An Ernst Nolte, dem 76jährigen Historiker und einstigen Heidegger-Schüler aus Berlin, scheiden sich die Geister. Spätestens seit dem Historikerstreit der Jahre 1986/87, jener mehr polemischen denn wissenschaftlichen Großkontroverse um die "Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung" ist Nolte auch dem breiten Publikum bekannt. Sein 1987 erschienenes Buch über den "Europäischen Bürgerkrieg 1917-1945", in dem Nolte nach dem Entstehungs- und Beziehungsverhältnis der totalitären Bewegungen von links und rechts fragt, wurde seinerzeit nahezu einhellig von Kollegen und Medien als vermeintliche "Apologie" Hitlers verurteilt. Die vorliegende Untersuchung unternimmt erstmals seit dem Ausbruch des Historikerstreits den Versuch einer ernsthaften Verständigung mit und über "Nolte". Jenseits pauschaler Verdächtigungen und Verurteilungen nähert sich der Autor dem Nolteschen Gesamtwerk, zeigt dessen unterschiedliche Dimensionen auf und arbeitet die Bezüge zu den Werken so namhafter Autoren wie Hannah Arendt, Eric Voegelin, François Furet, Eric Hobsbawm, Carl J. Friedrich oder Karl Dietrich Bracher heraus.
Zum Autor/Herausgeber: Dr. phil. Volker Kronenberg M.A., geb. 1971. Studium der Politischen Wissenschaft, der Soziologie und des Staatsrechts an der Universität Bonn. 1998 Magister-Examen. Seither Wiss. Mitarbeiter am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. 1999 Promotion. Zahlreiche Veröffentlichungen von Aufsätzen und Zeitungsartikeln, so im JAHRBUCH EXTREMISMUS & DEMOKRATIE, in DAS PARLAMENT, RHEINISCHER MERKUR, GENERAL-ANZEIGER, DIE POLITISCHE MEINUNG.
Zum Autor/Herausgeber: Dr. phil. Volker Kronenberg M.A., geb. 1971. Studium der Politischen Wissenschaft, der Soziologie und des Staatsrechts an der Universität Bonn. 1998 Magister-Examen. Seither Wiss. Mitarbeiter am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. 1999 Promotion. Zahlreiche Veröffentlichungen von Aufsätzen und Zeitungsartikeln, so im JAHRBUCH EXTREMISMUS & DEMOKRATIE, in DAS PARLAMENT, RHEINISCHER MERKUR, GENERAL-ANZEIGER, DIE POLITISCHE MEINUNG.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2000Gegenwart, die nicht verstehen will
Zeitgeschichte als Politik: Ernst Nolte, das Schweigen und ein Versuch, es zu brechen
Am Anfang war Hitler. Nicht nur der deutschen Zeitgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, geradezu der ganzen neueren deutschen Geschichte, mit Zurechnungen, Abrechnungen, Aufrechnungen bis zurück zu Luther, mindestens. Dagegen etwa Goethe zu zitieren wirkt unnütz, denn hinter Goethe steht Buchenwald. In dieser Geschichte gibt es keinen Ruhepunkt, kein Ausweichen, nur die Rastlosigkeit der einen Frage. Nun ist die Zeitgeschichte stets Konflikt, weil zu allem Leben der Konflikt gehört, die Auseinandersetzung um Selbstverständnis und Handeln vor dem Horizont von Erfahrungen und Behauptungen, die stets auch historisch geformt sind. Die Zeit, als Wandel erfahren, drängt in die Geschichte, denn nur dort ist sie als Erfahrung vorstellbar, diskutierbar. Der Wandel verstört Sicherheit, der Bruch zerstört sie: Nach Hitler führt der Blick zurück in die Radikalität des Zweifels an allem, was vorher war.
Nach Napoleon war das noch anders, nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, wo das Empire die zwei Frankreichs zu verbinden schien, die schwankenden Sieger und Besiegten von 1789, ähnlich wie Bismarcks Reich 1806 vergessen half, auch 1848. Nach Versailles, nun dem der Alliierten, änderte sich das. Stand womöglich Versailles am Anfang und nicht Hitler? Versailles öffnet den Blick auf das zwanzigste Jahrhundert als ein weithin deutsches Jahrhundert: 1918, 1933, 1939, 1945, 1989, doch inwieweit öffnet es auch den Blick auf Hitler? Inwiefern steht er für das Hervorbrechen einer "eigentlichen" deutschen Geschichte, die, nur halb verhüllt, längst schon vorhanden war und also historisch-epochal nicht mehr zu fassen? Oder inwiefern ist er historisch, das momentane Extrem einer zerrissenen Gesellschaft in der Latenz von Bürgerkrieg und Ausnahmezustand, wie sie auch ein Napoleon bereits kannte, die Latenz und ihre Aktualisierung?
