In einem Pariser Gefängnis sitzt eine junge Frau in Untersuchungshaft: Am Abend zuvor hat sie in der Metro einem Migranten, der sie angesprochen hatte, eine Weinflasche über den Kopf geschlagen. Erst einige Jahre zuvor war sie selbst als Einwanderin nach Paris gekommen. Was treibt eine Frau, die in der Asylbehörde als Dolmetscherin zwischen Asylbewerbern und Beamten vermittelt, zu einer solchen Tat? Mit wütendem Blick analysiert Shumona Sinha die Kehrseite des Asylsystems. In kraftvoller und bildreicher Sprache stellt sie aufrüttelnde Fragen zu Identität und Zusammenleben in einer globalisierten Welt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2019NEUE TASCHENBÜCHER
Lügen als
einzige Chance
„Menschenrechte enthalten nicht das Recht, dem Elend zu entkommen.“ Dieser Satz ist der bittere Kern des Romans „Erschlagt die Armen!“ von Shumona Sinha. Denn Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsländern geflüchtet sind, müssen schon sehr plausible Lügen parat haben, damit ihre Asylgesuche den Hauch einer Chance auf Erfolg haben. Die in Kalkutta geborene Schriftstellerin Sinha, die einige Zeit als Dolmetscherin für die französische Einwanderungsbehörde gearbeitet hat, erzählt von quälenden bis belustigenden Anhörungen – und sie schont dabei weder die Antragsteller noch die Ich-Erzählerin, als Migrantin selbst in einer schwierigen Mittlerposition. Als dieses schmale, böse Buch im Jahr 2015 in deutscher Übersetzung erschien, traf es in einer aufgeheizte Debatte über Schwächen und Grenzen des Asylsystems einen Nerv. Und die Lektüre des Romans, dessen provozierender Titel übrigens einem Gedicht von Charles Baudelaire entlehnt ist, lohnt noch immer: allein schon aufgrund der literarischen Qualität der bildstarken Suada – aber auch, weil das Buch in all seiner Ambivalenz Fragen stellt, die noch längst nicht beantwortet sind.
ANTJE WEBER
Shumona Sinha: Erschlagt die Armen! Aus dem Französischen von
Lena Müller. dtv, München 2019, 128 Seiten,
10,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Lügen als
einzige Chance
„Menschenrechte enthalten nicht das Recht, dem Elend zu entkommen.“ Dieser Satz ist der bittere Kern des Romans „Erschlagt die Armen!“ von Shumona Sinha. Denn Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsländern geflüchtet sind, müssen schon sehr plausible Lügen parat haben, damit ihre Asylgesuche den Hauch einer Chance auf Erfolg haben. Die in Kalkutta geborene Schriftstellerin Sinha, die einige Zeit als Dolmetscherin für die französische Einwanderungsbehörde gearbeitet hat, erzählt von quälenden bis belustigenden Anhörungen – und sie schont dabei weder die Antragsteller noch die Ich-Erzählerin, als Migrantin selbst in einer schwierigen Mittlerposition. Als dieses schmale, böse Buch im Jahr 2015 in deutscher Übersetzung erschien, traf es in einer aufgeheizte Debatte über Schwächen und Grenzen des Asylsystems einen Nerv. Und die Lektüre des Romans, dessen provozierender Titel übrigens einem Gedicht von Charles Baudelaire entlehnt ist, lohnt noch immer: allein schon aufgrund der literarischen Qualität der bildstarken Suada – aber auch, weil das Buch in all seiner Ambivalenz Fragen stellt, die noch längst nicht beantwortet sind.
ANTJE WEBER
Shumona Sinha: Erschlagt die Armen! Aus dem Französischen von
Lena Müller. dtv, München 2019, 128 Seiten,
10,90 Euro.
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Ein wichtiges, aufrüttelndes Buch, das unter die Haut kriecht und Unbehagen hervorruft. schreiblust-leselust.de 20190530
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Einen sehr zornigen Roman hat Shumona Sinha geschrieben, erklärt Claudia Kramatschek, die in ihrer Kritik Sympathie für die Autorin nur durchscheinen lässt. Sinha erzählt in "Erschlagt die Armen!" von einer Dolmetscherin in einer französischen Ausländerbehörde, die der Rassismus der Franzosen ebenso ankotzt wie die gefälschten Geschichten und der Chauvinismus der Asylsuchenden. Es ist auch Sinhas eigene Geschichte, die sie hier erzählt. Die Sprache ist provokant und manchmal "sehr verliebt in das eigene Wortspiel", so die Rezensentin. Eigentlich bekommen alle hier ihr Fett weg. Warum der Roman jedoch in Frankreich so viel Aufsehen erregte, dass Sinha in Folge ihren Dolmetscherjob verlor, versteht Kramatschek beim besten Willen nicht. Das sagt doch mehr über die französische Gesellschaft aus als über das Buch, findet sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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