Produktdetails
- Verlag: München ; Zürich : Droemer Knaur
- ISBN-13: 9783426036938
- Artikelnr.: 24402628
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2009NEUE REISEBÜCHER
Für den Tisch Als Reinhard Karl, Automechaniker aus Heidelberg, Fotograf aus Leidenschaft, erster Deutscher auf dem Everest und Autor des Alpenliteraturklassikers "Erlebnis Berg: Zeit zum Atmen", im Mai 1982 von einer Eislawine am Cho Oyu im Himalaja begraben wurde, endeten auf einen Schlag viele Karrieren.
Geblieben ist sein Buch "Zeit zum Atmen", das 1980 erschien, schnell ausverkauft war, 1994 noch mal gedruckt wurde, wieder schnell vergriffen war und seither als Sammlerstück sehr begehrt ist.
Nun ist im Bruckmann-Verlag ein Reprint erschienen. "Reinhard Karl kennzeichnet eine Wende in der alpinen Literatur gleichwie in der Fotografie vom Bergsteigen", heißt es im Geleitwort des Deutschen Alpenvereins, der die Neuauflage herausgegeben hat. Aber was bedeutet das? Wie liest sich dieser so genannte alpine Klassiker heute? "Die Wahrheit ist so kompliziert, dass sie niemand versteht. Eigentlich ist der Berg nur ein nominelles Ziel. Was zählt, sind die Stunden, Minuten, Sekunden, wie man sie verbringt", schrieb Reinhard Karl 1980, und man merkt schnell, dass seine Sätze so zeitlos sind, dass sie ihre Gültigkeit behalten haben. Dass Karl in diesem Buch auch erzählt, wie er vom Automechanikerlehrling zum Höhenbergsteiger wurde, ist eher zweitrangig. Und auch seine Erfahrungen an den Felswänden Kaliforniens sind weniger interessant als seine Beschreibung der amerikanischen Kletterer: "Die fünf Lebensessentials, mit denen sie den Tag knacken, sind in der Reihenfolge der Wichtigkeit: 1. Klettern, 2. Sonnenbaden, 3. Essen, 4. Drogen, 5. Frauen. Das Wort ,Arbeit' kommt nicht vor."
Der nachdenkliche Text "Unterwegs nach Hause" beschließt das Buch. Und obwohl dieser Essay über Angst, Identität und das Erwachsenwerden in der Originalversion von 1980 noch nicht dabei war, ist er heute das eindrucksvollste Dokument der Neuauflage. Weil sich dieser Text Zeile für Zeile liest, als hätte Reinhard Karl seinen bevorstehenden Tod erahnt.
Fotografisch war Reinhard Karl ein Avantgardist, wie viele der rund 100 Fotografien zeigen. Einer, dem es zu langweilig war, eine Bergflanke oder einen Gipfel einfach nur abzufotografieren. Einer, dem die Wirklichkeit nicht genügte und der sie bewusst mit seiner Bildsprache verfremdete.
Eines seiner Fotos trägt den Titel "Die Nadeln von Chamonix" und ist in seiner Konturenunschärfe so stark verfremdet, dass der einzige alpine Hinweis im Titel liegt. Eine andere Fotografie heißt "Nach dem Gipfel: Abstieg in die Industrielandschaft" und zeigt einen Kletterer, der sich vor Kaminschloten und Hochspannungsleitungen abseilt. Es ist, wie die Bildunterschrift verrät, eine Montage, die Karl selbst angefertigt hat. Auf einem weiteren Bild ist das Hochlager des Gasherbrum II im Karakorum zu sehen. Es ist auf 6500 Metern entstanden und zeigt, dass der Alpinist Reinhard Karl auch in Höhen, wo andere über Kopfschmerzen und Kurzatmigkeit klagen, noch einen feinen Sinn für die Ästhetik einer Gegenlichtperspektive übrig hatte, "Zeit zum Atmen" eben.
asl
Reinhard Karl: "Erlebnis Berg: Zeit zum Atmen". Hg. vom Deutschen Alpenverein, Bruckmann-Verlag, 29,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für den Tisch Als Reinhard Karl, Automechaniker aus Heidelberg, Fotograf aus Leidenschaft, erster Deutscher auf dem Everest und Autor des Alpenliteraturklassikers "Erlebnis Berg: Zeit zum Atmen", im Mai 1982 von einer Eislawine am Cho Oyu im Himalaja begraben wurde, endeten auf einen Schlag viele Karrieren.
