Erwin Panofsky (1892-1968) war einer der bedeutendsten Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Bis 1933 lehrte er als der erste Ordinarius seines Faches an der Universität Hamburg und stand im engen Kontakt zur Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Nach der erzwungenen Emigration wurde er 1935 zum ständigen Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton berufen, an dem er bis zu seinem Tode wirkte. Ca. 24000 von insgesamt wohl 27000 Briefen von und an Panofsky hat Dieter Wuttke in vieljähriger Arbeit aufgespürt und daraus mehr als 3000 zur Publikation ausgewählt. Korrespondenzpartner Panofskys waren neben bedeutenden Kunsthistorikern seiner Zeit wie z.B. Aby M. Warburg, Fritz Saxl, Gertrud Bing auch Naturwissenschaftler wie Albert Einstein, Wolfgang Pauli und J. Robert Oppenheimer. Die Auswahl wird - eingeleitet, textkritisch aufbereitet, kommentiert, durch Verzeichnisse und Register erschlossen - in fünf Bänden erscheinen. Das Werk verstehtsich als ein Beitrag zur Mikro-Historie des Lebens und Wirkens von Erwin Panofsky, der keine Autobiographie hinterlassen hat. Es bietet Einblicke in die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive einer exzeptionellen Persönlichkeit, wobei die Wissenschafts-, Sozial-, Personen- und Institutionengeschichte besondere Schwerpunkte bilden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001Why not? Der große Pan in Amerika
Die frühen Briefe des brillanten Erwin Panofsky durchmessen den weiten Weg vom Provinzialismus zur Kosmopolis der Wissenschaft / Von Wilfried Wiegand
Briefeditionen sind Ehrungen besonderer Art. Daß große Künstler, Dichter, Denker diese Huldigung erfahren, ist die Regel; aber ebenso, daß sie ihren Interpreten, den Geisteswissenschaftlern, vorenthalten wird. Das hat gute Gründe, denn Kunst altert auf andere Weise als Wissenschaft. Die Schönheit der Kunst nimmt zu, weil sie immer rätselhafter wird, während die Wahrheit der Wissenschaft nur immer kleiner werden kann, bis sie endgültig in der Banalität verschwindet. Deshalb ist Wissenschaft auch so wenig museumstauglich. Um so bewundernswerter sind Gelehrte wie Winckelmann oder Burckhardt, die einzigen Kunsthistoriker deutscher Sprache, denen große Briefeditionen gewidmet wurden. Sie sind bislang sogar vollständiger als die Ausgaben ihrer Werke. Nun ist Erwin Panofsky der dritte deutsche Kunstgelehrte, dessen Privatleben durch eine monumentale Briefausgabe erschlossen wird. Sie ist auf fünf stattliche Bände veranschlagt, wird aber nicht vollständig sein, was angesichts von 27000 erhaltenen Briefen auch wenig sinnvoll wäre. Eine vollständige Ausgabe wäre ein reines Bibliotheksereignis, während die fünfbändige Auswahl noch Chancen hat, ein Leseereignis zu werden.
Der Herausgeber Dieter Wuttke hat eine jahrelange, bewundernswerte Arbeit geleistet und neben Konvoluten mit Panofsky-Briefen auch Nachlässe seiner Briefpartner und Studienfreunde ausgewertet. Der erste Band dokumentiert mit gut sechshundert Briefen Jugendjahre und Studienzeit in Deutschland, die Lehrtätigkeit in Hamburg (seit 1920) und New York (seit 1931) sowie die ersten beiden Jahre in Princeton, New Jersey (1935/36), wo Panofsky bis zu seinem Tod 1968 bleiben sollte. Neben Panofsky-Briefen wurden auch Schreiben von Kollegen, Freunden und aus der Familie aufgenommen. Eine Elite von Kunsthistorikern gehört zu den Autoren. Aus der Generation der Lehrer begegnen wir Warburg, Wölfflin, Vöge, Goldschmidt, Pauli, Swarzenski und Walter Friedländer, unter den Gleichaltrigen hat er enge Freunde in Kurt Badt und vor allem in Fritz Saxl, dem es schließlich gelingen wird, das kostbare Forschungsinstrument der Bibliothek Warburg vor den Nationalsozialisten aus Hamburg nach London in Sicherheit zu bringen. Viele Studienfreunde stammen, wie Panofsky selbst, aus dem kultivierten jüdischen Bürgertum, und viele trifft er im amerikanischen Exil wieder, so daß die Korrespondenz, trotz einiger unvermeidlicher Gutachterprosa, fast durchgehend auf einen freundschaftlich warmherzigen Ton gestimmt ist. Schon das allein lohnt die Lektüre.
