Produktdetails
- Verlag: Philo
- ISBN-13: 9783825703578
- ISBN-10: 3825703576
- Artikelnr.: 20808967
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2004Harter Aufsetzer
Wie Arno Münster mit seiner Bloch-Biographie bei Philo gelandet ist
Vielleicht sollte man nicht so kleinlich sein. An der Fassung, bei der die Suhrkamp-Lektoren das Handtuch warfen, ist im Philo-Verlag noch einmal hart gearbeitet worden. Und was an Fehlern übrig blieb, ist kaum von inhaltlicher Bedeutung. Schauen wir einmal hin: Die Lietzenburger Straße liegt zwar zum größten Teil in Berlin-Charlottenburg, aber eben nicht deren Hausnummer 7. Wer mit dem Zug von München nach Venedig fährt, steigt nicht in Mailand in einen Expreßzug um, der dann "über den Gardasee, Verona, Brescia" fährt; wer von Venedig nach Paris oder von Paris nach Prag reist, berührt in Paris nicht die und nicht "den" Gare d'Austerlitz. Und deutsche Emigranten haben zwar vielleicht Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Lodz "verschiedene Textilspinnereien" gegründet, aber vor allem haben sie die Lodzer Textilindustrie Anfang des neunzehnten Jahrhunderts begründet. Schon deshalb stimmt es nicht, daß in Lodz eine jüdische Arbeiterschaft "beinahe ghettoisiert in Enklaven" inmitten einer polnisch-katholischen, stark antisemitischen Gesellschaft lebte. Wer geographisch oder historisch irgend interessiert ist, kann das wissen oder ahnen, aber er muß es natürlich nicht.
Etwas ärgerlicher sind die chronologischen Unstimmigkeiten. 1958 nimmt Bloch auf dem Frankfurter Kongreß der (übrigens falsch geschriebenen) Internationalen Hegel-Gesellschaft gezielt den Kontakt zu Adorno wieder auf, um dann einige Seiten später (mit rückverweisender Fußnote!) 1959 auf demselben Hegel-Kongreß "überraschend" mit ihm zusammenzutreffen. Und als Bloch Ende Oktober "schockiert von der Armut der Bevölkerung" aus Albanien nach Leipzig zurückkehrt, erwartet ihn die schlechte Nachricht, daß der inzwischen von der Universität verwiesene Jürgen Teller einen schweren Unfall hatte. Doch Bloch arbeitet "ungerührt weiter an seinem Werk". Denn in der Tat, zehn Seiten und genau ein Jahr zuvor hatte Bloch seinen "untröstlichen" Assistenten bereits im Krankenhaus besucht.
Aber, wie gesagt, der Philo-Verlag hat hart gearbeitet, und irgendwie hätte man auch den Eindruck, daß eine allzu präzise Biographie dem Denken Blochs nicht angemessen wäre. Andererseits - wie kommen solche Fehler zustande? Arno Münster wird sich aus seinen Quellen Stichworte notiert haben, die er dann nach und nach mit Hilfe von Allgemeinbildung und Lexika zum fortlaufenden Text ausformulierte. Die weitaus am häufigsten genutzte Vorlage sind Karola Blochs Lebenserinnerungen. Da haben wir die Lietzenburger Straße Nr. 7, der Münster freihändig das falsche Charlottenburg hinzufügt. Da haben wir die von Etappe zu Etappe führende Italien-Reise, aus der Münster, sogar mit Fußnotenverweis auf seine Quelle, durch ein Umsteigen in Mailand geographischen Unsinn macht. Und da haben wir ein Lodz, in dem es zwischen den bürgerlichen Juden und Christen (zu denen eben auch deutsche Protestanten und russische Orthodoxe gehören) kaum Kontakt gibt und in dem die armen orthodoxen Juden (aber eben nicht die Industriearbeiter) eine Enklave bilden. Münster summiert das großzügig zu "Ghetto" und "polnischer Antisemitismus".