Der Zukunft zugewandt
Es ist eine Frage der Interpretation; und jede Geschichtsschreibung ist Interpretation, ist Auswahl und Deutung überlieferter Bruchstücke, die Zusammenhang, Form, Bedeutung erst durch die Interpretation gewinnen. Historiker erzeugen Bedeutung "für uns", für ihre jeweilige soziale Gegenwart: Nur durch ihre Konstruktionen, in denen sie Pluralität auf Fragestellungen und Thesen reduzieren, sprachlich wie intellektuell, wird Vergangenheit zur geistig faßlichen Einheit. Solche Konstruktionen im Gewirr der Fakten jedoch erfolgen stets im Gefüge der Macht: Geschichte ist ein Machtgeschehen, Geschichtsschreibung kaum minder. Nicht allein in den Wertungen und Folgerungen, die aus den scheinbar so festen "Fakten" gezogen werden, zeigt sich das, auch an dem, was davon im Lichtkegel jeweiliger Relevanz gezeigt beziehungsweise was ins Halbdunkel bis Dunkel verschoben wird. Die Relevanz, die gesellschaftliche Bedeutsamkeit einer Geschichtsschreibung, bemißt sich nach dem, was zur für richtig erachteten Formierung des politischen Bewußtseins für förderlich gehalten wird.
Diese Formierung der Vergangenheit beziehungsweise des Bildes von ihr zur Formierung der Gegenwart, das heißt der Vorstellung von der richtigen Zukunft, ist als Tendenz in jeder historiographischen Interpretation spürbar. In der Zeitgeschichtsschreibung wird die Zukunft zur bestimmenden Kraft, weil der Abstand, der zwischen Gegenwart und Vergangenheit besteht, noch nicht Distanz geworden ist: Zu sehr bestimmen Ereignisse, die vergangen sind, das soziale Selbstverständnis der Gegenwart, ein Vorgang, den die Historiographie zwar nicht herstellt, doch an dem sie zirkulär mitwirkt, selbst im Versuch, ihn "revisionistisch" zu brechen. Doch auch eine bereits entferntere Vergangenheit kann zeitgeschichtlich werden, wenn diese Vergangenheit plötzlich die Frage nach der Zukunft stellt, "aktuell" wird.
Das ist nun im Prinzip nichts ausschließlich Deutsches. Auch Nationen, die lange in der selbstsicheren Gewißheit ihrer kollektiven Rechtschaffenheit geborgen schienen, werden zuweilen unbehaglich revisionistisch geweckt, die Niederländer jüngst durch die lange abgetane Erfolgsgeschichte ihres Sklavenhandels oder ihrer kolonialen Befriedungstaten, die Nordamerikaner durch die Krise ihrer "weißen" Geschichte, die Israelis durch den Mythosverlust einer an die allgemeine Geschichte "assimilierten" einzigartigen Geschichte. Jede Nation, wenn ihr nicht der Mund verboten wird, erlebt Zeitgeschichte als Konfliktgeschichte: als Konflikt, der diese Geschichte einst war, wie als Konflikt um seine Erinnerung, Deutung für das Jetzt als Ort, an dem Zukunft entsteht. An einem solchen Ort jedoch spricht man nicht leidenschaftslos. Es ist der Ort des sogenannten "Historikerstreits" der späteren achtziger Jahre, es ist der Ort Ernst Noltes und seiner Widersacher.
Zu Ernst Nolte nun ist eine Monographie erschienen, ein Versuch der kritischen Würdigung, umfangreich wie alle ambitionierten Dissertationen, einer Würdigung, die Kritik als Störung in der Ordnung des Arguments versteht, welches untersucht werden soll, nicht als dessen Zerstörung. Damit ist allerdings bereits eine Stellungnahme vollzogen: sie ist unvermeidlich. Vom Schriftstellerischen her wie in der Weite des Blicks ist Noltes Werk enorm und doch überaus kohärent, verbunden durch die immerwährende Frage nach Hitler und dem mit seiner Person Wirklichkeit gewordenen Herrschafts- und Vernichtungssystem als einer Möglichkeit der Geschichte: eine Frage, die weit über das Wie fortreicht auf ein Warum, das durch alles historiographische Rekonstruieren, Konstruieren, Begreifen hindurchgreift.
Das Warum Primo Levis ist aber mehr als lediglich eine analytische Frage nach Ursachen: Es ist eine existentielle Frage und mithin eine philosophische, die durch Geschichte und Fakten allein nicht erschöpfbar ist und damit alle Geschichtsschreibung an ihre Begrenztheit erinnert, an die Radikalität ihrer Verkürzungen, deren radikalste der konkrete, einzelne Mensch selbst ist. Vielleicht wäre eine solche, sich von ihren Grenzen her bedenkende, begründende Historiographie statt einer von ihrem Zentrum in Fakten und Wissenschaftlichkeit her sich verstehenden die einzige, die den Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts nahe kommen könnte. Noltes "philosophische Geschichtsschreibung" reflektiert dies zumindest als Problem, als Problem der Grenzüberschreitung des Historischen, ohne die es kein eindringliches Verständnis des Historischen geben kann.
