Neun Jahre brachte Monireh Baradaran in den berüchtigten Gefängnissen von Teheran zu. Das, was sie dort erlebte, geht an die Grenze dessen, was ein Mensch ertragen kann. Wieder in Freiheit, zeichnet sie einfühlsame Porträts ihrer Leidensgenossinnen und stellt die Frage, wie es dazu kommen kann, daß Freunde zu Feinden, "Helden" zu "Verrätern" werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.1999In den Händen der Gottesmänner
Monireh Baradarans Bericht aus den Gefängnissen Teherans
Monireh Baradaran hat neun Jahre an Orten verbracht, die unseren Vorstellungen von der Hölle kaum nachstehen: in den berüchtigten Teheraner Gefängnissen "Evin", "Ghezelhessar" und "Gouhardascht". Als Mitglied einer linksgerichteten Gruppierung im Oktober 1981 verhaftet, war sie wiederholt schwerer Folter und monatewährender, strenger Isolationshaft ausgesetzt. Es waren die Jahre, da sich iranische Gottesmänner die teuflischsten ihrer Exzesse erlaubten.
Daß sie ihre Überzeugungen ungeachtet der Qualen und im Unterschied zu vielen ihrer Mitgefangenen bewahrt und zudem die Kraft aufgebracht hat, einen detaillierten Bericht über ihre Haftzeit zu verfassen, ist aller Anerkennung wert. Obwohl man schon einiges über die Situation in den iranischen Revolutionsgefängnissen wußte, ist das Buch, das der Unionsverlag unter dem Titel "Erwachen aus dem Alptraum" herausgegeben hat, überdies von einigem dokumentarischen Wert. In literarischer Hinsicht ist es unerheblich.
Das hat seine Ursache nicht darin, daß Monireh Baradaran keine Fiktion erzählt. Die Literaturgeschichte, auch die iranische, ist voller authentischer Texte, die dennoch von überragender poetischer Kraft sind. Aber auch gute, für das Richtige engagierte und wegen ihrer Überzeugungen verfolgte Menschen - und ebenso präsentiert sich die Autorin auf über dreihundert Seiten - müssen nicht unbedingt guten Autoren sein. Aber darf ein Buch, das aus der Feder einer Verfolgten stammt und nur die besten politischen Absichten verfolgt, mit derart harschen Worten bedacht werden? Die Frage zu verneinen, hieße, die Autorin noch einmal zum Opfer zu machen anstatt sie an literarischen Kriterien zu messen.
Zu den Grundproblemen des Buches zählt die Überzeugung der Autorin, über alles schreiben zu müssen. In ihrer Schilderung überläßt sie nichts der Andeutung, gewährt sie der Ahnung - die doch dort, wo von Dingen außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung und Vorstellung die Rede ist, den eigentlichen Schrecken bereit hielte - keinen Raum. Wäre sie bei der nüchternen Beschreibung geblieben und hätte sie das Minutiöse zum Prinzip gemacht, wäre daraus womöglich eine eigene Qualität erwachsen. Doch statt dessen nimmt die Autorin Zuflucht zu einem Jargon der Betroffenheit, der eindringlich sein soll, aber nur abgestanden ist und durch das verheerende Deutsch der Übersetzer zusätzlich enerviert. Das Weinen ist "bitterlich, ohne eine Spur von Hoffnung", und "bitter" ist auch der "Geschmack des Verlustes". Der "Horrortrip" wirkt "alptraumhaft", während der "Schock" nur "schlimm" ist, manches Einzelschicksal "tragisch", die "Traurigkeit" "bodenlos", der "Schmerz" "wahnsinnig" und mancher Moment der Freundschaft auch "wunderschön". In dem Text wimmelt es von Adjektiven rhetorischer Hilflosigkeit wie "unfaßbar", "herzzerreißend und "abgrundtief traurig". Unablässig wird so kommentiert, was ohnehin in aller Eindeutigkeit geschildert wird.
Daß Literatur solche Leerformeln nicht nötig hat, um ins Herz zu treffen, wird gerade im Vergleich zu einem anderen Buch deutlich, das ein iranisches Gefängnisschicksal nach der Revolution zum Thema hat: Manuchehr Iranis "Der König der Schwarzgewandeten" (F.A.Z. vom 16. Dezember 1998). Aus dem Unheil einer ganzen Epoche hat der Dichter, der sich hinter dem Pseudonym verbirgt, einen dürren und gleichzeitig überreichen Bericht von nicht einmal neunzig Seiten destilliert.
So unscheinbar und fast abweisend seine Prosa zunächst wirkt, so hilft er dem Leser, so er zu assoziieren und zu reflektieren bereit ist, durch präzise ausgewählte Andeutungen, sich das Unbeschreibliche auszumalen. Das Bild, das entsteht, ist verwirrender als Monireh Baradarans Litterature engagée, in der nur Gute, Böse und solche, die durch die Folter böse werden, existieren; aber während sie den Schrecken realistisch zu zeigen meint und ihn dadurch verkleinert, ist Iranis Text gerade in der Abstrahierung so erschütternd, wie nur Literatur es sein kann .
