Ernest Hemingway ist immer noch einer der populärsten Autoren der klassischen Moderne, sein Bild oszillierend zwischen Metaphysiker, Macho und medialem Selbstdarsteller von hohen Graden. Ein erneuter, frischer Blick auf seine Romane und Kurzgeschichten zeigt einen sehr viel sensibleren, sehr viel weniger machistischen Hemingway, als die feministische Kritik herausgestellt hat. Den Hemingway'schen Held plagen weit mehr Widersprüche und Selbstzweifel, als diejenigen wahrhaben wollen, denen er als Projektionsfigur männlicher Idealbilder dient.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2011Mit Frauen, mit Whisky, mit sehr großen Fischen
Das Beste am E-Book sind die O-Töne. Sonst sollten die deutschen Verlage noch etwas üben. Ein Selbstversuch mit Hemingway-digitalplus
Die Leser in Deutschland sind ja immer noch keine großen E-Book-Freunde. Während Amazon verkündet, dass in Amerika inzwischen auf 100 verkaufte Papierbücher 105 E-Books kommen, ist der Markt für Elektrobücher in Deutschland nach wie vor winzig. Und auch, wenn die Wachstumsraten in diesem Segment seit einigen Jahren knapp zweistellig sind, bleibt der Sockel, von dem man ausgeht, nach wie vor klein. Das liegt nicht nur an den langsamen, papierbegeisterten, traditionsfreudigen deutschen Lesern. Es gab hierzulande lange Zeit einfach kein adäquates Angebot, weil sich die Verlage mit den E-Book-Vertreibern nicht auf die Gewinnmargen einigen konnten.
Das ist jetzt seit einer Weile geregelt, doch das Geschäft stockt nach wie vor, was mit an der Buchpreisbindung liegen mag, beziehungsweise an der Preispolitik deutscher Verlage: Viele Kunden sehen nicht ein, warum der Preis für ein E-Book, das den Verlag weder mit Papier-, Druck-, Buchbinde- noch mit Versandkosten belastet, ebenso hoch sein soll wie für ein Papierbuch, dessen Preis sich aus eben diesen Faktoren zusammensetzt. Als der Schweizer Online-Buchhändler Ex Libris vor gut zwei Wochen eine Rabattaktion von dreißig Prozent auf alle E-Books ankündigte, ließen deutsche Verlage ihre E-Books für Ex Libris sperren. Der Buchhändler spricht von Boykott, die deutschen Verlage von einem Angriff auf die Buchpreisbindung. Der Buchkäufer schaut staunend, ratlos zu.
Es gibt aber auch Versuche, E-Book-Käufer nicht durch Herabsetzung des Preises zu gewinnen, sondern durch Anreicherung des Produktes: Das sogenannte "enriched" oder "enhanced E-Book". Gut, also, an dem Namen sollte man vielleicht noch arbeiten. Man muss kein verbissener Kämpfer gegen Anglizismen sein, um diese Bezeichnung etwas sperrig zu finden. Gemeint ist ja einfach nur, dass dieses E-Book mehr kann als sein gedrucktes Pendant, weil es die technischen Möglichkeiten nutzt, die das neue Medium bietet. Die Verlage stehen da auch noch ziemlich am Anfang, sie testen, was möglich ist, was sinnvoll ist, was bezahlbar ist.
Letzten Herbst präsentierte Bastei-Lübbe den neuen Roman Ken Folletts in einer angereicherten E-Book-Version, die, in Zusammenarbeit mit dem Autor, extra für den deutschen Markt entwickelt wurde. Und der Rowohlt-Verlag treibt das Geschäft mit den Groß-E-Books zurzeit scheinbar am entschlossensten voran, er konzentriert sich dabei besonders auf seine traditionsreichen "Rowohlt-Monographien", deren bunte Bände zwar heute jedes Antiquariat in großer Zahl schmücken, die aber neu kaum noch gekauft werden. Mit zwanzig Millionen verkauften Bänden war die Reihe jahrelang ein verlässlicher Umsatzbringer. Doch in Zeiten von Wikipedia und anderen gratis im Internet verfügbaren biographischen Basisinformationen ist diese ganze Reihe eine Idee der Vergangenheit.
