Die Reformation hat die Welt so tiefgreifend verwandelt wie kein anderes Ereignis seit dem Ende der Antike - auch der Katholizismus war danach nicht mehr der gleiche. Thomas Kaufmann erzählt souverän und auf dem neuesten Forschungsstand die Geschichte dieser religiösen Revolution in einem Zeitraum von mehr als hundert Jahren. Seine magistrale Darstellung lässt die Dramatik des erbitterten Kampfes um himmlische Erlösung und irdische Macht für heutige Leser lebendig werden.Die Reformation entstand fernab von den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentren Europas, und doch hat sie den gesamten Kontinent in Aufruhr versetzt. Viel ist darüber spekuliert worden, welche politischen und sozialen Faktoren für diese Revolution verantwortlich waren. Thomas Kaufmann, einer der besten Kenner der Reformation, sieht die wichtigsten Beweggründe in der Religion selbst. Den Reformatoren ging es um das Seelenheil. Als der Papst Luther und seine Lehre verdammte, hätte dies das Ende sein können. Doch Luther sah den Papst selbst in ewiger Verdammnis. So nahm die Kirchenspaltung ihren Lauf. Hass auf die Verdammten ließ Menschen in den Krieg ziehen, in der Hoffnung auf Erlösung verließen unzählige ihre Heimat und trugen die Reformation in die letzten Winkel der Welt. Thomas Kaufmann zeigt eindrucksvoll, wie ganz Europa durch das Beben der Reformation umgestaltet wurde und welche Nachbeben die Reformation bis heute auslöst.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dorothea Wendebourg schätzt das große Panorama, das der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann auf knappen Raum mit viel Konsenswissen und ohne theologiegeschichtliche Engführung entwirft. Dass sich die Reformation für den Autor erst mit konkreten kirchlichen und gesellschaftlichen Veränderungen verwirklicht, an deren Beginn Luther stand, nimmt die Rezensentin zur Kenntnis und scheint beeindruckt von Kaufmanns präziser Darlegung der für Luthers Rolle in Europa entscheidenden Faktoren, namentlich des Buchdruckes. Hier liegt für Wendebourg die spezifische Sicht des Autors auf die Reformationsgeschichte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2016Gedruckt kann der Ketzer gewinnen
Es kann nicht nur um Luther gehen: Eine Biographie revidiert das Bild Thomas Müntzers, und eine Reformationsgeschichte setzt europäische Akzente.
Das mit raschen Schritten heranrückende Reformationsjubiläum scheint zum Luther-Event, zur Dublette des Jubiläums von 1983 zu schrumpfen. Die Evangelische Kirche in Deutschland, als Gemeinschaft verschiedenkonfessioneller evangelischer Kirchen eigentlich zu einem weiteren Blick prädestiniert, arbeitet sich in Lobpreis und Distanzierung an dem Wittenberger Reformator ab, und der Buchmarkt quillt über von neuen, selten innovativen Lutherbüchern. Umso erfreulicher ist es, dass auch Werke erscheinen, die die Reformation als ein Geschehen präsentieren, für das Luther unleugbar entscheidende Bedeutung hatte, das aber vielstimmig war und das weit über Wittenberg, ja über Deutschland hinaus Kirche und Gesellschaft ergriff.
Siegfried Bräuers und Günter Voglers Monographie "Thomas Müntzer" ist ein Ereignis. Das Buch trägt nicht nur die Ergebnisse der Forschung über den "radikalen" Reformator Müntzer zusammen, die in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Autoren selbst erarbeitet wurden. Es spiegelt auch die konstruktive Auflösung einer jahrzehntelangen ideologischen und geschichtspolitischen Auseinandersetzung während der vorletzten Phase der deutschen Geschichte. Hatte doch die DDR einst in den Spuren Friedrich Engels' Müntzer zum revolutionären Vorläufer ihrer selbst stilisiert, dem Martin Luther als der konterrevolutionäre Fürstenknecht entgegengehalten wurde.