Solche historischen Annäherungen an das philosophische Bedenken sind selten, weil sie dem Wissenschaftsmodell der Geschichte widersprechen oder für eine pädagogische Geschichtspolitik zu sperrig bleiben. Die Wut der Erinnerung, welche die Deutschen seit drei Jahrzehnten plagt, zunehmend weniger, und begeistert, zunehmend mehr, fände an solchen Grenzen ein Scheidemittel, jenseits einer Fetischisierung "des Bösen" und einer zeremoniellen Trauer vor Mahnmalen, der jeder Tag zum Gedenktag wird. Der Weg zu solchen Grenzen ist einer der Relativierung anderer Art, denn wo die Totalisierung des politischen Gedenkens ein Mausoleum korrekter Erinnerung entstehen läßt, einen unversiegbaren Zitatenschatz im Ringen um den "Begriff des Politischen", des Feindes, da versucht die philosophische Annäherung ein Verständnis durch das Aufspüren umfassenderer Strukturen, um von dort zur analytischen "Sympathie" mit allen Tätern und zur emphatischen Erinnerung an alle Opfer zu gelangen, letztlich vielleicht zu einer Geschichtsschreibung, deren tiefer Ton tragisch ist und die ebendeshalb, weil sie auf den Menschen blickt, nie hoffnungslos bleibt.
Irgendwie ist Nolte zu dieser Grenze unterwegs: Er weiß es, nur haben die wenigsten seiner Leser und erst recht seiner Kontrahenten es bemerkt. Die Unbegreiflichkeit und Einzigartigkeit des Geschehens in einem "Reich des Bösen", das sich gegen den "historisierenden" Versuch der Begreifbarkeit und Vergleichbarkeit sperrt, formt sich geistig erst jenseits der Grenzen der Historie: Wer in der Historie zu ihren Grenzen unterwegs ist, wird auf Begreifbarkeit, Kontext und struktureller Vergleichbarkeit bestehen und doch wissen, daß es noch anderes und mehr gibt.
Das philosophische Bemühen Noltes, seine Wendung von der Philosophie in die äußerste Präsenz der Geschichte, die Zeitgeschichte, auch als Teil einer Geschichte des eigenen Lebens, bildet demnach den Ansatzpunkt für jede Beschäftigung mit Denken und Werk Ernst Noltes im Buch Volker Kronenbergs, dessen zentrale Untersuchungen jedoch "Noltes Ideologiegeschichte der Moderne" gelten, die in drei großen Schritten ("Das Liberale System", "Der europäische Bürgerkrieg 1917 bis 1945", "Der Kalte Krieg") Noltes historiographische Ergründungsversuche der katastrophischen Moderne nachvollziehen. Drei kürzere Abschnitte resümieren Noltes Geschichtsdenken in den Kontexten der "jüdischen Dimension" der europäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, des Totalitarismuskonzepts als eines analytischen Werkzeugs sowie der Frage nach einer "historischen Existenz" am Ende eines Jahrhunderts, das unseren Leib nicht mehr besitzt, wohl aber immer noch unser Bewußtsein.
Die Hegemonie der Zeitgeschichte im Kontext historischer Erinnerung, ihr Machteffekt also, ist es jedoch, der den Namen des Berliner Historikers zu einem öffentlichen werden ließ und geradezu zum Synonym einer bestimmten Haltung fixierte, der des "unbelehrbaren Vergangenheitsverdrängers". Eine solche Haltung ist tödlich für den, dem sie zugeschrieben wird: nicht nur, weil er damit zur öffentlichen Unperson wird, kaum minder, weil sie - als Tatsache - die Zerstörung des eigenen Verstandes zur Konsequenz hätte. Eben weil die Geschichtsschreibung nicht, wie die Postmoderne glauben machen will, eine Abart der Literatur ist, bleibt sie der Beliebigkeit in ihrem Kern entzogen, so fiktiv, literarisch, interpretatorisch auch ihre Gestaltungsformen sein mögen. Aus diesem Kern aber ergeben sich Verantwortung und Verantwortlichkeit des Historikers. Entzieht sich Nolte jedoch dieser?
Volker Kronenbergs deutliches Nein bricht ein Eis, das sich seit zehn Jahren zunehmend um Werk und Person Ernst Noltes gebildet hat und seinen Namen zur rhetorischen Drohgebärde im öffentlichen Diskurs um Zeitgeschichte werden ließ, was heißt, daß man ihn auch nicht länger zu lesen brauchte: Man hatte ja bereits davon gehört. Kronenberg hingegen versucht zu zeigen, was tatsächlich dort steht, positiv, doch nicht apologetisch, er versucht Aussagen zu rekonstruieren, sie in den Zusammenhang anderer Interpretationslinien einzubringen, vor allem derjenigen Hannah Arendts, François Furets, Eric Hobsbawms, und sie mit der daran geäußerten Kritik zu konfrontieren. Dabei entsteht ein weites Panorama europäischer Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte und ihrer Deutungen, das nicht allein die Werte des historiographischen Horizonts Ernst Noltes deutlich werden läßt, sondern auch die Fähigkeit Kronenbergs zeigt, ihm durch eine enorme Lektüreleistung auf der Spur zu bleiben.