Und wenn dann noch bei Karola Bloch völlig korrekt von den ersten Baumwollspinnereien und Webereien die Rede ist, die die Deutschen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gegründet hatten, fällt es schwer, den Ausruf zu unterdrücken: Kann der Mann nicht wenigstens richtig abschreiben! Denn ein Abschreiben ist es. Aus erstaunlich wenigen Quellen. Und offenbar ohne Quellenkritik. Auch Blochs Werke werden in seitenlangen Zitaten präsentiert. Sie gelten dann näher als "höchst beachtenswert" oder "zutiefst antifaschistisch". Mit seiner "hochgelehrten" Hegel-Studie, die von einem amerikanischen Verlag "großspurig" zurückgewiesen wurde, habe Bloch die Aktualität Hegels wiederhergestellt und viele alte Arbeiten entstaubt. Indem er einen Zwei-Fronten-Krieg führt gegen die theokratisch-orthodoxe Religionsauffassung, die den Menschen in autoritärer Weise Verhaltensweisen aufzwingt, ebenso wie gegen die allzu einfache Verachtung alles Religiösen durch den atheistischen Vulgärmaterialismus, schiebe Bloch energisch die dogmatischen Trennwände beiseite und setze sich zwischen alle Stühle. Und so weiter.
Solche Zitat- und Referatcollagen wären auch ganz in Ordnung, wenn es sich um ein Bändchen in einer der klassischen Einführungsreihen handelte. Doch dazu ist das Werk, das nächste Woche in die Buchhandlung kommt, zu dick und zu dick angekündigt. Das ist dann auch der Grund, kleinlich zu sein. Es geht nicht darum, daß von den vielen Daten und Fakten einige wenige und meist belanglose falsch wiedergegeben werden. Es geht darum, daß mit wahlloser Präzision der Schein von Wissenschaftlichkeit erzeugt werden soll. Und der Schein trügt.
GUSTAV FALKE
Arno Münster: "Ernst Bloch". Eine politische Biographie. Philo Verlag, Berlin 2003. 440 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Arno Münster mit seiner Bloch-Biographie bei Philo gelandet ist
Vielleicht sollte man nicht so kleinlich sein. An der Fassung, bei der die Suhrkamp-Lektoren das Handtuch warfen, ist im Philo-Verlag noch einmal hart gearbeitet worden. Und was an Fehlern übrig blieb, ist kaum von inhaltlicher Bedeutung. Schauen wir einmal hin: Die Lietzenburger Straße liegt zwar zum größten Teil in Berlin-Charlottenburg, aber eben nicht deren Hausnummer 7. Wer mit dem Zug von München nach Venedig fährt, steigt nicht in Mailand in einen Expreßzug um, der dann "über den Gardasee, Verona, Brescia" fährt; wer von Venedig nach Paris oder von Paris nach Prag reist, berührt in Paris nicht die und nicht "den" Gare d'Austerlitz. Und deutsche Emigranten haben zwar vielleicht Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Lodz "verschiedene Textilspinnereien" gegründet, aber vor allem haben sie die Lodzer Textilindustrie Anfang des neunzehnten Jahrhunderts begründet. Schon deshalb stimmt es nicht, daß in Lodz eine jüdische Arbeiterschaft "beinahe ghettoisiert in Enklaven" inmitten einer polnisch-katholischen, stark antisemitischen Gesellschaft lebte. Wer geographisch oder historisch irgend interessiert ist, kann das wissen oder ahnen, aber er muß es natürlich nicht.
Etwas ärgerlicher sind die chronologischen Unstimmigkeiten. 1958 nimmt Bloch auf dem Frankfurter Kongreß der (übrigens falsch geschriebenen) Internationalen Hegel-Gesellschaft gezielt den Kontakt zu Adorno wieder auf, um dann einige Seiten später (mit rückverweisender Fußnote!) 1959 auf demselben Hegel-Kongreß "überraschend" mit ihm zusammenzutreffen. Und als Bloch Ende Oktober "schockiert von der Armut der Bevölkerung" aus Albanien nach Leipzig zurückkehrt, erwartet ihn die schlechte Nachricht, daß der inzwischen von der Universität verwiesene Jürgen Teller einen schweren Unfall hatte. Doch Bloch arbeitet "ungerührt weiter an seinem Werk". Denn in der Tat, zehn Seiten und genau ein Jahr zuvor hatte Bloch seinen "untröstlichen" Assistenten bereits im Krankenhaus besucht.