Dieser Sicht, die das überlieferte Bild beider radikal in Frage stellte, wurde von kirchenhistorischer Seite vehement widersprochen. Doch im Laufe der Zeit wich der literarische Krieg der Annäherung, ja der wechselseitigen Befruchtung. Auf der einen Seite nahm der zweite deutsche Staat, einer legitimierenden Verankerung in der deutschen Geschichte bedürftig, mit dem Paradigma der von Luther verkörperten "frühbürgerlichen Revolution" den Wittenberger bald als "einen der größten Deutschen" für sich in Anspruch. Die offizielle Geschichtsschreibung akzeptierte Frömmigkeit und Theologie als Elemente, die auf dieser Stufe der historischen Entwicklung legitim gewesen und auch für den nun zurücktretenden Müntzer in Anschlag zu bringen seien. Auf der anderen Seite rückte die Kirchengeschichtswissenschaft davon ab, in Luther das Maß aller reformatorischen Dinge zu sehen, und begann, Müntzer unbefangen zu betrachten.
Dabei wurden nicht nur die ethischen Motive hinter dessen Aufrufen zum gewaltsamen Umsturz gewürdigt, sondern der "radikale" Reformator kam auch als Theologe und Liturgiker in den Blick, der zwar von Luther gelernt hatte, doch dessen Anstöße mit anderen Einflüssen zu einem eigenständigen Entwurf christlichen Lebens entwickelte. Damit ist bereits das Programm des vorliegenden Buches skizziert. Denn die beiden Autoren, der eine einst ein führender Vertreter des Paradigmas der "frühbürgerlichen Revolution", der andere einer der gelehrtesten Reformationshistoriker der DDR, sind Exponenten dieser doppelten, aufeinander zuführenden Bewegung.
In ihrem Buch, dessen eher theologische Kapitel Bräuer, dessen stärker sozialgeschichtlich orientierte Kapitel Vogler verfasst hat, mündet diese Bewegung in die Präsentation einer theologisch-politischen "Alternative" zum Wittenberger Programm, die nicht ausgeblendet werden darf, wenn von der Reformation gesprochen wird. Man wünscht dem Buch eine baldige zweite Auflage. In ihr könnten dann manche Längen und vor allem der Mangel an sprachlicher Lektorierung behoben werden.
Thomas Kaufmanns "Erlöste und Verdammte" hat nicht eine einzelne Gestalt der Reformation zum Gegenstand, sondern das große Panorama. Nach seiner deutschen Reformationsgeschichte (2009, erweitert 2016), in dieser Zeitung zu Recht als "großer Wurf" bezeichnet, legt Deutschlands führender evangelischer Kirchenhistoriker der mittleren Generation hier eine Darstellung der Reformationsgeschichte Europas vor. Denn die Reformation war "von ihren ersten Anfängen an", nicht erst, wie oft behauptet, in ihrer calvinistischen Phase, ein europäisches, "internationales Ereignis". Und so werden, eingezeichnet in eine Skizze dessen, was Europa und die europäische Christenheit lateinischer Prägung politisch, kirchlich, kulturell um 1500 waren, das Aufkeimen, die Entwicklung und die Institutionalisierung oder Beseitigung der Reformation von Skandinavien und England bis Italien, von Spanien bis ins Baltikum und nach Siebenbürgen ins Auge gefasst. Angesichts dessen, dass Kaufmann diese tour d'horizon auf knappem Raum zu leisten hat, muss er im Wesentlichen verlässliches Konsenswissen bieten.
Grundlegend für seine Sicht der Reformation ist, dass er eine theologiegeschichtliche Engführung ablehnt. Das heißt, nicht schon die neuen theologischen Einsichten Luthers, Zwinglis, Calvins und anderer machen die Reformation aus. Sondern die Reformation ist erst deren Umsetzung in Aktion und kirchlich-gesellschaftliche Veränderung. Konkret bestimmt Kaufmann als europäische Reformation die mit Luthers Ablasskritik einsetzenden Umwälzungen, in deren Folge die römisch-katholische Kirche in unterschiedliche Konfessionen auseinanderbrach und von Rom unabhängige lokale, territoriale und nationale protestantische Kirchen entstanden. Das Ende dieser Umwälzungen und damit der Reformation sieht er dort, wo die neugebildeten Konfessionen institutionell gefestigt und rechtlich abgesichert waren. Aufs Ganze Europas gesehen, war dieser Prozess am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, mit dem Edikt von Nantes in Frankreich (1598), abgeschlossen. Kaufmann führt seine Präsentation des "reformatorischen Europas" denn auch bis 1600.
