Mit der Biographie über Erwin K. Scheuch wird ein faszinierendes Porträt der Zeitgeschichte Deutschlands und der Welt vorgelegt. Es ist immer erneut verblüffend nachzulesen, mit welcher Treffsicherheit er als wachsamer, kritischer und auch bewusst streitbarer Soziologe Deutschland den Spiegel vorhält.Er gehörte zu den Gründungsvätern der empirischen Sozialforschung in Deutschland, der mit seinen Werken Methoden und Praxis der Sozialforschung national und international erheblich prägte. Dass Erwin K. Scheuch einer der bekanntesten und geachtesten Soziologen nicht nur in Deutschland, sondern in der Welt werden sollte, war ihm aber nicht in die Wiege gelegt worden. Es war seine Erfahrung bei der Währungsreform 1948, die wesentlich dazu beitrug, seine sozialwissenschaftliche Sicht zu sensibilisieren: Menschen verhielten sich von heute auf morgen völlig anders, abhängig vom jeweiligen sozialen Umfeld. Ihn hatte es ebenso gereizt, Journalist zu werden. Bittere Erlebnisse, aber auch wundersame Begegnungen und Zufälle ebneten dann seinen Weg, der ihn später "drei Leben" unterscheiden ließ: als Soziologe, der Theoretiker und Empiriker war, und auch als Publizist. Was er letztlich verwirklichte, verdankte er Stipendien, Menschenerkenntnis und seinem unbändigem Fleiß, der ihn raus führte aus dem Elend seiner Kindheit, in der er dann auch noch als Flakhelfer um seine Jugend betrogen wurde. Die NS-Zeit selbst hatte er mit größter Distanz zum politischen System durchlebt. Eine vorbehaltlose Identifizierung mit einer politischen Ordnung blieb ihm entsprechend versagt, auch wenn er das System der Bundesrepublik mit Nachdruck gegen Versuche zu seiner Demontage verteidigen sollte. "Wenn einer breiten Öffentlichkeit durch eine Biographie seine Lebensleistung, mehr als bis heute selbst Freunden und Weggefährten, bekannt wird, ist dies verdienstvoll. Scheuch fehlt als wissenschaftlicher Sparringpartner von Politik und Öffentlichkeit. Möglicherweise gibt es über zu viele Menschen zu viele Biographien. Eine über Erwin Scheuch gehört keinesfalls dazu", würdigt Peter Atteslander, Schweizer Soziologe, seinen jahrzehntelangen Weggefährten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2017Professoren in Aktion
Der Bund Freiheit der Wissenschaft trat für Reformen ein und war nicht rechtsextrem
Am 18. November 1970 kamen über 1500 Wissenschaftler und Vertreter anderer Berufsgruppen in Bad Godesberg zusammen, um den "Bund Freiheit der Wissenschaft" (BFW) zu gründen. Bis Mitte der 1970er Jahre wuchs er auf rund 5000 Personen an. Die Professoren waren darunter in der Minderheit, prägten aber doch das Erscheinungsbild des Verbandes. Dessen Mitglieder kamen aus unterschiedlichen politischen Milieus, wobei zur Führungsriege sozialdemokratische Reformer wie etwa Hermann Lübbe zählten. Auch der Erfinder des Vereinsnamens, der Historiker Ernst Nolte, galt damals mit seiner typologisch verfahrenden Faschismusanalyse noch keineswegs als konservativ.
Die Reformer waren über die theoretische Radikalität und praktizierte Intoleranz der Achtundsechziger erschrocken und versuchten, den Kernbestand der Universität zu verteidigen, nämlich die Lehr- und Forschungsfreiheit. Viele zogen Parallelen zur Lage der Hochschulen um 1933. Spätestens mit dem Austritt des Politikwissenschaftlers Richard Löwenthal 1978 entwickelte sich der BFW dann stärker zu einer Vorfeldorganisation der Union. Svea Koischwitz schildert in ihrer Kölner Dissertation die Entwicklung des BFW in seiner Hochzeit zuvor, als es ihm gelang, wissenschaftspolitisch Einfluss zu nehmen. Dabei sahen sich die im BFW tonangebenden Professoren durch den Druck der Studenten und die politischen Steuerungsversuche von unten und oben in die Zange genommen. Natürlich ging es den Professoren durchaus auch um ihre Standesprivilegien, zumindest um einen Teil davon, die sie aber auch inhaltlich zu begründen suchten.
