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»Eine großartige deutschsprachige Autorin ...« Denis Scheck in 'Druckfrisch'
Ein langes Wochenende in der Schweiz, ausgefüllt mit Wandern und Lektüre - so lautet der Plan des 41-jährigen Hamburger Kleinunternehmers Jobst Böhme. Doch rasch wird aus der Lesereise eine Odyssee in die Innenwelten dreier Figuren, eine Slalomfahrt durch die Psyche seiner Zeitgenossen, und er sieht sich mit den blinden Flecken im eigenen Leben konfrontiert.

Produktbeschreibung
»Eine großartige deutschsprachige Autorin ...« Denis Scheck in 'Druckfrisch'

Ein langes Wochenende in der Schweiz, ausgefüllt mit Wandern und Lektüre - so lautet der Plan des 41-jährigen Hamburger Kleinunternehmers Jobst Böhme. Doch rasch wird aus der Lesereise eine Odyssee in die Innenwelten dreier Figuren, eine Slalomfahrt durch die Psyche seiner Zeitgenossen, und er sieht sich mit den blinden Flecken im eigenen Leben konfrontiert.
Autorenporträt
Brigitte Kronauer wurde am 29. Dezember 1940 in Essen geboren. Sie studierte Germanistik und Pädagogik und war bis 1971 als Lehrerin tätig. Bereits ihr erster Roman, "Frau Mühlenbeck im Gehäus", der 1980 erschien, erregte große Aufmerksamkeit. Seither hat sie mehrere Romane, Erzählungen und Essays veröffentlicht. Ihr schriftstellerisches Werk wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis der Stadt Berlin, dem Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg und dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet. 2005 wurde ihr der Georg-Büchner-Preis verliehen, 2011 erhielt sie den Jean-Paul-Preis, 2017 den Thomas-Mann-Preis. Brigitte Kronauer ist am 22. Juli 2019 in Hamburg gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007

Verdacht auf Eigenblutdoping grundlos
Selbstironisch: Brigitte Kronauers Roman "Errötende Mörder" / Von Patrick Bahners

In einem Reisebus, unter bröckelnden Greisen und faulenden alten Schachteln, sitzt die stolze Frau Pulsatilla, die einmal so schön gewesen ist, dass Männer dafür zahlten, mit ihr zusammenzusein. Sie trägt den Namen einer Blume, über die im "Illustrierten Heil-, Gift- und Nutzpflanzenbuch" des Dichters Adelbert von Chamisso steht: "Diese Pflanze, die ehedem officinall gewesen, besitzt eine ausnehmende Schärfe; wenn man ihren Saft auspresst, reichen dessen Ausdünstungen hin, die Augen zu entzünden und mit Tränen zu füllen." Die Wurzel der lateinischen Bezeichnung, "pulsare", "schlagen", spielt auf die Glockenform der Blüte an. Die deutsche Übersetzung ist eine poetische Verdeutlichung: Kuhschelle. Was hören wir da läuten?

An Frau Pulsatilla und ihren Reisegenossen, die nichts mehr bei sich behalten, ihre Spucke nicht und ihre Lebensgeschichten nicht, drängt sich, der Bus ist schon fast am Ziel, ein geistlicher Herr vorbei, der keinen Trost spendet, sondern für jedermann, den Orientalisten Felberich und den Neurologen Eibisch, die Toilettenfrau Bärlapp und die Fernsehansagerin Fingerhut, nur das Sätzchen übrig hat: "Tut mir leid, ich kann nicht alle Namen behalten." Ein Lauer ist dieser Glaubensverwalter, den der Bus ausspeien wird. Er liest nur selten im Buch der Natur und hat vergessen, dass dessen Autor mit seinem Schöpfer identisch ist. Denn dort sind im botanischen Teil alle Ausflugsteilnehmer verzeichnet. Gott der Herr hat sie nicht nur gezählet wie die Heizdeckenmarktforscher und Pflegebettenbedarfsberechner, er hat sie bei ihren Namen gerufen. Trespe nennt sich der Land- und Stadtstreicher wie das Süßgras, das im Mai und Juni an Wegrändern und auf Schuttplätzen in ganz Deutschland anzutreffen ist. Nah verwandt ist ihm der frühere Bürgermeister und noch frühere Karnevalsprinz Briza - wie das Zittergras. Und der Prälat selbst prunkt standesgemäß mit einem lateinischen Namen: Rumex, zu deutsch Ampfer.