Es sei denn, man schafft den Elektroumschwung und bringt vielleicht sogar Leute, die schon eine Monographie über den Autor zu Hause haben, dazu, ein E-Book-Extra zu kaufen. Mit Einstein ging es los, dann kam Mozart, jetzt kommt neu heraus: Hemingway von Hans-Peter Rodenberg, fürs iPad und iPhone, als "digitalbuchplus" für 12,99 Euro bei iTunes - das sind drei Euro mehr, als das Buch aus Papier kostet. Was kann es besser als sein alter Bruder? Also, erst mal dauert es etwa zwanzig Minuten, bis das Buch geladen ist. Dann geht alles schnell, es beginnt sehr übersichtlich. In der türkis leuchtenden Inhaltsangabe wird durch Symbole angezeigt, welche Kapitel zusätzliche Elemente enthalten, also Filme, Dokumente, Hörproben. Das ist zunächst etwas ernüchternd: Die ersten beiden Kapitel sind unverändert, unenriched. Das liest sich wie alle Texte auf dem iPad, sehr angenehm, die Schrift lässt sich vergrößern, das Layout ist ruhig, die Bilder leuchten schön. Das Setzen von Lesezeichen allerdings ist unpraktisch, man muss den Text quasi an die Stelle des Bildschirms schieben, an der Lesezeichen gesetzt werden. Man kann sich daran gewöhnen, fühlt sich aber von der Technik irgendwie nicht ganz ernst genommen. Und dass man die mit Lesezeichen markierten Stellen nur kapitelweise aufrufen kann, ist richtig ärgerlich. Auch eine Suchfunktion gibt es nicht. Lediglich lässt sich aus dem hinten angefügten Namensregister mittels Berührung der Seitenzahl direkt auf die erwähnte Seite switchen.
Gut und schön, aber bevor man sich in technischen Details verliert, will man doch endlich mal etwas Digitalplushaftes sehen! In Kapitel drei ("Krieg, Verwundung und erste Liebe") geht es los, das "Style Sheet des Kansas Star", wo Hemingway das Schreiben lernte, ist faksimiliert. Okay, so etwas kann das Papierbuch auch, weiter also. Als Nächstes kommt ein Video, in dem der Biograph zu uns spricht. Und das ist nun tatsächlich kolossal überflüssig. Ein mittelalter Herr mit grauem Haar, grauem Hemd, grauer Krawatte, links neben sich eine Orchidee, rechts ein CD-Regal, spricht über "Hemingways Verhältnis zu seiner Mutter": Es sei "immer sehr gespalten gewesen", Ernest habe sie "sicherlich einerseits sehr bewundert", und "sie war schon jemand, der an den Künsten sehr interessiert war", und abschließend könnte man sagen, "das Verhältnis zu seiner Mutter ist eine starke Antriebsfeder zur Auseinandersetzung mit dem Thema Männlichkeit gewesen". Aaaaaah! Genau deshalb lesen wir aber doch Bücher, um von solchem Blablabla bitte verschont zu bleiben!
Man hat erstens Mitleid mit dem Herrn Rodenberg, den man in seinem Text doch gerade erst als einen recht kompetenten, klugen Formulierer kennengelernt hat und der nun als Orchideenplauderer vor einem steht. Zweitens ist man ärgerlich, weil man die Zeit mit solchem Quatsch vertut. Ist ja auch völlig überflüssig. Selbst wenn Rodenberg ein begnadeter Lebensgeschichten-vor-der-Kamera-Erzähler wäre, würde man genau das ja lieber lesen - wo man schon mal beim Lesen ist.
Etwas anderes ist es natürlich mit Original-Filmaufnahmen. Auch davon gibt es eine ganze Menge in dieser Monographie. Sie sind herrlich anzusehen, sie fügen sich gut in den Text ein, am schönsten im Kapitel über Hemingways dritte Frau, die Kriegsreporterin Martha Gellhorn. Erst kann man die Fotoreportage über die zwei aus dem "Life Magazine" anschauen und lesen (albernes Detail: Sogar die Übersetzung der Fotounterzeilen kann man sich vorlesen lassen!). Folgt eine Filmreportage über einen Jagdausflug in Sun Valley. Großartig! Zuerst sieht man nur ein paar Stiefel im Gras, eine weibliche Reporterstimme sagt, dass diese Stiefel schon im Spanischen Bürgerkrieg getragen wurden ("No fancy Hollywood-boots these . . .") und dass sie Ernest Hemingway gehören. Und dann sieht man ihn schon, mit Schirmmütze, Jagdgewehr, Zigarette, er erklärt einigen Freunden den richtigen Schuss, dann kommt Gary Cooper ins Bild, dann die Tochter von Präsident Roosevelt und schließlich, im weißen Jagdkostüm: Martha Gellhorn, elegant, etwas hibbelig. Es laufen jede Menge Hasen durchs Bild, keiner wird getroffen. Etwas irritierend die Filmunterschrift, die von "Entenjagd" spricht. Doch gegen Ende scheint die Jagdgesellschaft wirklich noch auf Enten zu zielen, in einer dramatischen Schlucht, man sieht sie nur leider nicht.
