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"Es wird darum gehen, zu zeigen, wie sich im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung in Europa in den vergangenen 600 Jahren die Spiele der Bildkunst und die der Wirtschaft aneinander und miteinander entwickelt haben. Ich werde diese Geschichte aus zwei symmetrischen Blickwinkeln verfolgen - zum einen mit Blick auf die Wirkungen der Bildkunsterfindungen für den Sektor der Wirtschaft, der Erlebnisgüter produziert, zum anderen mit Blick für kommerzielle Veränderungen, die sich ihrerseits auf Erfindungen der Bildkunst ausgewirkt haben. In beiden Geschichten werden drei Perioden unterschieden.…mehr

Produktbeschreibung
"Es wird darum gehen, zu zeigen, wie sich im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung in Europa in den vergangenen 600 Jahren die Spiele der Bildkunst und die der Wirtschaft aneinander und miteinander entwickelt haben. Ich werde diese Geschichte aus zwei symmetrischen Blickwinkeln verfolgen - zum einen mit Blick auf die Wirkungen der Bildkunsterfindungen für den Sektor der Wirtschaft, der Erlebnisgüter produziert, zum anderen mit Blick für kommerzielle Veränderungen, die sich ihrerseits auf Erfindungen der Bildkunst ausgewirkt haben. In beiden Geschichten werden drei Perioden unterschieden. Die erste reicht von 1400 bis 1700, die zweite bis 1900, und die dritte bis zur Gegenwart. In jeder der Perioden konzentriert sich die Beobachtung auf ausgewählte Episoden in Spielvarianten, die deutlich kürzer waren als diese Perioden, die es aber erlauben, bestimmte Eigenheiten der historischen Entwicklung zu verdeutlichen."
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Michael Hutter war von 2008 bis 2014 Direktor der Abteilung »Kulturelle Quellen von Neuheit« am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie Professor für Wissen und Innovation am Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin. Seit 2015 ist er emeritiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2016

Wie die Ökonomie den Geist vertreibt
Mit Kunst spielt man nicht: Michael Hutter erklärt den ästhetischen Kapitalismus

Die Bildkünste pflegen ein intimes Verhältnis zum Kapital, umgekehrt schmückt sich, wer Geld hat, mit den Produkten der Kunst. Als die europäische Kunst um 1400 begann, initiierten Kapitalgeber mit meist schlecht bezahlten Großaufträgen einen Wettbewerb zwischen den Künstlern. Aus dieser Allianz entsprangen erstaunliche Techniken, die perspektivische Konstruktion des Bildraums etwa, deren Gesetze heute unsere visuelle Alltagskultur in dem Maße beherrschen, dass wir uns beim täglichen Blick in die PCs von ihr beherrschen lassen. Kunstwissenschaftler haben über "die Perspektive als symbolische Form" (Panofsky), über "die Messkunst der Kaufleute" (Baxandall) und den daraus resultierenden Kunsthandel ausgiebig gehandelt.

Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hutter rollt diese und andere Kunstgeschichten aus der Sichtweise seiner Disziplin noch einmal unter dem Begriff des "Spiels" auf. Es geht um das Spielgeschehen zweier "autonomer Wertsphären", um die über "ernste Spiele" ineinander verflochtene Wirtschaft und die Kunst. Spiele stehen am Ursprung der Kultur und charakterisieren Handlungen im sozialen Feld, wenn Regeln aufgestellt, umgangen und erweitert, wenn Strategien erdacht und verfolgt werden, wenn Vergnügen, Selbstdarstellung, Machtgier, Entdeckerdrang, Rechthaberei und Bereicherung als Motivationen gelten - und wenn ein Spielfortgang, wie das Leben selbst, unvorhersehbar ist. Als einen Spezialfall des kulturellen Spiels sieht Hutter die "Koevolution von Kunst und Wirtschaft". Wenn diese beiden Systeme miteinander spielen, so die These, kann das zu "neuen, stabilen Systemerrungenschaften" führen.

In zwei Akten führt Hutter seine Leser durch ein Buch, das wie eine kunsthistorische Studie bebildert ist. Der erste Teil beginnt mit einer Erzählung der frühneuzeitlichen Perspektivgeschichte unter dem Paradigma der kommerziellen Wertschöpfung. Hutter, versiert in der kunsthistorischen Forschung, eilt durch diesen Klassiker in einer für die Kunstwissenschaft höchst irritierenden Weise: In der Sicht des Ökonomen, der das "Spiel mit dem Fluchtpunkt" beobachtet, ist die Perspektivkunst, gleich welchen Inhalt sie vermittelt, ein "handwerklich-technisches Hilfsmittel", das zum "mentalen Modell" wird und schließlich "kulturell etablierten Erwartungen" entsprach.

