt wird er verhaftet und am 23. Mai 1940 in Loriol interniert. Die Zwangsarbeit auf dem Feld macht ihm sogar Spaß. Mitte Juni wird er ins berüchtigte Lager Les Milles bei Aix-en-Provence verlegt, wo es keine Ablenkung durch Arbeit mehr gibt. Unter den Inhaftierten macht sich Panik breit: Hitler hat die Auslieferung aller Emigranten verlangt. Mitte Juli kommt Golo Mann in ein Lager bei Nîmes: "Hier ist weder Würde noch Wirklichkeit." Endlich wird er entlassen und kann nach Amerika reisen.
Die Aufzeichnungen aus den Internierungslagern bilden den Abschluß der Memoiren. Über die Sorgen der Eltern um den Sohn, die Reise nach Amerika und die Zusammenführung der Familie orientiert ein "Nachspiel" der Herausgeber, die sich vor allem auf Alma Mahler-Werfels Autobiographie stützen. Hans-Martin Gauger und Wolfgang Mertz haben ein redliches und reiches Buch zusammengestellt. Es ist nicht aus einem Guß, aber durchaus logisch komponiert. Seine Mängel sind mit den Umständen seiner Entstehung zu erklären. Golo Mann war nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte, als er seine letzten Memoiren schrieb. Aber das Langzeitgedächtnis hat ihn nicht im Stich gelassen, seine Schilderungen sind lebendig und nie langweilig. Man bedauert allenfalls, daß die Erzählung 1940 abrupt abbricht und daß Frankreich nach 1945 nicht vorkommt, obgleich er sich mehr als andere Emigranten auf das Land eingelassen hatte.
In den "Lehrjahren in Frankreich" geht es um das Ausprobieren und Erwerben der richtigen Distanz: zur Politik (als engagierter Beobachter), zur Familie (als Historiker) - und zu sich selbst. In Frankreich hat Golo Mann seinen "Platz auf dieser Erde" im Exil gefunden. Die heitere Distanz ist nach dem Krieg der Maßstab seines Lebens und Wirkens geblieben. Nichts gibt er wirklich von sich preis. Seine beeindruckenden Memoiren eines Politischen sind die Autobiographie eines Zeitgenossen, dessen existentielle Wahrheit sich der indiskrete Leser aus scheinbar unscheinbaren Nebensätzen und nichtssagenden Anekdoten zusammenklauben muß: "Immer, in meinem langen Leben", kommentiert Golo Mann einmal die - wie immer: getreuliche - Erfüllung einer lästigen Pflicht, "tat ich im Prinzip, was man von mir wollte."
Golo Mann: "Erinnerungen und Gedanken". Lehrjahre in Frankreich. Herausgegeben von Hans-Martin Gauger und Wolfgang Mertz. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 1999. 288 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Betrachtungen eines Politischen: Golo Manns Memoiren, zweiter Akt / Von Jürg Altwegg
Im Juni 1933 sitzt Golo Mann auf einem Brunnen im Züricher "Niederdorf". Noch Jahrzehnte später erinnert er sich an die "Stadtlandschaft mit ihrer engen Hauptstraße, ihren Plätzen, ihren in die Höhe und hinunter zum Fluß führenden Gassen und Treppen, wie ich sie so sehr liebte". Der Sohn Thomas Manns ist vierundzwanzig. In Zürich weilt er "geschäftehalber". Im Niederdorf wartet er auf den Nachtzug, der ihn zu seiner Familie im südfranzösischen Exil zurückbringen soll. Die Wartezeit verkürzt Golo Mann sich mit der Lektüre von Ernst Jüngers "Der Arbeiter". Den Autor hält er für den "bedeutendsten geistigen Vertreter des Regimes, was er war und auch nicht war und nicht sein wollte". Eine Kulisse wie das Zürcher Niederdorf "durfte" Mann "nach Jünger nicht mehr lieben; denn das war nur noch ,museal', es hatte mit der Wirklichkeit, wie sie nun werden mußte, nichts mehr zu tun. Dergleichen hatte ich schon bei Spengler gelesen, von den ,harten, römischen Zeiten', die jetzt kommen und keine Schöngeister, Dichter, Maler, Philosophen mehr dulden würden."
Der erwachsene Mann hat diese Zeiten nicht mehr im Deutschland seiner Jugend verbracht. Als angesehener Historiker mit schriftstellerischem Temperament schrieb er seine Erinnerungen. Der erste Band erschien 1986, er schließt mit dem Beginn des Exils in Sanary-sur-Mer. Bevor Golo Mann die Arbeit an der Fortsetzung abgeschlossen hatte, ist er gestorben. Seit seinem Tod im Jahr 1994 haben rund zweihundertfünfzig Seiten beim Verlag gelegen. Aus den vorhandenen Texten, in die der Autor oft sehr lange Auszüge aus seinem Tagebuch einbaute, haben Hans-Martin Gauger und Wolfgang Mertz einen zweiten Band mit "Erinnerungen und Gedanken" über die "Lehrjahre in Frankreich" zusammengestellt. Sie erscheinen in diesem Frühjahr, in dem Golo Manns neunzigster Geburts- und fünfter Todestag nahezu zusammenfallen.