Die Autorin hatte das Pech, dass parallel zu ihrer Arbeit eine Dissertation zum selben Thema verfasst und bereits 2014 publiziert wurde (siehe F.A.Z. vom 30. Dezember 2014), ein Albtraum jedes Doktoranden. Allerdings konnte die Verfasserin noch andere Quellen heben - und natürlich ist jede geisteswissenschaftliche Arbeit anders angelegt und führt auch zu ergänzenden Erkenntnissen. Im Kern bestätigt Koischwitz aber die frühere Studie von Nikolai Wehrs, was für die Belastbarkeit der entsprechenden Erkenntnisse auch ein Gewinn ist. Damit muss endgültig die zeitgenössische Feindwahrnehmung und manch hartnäckige Legende deutlich korrigiert werden, denn die BFW-Mitglieder waren, so die Autorin, jünger, "als es die ,Verschwörungstheorie' suggeriert. Ihre Einstellungen waren, um Begriffe der Zeit zu nutzen, zudem ,moderner' und ,progressiver' als unterstellt. So traten sie etwa für eine notwendige Hochschulreform, die Abschaffung der Ordinariate und eine Besserstellung der Nichtordinarien und Assistenten ein. Sie standen zwar noch mit einigen ihrer Forderungen in der Tradition des ,Mythos Humboldt', aber sie waren keine Anhänger des ,Humboldtianismus'. Weiterhin können sie als Vorreiter des Konzeptes der ,managerial revolution' und der ,unternehmerischen Universität' des 21. Jahrhunderts gelten. Hinsichtlich des politischen Standorts verband der BFW Mitglieder aller ,demokratisch legitimierten' Parteien und kann schwerlich als ,rechtsextrem' eingestuft werden".
Andere Erkenntnisse werden kaum jemanden zur Berichtigung seiner Vermutungen bewegen müssen. So schreibt die Autorin, dass die "Untersuchung der Lebensläufe von Erwin K. Scheuch, Friedrich H. Tenbruck, aber auch von Walter Rüegg" gezeigt habe, dass "sich im BFW eher Soziologen zusammenfanden, die den Theorien der Frankfurter Schule kritisch gegenüberstanden und sich anderen Zweigen der Disziplin zuordneten". Dazu gehörte zweifelsohne der Kölner Soziologe Scheuch, der von seinen Gegnern aus der Frankfurter Schule der Gruppe der "Fliegenbeinzähler" - also der empirisch-sozialwissenschaftlich arbeitenden Soziologen - zugeschlagen wurde. Anders als etwa Theodor W. Adorno hatte Scheuch sich stark von den amerikanischen Methoden der empirischen Sozialforschung inspirieren lassen und setzte auf harte Empirie statt marxistisch inspirierte Kulturkritik. Scheuch war wie viele andere spätere BFW-Mitglieder aber keinesfalls ein geborener Konservativer. 1967 hatte er noch den Kölner Trauermarsch für Benno Ohnesorg angeführt und war Mitglied des "Republikanischen Clubs" der Domstadt, einer rätedemokratischen APO-Vereinigung. Ferner opponierte Scheuch gegen die Notstandsgesetze der Großen Koalition, ein zentrales Protestthema der damaligen Zeit.
Der "Nicht-Soziologentag" (Scheuch) in Frankfurt 1968 wurde allerdings zu seinem Damaskuserlebnis im Konflikt mit den Aktivisten des "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" (SDS). Scheuch hielt nach einer von ihm selbst als stellvertretendem Vorsitzenden der "Deutschen Gesellschaft für Soziologie" anberaumten Podiumsdiskussion mit Hans-Jürgen Krahl und dessen SDS-Mitstreitern das Gespräch nunmehr für sinnlos. In einem Leserbrief an diese Zeitung nach einem ihn kritisierenden Bericht von Karl Heinz Bohrer schrieb Scheuch über seine studentischen Gegner, der "terroristische Charakter der Diskussionsweise, die Stereotype des Denkens, die Beschimpfungen und nicht zuletzt blanker Hass, gemischt mit Furcht", habe ihn zur Auffassung gebracht, dass "nur noch Selbstschutz gegen die Romantiker der physischen Gewalt" (F.A.Z. vom 25. April 1968) angeraten sei.