Von Gott abgewandt
Konfliktzonen, insbesondere zur "Vorbildfunktion" des GULags für die nationalsozialistischen Vernichtungslager oder zum "rationalen Kern" des nationalsozialistischen Antisemitismus in der Rolle jüdischer sozialistischer und kommunistischer Politiker und Intellektueller während der Zwischenkriegszeit, werden deutlich gemacht und in ihren "metaphorischen Verkürzungen", wie Noltes eigener Ausdruck lautet, diskutiert. Die abschließenden Überlegungen zur Problematik einer "historischen Existenz" nach dem Ende des "totalitären Zeitalters" nutzt Kronenberg zum Versuch, Noltes Werk in den Kontext neuerer Überlegungen zu einer Geschichte nach Gott zu stellen, in der das zwanzigste Jahrhundert gerade deshalb so erinnerungspräsent bleibt, weil der Zerfall der Metaphysik wie ihrer religiösen Fixierungen die Ideologien der Moderne erst ermöglicht hat.
Insgesamt also hat Volker Kronenberg den bemerkenswerten Versuch unternommen, das Werk Ernst Noltes in seinen wesentlichen Themen zu rekonstruieren und es auf diese Weise, mehr als ein Jahrzehnt nach Ende der heißen Kontroverse, aus der Tabuzone des Verdachts zu entfernen und wieder rezipierbar, diskutierbar, kritisierbar zu machen: kritisierbar in jenem durchaus aufklärerischen Sinn, der im Gegenüber nicht sogleich den Irrtum vermutet, sondern das Streben nach Erkenntnis, selbst wenn es, zunächst, womöglich auch am Ende, den Anschein des Irrtums erwecken mag.
Man lasse sich nicht täuschen: Trotz einer stetig ansteigenden Flut einschlägiger Literatur zum "totalitären Rätsel des zwanzigsten Jahrhunderts" und insbesondere zu Kreis und Umkreis des "Dritten Reichs" ist dieses noch keineswegs geklärt, ausgeschöpft. Die Tabuzonen wachsen eher, je eindeutiger die deutschen Republiken von 1949 und 1990 sich von Hitler her delegitimieren, von 1933 und 1945, und "Auschwitz" als weltanschauliche Grundlage benutzen. Die Erschöpfung, die einer derart totalen Ausschöpfung, als Normalität des Rituals oder als Reaktion des Kontrasts, folgt, wird dann sicher sein, wenn man die Einwände stillstellt, um die Eindeutigkeit nicht zu gefährden und damit ihre Wirksamkeit als Index korrekten Verhaltens. Noltes Herausforderung von 1986 ist damit gerade kein Zeichen jener Erschöpfung, die verdrängen oder vergessen will, sondern der Impuls einer Erinnerung, die nicht im moralischen Urteil sich beruhigen kann, sondern vom Willen zu verstehen getrieben wird.
Hier liegt das Zentrum von Noltes fortwährender Aktualität, und es ist, unentrinnbar für jede Zeitgeschichtsschreibung, ein politisches, denn Zeitgeschichte ist immer Politik der Vergangenheit. Das haben Noltes Gegner klar erkannt, und das ist das Eis, das sich um Nolte geschlossen hat, um seine Schriften wie um seinen Namen. Diese Geschichtspolitik der korrekten Erinnerung als Machtfaktor des öffentlichen Bewußtseins hat ihn aus der Opportunität des richtigen Bewußtseins ausgegrenzt. Dieses Thema einer Geschichtsschreibung, die Politik bedeutet, wird von Kronenberg durchaus wahrgenommen, es hätte zum Ausgangspunkt einer Analyse werden können.
Das zweite Thema, von Nolte wiederholt hervorgestellt, nämlich das eines angemesseneren wissenschaftlichen Verfahrens zum Verständnis des Nationalsozialismus durch dessen vergleichende Einordnung in "Totalitarismus" und "Krise des liberalen Systems", steht hingegen im Mittelpunkt des Kronenbergschen Buches, wobei deutlich wird, was selbstverständlich sein sollte, daß eben ein Vergleich nationalsozialistischer und kommunistischer Massenvernichtungen den Schrecken nicht relativiert, es sei denn, man nähme an, daß es bei letzteren doch um eine "gute Sache" gegangen sei, welche die riesenhaften Menschenopfer lohnte. Doch ließe sich dieses Verfahren auch methodologisch diskutieren, als Frage nach einer Historik der Zeitgeschichte etwa. Und es ließe sich fragen, was eine "philosophische Geschichtsschreibung" sein soll und ob sich Noltes Begriff und Praxis davon als ein Beispiel eignen oder nicht.