Mit dem Einsatz bei Luthers Ablasskritik, die für Kaufmann ebenso banal wie wahrscheinlich mit dem Anschlag der 95 Ablassthesen am Schwarzen Brett der Wittenberger Universität, der Schlosskirchentür, verbunden war, steht für seine Darstellung fest: So vielfältig und international die Reformation auch wurde - "am Anfang war Luther". Deshalb muss auch in einer Darstellung der europäischen Reformation, die weit über Luther hinaus und nicht selten auch von ihm wegführte, mit Nachdruck von diesem Ausgangspunkt die Rede sein. Entstand doch "keine der reformatorischen Bewegungen und Veränderungsprozesse in den einzelnen europäischen Ländern ... unabhängig von Luther und den Vorgängen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation", die er auslöste.
Diese fundamentale Rolle Luthers war den historischen Konstellationen um 1520 in Deutschland geschuldet. Kaufmann macht verschiedene kirchliche, kulturelle und politische Faktoren aus, die zu Luthers Wirkung beitrugen, vor allem aber stellt er die durch die Erfindung des Buchdrucks gegebenen Möglichkeiten der Publizistik heraus. Luther hatte Erfolg, ja, er überlebte, weil der Druck den Raum einer potentiell unendlichen Öffentlichkeit schuf, die ihn schützte und die seine Gedanken unabhängig von allen Repressionen uneinholbar in der Welt hielt. So war Luther, im Unterschied zu dem vor Erfindung des Drucks wirkenden und auf dem Scheiterhaufen endenden Jan Hus, "der erste rechtskräftig verurteilte Ketzer, der sein Überleben dem Printmedium verdankte". Umgekehrt war er der Erste, der, im Dienst seiner enormen schriftstellerischen Begabung, die Möglichkeiten entdeckte und nutzte, die dieses neue Medium seinen Worten verlieh.
Kaufmann führt den ungeheuren Erfolg, den Luthers Schriften durch den Druck hatten, nicht allein für Deutschland vor. Sondern er zeigt auch quer durch die lateineuropäischen Länder und Regionen, wie dort schon sehr früh Lutherdrucke vertrieben wurden, ihre Leser fanden und eigene reformatorische Impulse auslösten. In diesen präzise belegten Befunden sieht er die Wurzel der "Europäizität der Reformation" - das macht die spezifische Sicht seiner Reformationsgeschichte aus. Mit dem publizistischen Erfolg war die Verbreitung bestimmter Kernanliegen des gerade zum Reformator werdenden Wittenbergers gegeben. Es waren Anliegen von einer noch vorkonfessionellen, "vorlutherischen" evangelischen Offenheit, wie sie die ersten Jahre der Reformation kennzeichneten: die Berufung auf die Bibel allein, die zentrale Stellung des Glaubens, der geistliche Rang der Laien, die Ablehnung der diesen Anliegen widersprechenden römischen Kirche.
In den folgenden Jahren gerannen sie zu Konzeptionen, in denen sie, präzisiert, fortgeschrieben und mit den Einsichten unterschiedlicher Bewegungen und Reformatoren verschmolzen, nun als lutherische, reformierte, "radikale" und andere in Gegensatz zueinander traten. Und in den meisten Fällen verbanden sie sich, der politischen Unterstützung der Gegenreformation Paroli bietend, mit der Obrigkeit und wurden, den frühreformatorischen Impulsen widersprechend, zu "verstaatlichter Religion". Für den neuzeitlichen Protestantismus bildet die Reformation den identitätsstiftenden Referenzpunkt wegen des "Zaubers", der von jenem offenen vorkonfessionellen und vorstaatlichen Anfang ausgeht. Ein Zauber, den der Autor am Schluss selbst noch einmal beschwört.
DOROTHEA WENDEBOURG.
Thomas Kaufmann: "Erlöste und Verdammte". Eine Geschichte der Reformation.
Verlag C. H. Beck, München 2016. 508 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
Siegfried Bräuer und Günter Vogler: "Thomas Müntzer". Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biographie.