Scheuch wurde zum Pressesprecher des BFW, was ihn bei den linken Kölner Studenten nicht beliebter machte. Eine eigene "Arbeitsgemeinschaft Scheuch-Vorlesung" störte seine Veranstaltungen - MSB Spartakus und der Sozialdemokratische, ab 1972 Sozialistische Hochschulbund (SHB) forderten seine Entlassung. Dass gleichzeitig ein "Hillgruber-Komitee" den neu berufenen Historikerkollegen attackierte und weitere Kollegen bedrängt wurden, erzeugte eine gewisse Standessolidarität. Mit seinem bewunderten Lehrer René König zerstritt sich Scheuch allerdings. Eine Ursache dafür lag auch im unterschiedlichen Verhalten gegenüber den linksextremen Gruppen an der Universität. Die Täter aus deren Reihen bleiben bis heute, auch im Buch von Koischwitz, ungenannt.
Scheuch steckte jedenfalls nicht zurück, er führte zwölf siegreiche Prozesse und engagierte sich publizistisch gegen die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit. Opponenten wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler verharmlosten später die Attacken der Spartakisten auf die Professoren, was wenig erstaunt, wurden sie ja auch nicht selbst zur Zielscheibe. Scheuchs Ehefrau und Mitarbeiterin Ute Scheuch berichtete, dass ihr Mann sehr unter den Angriffen gelitten habe. Sie widmet ihrem 2003 verstorbenen Mann nun eine gleich dreibändige biographische Erinnerungsschrift im Schuber, die stark die Spuren eines Selfmade-Verfahrens verrät und äußerst detailliert dem Lebenslauf von Erwin K. Scheuch folgt. Die Bände sind sehr materialreich, und die üppigen Fotostrecken illustrieren den Wandel der akademischen Kultur ebenso wie die Internationalität des Kölner Soziologen. Angesichts des Preises und der Unhandlichkeit dieses Werkes sollte die Autorin aber darüber nachdenken, den wissenschaftlichen und politischen Lebensweg ihres Mannes in einem schlankeren und preisgünstigeren Buch kondensiert darzulegen.
Der "Bund Freiheit der Wissenschaft" wurde 2015 aufgelöst. Ob die Mission tatsächlich erfüllt ist, wie es auf der Homepage triumphalistisch heißt, ist angesichts der jüngsten Vorfälle an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Bremen fraglich. Sicherlich muss sich derzeit kein Kollege mehr wie in den siebziger Jahren Friedrich Tenbruck von der Vorlesungsverpflichtung befreien lassen und ins Ausland emigrieren, aber das allzu lange dröhnende Schweigen der Scientific Community (mit der lobenswerte Ausnahme des Deutschen Hochschulverbandes) angesichts massiver Kampagnen und Denunziationen im Netz gegen Professoren samt gewalttätigen Attacken wie an der Humboldt-Universität zu Berlin oder von erzwungenen Absagen von wissenschaftlichen Gastvorträgen wie an der Universität Bremen ist doch irritierend und verheißt nichts Gutes für die ohnehin in Deutschland anscheinend nicht besonders geschätzte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Besonders mutig waren Professoren in ihrer Mehrheit freilich noch nie.
PETER HOERES
Svea Koischwitz: Der Bund Freiheit der Wissenschaft in den Jahren 1970-1976. Ein Interessenverband zwischen Studentenbewegung und Hochschulreform. Böhlau Verlag, Köln 2017. 541 S., 70,- [Euro].
Ute Scheuch: Erwin K. Scheuch. Wer da hat, dem wird gegeben. Eine Biographie zur Sozial- und Wissenschaftsgeschichte in drei Bänden. E. Ferger Verlag, Bergisch Gladbach 2016. 3 Bände, zusammen 1169 S., 99,- [Euro].
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Der Bund Freiheit der Wissenschaft trat für Reformen ein und war nicht rechtsextrem
Am 18. November 1970 kamen über 1500 Wissenschaftler und Vertreter anderer Berufsgruppen in Bad Godesberg zusammen, um den "Bund Freiheit der Wissenschaft" (BFW) zu gründen. Bis Mitte der 1970er Jahre wuchs er auf rund 5000 Personen an. Die Professoren waren darunter in der Minderheit, prägten aber doch das Erscheinungsbild des Verbandes. Dessen Mitglieder kamen aus unterschiedlichen politischen Milieus, wobei zur Führungsriege sozialdemokratische Reformer wie etwa Hermann Lübbe zählten. Auch der Erfinder des Vereinsnamens, der Historiker Ernst Nolte, galt damals mit seiner typologisch verfahrenden Faschismusanalyse noch keineswegs als konservativ.
