Produktdetails
- Literatura
- Verlag: Ergon
- Seitenzahl: 263
- Deutsch
- Abmessung: 225mm
- Gewicht: 440g
- ISBN-13: 9783933563408
- ISBN-10: 3933563402
- Artikelnr.: 24599057
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2000Abenteuerreisen zu Kopfe
Mit Nietzsche im Orient: Zwei nützliche Studien über Ernst Jünger
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Ernst Jünger macht sich ein neuer Ton bemerkbar. Frühere Arbeiten hatten, wenn sie nicht einfach hagiographisch waren, zumeist einen polemischen Zug. Es wurde angegriffen und verteidigt. Wer nicht selber über Jünger herzog ("bellizistisch", "chauvinistisch", "präfaschistisch", "antidemokratisch" und so weiter), musste sich mit Jüngers zahlreichen Gegnern herumschlagen, um seine eigene Beschäftigung mit dem Vielbeschuldigten zu rechtfertigen. Davon ist nicht mehr viel zu spüren. Man weiß, was alles schon für und wider Jünger gesagt wurde, und schaut, was an ihm darüber hinaus zu finden ist. Der Blick ist unvoreingenommen, der Ton sachlich und gelassen.
Thomas Pekar, der sich längere Zeit in Asien aufhielt und als Erster in den Genuss des Ernst-Jünger-Stipendiums kam, das der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg zum hundertsten Geburtstags von Ernst Jünger gestiftet hat, untersucht die Bedeutung des Orients in Jüngers Werk. Mit Recht geschieht dies vor dem Hintergrund der Tradition der Orientdarstellungen seit dem Mittelalter. Denn Jüngers Orient ist primär ein "erlesener" Orient, gespeist aus den Orientbildern seit der Romantik, aus Bachofens "Mutterrecht" und, selbstverständlich, aus den "Geschichten aus 1001 Nacht", die zu seinen Lieblingslektüren zählten.
So ist Jüngers Orient zunächst einmal ein Raum des Überflusses, des Wunderbaren, des Abenteuerlichen, der Erotik und des musischen Lebens, aber auch der Despotie, der Grausamkeit, der Verruchtheit, der Passivität, der Ungeschichtlichkeit, der Nähe zum Mythos und zur Mütterlichkeit. Also auch ein Gegenraum zum "entzauberten" Okzident: zur rationalistisch-nüchternen, geschäftstüchtigen bürgerlichen Gesellschaft, in der Jünger aufwuchs, aber auch zum nationalsozialistischen Staat. Es bleibt aber nicht bei dieser Entgegensetzung von Orient und Okzident. Vielmehr begreift Jünger sie bald als Größen, die einander ergänzen und miteinander zu fusionieren beginnen. In dieser Deutung fühlt er sich durch die Orientreisen, die er im Jahre 1965, also im Alter von siebzig Jahren aufnimmt, bestätigt: Er sieht nun, was der Orient dem Okzident zusätzlich zu dem, was er ihm schon gegeben hat, noch zu geben hätte. Das Denken in Gegensätzen mit Über- und Unterordnungen wird abgelöst durch den Gedanken des Austauschs. Für den alten Jünger wird der Orient mit seinen immer noch die Zeiten und Kulturen verschränkenden Lebensformen zum Kulturraum, in dem am ehesten etwas von der neuen planetarischen Kultur zu spüren ist.
Reinhard Wilczek untersucht in seiner Dissertation Jüngers Nietzsche-Rezeption. Sie setzt früh, schon in der Schulzeit, ein, bestimmt wesentlich Jüngers Blick auf die Welt und hinterlässt deutliche Spuren im Werk, sowohl in einzelnen Formulierungen, wie Wilczek kenntlich macht, als auch in der Gestaltung von Figuren und im Grundgestus des Schreibens. Drei Phasen sind dabei Wilczek zufolge zu unterscheiden: In der ersten, die bis zum "Abenteuerlichen Herzen" (1929) reicht, erbaut sich Jünger vor allem an Nietzsches Vitalismus und seinem ästhetischen Nihilismus. In der zweiten Phase, in deren Zentrum der "Arbeiter" (1932) steht, kommt Nietzsches Willensmetaphysik zum Tragen und führt zum Entwurf der "Gestalt" des "Arbeiters" oder Technikers, in der Moderne und Nihilismus zugleich ihren Höhepunkt erreichen. Wie bei Nietzsche bedeutet die "Vollendung" des Nihilismus aber auch bei Jünger seine "Überwindung". Neu gegenüber Nietzsche ist an Jünger, dass er die Technik miteinbezieht und in der "organischen Konstruktion" von Natur, Mensch und Technik ein Mittel zur Überwindung des Nihilismus sieht.