Es ist ein Schnitter, heißt der Tod. Seine Gewalt hat er vom großen Gott, seine Waffen aber von der Gesellschaft, dem großen Götzen. Wer diese Kaffeefahrt gebucht hat, tat das, allem Fortschreiten der Demenz trotzend, im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass der Pott ohne Koffein, der auf der Insel Fehmarn auf jeden Businsassen wartet, der letzte sein kann. Die Ausgesonderten und Abgeschobenen rücken zusammen, an denen die Welt keinen Nutzen mehr entdecken will, wie die Medizin der Apparate nicht mehr auf den Gedanken kommt, die Kuhschelle offizinal, also als Heil- oder Giftmittel, zu gebrauchen. Dabei kann es schon heilsam sein, eine Pflanze beim Wachsen und Welken bloß zu betrachten oder einem alten Menschen einfach zuzuhören. Ruth Bärlapp, der Klofrau, deren Eltern ein großes Möbelgeschäft besaßen, löst die Chefsekretärin Hartriegel die Zunge, als sie das Lied "Weißt du, wieviel Sternlein stehen" anstimmt, das nämlich auch die Bärlapp gesungen hat, als sie die Möbel im elterlichen Geschäft saubermachte und noch keine fremden Toiletten. Dass die auf dem Teller klingelnden Münzen die Sängerin honorierten und nicht die Reinigungskraft, bildet sie sich ein, und wenigstens im Bus versetzt die Metamorphose das Publikum in gebührendes Erstaunen. "Selbst Strör bemerkt das Erblühen der Frau und starrt sie tief verwundert an."

In der Naturheilkunde werden mit Bärlapp schlecht heilende Wunden behandelt. Die wundersame Spätblüte der unter dem Wappen dieses Krautes reisenden Frau und ihrer Gefährten schildert die Mitteltafel des Novellentriptychons, als welches sich der jüngste Roman von Brigitte Kronauer darstellt. Die Figuren der durch eine Rahmenhandlung verbundenen Geschichten sind mit Wunden geschlagen, die die Zeit nicht heilen kann. Linderung verschafft in solchen Fällen eine Arznei, die zunächst wie ein Gift wirkt, die das Leiden sublimiert, indem sie die Qual verlängert: das Erzählen.

Jener Strör, der zunächst gar nichts hat bemerken wollen und sich später um so tiefer verwundert, weil er nur zufällig in den Reisebus gestiegen ist, den er mit einem Linienbus verwechselte, ein nicht mehr junger, bei Abfahrt aber auch noch nicht alter Mann, lernt das Erzählen im Laufe der Fahrt. Als die Hartriegel einen Schrei ausstößt, weil der ewige Wechsel von Piercing-Studio, Autosalon und House of Hair am Bundesstraßenrand plötzlich von einem riesigen Schrottplatz unterbrochen wird, da ist es Strör, der, aus eigenem Berufserleben schöpfend, "ihr erzählt, sie solle sich nicht grausen, das dort sei gar nicht schlimm". Und Strör, der zuletzt Fahrstühle in Schuss gehalten hat, also ein Fachmann für die Bewegung auf der Stelle ist, macht die Erfahrung der Perspektivumkehr, die sich einstellt, wenn man sich auf den Weg des Erzählens gemacht hat. "Allerdings kam es dir kurz nach deiner Erklärung so vor, als würdest du nicht mehr Tattoo, Tankstelle, Gasthof draußen entgegenfahren, sondern laufend von ihnen weg, dich immerzu von Baumarkt und Bauernhof, die dir doch entgegenstürzten, entfernen, ihnen nachblicken, sobald sie sichtbar wurden."

Die Stimme, die Strör duzt, weiß, wovon sie spricht. Sie gehört einem olympischen Erzähler - im Wortsinn. Einmal stellt die Bärlapp die Frage in den fahrenden Raum: "Was halten Sie von Olympia?" Da folgt die Anweisung: "Achtung, jetzt redet sie von uns, bitte alle die Ohren gespitzt!" Die Geschichte von "Errötende Mörder", der zentralen Novelle, die dem ganzen Roman den Titel gibt, wird einer Gesellschaft von Göttern erzählt, die sich am Nichtwissen der Menschen delektieren. Am Ende wissen sie doch nicht alles. Der Tod im Rapsfeld ist den Buspassagieren zugedacht, in letzter Entgrenzung und völliger Haltlosigkeit sollen die uralt gewordenen Blumenkinder aufgehen unter Artverwandten, der Kreis von Werden und Vergehen soll sich schließen. Strör aber erblickt ein Schiff und beginnt ein neues Leben, von dem die Götter nach eigener Aussage keine Ahnung haben. So ist ihr Weltüberblick nur die metaphysische Verschleierung des phantasielosen Zynismus jener Gesellschaft, die mit den Alten nichts mehr anfangen kann.