Doch das sind wohl Einwände und Fragen, die nicht alle gleichzeitig oder gar erschöpfend in einer auf Rekonstruktion, des Arguments wie der Inhalte, bedachten Untersuchung behandelt werden können. Dies, die Rekonstruktion von Noltes Werk in einem breiten Feld von Zusammenhängen, des Arguments, seiner Entwicklung wie seiner Rezeption und Relevanz, dargestellt zu haben ist die unbestreitbare Leistung des vorliegenden Buches, das sich als Beitrag, zum Teil auch als Kontrapunkt zur gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Nationalsozialismus, aber auch um den Totalitarismus insgesamt versteht. Als solches sollte es auch genommen und beachtet werden: als erstes Wort nach langem Schweigen, das kein letztes Wort gewesen sein kann.
KARL H. METZ
Volker Kronenberg: "Ernst Nolte und das totalitäre Zeitalter". Versuch einer Verständigung. Bouvier Verlag, Bonn 1999. 400 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zeitgeschichte als Politik: Ernst Nolte, das Schweigen und ein Versuch, es zu brechen
Am Anfang war Hitler. Nicht nur der deutschen Zeitgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, geradezu der ganzen neueren deutschen Geschichte, mit Zurechnungen, Abrechnungen, Aufrechnungen bis zurück zu Luther, mindestens. Dagegen etwa Goethe zu zitieren wirkt unnütz, denn hinter Goethe steht Buchenwald. In dieser Geschichte gibt es keinen Ruhepunkt, kein Ausweichen, nur die Rastlosigkeit der einen Frage. Nun ist die Zeitgeschichte stets Konflikt, weil zu allem Leben der Konflikt gehört, die Auseinandersetzung um Selbstverständnis und Handeln vor dem Horizont von Erfahrungen und Behauptungen, die stets auch historisch geformt sind. Die Zeit, als Wandel erfahren, drängt in die Geschichte, denn nur dort ist sie als Erfahrung vorstellbar, diskutierbar. Der Wandel verstört Sicherheit, der Bruch zerstört sie: Nach Hitler führt der Blick zurück in die Radikalität des Zweifels an allem, was vorher war.
Nach Napoleon war das noch anders, nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, wo das Empire die zwei Frankreichs zu verbinden schien, die schwankenden Sieger und Besiegten von 1789, ähnlich wie Bismarcks Reich 1806 vergessen half, auch 1848. Nach Versailles, nun dem der Alliierten, änderte sich das. Stand womöglich Versailles am Anfang und nicht Hitler? Versailles öffnet den Blick auf das zwanzigste Jahrhundert als ein weithin deutsches Jahrhundert: 1918, 1933, 1939, 1945, 1989, doch inwieweit öffnet es auch den Blick auf Hitler? Inwiefern steht er für das Hervorbrechen einer "eigentlichen" deutschen Geschichte, die, nur halb verhüllt, längst schon vorhanden war und also historisch-epochal nicht mehr zu fassen? Oder inwiefern ist er historisch, das momentane Extrem einer zerrissenen Gesellschaft in der Latenz von Bürgerkrieg und Ausnahmezustand, wie sie auch ein Napoleon bereits kannte, die Latenz und ihre Aktualisierung?
Der Zukunft zugewandt
Es ist eine Frage der Interpretation; und jede Geschichtsschreibung ist Interpretation, ist Auswahl und Deutung überlieferter Bruchstücke, die Zusammenhang, Form, Bedeutung erst durch die Interpretation gewinnen. Historiker erzeugen Bedeutung "für uns", für ihre jeweilige soziale Gegenwart: Nur durch ihre Konstruktionen, in denen sie Pluralität auf Fragestellungen und Thesen reduzieren, sprachlich wie intellektuell, wird Vergangenheit zur geistig faßlichen Einheit. Solche Konstruktionen im Gewirr der Fakten jedoch erfolgen stets im Gefüge der Macht: Geschichte ist ein Machtgeschehen, Geschichtsschreibung kaum minder. Nicht allein in den Wertungen und Folgerungen, die aus den scheinbar so festen "Fakten" gezogen werden, zeigt sich das, auch an dem, was davon im Lichtkegel jeweiliger Relevanz gezeigt beziehungsweise was ins Halbdunkel bis Dunkel verschoben wird. Die Relevanz, die gesellschaftliche Bedeutsamkeit einer Geschichtsschreibung, bemißt sich nach dem, was zur für richtig erachteten Formierung des politischen Bewußtseins für förderlich gehalten wird.
Diese Formierung der Vergangenheit beziehungsweise des Bildes von ihr zur Formierung der Gegenwart, das heißt der Vorstellung von der richtigen Zukunft, ist als Tendenz in jeder historiographischen Interpretation spürbar. In der Zeitgeschichtsschreibung wird die Zukunft zur bestimmenden Kraft, weil der Abstand, der zwischen Gegenwart und Vergangenheit besteht, noch nicht Distanz geworden ist: Zu sehr bestimmen Ereignisse, die vergangen sind, das soziale Selbstverständnis der Gegenwart, ein Vorgang, den die Historiographie zwar nicht herstellt, doch an dem sie zirkulär mitwirkt, selbst im Versuch, ihn "revisionistisch" zu brechen. Doch auch eine bereits entferntere Vergangenheit kann zeitgeschichtlich werden, wenn diese Vergangenheit plötzlich die Frage nach der Zukunft stellt, "aktuell" wird.