Der Beginn der dritten Phase wird durch die "Marmorklippen" (1939) markiert. Sie findet in den fünfziger Jahren mit den Essays "Über die Linie", "Der Waldgang" und "An der Zeitmauer" ihren Abschluss. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Gewaltpolitik wird der von Nietzsche abgeleitete "Wille zur Macht", der bei Jünger die Form eines technischen Optimismus angenommen hatte, durch eine pessimistische Skepsis gegenüber dem zivilisatorischen Prozess und durch Mitleid mit dem Menschen und der geschundenen Kreatur abgelöst. Nietzsche bleibt ein wichtiger Bezugspunkt im Denken Jüngers, doch wird seine Bedeutung durch den Einfluss anderer philosophischer, nicht zuletzt auch christlicher Gedanken gebrochen.
"Jünger und der Orient", "Jünger und Nietzsche": Beide Studien stellen für Themen, die schon häufig berührt, aber kaum je systematisch erarbeitet wurden, eine neue und solide Wissensbasis her.
HELMUT KIESEL
Thomas Pekar: "Ernst Jünger und der Orient. Mythos - Lektüre - Reise". Ergon Verlag, Würzburg 1999. 261 S., br., 89,- DM.
Reinhard Wilczek: "Nihilistische Lektüre des Zeitalters. Ernst Jüngers Nietzsche-Rezeption". Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier 1999. 207 S., br., 46,50 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Nietzsche im Orient: Zwei nützliche Studien über Ernst Jünger
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Ernst Jünger macht sich ein neuer Ton bemerkbar. Frühere Arbeiten hatten, wenn sie nicht einfach hagiographisch waren, zumeist einen polemischen Zug. Es wurde angegriffen und verteidigt. Wer nicht selber über Jünger herzog ("bellizistisch", "chauvinistisch", "präfaschistisch", "antidemokratisch" und so weiter), musste sich mit Jüngers zahlreichen Gegnern herumschlagen, um seine eigene Beschäftigung mit dem Vielbeschuldigten zu rechtfertigen. Davon ist nicht mehr viel zu spüren. Man weiß, was alles schon für und wider Jünger gesagt wurde, und schaut, was an ihm darüber hinaus zu finden ist. Der Blick ist unvoreingenommen, der Ton sachlich und gelassen.
Thomas Pekar, der sich längere Zeit in Asien aufhielt und als Erster in den Genuss des Ernst-Jünger-Stipendiums kam, das der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg zum hundertsten Geburtstags von Ernst Jünger gestiftet hat, untersucht die Bedeutung des Orients in Jüngers Werk. Mit Recht geschieht dies vor dem Hintergrund der Tradition der Orientdarstellungen seit dem Mittelalter. Denn Jüngers Orient ist primär ein "erlesener" Orient, gespeist aus den Orientbildern seit der Romantik, aus Bachofens "Mutterrecht" und, selbstverständlich, aus den "Geschichten aus 1001 Nacht", die zu seinen Lieblingslektüren zählten.