Die Reformer waren über die theoretische Radikalität und praktizierte Intoleranz der Achtundsechziger erschrocken und versuchten, den Kernbestand der Universität zu verteidigen, nämlich die Lehr- und Forschungsfreiheit. Viele zogen Parallelen zur Lage der Hochschulen um 1933. Spätestens mit dem Austritt des Politikwissenschaftlers Richard Löwenthal 1978 entwickelte sich der BFW dann stärker zu einer Vorfeldorganisation der Union. Svea Koischwitz schildert in ihrer Kölner Dissertation die Entwicklung des BFW in seiner Hochzeit zuvor, als es ihm gelang, wissenschaftspolitisch Einfluss zu nehmen. Dabei sahen sich die im BFW tonangebenden Professoren durch den Druck der Studenten und die politischen Steuerungsversuche von unten und oben in die Zange genommen. Natürlich ging es den Professoren durchaus auch um ihre Standesprivilegien, zumindest um einen Teil davon, die sie aber auch inhaltlich zu begründen suchten.
Die Autorin hatte das Pech, dass parallel zu ihrer Arbeit eine Dissertation zum selben Thema verfasst und bereits 2014 publiziert wurde (siehe F.A.Z. vom 30. Dezember 2014), ein Albtraum jedes Doktoranden. Allerdings konnte die Verfasserin noch andere Quellen heben - und natürlich ist jede geisteswissenschaftliche Arbeit anders angelegt und führt auch zu ergänzenden Erkenntnissen. Im Kern bestätigt Koischwitz aber die frühere Studie von Nikolai Wehrs, was für die Belastbarkeit der entsprechenden Erkenntnisse auch ein Gewinn ist. Damit muss endgültig die zeitgenössische Feindwahrnehmung und manch hartnäckige Legende deutlich korrigiert werden, denn die BFW-Mitglieder waren, so die Autorin, jünger, "als es die ,Verschwörungstheorie' suggeriert. Ihre Einstellungen waren, um Begriffe der Zeit zu nutzen, zudem ,moderner' und ,progressiver' als unterstellt. So traten sie etwa für eine notwendige Hochschulreform, die Abschaffung der Ordinariate und eine Besserstellung der Nichtordinarien und Assistenten ein. Sie standen zwar noch mit einigen ihrer Forderungen in der Tradition des ,Mythos Humboldt', aber sie waren keine Anhänger des ,Humboldtianismus'. Weiterhin können sie als Vorreiter des Konzeptes der ,managerial revolution' und der ,unternehmerischen Universität' des 21. Jahrhunderts gelten. Hinsichtlich des politischen Standorts verband der BFW Mitglieder aller ,demokratisch legitimierten' Parteien und kann schwerlich als ,rechtsextrem' eingestuft werden".
Andere Erkenntnisse werden kaum jemanden zur Berichtigung seiner Vermutungen bewegen müssen. So schreibt die Autorin, dass die "Untersuchung der Lebensläufe von Erwin K. Scheuch, Friedrich H. Tenbruck, aber auch von Walter Rüegg" gezeigt habe, dass "sich im BFW eher Soziologen zusammenfanden, die den Theorien der Frankfurter Schule kritisch gegenüberstanden und sich anderen Zweigen der Disziplin zuordneten". Dazu gehörte zweifelsohne der Kölner Soziologe Scheuch, der von seinen Gegnern aus der Frankfurter Schule der Gruppe der "Fliegenbeinzähler" - also der empirisch-sozialwissenschaftlich arbeitenden Soziologen - zugeschlagen wurde. Anders als etwa Theodor W. Adorno hatte Scheuch sich stark von den amerikanischen Methoden der empirischen Sozialforschung inspirieren lassen und setzte auf harte Empirie statt marxistisch inspirierte Kulturkritik. Scheuch war wie viele andere spätere BFW-Mitglieder aber keinesfalls ein geborener Konservativer. 1967 hatte er noch den Kölner Trauermarsch für Benno Ohnesorg angeführt und war Mitglied des "Republikanischen Clubs" der Domstadt, einer rätedemokratischen APO-Vereinigung. Ferner opponierte Scheuch gegen die Notstandsgesetze der Großen Koalition, ein zentrales Protestthema der damaligen Zeit.