Das Erröten der Mörder wird als Eigenart der Schurken Dashiell Hammetts ins Spiel gebracht. Diese geniale Erfindung oder Beobachtung des Romanschriftstellers, der als Inbegriff des kaltblütigen Erzählers gilt, wirft ein moralpsychologisches Rätsel auf, das sich auch auf die Haltung des Autors erstreckt. "Kann man absichtlich rot werden, um Ermittler oder Leser in die Irre zu führen?" Oder ist es ein Fehlschluss vom Schreiben auf das Leben, wenn der fehlerfrei kalkulierende Verfasser seinen Personen in jedem Moment Absichtlichkeit unterstellt? Brigitte Kronauers Kunstfiguren sind perfekt konstruiert und geben bisweilen ihre Abkunft von den Automaten und Puppen der Romantik zu erkennen. Aber jederzeit kann ihnen Blut ins Gesicht schießen, das nicht in Ampullen Freiburger Hexendoktoren zwischengelagert werden musste. Tarnung ist verräterisch: Dieser ursprüngliche Einfall erzählerischer Ironie sprengt bei Brigitte Kronauer sein Gehäuse, die aufgeklärte Psychologie der Entlarvung. Denn mit schönster Regelmäßigkeit widerfährt es dem Leser, dass er vom Wiedererkennen übermannt wird. Er hat es zwar von der ersten Seite an auf Identifikation angelegt. Doch es ist ein Schock, in dem Lust und Peinlichkeit nicht zu trennen sind, wenn er sich gestehen muss: Von dir erzählt die Fabel.

Das Gerücht, Brigitte Kronauer übertreibe es mit der Selbstreferenz, sollte dieser hochkomische Roman aus der Welt schaffen. Seine Episoden sind nicht brav aus dem Leben gegriffen, sondern haschen frech nach dem Leben, nach Erinnerungsfetzen und Zeitgenossenschaftsflocken, so dass auch dem "Fußballer, den sie Effe nennen", die Ehre der Verewigung zuteil wird - weil das Leben selbst ein solches Haschen ist, in dieser so grotesken wie rührenden Bewegung erst hervorgebracht wird. Wer in der Reflexion nicht die der menschlichen Gattung eigene Vitalität zu erkennen gestimmt ist, der scheint für Brigitte Kronauers Bücher allerdings verloren. Selbstbezüglichkeit vollendet und läutert sich in der Selbstironie. Auch die erste und die letzte der drei Novellen widmen sich der Kritik der Erzählinstanz. "Der böse Wolfsen oder Das Ende der Demokratie" ist das Protokoll eines besessenen Sammlers, der sich wie Brigitte Kronauer in ihrer Büchnerpreisrede der Rettung des Individuellen verschrieben hat, kulturkritische Tiraden schwingt und seine Umwelt in eine mathematische Ordnung zwingt wie die Autorin die Welt ihrer ersten Romane. "Der Mann mit den Mundwinkeln" parodiert das Verfahren der Legendenbildung im großen Liebesroman "Teufelsbrück".

Die drei Kleinromane im neuen Roman liest vor uns der Held der Rahmenerzählung, ein Schreibwarenhändler, der die einfachsten literarischen Anspielungen nicht erkennt. Obacht, lieber Mitleser: Auch auf diesem unbeschriebenen Blatt findest du deine Geschichte.

Brigitte Kronauer: "Errötende Mörder". Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 2007. 344 S., geb., 21,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Selbst wenn Brigitte Kronauers Sprache keine Berge versetzen sollte, löst sie immerhin die Sehnsucht danach aus, konstatiert Rezensentin Kristina Maidt-Zinke und sieht damit die Autorin hoch über dem "Hügelrevier der Mehrheit zeitgenössischer Erzähler" schweben. In ihrem neuen Roman verschachtelt sie drei Binnenerzählungen, in der Rahmenhandlung geht es um einen Mann in einer veritablen Lebenskrise, der zur Besinnung in einer Schweizer Chalet fahren will und dort drei Geschichten Korrektur lesen soll - unter anderem die titelgebende "Errötende Mörder". Der Rezensentin begegnen in dem Buch nicht nur die typischen ambivalenten Kronauer-Figuren, sondern auch wunderbare Formulierungen wie die "maulaufreißende Hässlichkeit der Welt" oder ihre "Generalscheußlichkeit". Für Maidt-Zinke einfach "ein Kunstwerk".

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