Geblieben ist sein Buch "Zeit zum Atmen", das 1980 erschien, schnell ausverkauft war, 1994 noch mal gedruckt wurde, wieder schnell vergriffen war und seither als Sammlerstück sehr begehrt ist.
Nun ist im Bruckmann-Verlag ein Reprint erschienen. "Reinhard Karl kennzeichnet eine Wende in der alpinen Literatur gleichwie in der Fotografie vom Bergsteigen", heißt es im Geleitwort des Deutschen Alpenvereins, der die Neuauflage herausgegeben hat. Aber was bedeutet das? Wie liest sich dieser so genannte alpine Klassiker heute? "Die Wahrheit ist so kompliziert, dass sie niemand versteht. Eigentlich ist der Berg nur ein nominelles Ziel. Was zählt, sind die Stunden, Minuten, Sekunden, wie man sie verbringt", schrieb Reinhard Karl 1980, und man merkt schnell, dass seine Sätze so zeitlos sind, dass sie ihre Gültigkeit behalten haben. Dass Karl in diesem Buch auch erzählt, wie er vom Automechanikerlehrling zum Höhenbergsteiger wurde, ist eher zweitrangig. Und auch seine Erfahrungen an den Felswänden Kaliforniens sind weniger interessant als seine Beschreibung der amerikanischen Kletterer: "Die fünf Lebensessentials, mit denen sie den Tag knacken, sind in der Reihenfolge der Wichtigkeit: 1. Klettern, 2. Sonnenbaden, 3. Essen, 4. Drogen, 5. Frauen. Das Wort ,Arbeit' kommt nicht vor."
Der nachdenkliche Text "Unterwegs nach Hause" beschließt das Buch. Und obwohl dieser Essay über Angst, Identität und das Erwachsenwerden in der Originalversion von 1980 noch nicht dabei war, ist er heute das eindrucksvollste Dokument der Neuauflage. Weil sich dieser Text Zeile für Zeile liest, als hätte Reinhard Karl seinen bevorstehenden Tod erahnt.
Fotografisch war Reinhard Karl ein Avantgardist, wie viele der rund 100 Fotografien zeigen. Einer, dem es zu langweilig war, eine Bergflanke oder einen Gipfel einfach nur abzufotografieren. Einer, dem die Wirklichkeit nicht genügte und der sie bewusst mit seiner Bildsprache verfremdete.
Eines seiner Fotos trägt den Titel "Die Nadeln von Chamonix" und ist in seiner Konturenunschärfe so stark verfremdet, dass der einzige alpine Hinweis im Titel liegt. Eine andere Fotografie heißt "Nach dem Gipfel: Abstieg in die Industrielandschaft" und zeigt einen Kletterer, der sich vor Kaminschloten und Hochspannungsleitungen abseilt. Es ist, wie die Bildunterschrift verrät, eine Montage, die Karl selbst angefertigt hat. Auf einem weiteren Bild ist das Hochlager des Gasherbrum II im Karakorum zu sehen. Es ist auf 6500 Metern entstanden und zeigt, dass der Alpinist Reinhard Karl auch in Höhen, wo andere über Kopfschmerzen und Kurzatmigkeit klagen, noch einen feinen Sinn für die Ästhetik einer Gegenlichtperspektive übrig hatte, "Zeit zum Atmen" eben.
asl
Reinhard Karl: "Erlebnis Berg: Zeit zum Atmen". Hg. vom Deutschen Alpenverein, Bruckmann-Verlag, 29,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main