Das ist nun im Prinzip nichts ausschließlich Deutsches. Auch Nationen, die lange in der selbstsicheren Gewißheit ihrer kollektiven Rechtschaffenheit geborgen schienen, werden zuweilen unbehaglich revisionistisch geweckt, die Niederländer jüngst durch die lange abgetane Erfolgsgeschichte ihres Sklavenhandels oder ihrer kolonialen Befriedungstaten, die Nordamerikaner durch die Krise ihrer "weißen" Geschichte, die Israelis durch den Mythosverlust einer an die allgemeine Geschichte "assimilierten" einzigartigen Geschichte. Jede Nation, wenn ihr nicht der Mund verboten wird, erlebt Zeitgeschichte als Konfliktgeschichte: als Konflikt, der diese Geschichte einst war, wie als Konflikt um seine Erinnerung, Deutung für das Jetzt als Ort, an dem Zukunft entsteht. An einem solchen Ort jedoch spricht man nicht leidenschaftslos. Es ist der Ort des sogenannten "Historikerstreits" der späteren achtziger Jahre, es ist der Ort Ernst Noltes und seiner Widersacher.
Zu Ernst Nolte nun ist eine Monographie erschienen, ein Versuch der kritischen Würdigung, umfangreich wie alle ambitionierten Dissertationen, einer Würdigung, die Kritik als Störung in der Ordnung des Arguments versteht, welches untersucht werden soll, nicht als dessen Zerstörung. Damit ist allerdings bereits eine Stellungnahme vollzogen: sie ist unvermeidlich. Vom Schriftstellerischen her wie in der Weite des Blicks ist Noltes Werk enorm und doch überaus kohärent, verbunden durch die immerwährende Frage nach Hitler und dem mit seiner Person Wirklichkeit gewordenen Herrschafts- und Vernichtungssystem als einer Möglichkeit der Geschichte: eine Frage, die weit über das Wie fortreicht auf ein Warum, das durch alles historiographische Rekonstruieren, Konstruieren, Begreifen hindurchgreift.
Das Warum Primo Levis ist aber mehr als lediglich eine analytische Frage nach Ursachen: Es ist eine existentielle Frage und mithin eine philosophische, die durch Geschichte und Fakten allein nicht erschöpfbar ist und damit alle Geschichtsschreibung an ihre Begrenztheit erinnert, an die Radikalität ihrer Verkürzungen, deren radikalste der konkrete, einzelne Mensch selbst ist. Vielleicht wäre eine solche, sich von ihren Grenzen her bedenkende, begründende Historiographie statt einer von ihrem Zentrum in Fakten und Wissenschaftlichkeit her sich verstehenden die einzige, die den Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts nahe kommen könnte. Noltes "philosophische Geschichtsschreibung" reflektiert dies zumindest als Problem, als Problem der Grenzüberschreitung des Historischen, ohne die es kein eindringliches Verständnis des Historischen geben kann.
Solche historischen Annäherungen an das philosophische Bedenken sind selten, weil sie dem Wissenschaftsmodell der Geschichte widersprechen oder für eine pädagogische Geschichtspolitik zu sperrig bleiben. Die Wut der Erinnerung, welche die Deutschen seit drei Jahrzehnten plagt, zunehmend weniger, und begeistert, zunehmend mehr, fände an solchen Grenzen ein Scheidemittel, jenseits einer Fetischisierung "des Bösen" und einer zeremoniellen Trauer vor Mahnmalen, der jeder Tag zum Gedenktag wird. Der Weg zu solchen Grenzen ist einer der Relativierung anderer Art, denn wo die Totalisierung des politischen Gedenkens ein Mausoleum korrekter Erinnerung entstehen läßt, einen unversiegbaren Zitatenschatz im Ringen um den "Begriff des Politischen", des Feindes, da versucht die philosophische Annäherung ein Verständnis durch das Aufspüren umfassenderer Strukturen, um von dort zur analytischen "Sympathie" mit allen Tätern und zur emphatischen Erinnerung an alle Opfer zu gelangen, letztlich vielleicht zu einer Geschichtsschreibung, deren tiefer Ton tragisch ist und die ebendeshalb, weil sie auf den Menschen blickt, nie hoffnungslos bleibt.
Irgendwie ist Nolte zu dieser Grenze unterwegs: Er weiß es, nur haben die wenigsten seiner Leser und erst recht seiner Kontrahenten es bemerkt. Die Unbegreiflichkeit und Einzigartigkeit des Geschehens in einem "Reich des Bösen", das sich gegen den "historisierenden" Versuch der Begreifbarkeit und Vergleichbarkeit sperrt, formt sich geistig erst jenseits der Grenzen der Historie: Wer in der Historie zu ihren Grenzen unterwegs ist, wird auf Begreifbarkeit, Kontext und struktureller Vergleichbarkeit bestehen und doch wissen, daß es noch anderes und mehr gibt.