So ist Jüngers Orient zunächst einmal ein Raum des Überflusses, des Wunderbaren, des Abenteuerlichen, der Erotik und des musischen Lebens, aber auch der Despotie, der Grausamkeit, der Verruchtheit, der Passivität, der Ungeschichtlichkeit, der Nähe zum Mythos und zur Mütterlichkeit. Also auch ein Gegenraum zum "entzauberten" Okzident: zur rationalistisch-nüchternen, geschäftstüchtigen bürgerlichen Gesellschaft, in der Jünger aufwuchs, aber auch zum nationalsozialistischen Staat. Es bleibt aber nicht bei dieser Entgegensetzung von Orient und Okzident. Vielmehr begreift Jünger sie bald als Größen, die einander ergänzen und miteinander zu fusionieren beginnen. In dieser Deutung fühlt er sich durch die Orientreisen, die er im Jahre 1965, also im Alter von siebzig Jahren aufnimmt, bestätigt: Er sieht nun, was der Orient dem Okzident zusätzlich zu dem, was er ihm schon gegeben hat, noch zu geben hätte. Das Denken in Gegensätzen mit Über- und Unterordnungen wird abgelöst durch den Gedanken des Austauschs. Für den alten Jünger wird der Orient mit seinen immer noch die Zeiten und Kulturen verschränkenden Lebensformen zum Kulturraum, in dem am ehesten etwas von der neuen planetarischen Kultur zu spüren ist.
Reinhard Wilczek untersucht in seiner Dissertation Jüngers Nietzsche-Rezeption. Sie setzt früh, schon in der Schulzeit, ein, bestimmt wesentlich Jüngers Blick auf die Welt und hinterlässt deutliche Spuren im Werk, sowohl in einzelnen Formulierungen, wie Wilczek kenntlich macht, als auch in der Gestaltung von Figuren und im Grundgestus des Schreibens. Drei Phasen sind dabei Wilczek zufolge zu unterscheiden: In der ersten, die bis zum "Abenteuerlichen Herzen" (1929) reicht, erbaut sich Jünger vor allem an Nietzsches Vitalismus und seinem ästhetischen Nihilismus. In der zweiten Phase, in deren Zentrum der "Arbeiter" (1932) steht, kommt Nietzsches Willensmetaphysik zum Tragen und führt zum Entwurf der "Gestalt" des "Arbeiters" oder Technikers, in der Moderne und Nihilismus zugleich ihren Höhepunkt erreichen. Wie bei Nietzsche bedeutet die "Vollendung" des Nihilismus aber auch bei Jünger seine "Überwindung". Neu gegenüber Nietzsche ist an Jünger, dass er die Technik miteinbezieht und in der "organischen Konstruktion" von Natur, Mensch und Technik ein Mittel zur Überwindung des Nihilismus sieht.
Der Beginn der dritten Phase wird durch die "Marmorklippen" (1939) markiert. Sie findet in den fünfziger Jahren mit den Essays "Über die Linie", "Der Waldgang" und "An der Zeitmauer" ihren Abschluss. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Gewaltpolitik wird der von Nietzsche abgeleitete "Wille zur Macht", der bei Jünger die Form eines technischen Optimismus angenommen hatte, durch eine pessimistische Skepsis gegenüber dem zivilisatorischen Prozess und durch Mitleid mit dem Menschen und der geschundenen Kreatur abgelöst. Nietzsche bleibt ein wichtiger Bezugspunkt im Denken Jüngers, doch wird seine Bedeutung durch den Einfluss anderer philosophischer, nicht zuletzt auch christlicher Gedanken gebrochen.
"Jünger und der Orient", "Jünger und Nietzsche": Beide Studien stellen für Themen, die schon häufig berührt, aber kaum je systematisch erarbeitet wurden, eine neue und solide Wissensbasis her.
HELMUT KIESEL
Thomas Pekar: "Ernst Jünger und der Orient. Mythos - Lektüre - Reise". Ergon Verlag, Würzburg 1999. 261 S., br., 89,- DM.
Reinhard Wilczek: "Nihilistische Lektüre des Zeitalters. Ernst Jüngers Nietzsche-Rezeption". Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier 1999. 207 S., br., 46,50 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In einer Doppelrezension bespricht Helmut Kiesel zwei Bücher zu Ernst Jünger. Beiden Studien gemeinsam ist seiner Ansicht nach, dass sie "eine neue und solide Wissensbasis" bieten zu Themen, die im Zusammenhang mit Jünger zwar bereits angerissen, aber "kaum je systematisch erarbeitet wurden".
1.) Thomas Pekar: "
1.) Thomas Pekar: "