Liest man den Band, wie es sich gehört, von vorne an, so muß man erst einmal die Hürde einer langen, betulichen Einleitung nehmen. Darin bemüht sich der Herausgeber um passende Worte für Panofskys Bedeutung, findet aber nur hübsche, hilflose Formeln wie "Gedächtnisriese" oder "Einstein der Kunstgeschichtswissenschaft". Pedantisch tadelt er "bestimmte Kreise" in Amerika, weil die Panofsky als typischen DWEM, als "Dead White European Male" diffamieren, anstatt derlei modischen Unsinn souverän zu ignorieren. Schmunzeln muß man schließlich, wenn Wuttke auf Panofskys Dissertation zu sprechen kommt und sich nicht verkneifen kann, sie kritisch zu rezensieren, als sei er eben mit der Zeitmaschine im Freiburg des Jahres 1914 gelandet und müsse über den Doktoranden Erwin Panofsky das Gutachten schreiben. Die zweite Enttäuschung läßt nach der Einleitung nicht lange auf sich warten. Das erste Hundert der Panofsky-Briefe wirkt nämlich, von ein paar Ausnahmen abgesehen, sprachlich, gedanklich und sogar menschlich ausgesprochen blaß. Das gilt nicht etwa nur für die konventionellen Ansichtskartentexte des Jünglings, sondern überraschenderweise auch für die Jahre des Ersten Weltkriegs, bei dessen Beginn Panofsky immerhin zweiundzwanzig Jahre alt ist. Wegen eines Leistenbruchs braucht er nicht an die Front, wird schließlich aber doch zu Verwaltungsarbeiten herangezogen, die er in Kasseler und Berliner Bürostuben abdient. Er meidet das Thema Krieg, wo er kann, und wenn der Freund Kurt Badt von ihm eine Stellungnahme fordert, flüchtet Panofsky in die pazifistische Utopie, "eine Besserung der politischen Situation" sei "einzig von dem Denken zu erhoffen", und das wohl erst "in den nächsten Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten". Nun waren pazifistische Utopien damals nicht ungewöhnlich, aber derart verblasen hatte man sie von Panofsky nicht erwartet. Das Niveau, auf dem beispielsweise Käthe Kollwitz oder Hermann Hesse, beide fern von jeder Front, damals über den Krieg geschrieben haben, ist weit weg von dieser zaghaften Gelehrtenprosa.
Erst als Panofsky die sieben Jahre ältere Kommilitonin Dorothea Mosse umwirbt, die er 1916 heiraten wird, werden die Briefe länger. Aber er hat immer noch Berührungsangst und verschanzt sich hinter allerlei rhetorischen Hilfskonstruktionen. Nur nicht direkt heraus mit der Sprache, scheint sein Motto zu lauten, bloß nicht einfach sagen, was ich wirklich denke und fühle. Solche Zurückhaltung ist sein gutes Recht, aber sie ist nicht gerade das, was den großen Briefschreiber ausmacht. Ein geborener Briefschreiber ist Panofsky nicht. Man muß nur seine Doktorarbeit in die Hand nehmen, die 1915 als Buch erscheint und ihn bereits als Meister zeigt. Die Sprache funkelt vor Lebendigkeit, und die Gedanken entwickeln sich so spannend wie ein Drama. Nichts davon findet sich in seinen Briefen aus derselben Zeit. Er braucht den Zwang der Form, die Vorschriften der Rhetorik, die strengen Regeln des wissenschaftlichen Essays, um seine Höchstform zu finden. Am Gerüst ist er ein Akrobat, während er beim Bodenturnen schlechte Figur macht.