Das philosophische Bemühen Noltes, seine Wendung von der Philosophie in die äußerste Präsenz der Geschichte, die Zeitgeschichte, auch als Teil einer Geschichte des eigenen Lebens, bildet demnach den Ansatzpunkt für jede Beschäftigung mit Denken und Werk Ernst Noltes im Buch Volker Kronenbergs, dessen zentrale Untersuchungen jedoch "Noltes Ideologiegeschichte der Moderne" gelten, die in drei großen Schritten ("Das Liberale System", "Der europäische Bürgerkrieg 1917 bis 1945", "Der Kalte Krieg") Noltes historiographische Ergründungsversuche der katastrophischen Moderne nachvollziehen. Drei kürzere Abschnitte resümieren Noltes Geschichtsdenken in den Kontexten der "jüdischen Dimension" der europäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, des Totalitarismuskonzepts als eines analytischen Werkzeugs sowie der Frage nach einer "historischen Existenz" am Ende eines Jahrhunderts, das unseren Leib nicht mehr besitzt, wohl aber immer noch unser Bewußtsein.
Die Hegemonie der Zeitgeschichte im Kontext historischer Erinnerung, ihr Machteffekt also, ist es jedoch, der den Namen des Berliner Historikers zu einem öffentlichen werden ließ und geradezu zum Synonym einer bestimmten Haltung fixierte, der des "unbelehrbaren Vergangenheitsverdrängers". Eine solche Haltung ist tödlich für den, dem sie zugeschrieben wird: nicht nur, weil er damit zur öffentlichen Unperson wird, kaum minder, weil sie - als Tatsache - die Zerstörung des eigenen Verstandes zur Konsequenz hätte. Eben weil die Geschichtsschreibung nicht, wie die Postmoderne glauben machen will, eine Abart der Literatur ist, bleibt sie der Beliebigkeit in ihrem Kern entzogen, so fiktiv, literarisch, interpretatorisch auch ihre Gestaltungsformen sein mögen. Aus diesem Kern aber ergeben sich Verantwortung und Verantwortlichkeit des Historikers. Entzieht sich Nolte jedoch dieser?
Volker Kronenbergs deutliches Nein bricht ein Eis, das sich seit zehn Jahren zunehmend um Werk und Person Ernst Noltes gebildet hat und seinen Namen zur rhetorischen Drohgebärde im öffentlichen Diskurs um Zeitgeschichte werden ließ, was heißt, daß man ihn auch nicht länger zu lesen brauchte: Man hatte ja bereits davon gehört. Kronenberg hingegen versucht zu zeigen, was tatsächlich dort steht, positiv, doch nicht apologetisch, er versucht Aussagen zu rekonstruieren, sie in den Zusammenhang anderer Interpretationslinien einzubringen, vor allem derjenigen Hannah Arendts, François Furets, Eric Hobsbawms, und sie mit der daran geäußerten Kritik zu konfrontieren. Dabei entsteht ein weites Panorama europäischer Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte und ihrer Deutungen, das nicht allein die Werte des historiographischen Horizonts Ernst Noltes deutlich werden läßt, sondern auch die Fähigkeit Kronenbergs zeigt, ihm durch eine enorme Lektüreleistung auf der Spur zu bleiben.
Von Gott abgewandt
Konfliktzonen, insbesondere zur "Vorbildfunktion" des GULags für die nationalsozialistischen Vernichtungslager oder zum "rationalen Kern" des nationalsozialistischen Antisemitismus in der Rolle jüdischer sozialistischer und kommunistischer Politiker und Intellektueller während der Zwischenkriegszeit, werden deutlich gemacht und in ihren "metaphorischen Verkürzungen", wie Noltes eigener Ausdruck lautet, diskutiert. Die abschließenden Überlegungen zur Problematik einer "historischen Existenz" nach dem Ende des "totalitären Zeitalters" nutzt Kronenberg zum Versuch, Noltes Werk in den Kontext neuerer Überlegungen zu einer Geschichte nach Gott zu stellen, in der das zwanzigste Jahrhundert gerade deshalb so erinnerungspräsent bleibt, weil der Zerfall der Metaphysik wie ihrer religiösen Fixierungen die Ideologien der Moderne erst ermöglicht hat.
Insgesamt also hat Volker Kronenberg den bemerkenswerten Versuch unternommen, das Werk Ernst Noltes in seinen wesentlichen Themen zu rekonstruieren und es auf diese Weise, mehr als ein Jahrzehnt nach Ende der heißen Kontroverse, aus der Tabuzone des Verdachts zu entfernen und wieder rezipierbar, diskutierbar, kritisierbar zu machen: kritisierbar in jenem durchaus aufklärerischen Sinn, der im Gegenüber nicht sogleich den Irrtum vermutet, sondern das Streben nach Erkenntnis, selbst wenn es, zunächst, womöglich auch am Ende, den Anschein des Irrtums erwecken mag.