NAVID KERMANI
Monireh Baradaran: "Erwachen aus dem Alptraum". Herausgegeben und aus dem Persischen übersetzt von Bahram Choubine und Judith West. Unionsverlag, Zürich 1998. 340 S., br., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Monireh Baradarans Bericht aus den Gefängnissen Teherans
Monireh Baradaran hat neun Jahre an Orten verbracht, die unseren Vorstellungen von der Hölle kaum nachstehen: in den berüchtigten Teheraner Gefängnissen "Evin", "Ghezelhessar" und "Gouhardascht". Als Mitglied einer linksgerichteten Gruppierung im Oktober 1981 verhaftet, war sie wiederholt schwerer Folter und monatewährender, strenger Isolationshaft ausgesetzt. Es waren die Jahre, da sich iranische Gottesmänner die teuflischsten ihrer Exzesse erlaubten.
Daß sie ihre Überzeugungen ungeachtet der Qualen und im Unterschied zu vielen ihrer Mitgefangenen bewahrt und zudem die Kraft aufgebracht hat, einen detaillierten Bericht über ihre Haftzeit zu verfassen, ist aller Anerkennung wert. Obwohl man schon einiges über die Situation in den iranischen Revolutionsgefängnissen wußte, ist das Buch, das der Unionsverlag unter dem Titel "Erwachen aus dem Alptraum" herausgegeben hat, überdies von einigem dokumentarischen Wert. In literarischer Hinsicht ist es unerheblich.
Das hat seine Ursache nicht darin, daß Monireh Baradaran keine Fiktion erzählt. Die Literaturgeschichte, auch die iranische, ist voller authentischer Texte, die dennoch von überragender poetischer Kraft sind. Aber auch gute, für das Richtige engagierte und wegen ihrer Überzeugungen verfolgte Menschen - und ebenso präsentiert sich die Autorin auf über dreihundert Seiten - müssen nicht unbedingt guten Autoren sein. Aber darf ein Buch, das aus der Feder einer Verfolgten stammt und nur die besten politischen Absichten verfolgt, mit derart harschen Worten bedacht werden? Die Frage zu verneinen, hieße, die Autorin noch einmal zum Opfer zu machen anstatt sie an literarischen Kriterien zu messen.
Zu den Grundproblemen des Buches zählt die Überzeugung der Autorin, über alles schreiben zu müssen. In ihrer Schilderung überläßt sie nichts der Andeutung, gewährt sie der Ahnung - die doch dort, wo von Dingen außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung und Vorstellung die Rede ist, den eigentlichen Schrecken bereit hielte - keinen Raum. Wäre sie bei der nüchternen Beschreibung geblieben und hätte sie das Minutiöse zum Prinzip gemacht, wäre daraus womöglich eine eigene Qualität erwachsen. Doch statt dessen nimmt die Autorin Zuflucht zu einem Jargon der Betroffenheit, der eindringlich sein soll, aber nur abgestanden ist und durch das verheerende Deutsch der Übersetzer zusätzlich enerviert. Das Weinen ist "bitterlich, ohne eine Spur von Hoffnung", und "bitter" ist auch der "Geschmack des Verlustes". Der "Horrortrip" wirkt "alptraumhaft", während der "Schock" nur "schlimm" ist, manches Einzelschicksal "tragisch", die "Traurigkeit" "bodenlos", der "Schmerz" "wahnsinnig" und mancher Moment der Freundschaft auch "wunderschön". In dem Text wimmelt es von Adjektiven rhetorischer Hilflosigkeit wie "unfaßbar", "herzzerreißend und "abgrundtief traurig". Unablässig wird so kommentiert, was ohnehin in aller Eindeutigkeit geschildert wird.
Daß Literatur solche Leerformeln nicht nötig hat, um ins Herz zu treffen, wird gerade im Vergleich zu einem anderen Buch deutlich, das ein iranisches Gefängnisschicksal nach der Revolution zum Thema hat: Manuchehr Iranis "Der König der Schwarzgewandeten" (F.A.Z. vom 16. Dezember 1998). Aus dem Unheil einer ganzen Epoche hat der Dichter, der sich hinter dem Pseudonym verbirgt, einen dürren und gleichzeitig überreichen Bericht von nicht einmal neunzig Seiten destilliert.
So unscheinbar und fast abweisend seine Prosa zunächst wirkt, so hilft er dem Leser, so er zu assoziieren und zu reflektieren bereit ist, durch präzise ausgewählte Andeutungen, sich das Unbeschreibliche auszumalen. Das Bild, das entsteht, ist verwirrender als Monireh Baradarans Litterature engagée, in der nur Gute, Böse und solche, die durch die Folter böse werden, existieren; aber während sie den Schrecken realistisch zu zeigen meint und ihn dadurch verkleinert, ist Iranis Text gerade in der Abstrahierung so erschütternd, wie nur Literatur es sein kann .
NAVID KERMANI
Monireh Baradaran: "Erwachen aus dem Alptraum". Herausgegeben und aus dem Persischen übersetzt von Bahram Choubine und Judith West. Unionsverlag, Zürich 1998. 340 S., br., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main