Einmal begegnet man einem Brief seiner Schwägerin, die anrührend naiv und ernst erläutert, was sie für den Sinn des Lebens hält. Das ist nur eine Seite lang, aber man sieht den ganzen Menschen vor sich. Oder der Brief, den Aby Warburg seinen Lieblingsschülern Saxl und Panofsky schreibt. Hinter einem Schutzwall von Humor verbarrikadiert er sich da gegen den drohenden Wahn, und in diesen paar schrecklichen Zeilen verdichtet sich ein ganzes Leben. So etwas kann Panofsky nicht, jedenfalls noch nicht.
Später kann er es durchaus. Man braucht den Band nur hinten aufzuschlagen und sich in den Briefen aus Amerika festzulesen, und man könnte meinen, einen anderen Menschen vor sich zu haben. Jetzt sind die Briefe prägnant, spontan und witzig, sie haben das gleiche gedankliche und sprachliche Niveau wie seine Bücher. Aber wann beginnt diese neue Qualität seiner Briefe? Ab wann sind sie so lebendig? Und durch welches Ereignis wurde diese Wandlung ausgelöst? Hier liegt die Vermutung verführerisch nahe, der Wandel müsse mit schweren Schicksalsschlägen, mit dem Antisemitismus in Deutschland oder der Heimatlosigkeit des Emigrantendaseins zu tun haben, doch es ist nicht so. Panofskys Wandlung vollzieht sich in der Mitte der zwanziger Jahre, als er zum ersten Mal tut, was während des Krieges unmöglich war und was er sich jetzt, finanziell freilich nur mit Ach und Krach, erlauben kann: Er fährt nach Florenz und Rom, nach Amsterdam und London und Paris. Zum ersten Mal erlebt er Europa, und mit einem Mal fällt die ganze Miefigkeit des im Krieg völlig provinzialisierten Deutschland von ihm ab.
Auf der Rückreise von London nach Hamburg schreibt er im März 1924, ganz Globetrotter, an Bord des Schiffes einen Brief an seine Frau. "Es war natürlich etwas Wunderbares, fast Unbegreifliches, nach einem Jahrzehnt (es ist wirklich schon ein Jahrzehnt seit Kriegsbeginn!) fast völligen Eingesperrtseins wieder in ,Europa' zu sein, und gerade für mich, der ich noch so wenig wirklich gesehen habe und immer in Gefahr bin, über dem Gelesenen und allenfalls Gedachten das Gesehene zu vergessen ..." Ein Jahr später schreibt er aus Paris: "Es ist einfach unbeschreiblich, die ganze Stadt ... Es ist tatsächlich die Hauptstadt Europas, und wenn man auf der Seine-Insel vor Notre-Dame steht, woher alles gekommen ist, kriegt man fast so historische Gefühle wie auf dem Kapitol - nur daß (und das ist das Schöne) ein Schnitt zwischen einst und jetzt viel weniger, vielleicht gar nicht, vorhanden ist." Ist für den Unterschied der beiden Welthauptstädte, der alten und der neuen, jemals eine schönere Formel gefunden worden? Und das Ganze steht in einem einzigen Satz.
Nur zehn Tage später steht Panofsky in Chartres vor der Kathedrale, "und wenn man sie nicht kennt", schreibt er seiner Frau noch am Tatort, "sollte man eigentlich überhaupt nicht von Plastik und Architektur reden. Die Gotik ist hier noch ganz frisch und mit einem leichten Hauch von Schüchternheit in der Handhabung des neuen, wunderbaren Systems ..." Welche abgrundtiefe Kritik an der ganzen deutschen Kunstgeschichte mit ihrer nationalistischen Nabelschau versteckt sich in dieser Begeisterung. Und welch herrliches Gefühl von Freiheit beflügelt nun die Sprache. Der Erste Weltkrieg hatte eine Generation nationalistisch vergiftet. Wie Panofsky sich von diesem Gift befreit, wie sich sein Auge weitet und die Zunge endlich löst, ist ein herrliches Schauspiel, zumal man es überhaupt nicht erwartet hat. Man begreift mit einem Mal, wie obskurantenhaft das intellektuelle Leben Deutschlands noch Jahre nach dem Krieg gewesen ist. Durch die Schrecken des Zweiten Weltkrieges haben wir die Sensibilität verloren, auch die des Ersten zu empfinden. Daß Panofsky seine Reisen mit bescheidenem Aufwand unternimmt, die Frau also zu Hause bei den Kindern bleiben muß, isoliert ihn von der Heimat und verwandelt ihn, der vorher sich in seinen Briefen so verschlossen zeigte, schlagartig in einen Erzähler. Begeistert berichtet er den Daheimgebliebenen von den Herrlichkeiten, die er gesehen hat. Damit hat er endgültig die Haltung gefunden, die er künftig gerade in seinen besten Büchern einnehmen wird. Genau so, wie er in seinen Briefen aus dem Herzen Europas seiner Frau berichtet, wird er später in "Early Netherlandish Painting" und "Albrecht Dürer", seinen beiden Jahrhundertbüchern, den amerikanischen Studenten von den Wunderwerken europäischer Kunst erzählen. Damals, Mitte der zwanziger Jahre, findet Panofsky zu sich selbst, und dank dieses Briefbandes dürfen wir dabeisein.