Hier sieht man, was möglich ist in einem solchen Buch. Dafür unterbricht man gern das Lesen, es fügt sich flüssig ein und ist ein unbedingter Gewinn. Es gibt auch noch jede Menge Tondokumente, Hemingway liest Gedichte, mit seiner tiefen Stimme, seiner gedehnten, unendlich langsamen Diktion. Er parodiert sich selbst, er erfindet Sexgeschichten mit Mata Hari. Dann ein Zusammenschnitt des Films "Spanish Earth", von Hemingway kommentiert, und der Empfang in seiner Finca Vigía für Journalisten und Freunde, nachdem er den Nobelpreis erhalten hatte. Dazwischen gibt es immer wieder Filme, die Hemingway zeigen, beim Hochseeangeln natürlich, mit Frauen, mit Whisky, mit sehr, sehr großen Fischen. Diese Filme wirken ungeheuer beruhigend, mal in Farbe, mal in Schwarzweiß. Alle ohne Ton. Am Ende, direkt bevor der Band, wie in alten Papiermonographien, mit der Unterschrift des Beschriebenen endet, noch einmal ein Bootsfilm: jetzt in einem Hafen mit seiner letzten Frau Mary. Hier hapert es noch etwas mit der Inszenierungskunst. Der Film ist zu beiläufig für das Ende dieses Lebens. Die erste Hemingway-Monographie bei Rowohlt von 1961 wurde durch ein großartig-dramatisches doppelseitiges Beerdigungspanorama beschlossen: weite Landschaft, Berge, große Autos, links der Sarg und schwarze Männer.
Die Verlage müssen mit dem neuen Medium noch etwas üben. Das Potential ist sicher groß. Ach ja, und das Buch bietet auch die Möglichkeit, an eine Gruppe von Lesern Fragen zu stellen. Allgemein über Literatur oder speziell zu diesem Buch. Die Hemingway-Monographie ist noch ganz frisch. Nur einer hatte vor mir eine Frage an das Buch gestellt. Ein User namens Matussek fragt: "Warum und wann konvertierte Hemingway zum Katholizismus?"
VOLKER WEIDERMANN
Hans-Peter Rodenberg: "Ernest Hemingway". Rowohlt digitalbuchplus, über iTunes 12,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Beste am E-Book sind die O-Töne. Sonst sollten die deutschen Verlage noch etwas üben. Ein Selbstversuch mit Hemingway-digitalplus
Die Leser in Deutschland sind ja immer noch keine großen E-Book-Freunde. Während Amazon verkündet, dass in Amerika inzwischen auf 100 verkaufte Papierbücher 105 E-Books kommen, ist der Markt für Elektrobücher in Deutschland nach wie vor winzig. Und auch, wenn die Wachstumsraten in diesem Segment seit einigen Jahren knapp zweistellig sind, bleibt der Sockel, von dem man ausgeht, nach wie vor klein. Das liegt nicht nur an den langsamen, papierbegeisterten, traditionsfreudigen deutschen Lesern. Es gab hierzulande lange Zeit einfach kein adäquates Angebot, weil sich die Verlage mit den E-Book-Vertreibern nicht auf die Gewinnmargen einigen konnten.
Das ist jetzt seit einer Weile geregelt, doch das Geschäft stockt nach wie vor, was mit an der Buchpreisbindung liegen mag, beziehungsweise an der Preispolitik deutscher Verlage: Viele Kunden sehen nicht ein, warum der Preis für ein E-Book, das den Verlag weder mit Papier-, Druck-, Buchbinde- noch mit Versandkosten belastet, ebenso hoch sein soll wie für ein Papierbuch, dessen Preis sich aus eben diesen Faktoren zusammensetzt. Als der Schweizer Online-Buchhändler Ex Libris vor gut zwei Wochen eine Rabattaktion von dreißig Prozent auf alle E-Books ankündigte, ließen deutsche Verlage ihre E-Books für Ex Libris sperren. Der Buchhändler spricht von Boykott, die deutschen Verlage von einem Angriff auf die Buchpreisbindung. Der Buchkäufer schaut staunend, ratlos zu.