Man lasse sich nicht täuschen: Trotz einer stetig ansteigenden Flut einschlägiger Literatur zum "totalitären Rätsel des zwanzigsten Jahrhunderts" und insbesondere zu Kreis und Umkreis des "Dritten Reichs" ist dieses noch keineswegs geklärt, ausgeschöpft. Die Tabuzonen wachsen eher, je eindeutiger die deutschen Republiken von 1949 und 1990 sich von Hitler her delegitimieren, von 1933 und 1945, und "Auschwitz" als weltanschauliche Grundlage benutzen. Die Erschöpfung, die einer derart totalen Ausschöpfung, als Normalität des Rituals oder als Reaktion des Kontrasts, folgt, wird dann sicher sein, wenn man die Einwände stillstellt, um die Eindeutigkeit nicht zu gefährden und damit ihre Wirksamkeit als Index korrekten Verhaltens. Noltes Herausforderung von 1986 ist damit gerade kein Zeichen jener Erschöpfung, die verdrängen oder vergessen will, sondern der Impuls einer Erinnerung, die nicht im moralischen Urteil sich beruhigen kann, sondern vom Willen zu verstehen getrieben wird.
Hier liegt das Zentrum von Noltes fortwährender Aktualität, und es ist, unentrinnbar für jede Zeitgeschichtsschreibung, ein politisches, denn Zeitgeschichte ist immer Politik der Vergangenheit. Das haben Noltes Gegner klar erkannt, und das ist das Eis, das sich um Nolte geschlossen hat, um seine Schriften wie um seinen Namen. Diese Geschichtspolitik der korrekten Erinnerung als Machtfaktor des öffentlichen Bewußtseins hat ihn aus der Opportunität des richtigen Bewußtseins ausgegrenzt. Dieses Thema einer Geschichtsschreibung, die Politik bedeutet, wird von Kronenberg durchaus wahrgenommen, es hätte zum Ausgangspunkt einer Analyse werden können.
Das zweite Thema, von Nolte wiederholt hervorgestellt, nämlich das eines angemesseneren wissenschaftlichen Verfahrens zum Verständnis des Nationalsozialismus durch dessen vergleichende Einordnung in "Totalitarismus" und "Krise des liberalen Systems", steht hingegen im Mittelpunkt des Kronenbergschen Buches, wobei deutlich wird, was selbstverständlich sein sollte, daß eben ein Vergleich nationalsozialistischer und kommunistischer Massenvernichtungen den Schrecken nicht relativiert, es sei denn, man nähme an, daß es bei letzteren doch um eine "gute Sache" gegangen sei, welche die riesenhaften Menschenopfer lohnte. Doch ließe sich dieses Verfahren auch methodologisch diskutieren, als Frage nach einer Historik der Zeitgeschichte etwa. Und es ließe sich fragen, was eine "philosophische Geschichtsschreibung" sein soll und ob sich Noltes Begriff und Praxis davon als ein Beispiel eignen oder nicht.
Doch das sind wohl Einwände und Fragen, die nicht alle gleichzeitig oder gar erschöpfend in einer auf Rekonstruktion, des Arguments wie der Inhalte, bedachten Untersuchung behandelt werden können. Dies, die Rekonstruktion von Noltes Werk in einem breiten Feld von Zusammenhängen, des Arguments, seiner Entwicklung wie seiner Rezeption und Relevanz, dargestellt zu haben ist die unbestreitbare Leistung des vorliegenden Buches, das sich als Beitrag, zum Teil auch als Kontrapunkt zur gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Nationalsozialismus, aber auch um den Totalitarismus insgesamt versteht. Als solches sollte es auch genommen und beachtet werden: als erstes Wort nach langem Schweigen, das kein letztes Wort gewesen sein kann.
KARL H. METZ
Volker Kronenberg: "Ernst Nolte und das totalitäre Zeitalter". Versuch einer Verständigung. Bouvier Verlag, Bonn 1999. 400 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Karl H. Metz begrüßt das Erscheinen dieses Buchs ausdrücklich, insbesondere weil er hier Noltes Werk "in einem breiten Feld von Zusammenhängen, des Arguments, seiner Entwicklung wie seiner Rezeption" dargestellt sieht, ohne dass der Autor dabei apologetisch vorgegangen sei. Der Rezension ist zu entnehmen, dass nach Metz` Ansicht Nolte oft unrecht getan worden ist, dass er insbesondere durch den Historikerstreit in eine Schublade gesteckt worden war, die nähere Auseinandersetzung zu erübrigen schien. Kronenberg jedoch habe den bewundernswerten Versuch unternommen, Noltes Denken nachvollziehbar zu machen, aufzuzeigen, "was tatsächlich dort (in seinen Werken) steht" und ihn mit "anderen Interpretationslinien" zu konfrontieren. Als besondere Leistung Kronenbergs würdigt Metz darüber hinaus, dass er Nolte aus der Tabuzone herausführt und ihn wieder "rezipierbar, diskutierbar, kritisierbar" macht, ohne dabei Irrtümer unter den Teppich zu kehren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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