Gütersloher Verlagshaus, München 2016. 542 S., Abb., geb., 58,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es kann nicht nur um Luther gehen: Eine Biographie revidiert das Bild Thomas Müntzers, und eine Reformationsgeschichte setzt europäische Akzente.
Das mit raschen Schritten heranrückende Reformationsjubiläum scheint zum Luther-Event, zur Dublette des Jubiläums von 1983 zu schrumpfen. Die Evangelische Kirche in Deutschland, als Gemeinschaft verschiedenkonfessioneller evangelischer Kirchen eigentlich zu einem weiteren Blick prädestiniert, arbeitet sich in Lobpreis und Distanzierung an dem Wittenberger Reformator ab, und der Buchmarkt quillt über von neuen, selten innovativen Lutherbüchern. Umso erfreulicher ist es, dass auch Werke erscheinen, die die Reformation als ein Geschehen präsentieren, für das Luther unleugbar entscheidende Bedeutung hatte, das aber vielstimmig war und das weit über Wittenberg, ja über Deutschland hinaus Kirche und Gesellschaft ergriff.
Siegfried Bräuers und Günter Voglers Monographie "Thomas Müntzer" ist ein Ereignis. Das Buch trägt nicht nur die Ergebnisse der Forschung über den "radikalen" Reformator Müntzer zusammen, die in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Autoren selbst erarbeitet wurden. Es spiegelt auch die konstruktive Auflösung einer jahrzehntelangen ideologischen und geschichtspolitischen Auseinandersetzung während der vorletzten Phase der deutschen Geschichte. Hatte doch die DDR einst in den Spuren Friedrich Engels' Müntzer zum revolutionären Vorläufer ihrer selbst stilisiert, dem Martin Luther als der konterrevolutionäre Fürstenknecht entgegengehalten wurde.
Dieser Sicht, die das überlieferte Bild beider radikal in Frage stellte, wurde von kirchenhistorischer Seite vehement widersprochen. Doch im Laufe der Zeit wich der literarische Krieg der Annäherung, ja der wechselseitigen Befruchtung. Auf der einen Seite nahm der zweite deutsche Staat, einer legitimierenden Verankerung in der deutschen Geschichte bedürftig, mit dem Paradigma der von Luther verkörperten "frühbürgerlichen Revolution" den Wittenberger bald als "einen der größten Deutschen" für sich in Anspruch. Die offizielle Geschichtsschreibung akzeptierte Frömmigkeit und Theologie als Elemente, die auf dieser Stufe der historischen Entwicklung legitim gewesen und auch für den nun zurücktretenden Müntzer in Anschlag zu bringen seien. Auf der anderen Seite rückte die Kirchengeschichtswissenschaft davon ab, in Luther das Maß aller reformatorischen Dinge zu sehen, und begann, Müntzer unbefangen zu betrachten.
Dabei wurden nicht nur die ethischen Motive hinter dessen Aufrufen zum gewaltsamen Umsturz gewürdigt, sondern der "radikale" Reformator kam auch als Theologe und Liturgiker in den Blick, der zwar von Luther gelernt hatte, doch dessen Anstöße mit anderen Einflüssen zu einem eigenständigen Entwurf christlichen Lebens entwickelte. Damit ist bereits das Programm des vorliegenden Buches skizziert. Denn die beiden Autoren, der eine einst ein führender Vertreter des Paradigmas der "frühbürgerlichen Revolution", der andere einer der gelehrtesten Reformationshistoriker der DDR, sind Exponenten dieser doppelten, aufeinander zuführenden Bewegung.
In ihrem Buch, dessen eher theologische Kapitel Bräuer, dessen stärker sozialgeschichtlich orientierte Kapitel Vogler verfasst hat, mündet diese Bewegung in die Präsentation einer theologisch-politischen "Alternative" zum Wittenberger Programm, die nicht ausgeblendet werden darf, wenn von der Reformation gesprochen wird. Man wünscht dem Buch eine baldige zweite Auflage. In ihr könnten dann manche Längen und vor allem der Mangel an sprachlicher Lektorierung behoben werden.