Frankreich war für Golo Manns "innere Entwicklung entscheidend", schreibt der Verlag in einer Vorbemerkung über die Entstehungsgeschichte, "weil er hier zum erstenmal aus dem Schatten des Vaters trat". Distanziert, manchmal voller Spott schildert Mann das Leben der Familie und ihrer Schriftstellerfreunde im Exil. Aldous Huxley, der ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid behandelte, bleibt ihm fremd. Lionel Feuchtwanger wird als wunderlicher Prahlhans geschildert. Im Falle von Joseph Breitbach rätselt er wie alle in dieser illustren Gesellschaft über die Herkunft seines Vermögens. Arnold Zweig ist ein "eitler, mittelgescheiter, geschwätziger Mann, wie die anderen auch. Außer dem Alten und Heinrich habe ich noch keinen wirklich bedeutenden Emigranten getroffen."
Auf dem kurzen Abstecher in die Schweiz kommt es im Züricher Niederdorf zum existentiellen Schockerlebnis. Während er auf jenem Brunnen saß, las Golo Mann Jüngers "Arbeiter" mit Erschütterung: "Wo war dann für einen wie mich noch Platz auf dieser Erde?" In den Diskussionen mit dem Bruder Klaus zählt er Jüngers Buch "zu den vorzüglichsten schriftstellerischen Leistungen" und bedauert, daß "ihm die Linke etwas Ebenbürtiges in dieser Sphäre nicht entgegenzusetzen hat".
Erst nach 1945 beschäftigte sich Golo Mann wieder mit Jünger, der im Alter "gütiger, hilfreicher" wurde, aber "stolz" wie eh und je blieb: "So bestritt er, daß seine ,Marmorklippen' irgend etwas mit Hitler und seinen Helfern oder Schindern zu tun hätten, was doch offensichtlich und bis zum Erstaunlichen der Fall war." Genauso deutlich äußert er sich über seines Vaters "Betrachtungen eines Unpolitischen": "Immer, so glaubte er, entsprach seine eigene geistige Entwicklung untergründig jener seiner Nation, weswegen er sich denn für ein Sonntagskind hielt bis zum Jahre 1933 und der Hitlerismus schon darum falsch war, weil er nun sich unter qualvollen Zweifeln von Deutschland trennen mußte, was ihm im Grunde niemals gelang. Dann wieder wollte er mit der ihm verhaßten ,Demokratie' gerade jene gemeint haben, die jetzt in der Heimat herrschten. Kurz, wie er sich drehte und wendete, ein schwererer Irrtum war ihm nie unterlaufen."
Am 3. November trifft in Sanary-sur-Mer die "erlösende" Nachricht ein: Der Vater von Pierre Bertaux hat ihm in Saint-Cloud die versprochene Stelle als Lektor ohne Gehalt gefunden: "Endlich Arbeit, endlich etwas Neues lernen!" Gelegentlich reist Golo Mann nach Paris. Das kurze Kapitel über das Gastspiel als Lehrer handelt von der Freundschaft mit dem Schuldirektor, Félix Pécaut, der ihn fast täglich besucht, "während ich in meinem Zimmer saß, meinen Unterricht vorbereitete, mein Tagebuch schrieb, demnächst auf französisch, der Übung halber, und las und las, französische Werke, klassische oder moderne Romane, philosophische, historische Werke, Lektüren, von denen ich mir Auszüge machte." Dieser war in jungen Jahren ein "passionierter Dreyfusard" gewesen und in den Protestzügen für den jüdischen Hauptmann mitmarschiert. Golo Mann schildert ihn als Sozialisten, "beinahe Kommunist", doch den Marxismus hielt er für "germanisches Spinngewebe". Pécaut war sich bewußt, daß die katholische Kirche und die Armee der Demokratie ihre Niederlage in der Dreyfus-Affäre nicht verziehen hatten und nur auf Rache warteten.
Die französische Politik der dreißiger Jahre kritisierte er heftigst. Die antifaschistischen Deutschen in Paris kommen bei ihm noch schlechter weg als die Emigranten in Sanary. Die Kommunistische Partei "tat der Weimarer Republik jeden nur erdenklichen Schaden, und zwar ganz bewußt: sollte ich nun vor ihren rührigen Generalagenten in Frankreich Achtung haben?" Ende Juni 1935 besucht er an fünf Abenden den Internationalen Schriftstellerkongreß, an dem Klaus und Heinrich Mann auftreten: "Mit mittelmäßigen Reden fing es an, ging es weiter, hörte es auf", berichtet er in einem Brief. Spöttisch kommentiert er auch die in Paris gegründete "Deutsche Volksfront für Frieden, Freiheit und Brot", als deren Präsident der Onkel Heinrich wirkte: "Aber Volk war keines dabei."