Es gibt aber auch Versuche, E-Book-Käufer nicht durch Herabsetzung des Preises zu gewinnen, sondern durch Anreicherung des Produktes: Das sogenannte "enriched" oder "enhanced E-Book". Gut, also, an dem Namen sollte man vielleicht noch arbeiten. Man muss kein verbissener Kämpfer gegen Anglizismen sein, um diese Bezeichnung etwas sperrig zu finden. Gemeint ist ja einfach nur, dass dieses E-Book mehr kann als sein gedrucktes Pendant, weil es die technischen Möglichkeiten nutzt, die das neue Medium bietet. Die Verlage stehen da auch noch ziemlich am Anfang, sie testen, was möglich ist, was sinnvoll ist, was bezahlbar ist.
Letzten Herbst präsentierte Bastei-Lübbe den neuen Roman Ken Folletts in einer angereicherten E-Book-Version, die, in Zusammenarbeit mit dem Autor, extra für den deutschen Markt entwickelt wurde. Und der Rowohlt-Verlag treibt das Geschäft mit den Groß-E-Books zurzeit scheinbar am entschlossensten voran, er konzentriert sich dabei besonders auf seine traditionsreichen "Rowohlt-Monographien", deren bunte Bände zwar heute jedes Antiquariat in großer Zahl schmücken, die aber neu kaum noch gekauft werden. Mit zwanzig Millionen verkauften Bänden war die Reihe jahrelang ein verlässlicher Umsatzbringer. Doch in Zeiten von Wikipedia und anderen gratis im Internet verfügbaren biographischen Basisinformationen ist diese ganze Reihe eine Idee der Vergangenheit.
Es sei denn, man schafft den Elektroumschwung und bringt vielleicht sogar Leute, die schon eine Monographie über den Autor zu Hause haben, dazu, ein E-Book-Extra zu kaufen. Mit Einstein ging es los, dann kam Mozart, jetzt kommt neu heraus: Hemingway von Hans-Peter Rodenberg, fürs iPad und iPhone, als "digitalbuchplus" für 12,99 Euro bei iTunes - das sind drei Euro mehr, als das Buch aus Papier kostet. Was kann es besser als sein alter Bruder? Also, erst mal dauert es etwa zwanzig Minuten, bis das Buch geladen ist. Dann geht alles schnell, es beginnt sehr übersichtlich. In der türkis leuchtenden Inhaltsangabe wird durch Symbole angezeigt, welche Kapitel zusätzliche Elemente enthalten, also Filme, Dokumente, Hörproben. Das ist zunächst etwas ernüchternd: Die ersten beiden Kapitel sind unverändert, unenriched. Das liest sich wie alle Texte auf dem iPad, sehr angenehm, die Schrift lässt sich vergrößern, das Layout ist ruhig, die Bilder leuchten schön. Das Setzen von Lesezeichen allerdings ist unpraktisch, man muss den Text quasi an die Stelle des Bildschirms schieben, an der Lesezeichen gesetzt werden. Man kann sich daran gewöhnen, fühlt sich aber von der Technik irgendwie nicht ganz ernst genommen. Und dass man die mit Lesezeichen markierten Stellen nur kapitelweise aufrufen kann, ist richtig ärgerlich. Auch eine Suchfunktion gibt es nicht. Lediglich lässt sich aus dem hinten angefügten Namensregister mittels Berührung der Seitenzahl direkt auf die erwähnte Seite switchen.
Gut und schön, aber bevor man sich in technischen Details verliert, will man doch endlich mal etwas Digitalplushaftes sehen! In Kapitel drei ("Krieg, Verwundung und erste Liebe") geht es los, das "Style Sheet des Kansas Star", wo Hemingway das Schreiben lernte, ist faksimiliert. Okay, so etwas kann das Papierbuch auch, weiter also. Als Nächstes kommt ein Video, in dem der Biograph zu uns spricht. Und das ist nun tatsächlich kolossal überflüssig. Ein mittelalter Herr mit grauem Haar, grauem Hemd, grauer Krawatte, links neben sich eine Orchidee, rechts ein CD-Regal, spricht über "Hemingways Verhältnis zu seiner Mutter": Es sei "immer sehr gespalten gewesen", Ernest habe sie "sicherlich einerseits sehr bewundert", und "sie war schon jemand, der an den Künsten sehr interessiert war", und abschließend könnte man sagen, "das Verhältnis zu seiner Mutter ist eine starke Antriebsfeder zur Auseinandersetzung mit dem Thema Männlichkeit gewesen". Aaaaaah! Genau deshalb lesen wir aber doch Bücher, um von solchem Blablabla bitte verschont zu bleiben!