Der "Nicht-Soziologentag" (Scheuch) in Frankfurt 1968 wurde allerdings zu seinem Damaskuserlebnis im Konflikt mit den Aktivisten des "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" (SDS). Scheuch hielt nach einer von ihm selbst als stellvertretendem Vorsitzenden der "Deutschen Gesellschaft für Soziologie" anberaumten Podiumsdiskussion mit Hans-Jürgen Krahl und dessen SDS-Mitstreitern das Gespräch nunmehr für sinnlos. In einem Leserbrief an diese Zeitung nach einem ihn kritisierenden Bericht von Karl Heinz Bohrer schrieb Scheuch über seine studentischen Gegner, der "terroristische Charakter der Diskussionsweise, die Stereotype des Denkens, die Beschimpfungen und nicht zuletzt blanker Hass, gemischt mit Furcht", habe ihn zur Auffassung gebracht, dass "nur noch Selbstschutz gegen die Romantiker der physischen Gewalt" (F.A.Z. vom 25. April 1968) angeraten sei.
Scheuch wurde zum Pressesprecher des BFW, was ihn bei den linken Kölner Studenten nicht beliebter machte. Eine eigene "Arbeitsgemeinschaft Scheuch-Vorlesung" störte seine Veranstaltungen - MSB Spartakus und der Sozialdemokratische, ab 1972 Sozialistische Hochschulbund (SHB) forderten seine Entlassung. Dass gleichzeitig ein "Hillgruber-Komitee" den neu berufenen Historikerkollegen attackierte und weitere Kollegen bedrängt wurden, erzeugte eine gewisse Standessolidarität. Mit seinem bewunderten Lehrer René König zerstritt sich Scheuch allerdings. Eine Ursache dafür lag auch im unterschiedlichen Verhalten gegenüber den linksextremen Gruppen an der Universität. Die Täter aus deren Reihen bleiben bis heute, auch im Buch von Koischwitz, ungenannt.
Scheuch steckte jedenfalls nicht zurück, er führte zwölf siegreiche Prozesse und engagierte sich publizistisch gegen die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit. Opponenten wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler verharmlosten später die Attacken der Spartakisten auf die Professoren, was wenig erstaunt, wurden sie ja auch nicht selbst zur Zielscheibe. Scheuchs Ehefrau und Mitarbeiterin Ute Scheuch berichtete, dass ihr Mann sehr unter den Angriffen gelitten habe. Sie widmet ihrem 2003 verstorbenen Mann nun eine gleich dreibändige biographische Erinnerungsschrift im Schuber, die stark die Spuren eines Selfmade-Verfahrens verrät und äußerst detailliert dem Lebenslauf von Erwin K. Scheuch folgt. Die Bände sind sehr materialreich, und die üppigen Fotostrecken illustrieren den Wandel der akademischen Kultur ebenso wie die Internationalität des Kölner Soziologen. Angesichts des Preises und der Unhandlichkeit dieses Werkes sollte die Autorin aber darüber nachdenken, den wissenschaftlichen und politischen Lebensweg ihres Mannes in einem schlankeren und preisgünstigeren Buch kondensiert darzulegen.
Der "Bund Freiheit der Wissenschaft" wurde 2015 aufgelöst. Ob die Mission tatsächlich erfüllt ist, wie es auf der Homepage triumphalistisch heißt, ist angesichts der jüngsten Vorfälle an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Bremen fraglich. Sicherlich muss sich derzeit kein Kollege mehr wie in den siebziger Jahren Friedrich Tenbruck von der Vorlesungsverpflichtung befreien lassen und ins Ausland emigrieren, aber das allzu lange dröhnende Schweigen der Scientific Community (mit der lobenswerte Ausnahme des Deutschen Hochschulverbandes) angesichts massiver Kampagnen und Denunziationen im Netz gegen Professoren samt gewalttätigen Attacken wie an der Humboldt-Universität zu Berlin oder von erzwungenen Absagen von wissenschaftlichen Gastvorträgen wie an der Universität Bremen ist doch irritierend und verheißt nichts Gutes für die ohnehin in Deutschland anscheinend nicht besonders geschätzte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Besonders mutig waren Professoren in ihrer Mehrheit freilich noch nie.
PETER HOERES
Svea Koischwitz: Der Bund Freiheit der Wissenschaft in den Jahren 1970-1976. Ein Interessenverband zwischen Studentenbewegung und Hochschulreform. Böhlau Verlag, Köln 2017. 541 S., 70,- [Euro].
Ute Scheuch: Erwin K. Scheuch. Wer da hat, dem wird gegeben. Eine Biographie zur Sozial- und Wissenschaftsgeschichte in drei Bänden. E. Ferger Verlag, Bergisch Gladbach 2016. 3 Bände, zusammen 1169 S., 99,- [Euro].
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