Weltgeschichtliche Betrachtungen finden sich in Golo Manns Memoiren, die ein eminent politisches Buch geworden sind, wenige. Das Kapitel "Innenpolitisches, Außenpolitisches" ist von einem Hang zum Literarischen gezeichnet. Mit ein paar Sätzen erledigt er Karl Kraus, auf ein paar brillanten Seiten Carl Schmitt. Der (französischen) Literatur ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Bevor Golo Mann nach Saint-Cloud kam, kannte er die Klassiker nicht. Er beginnt mit "Madame Bovary". Ihm fällt eine "Frühreife der französischen Sprache" auf. Man liest mit Interesse seine Bemerkungen zu La Bruyère und La Rochefoucauld oder "Zur französischen Geschichtsschreibung". Für das neunzehnte Jahrhundert stellt Golo Mann verblüfft ihre "Deutschfreundlichkeit" fest.
Sechs Wochen nach dem Sieg der Volksfront 1936 in Frankreich verläßt Golo Mann das Land: Die Einbürgerungsbestimmungen waren verschärft worden. Der Vater wohnte längst in der Schweiz - "TM also fühlte sich wohl in Küsnacht", und Golo verstand sich mit ihm "damals so gut wie nie zuvor; öfters bat er mich, ein Gutachten, eine Rede für ihn zu entwerfen, hielt also etwas von meinem Urteil". Eines Tages kam Paul Valéry zu Besuch. Goebbels hatte ihn zu ein paar Vorträgen nach Berlin eingeladen. "Ob er das wohl annehmen könne?" Thomas Mann reagierte verlegen und wollte dem Kollegen keine Ratschläge erteilen: "Leider hatte er die Frage nicht verstanden: Valéry wollte nichts anderes gebilligt haben als die Höhe des Honorars."
In Zürich litt die Familie Mann an einer zunehmenden gesellschaftlichen Isolierung. Als Gast, "als Tourist ohnehin" war man "jederzeit willkommen". Als Emigrant wurde man suspekt. Die Eltern zogen 1938 nach Amerika weiter. Als der Krieg in Westeuropa ausbrach, lebte Golo Mann noch immer in der Schweiz. Stündlich wurde mit einem Überfall Hitlers gerechnet. Golo Mann will sich einer tschechischen Legion in Frankreich oder der französischen Armee anschließen. Doch beim Grenzübertritt wird er verhaftet und am 23. Mai 1940 in Loriol interniert. Die Zwangsarbeit auf dem Feld macht ihm sogar Spaß. Mitte Juni wird er ins berüchtigte Lager Les Milles bei Aix-en-Provence verlegt, wo es keine Ablenkung durch Arbeit mehr gibt. Unter den Inhaftierten macht sich Panik breit: Hitler hat die Auslieferung aller Emigranten verlangt. Mitte Juli kommt Golo Mann in ein Lager bei Nîmes: "Hier ist weder Würde noch Wirklichkeit." Endlich wird er entlassen und kann nach Amerika reisen.
Die Aufzeichnungen aus den Internierungslagern bilden den Abschluß der Memoiren. Über die Sorgen der Eltern um den Sohn, die Reise nach Amerika und die Zusammenführung der Familie orientiert ein "Nachspiel" der Herausgeber, die sich vor allem auf Alma Mahler-Werfels Autobiographie stützen. Hans-Martin Gauger und Wolfgang Mertz haben ein redliches und reiches Buch zusammengestellt. Es ist nicht aus einem Guß, aber durchaus logisch komponiert. Seine Mängel sind mit den Umständen seiner Entstehung zu erklären. Golo Mann war nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte, als er seine letzten Memoiren schrieb. Aber das Langzeitgedächtnis hat ihn nicht im Stich gelassen, seine Schilderungen sind lebendig und nie langweilig. Man bedauert allenfalls, daß die Erzählung 1940 abrupt abbricht und daß Frankreich nach 1945 nicht vorkommt, obgleich er sich mehr als andere Emigranten auf das Land eingelassen hatte.
In den "Lehrjahren in Frankreich" geht es um das Ausprobieren und Erwerben der richtigen Distanz: zur Politik (als engagierter Beobachter), zur Familie (als Historiker) - und zu sich selbst. In Frankreich hat Golo Mann seinen "Platz auf dieser Erde" im Exil gefunden. Die heitere Distanz ist nach dem Krieg der Maßstab seines Lebens und Wirkens geblieben. Nichts gibt er wirklich von sich preis. Seine beeindruckenden Memoiren eines Politischen sind die Autobiographie eines Zeitgenossen, dessen existentielle Wahrheit sich der indiskrete Leser aus scheinbar unscheinbaren Nebensätzen und nichtssagenden Anekdoten zusammenklauben muß: "Immer, in meinem langen Leben", kommentiert Golo Mann einmal die - wie immer: getreuliche - Erfüllung einer lästigen Pflicht, "tat ich im Prinzip, was man von mir wollte."
Golo Mann: "Erinnerungen und Gedanken". Lehrjahre in Frankreich. Herausgegeben von Hans-Martin Gauger und Wolfgang Mertz. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 1999. 288 S., geb., 39,80 DM.
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