Thomas Kaufmanns "Erlöste und Verdammte" hat nicht eine einzelne Gestalt der Reformation zum Gegenstand, sondern das große Panorama. Nach seiner deutschen Reformationsgeschichte (2009, erweitert 2016), in dieser Zeitung zu Recht als "großer Wurf" bezeichnet, legt Deutschlands führender evangelischer Kirchenhistoriker der mittleren Generation hier eine Darstellung der Reformationsgeschichte Europas vor. Denn die Reformation war "von ihren ersten Anfängen an", nicht erst, wie oft behauptet, in ihrer calvinistischen Phase, ein europäisches, "internationales Ereignis". Und so werden, eingezeichnet in eine Skizze dessen, was Europa und die europäische Christenheit lateinischer Prägung politisch, kirchlich, kulturell um 1500 waren, das Aufkeimen, die Entwicklung und die Institutionalisierung oder Beseitigung der Reformation von Skandinavien und England bis Italien, von Spanien bis ins Baltikum und nach Siebenbürgen ins Auge gefasst. Angesichts dessen, dass Kaufmann diese tour d'horizon auf knappem Raum zu leisten hat, muss er im Wesentlichen verlässliches Konsenswissen bieten.
Grundlegend für seine Sicht der Reformation ist, dass er eine theologiegeschichtliche Engführung ablehnt. Das heißt, nicht schon die neuen theologischen Einsichten Luthers, Zwinglis, Calvins und anderer machen die Reformation aus. Sondern die Reformation ist erst deren Umsetzung in Aktion und kirchlich-gesellschaftliche Veränderung. Konkret bestimmt Kaufmann als europäische Reformation die mit Luthers Ablasskritik einsetzenden Umwälzungen, in deren Folge die römisch-katholische Kirche in unterschiedliche Konfessionen auseinanderbrach und von Rom unabhängige lokale, territoriale und nationale protestantische Kirchen entstanden. Das Ende dieser Umwälzungen und damit der Reformation sieht er dort, wo die neugebildeten Konfessionen institutionell gefestigt und rechtlich abgesichert waren. Aufs Ganze Europas gesehen, war dieser Prozess am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, mit dem Edikt von Nantes in Frankreich (1598), abgeschlossen. Kaufmann führt seine Präsentation des "reformatorischen Europas" denn auch bis 1600.
Mit dem Einsatz bei Luthers Ablasskritik, die für Kaufmann ebenso banal wie wahrscheinlich mit dem Anschlag der 95 Ablassthesen am Schwarzen Brett der Wittenberger Universität, der Schlosskirchentür, verbunden war, steht für seine Darstellung fest: So vielfältig und international die Reformation auch wurde - "am Anfang war Luther". Deshalb muss auch in einer Darstellung der europäischen Reformation, die weit über Luther hinaus und nicht selten auch von ihm wegführte, mit Nachdruck von diesem Ausgangspunkt die Rede sein. Entstand doch "keine der reformatorischen Bewegungen und Veränderungsprozesse in den einzelnen europäischen Ländern ... unabhängig von Luther und den Vorgängen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation", die er auslöste.
Diese fundamentale Rolle Luthers war den historischen Konstellationen um 1520 in Deutschland geschuldet. Kaufmann macht verschiedene kirchliche, kulturelle und politische Faktoren aus, die zu Luthers Wirkung beitrugen, vor allem aber stellt er die durch die Erfindung des Buchdrucks gegebenen Möglichkeiten der Publizistik heraus. Luther hatte Erfolg, ja, er überlebte, weil der Druck den Raum einer potentiell unendlichen Öffentlichkeit schuf, die ihn schützte und die seine Gedanken unabhängig von allen Repressionen uneinholbar in der Welt hielt. So war Luther, im Unterschied zu dem vor Erfindung des Drucks wirkenden und auf dem Scheiterhaufen endenden Jan Hus, "der erste rechtskräftig verurteilte Ketzer, der sein Überleben dem Printmedium verdankte". Umgekehrt war er der Erste, der, im Dienst seiner enormen schriftstellerischen Begabung, die Möglichkeiten entdeckte und nutzte, die dieses neue Medium seinen Worten verlieh.