Aber, wie gesagt, der Philo-Verlag hat hart gearbeitet, und irgendwie hätte man auch den Eindruck, daß eine allzu präzise Biographie dem Denken Blochs nicht angemessen wäre. Andererseits - wie kommen solche Fehler zustande? Arno Münster wird sich aus seinen Quellen Stichworte notiert haben, die er dann nach und nach mit Hilfe von Allgemeinbildung und Lexika zum fortlaufenden Text ausformulierte. Die weitaus am häufigsten genutzte Vorlage sind Karola Blochs Lebenserinnerungen. Da haben wir die Lietzenburger Straße Nr. 7, der Münster freihändig das falsche Charlottenburg hinzufügt. Da haben wir die von Etappe zu Etappe führende Italien-Reise, aus der Münster, sogar mit Fußnotenverweis auf seine Quelle, durch ein Umsteigen in Mailand geographischen Unsinn macht. Und da haben wir ein Lodz, in dem es zwischen den bürgerlichen Juden und Christen (zu denen eben auch deutsche Protestanten und russische Orthodoxe gehören) kaum Kontakt gibt und in dem die armen orthodoxen Juden (aber eben nicht die Industriearbeiter) eine Enklave bilden. Münster summiert das großzügig zu "Ghetto" und "polnischer Antisemitismus".
Und wenn dann noch bei Karola Bloch völlig korrekt von den ersten Baumwollspinnereien und Webereien die Rede ist, die die Deutschen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gegründet hatten, fällt es schwer, den Ausruf zu unterdrücken: Kann der Mann nicht wenigstens richtig abschreiben! Denn ein Abschreiben ist es. Aus erstaunlich wenigen Quellen. Und offenbar ohne Quellenkritik. Auch Blochs Werke werden in seitenlangen Zitaten präsentiert. Sie gelten dann näher als "höchst beachtenswert" oder "zutiefst antifaschistisch". Mit seiner "hochgelehrten" Hegel-Studie, die von einem amerikanischen Verlag "großspurig" zurückgewiesen wurde, habe Bloch die Aktualität Hegels wiederhergestellt und viele alte Arbeiten entstaubt. Indem er einen Zwei-Fronten-Krieg führt gegen die theokratisch-orthodoxe Religionsauffassung, die den Menschen in autoritärer Weise Verhaltensweisen aufzwingt, ebenso wie gegen die allzu einfache Verachtung alles Religiösen durch den atheistischen Vulgärmaterialismus, schiebe Bloch energisch die dogmatischen Trennwände beiseite und setze sich zwischen alle Stühle. Und so weiter.
Solche Zitat- und Referatcollagen wären auch ganz in Ordnung, wenn es sich um ein Bändchen in einer der klassischen Einführungsreihen handelte. Doch dazu ist das Werk, das nächste Woche in die Buchhandlung kommt, zu dick und zu dick angekündigt. Das ist dann auch der Grund, kleinlich zu sein. Es geht nicht darum, daß von den vielen Daten und Fakten einige wenige und meist belanglose falsch wiedergegeben werden. Es geht darum, daß mit wahlloser Präzision der Schein von Wissenschaftlichkeit erzeugt werden soll. Und der Schein trügt.
GUSTAV FALKE
Arno Münster: "Ernst Bloch". Eine politische Biographie. Philo Verlag, Berlin 2003. 440 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Arno Münsters Ernst-Bloch-Biografie hat Rezensent Gustav Falke ganz und gar nicht überzeugt. Zwar räumt er ein, dass der Philo-Verlag, der das Buch nun, nachdem es Suhrkamp nicht haben wollte, herausbringt, noch einmal "hart" daran gearbeitet hat. Dennoch entdeckt er neben zahlreichen kleineren Fehlern (etwa bei geografischen Angaben), auch solche, die er als "etwas ärgerlicher" empfindet, etwa chronologische Unstimmigkeiten. Letztlich spricht nach Ansicht Falkes etwas anderes gegen das Buch, nämlich, dass aus "erstaunlich wenigen" Quellen und "offenbar ohne Quellenkritik" abgeschrieben ist. Auch Blochs Werke würden in seitenlangen Zitaten präsentiert. Aber selbst solche Zitat- und Referatcollagen fände Falke noch ganz in Ordnung, handelte es sich bei Münsters Bloch-Biografie um ein Bändchen in einer der klassischen Einführungsreihen. Dafür findet er das Buch allerdings "zu dick und zu dick angekündigt". Falke betont, dass es ihm nicht darum gehe, dass von den vielen Daten und Fakten einige wenige und meist belanglose falsch wiedergegeben würden. "Es geht darum", erklärt der Rezensent abschließend, "dass mit wahlloser Präzision der Schein von Wissenschaftlichkeit erzeugt werden soll. Und der Schein trügt."
© Perlentaucher Medien GmbH
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