Kunstwerke wie der Petersdom sind dann vor allem Räume, in denen "illusionistische Effekte" erzielt werden, oder Objekte, welche die Linearperspektive wirkungsvoller, wertvoller und vor allem am Markt gut verkäuflich machen. Der Künstler avanciert zum Herrscher, der seinen Auftraggebern Spiele der Macht mit Hilfe von Illusionsräumen eröffnet. In dieser Lesart wird die durch Linearperspektive erzeugte sinnliche Illusion - und nicht ihr oft schwer verständlicher geistiger Gehalt - zum eigentlichen, zum kommerziellen Motor der Kultur, die in die gegenwärtige "Erlebnisgesellschaft" führt.

Am Ende des ersten Teils führt Hutter mit Mies van der Rohes Seagram Building und Warhols "Flower Series" in das New York der sechziger Jahre. Die endmoderne Architektur, als Prestige generierendes Lifestyleobjekt für einen Whiskey-Fabrikanten erdacht, erzählt Hutter als grandiose Wertschöpfungskette, die mit stilbildenden Rasterproportionen und massengefertigten Baumaterialien die "Grundregeln des globalen Bildkunstspiels" von elitären zu populären Inhalten, von singulären zu seriellen Werken umstellte.

Der Prestigegewinn, der mit hohen Gesamtkosten für das Gebäude erkauft wurde, schlug sich damals erstmalig in einem steuerlich erhobenen prestige value für die Seagram-Firma nieder. Zur selben Zeit stellte Andy Warhol seine Bildproduktion auf Serie und machte mit Suppendose und Blütenblättern, die er massenweise anfertigen ließ, eine bis dato beispiellose Künstlerkarriere. Jedes Siebdruckgemälde ist das Paradox eines in Serie gefertigten Originals, genügte damit einem traditionellen Kunstbegriff und half den Wert einer einzigen Bildidee massenhaft zu versilbern.

Den zweiten Teil des Buches widmet Hutter den Einwirkungen des Kapitals auf die Kunst. Auch dieses Kapitel der Kunstgeschichte beginnt im fünfzehnten Jahrhundert und endet vorläufig mit Takashi Murakamis Vuitton-Shop, der Verlängerung der Pop-Art in der Gegenwart. Gezielt benutzt die Luxusgüterindustrie Kunst zum Zweck der Wertschöpfung, nämlich durch Implementierung von Murakami-Zeichen in das Vuitton-Monogramm auf knapp gehaltenen Editionen von Damenhandtaschen.

Und auch das öffentliche Kunstmuseum wird jetzt zum interessierten Mitspieler, wenn es Murakamis Vuitton-Editionen samt Verkaufsboutique zur Retrospektive lädt. Hutter legt hier die Einzelheiten strategisch kalkulierter Verwickelungen von Kunst und Kommerz auf den Tisch - die auf nichts anderes als eine fortschreitende Austreibung des Geistes aus der Kunst mit den Techniken der Ökonomie hinausläuft.

CHRISTIANE KRUSE.

Michael Hutter: "Ernste Spiele". Geschichten vom Aufstieg des ästhetischen Kapitalismus. Wilhelm Fink Verlag, München 2015. 276 S., Abb., br., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Merklich interessiert folgt der hier rezensierende Germanist Jochen Hörisch den Ausführungen Michael Hutters über die im systemtheoretischen Sinne verstandenen Systeme der Kunst und der Ökonomie und über das, was sie trennt und mehr noch verbindet. Hörisch konzediert, dass die Begriffe des Bielefelder Systematikers Niklas Luhmann, der Hutter inspiriert,recht unsexy klingen, wobei er den hier wichtigen Begriff der "Interpenetration" ausnimmt. Die Sphären sind nach Hutter/Luhmann/Hörisch nämlich getrennt und doch durch vieles verbunden, etwa durch die Lust, "ernste Spiele" zu spielen, deren Regeln man auch verändern kann, oder durch die Lust auf neue Formeln. Von der Anwendung kapitalistischer Prinzipien der Gewinnmaximierung auf künstlerische Serien bei Warhol oder Gursky mal ganz abgesehen.

© Perlentaucher Medien GmbH