Kaufmann führt den ungeheuren Erfolg, den Luthers Schriften durch den Druck hatten, nicht allein für Deutschland vor. Sondern er zeigt auch quer durch die lateineuropäischen Länder und Regionen, wie dort schon sehr früh Lutherdrucke vertrieben wurden, ihre Leser fanden und eigene reformatorische Impulse auslösten. In diesen präzise belegten Befunden sieht er die Wurzel der "Europäizität der Reformation" - das macht die spezifische Sicht seiner Reformationsgeschichte aus. Mit dem publizistischen Erfolg war die Verbreitung bestimmter Kernanliegen des gerade zum Reformator werdenden Wittenbergers gegeben. Es waren Anliegen von einer noch vorkonfessionellen, "vorlutherischen" evangelischen Offenheit, wie sie die ersten Jahre der Reformation kennzeichneten: die Berufung auf die Bibel allein, die zentrale Stellung des Glaubens, der geistliche Rang der Laien, die Ablehnung der diesen Anliegen widersprechenden römischen Kirche.
In den folgenden Jahren gerannen sie zu Konzeptionen, in denen sie, präzisiert, fortgeschrieben und mit den Einsichten unterschiedlicher Bewegungen und Reformatoren verschmolzen, nun als lutherische, reformierte, "radikale" und andere in Gegensatz zueinander traten. Und in den meisten Fällen verbanden sie sich, der politischen Unterstützung der Gegenreformation Paroli bietend, mit der Obrigkeit und wurden, den frühreformatorischen Impulsen widersprechend, zu "verstaatlichter Religion". Für den neuzeitlichen Protestantismus bildet die Reformation den identitätsstiftenden Referenzpunkt wegen des "Zaubers", der von jenem offenen vorkonfessionellen und vorstaatlichen Anfang ausgeht. Ein Zauber, den der Autor am Schluss selbst noch einmal beschwört.
DOROTHEA WENDEBOURG.
Thomas Kaufmann: "Erlöste und Verdammte". Eine Geschichte der Reformation.
Verlag C. H. Beck, München 2016. 508 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
Siegfried Bräuer und Günter Vogler: "Thomas Müntzer". Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biographie.
Gütersloher Verlagshaus, München 2016. 542 S., Abb., geb., 58,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die souveräne, kenntnisreiche und durchdachte Darstellung des Gesamtphänomens der Reformation wird für lange Zeit ein unverzichtbares Referenzwerk bleiben."
Klaus Unterburger, sehepunkte, 15. Oktober 2017
"Ein kulturgeschichtlicher Thriller."
Michael Kluger, Frankfurter Neue Presse, 1. Juli 2017
"This illuminating and wide-ranging history brings together an extraordinary wealth of knowledge of the Reformation and its history."
Charlotte Methuen, The Times, Mai 2017
"Brillante, tiefgehende Reformationsgeschichte."
Cord Aschenbrenner, Neue Zürcher Zeitung, 1. April 2017
"Ausgezeichnet gelungen."
Gießener Allgemeine, 4. Februar 2017
"Das beste Buch zum Jubiläum."
Johann Hinrich Claussen, Die Zeit, 29. Dezember 2016
"Eine äußerst faktenreiche Geschichte dieser Bewegung (...), die Europa in Aufruhr versetzte."
Der SPIEGEL, 29. Oktober 2016
Klaus Unterburger, sehepunkte, 15. Oktober 2017
"Ein kulturgeschichtlicher Thriller."
Michael Kluger, Frankfurter Neue Presse, 1. Juli 2017
"This illuminating and wide-ranging history brings together an extraordinary wealth of knowledge of the Reformation and its history."
Charlotte Methuen, The Times, Mai 2017
"Brillante, tiefgehende Reformationsgeschichte."
Cord Aschenbrenner, Neue Zürcher Zeitung, 1. April 2017
"Ausgezeichnet gelungen."
Gießener Allgemeine, 4. Februar 2017
"Das beste Buch zum Jubiläum."
Johann Hinrich Claussen, Die Zeit, 29. Dezember 2016
"Eine äußerst faktenreiche Geschichte dieser Bewegung (...), die Europa in Aufruhr versetzte."
Der SPIEGEL, 29. Oktober 2016