Man hat erstens Mitleid mit dem Herrn Rodenberg, den man in seinem Text doch gerade erst als einen recht kompetenten, klugen Formulierer kennengelernt hat und der nun als Orchideenplauderer vor einem steht. Zweitens ist man ärgerlich, weil man die Zeit mit solchem Quatsch vertut. Ist ja auch völlig überflüssig. Selbst wenn Rodenberg ein begnadeter Lebensgeschichten-vor-der-Kamera-Erzähler wäre, würde man genau das ja lieber lesen - wo man schon mal beim Lesen ist.
Etwas anderes ist es natürlich mit Original-Filmaufnahmen. Auch davon gibt es eine ganze Menge in dieser Monographie. Sie sind herrlich anzusehen, sie fügen sich gut in den Text ein, am schönsten im Kapitel über Hemingways dritte Frau, die Kriegsreporterin Martha Gellhorn. Erst kann man die Fotoreportage über die zwei aus dem "Life Magazine" anschauen und lesen (albernes Detail: Sogar die Übersetzung der Fotounterzeilen kann man sich vorlesen lassen!). Folgt eine Filmreportage über einen Jagdausflug in Sun Valley. Großartig! Zuerst sieht man nur ein paar Stiefel im Gras, eine weibliche Reporterstimme sagt, dass diese Stiefel schon im Spanischen Bürgerkrieg getragen wurden ("No fancy Hollywood-boots these . . .") und dass sie Ernest Hemingway gehören. Und dann sieht man ihn schon, mit Schirmmütze, Jagdgewehr, Zigarette, er erklärt einigen Freunden den richtigen Schuss, dann kommt Gary Cooper ins Bild, dann die Tochter von Präsident Roosevelt und schließlich, im weißen Jagdkostüm: Martha Gellhorn, elegant, etwas hibbelig. Es laufen jede Menge Hasen durchs Bild, keiner wird getroffen. Etwas irritierend die Filmunterschrift, die von "Entenjagd" spricht. Doch gegen Ende scheint die Jagdgesellschaft wirklich noch auf Enten zu zielen, in einer dramatischen Schlucht, man sieht sie nur leider nicht.
Hier sieht man, was möglich ist in einem solchen Buch. Dafür unterbricht man gern das Lesen, es fügt sich flüssig ein und ist ein unbedingter Gewinn. Es gibt auch noch jede Menge Tondokumente, Hemingway liest Gedichte, mit seiner tiefen Stimme, seiner gedehnten, unendlich langsamen Diktion. Er parodiert sich selbst, er erfindet Sexgeschichten mit Mata Hari. Dann ein Zusammenschnitt des Films "Spanish Earth", von Hemingway kommentiert, und der Empfang in seiner Finca Vigía für Journalisten und Freunde, nachdem er den Nobelpreis erhalten hatte. Dazwischen gibt es immer wieder Filme, die Hemingway zeigen, beim Hochseeangeln natürlich, mit Frauen, mit Whisky, mit sehr, sehr großen Fischen. Diese Filme wirken ungeheuer beruhigend, mal in Farbe, mal in Schwarzweiß. Alle ohne Ton. Am Ende, direkt bevor der Band, wie in alten Papiermonographien, mit der Unterschrift des Beschriebenen endet, noch einmal ein Bootsfilm: jetzt in einem Hafen mit seiner letzten Frau Mary. Hier hapert es noch etwas mit der Inszenierungskunst. Der Film ist zu beiläufig für das Ende dieses Lebens. Die erste Hemingway-Monographie bei Rowohlt von 1961 wurde durch ein großartig-dramatisches doppelseitiges Beerdigungspanorama beschlossen: weite Landschaft, Berge, große Autos, links der Sarg und schwarze Männer.
Die Verlage müssen mit dem neuen Medium noch etwas üben. Das Potential ist sicher groß. Ach ja, und das Buch bietet auch die Möglichkeit, an eine Gruppe von Lesern Fragen zu stellen. Allgemein über Literatur oder speziell zu diesem Buch. Die Hemingway-Monographie ist noch ganz frisch. Nur einer hatte vor mir eine Frage an das Buch gestellt. Ein User namens Matussek fragt: "Warum und wann konvertierte Hemingway zum Katholizismus?"
VOLKER WEIDERMANN
Hans-Peter Rodenberg: "Ernest Hemingway". Rowohlt digitalbuchplus, über iTunes 12,99 Euro
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