Das Buch steckt voller Überraschungen. So wird man mehrmals daran erinnert, wie allgegenwärtig der Antisemitismus schon Jahre vor Hitlers Machtergreifung war. Besonders an den Universitäten mischt er sich hinter den Kulissen in so manche Berufungsverhandlung ein. Und wie vertratscht und intrigant es in der Gelehrtenrepublik schon damals zuging, begreift man spätestens beim Sündenfall des großen Bernard Berenson. Aus schierer Eifersucht auf den Erfolg des Jüngeren versteigt er sich dazu, den eben nach Amerika gekommenen Panofsky als eroberungslüsternen "Hitler der Kunstgeschichte" zu titulieren, auch das natürlich nur hinter den Kulissen des Betriebes. Sprachlos wird man, wenn der Hamburger Museumsdirektor Gustav Pauli, der wahrscheinlich mehr als jeder andere dafür getan hat, Panofsky in Hamburg an die Universität zu binden, den "lieben Freund" noch im April 1933 inständig bittet, nicht etwa in Amerika zu bleiben, sondern nach Hamburg zurückzukehren. "Eine antisemitische Aktion" habe es zwar gegeben, räumt er ein, aber doch nur "als eine energische Abwehr der verlogenen Alarmnachrichten der offenbar von jüdischer Seite angefeuerten Auslandspresse". Pauli glaubt das offenbar und erlaubt sich schließlich die gönnerhafte Frage, wo anders als in Hamburg Panofsky denn sonst seine Heimat habe: "Etwa in Palästina? In Amerika können Sie Dich doch unmöglich wohl fühlen ..." Aber es gibt auch bewegende Zeugnisse menschlichen Großmuts, als sich abzeichnet, daß Panofsky, genau wie die anderen jüdischen Gelehrten, von der Universität vertrieben wird. Der 1933 "zwangspensionierte" Fritz Schumacher, Hamburgs großer Stadtbaumeister, schreibt ihm aus dem Sanatorium, wie gerne er sich persönlich verabschiedet hätte, zumal er "glaube, wir hätten uns noch manches zu sagen". Peter von Blanckenhagen, später ein angesehener Archäologe, schreibt ihm aus München, wo er mittlerweile studiert: "Das Sommersemester 1929 ist mir durch Sie zu einer meiner schönsten Studienerinnerungen geworden, und es drängt mich, Ihnen das zu schreiben, obwohl ich nicht weiß, ob Sie sich meiner noch entsinnen. Aber meine Person spielt hier auch keine Rolle. Ich bin überzeugt, daß Sie und alle anderen ,beurlaubten' oder nicht mehr lesenden Professoren in diesen Tagen viele ähnliche Briefe erhalten werden, Briefe von den Studenten, denen deutscher Geist und deutsche Kultur nicht Schlagworte für den Tag, sondern Verpflichtung an die Zukunft bedeuten. Diese Studenten leben, sie sind da trotz Studentenschaft und trotz des Geschreis der Masse, heute vielleicht sind ihnen die Hände gebunden, aber sie werden nicht untergehen ..." Und aus Berlin meldet sich der grandseigneurale Kenner Max J. Friedländer noch mit dem Briefkopf des Museums, das ihn wenig später wegen seiner jüdischen Abkunft entlassen wird: "Schwer betroffen hat mich Ihre Mitteilung in bezug auf Ihr Schicksal, obwohl ich schon abgehärtet genug bin durch Maßnahmen ähnlicher Art. In meinen Augen sind Sie so ziemlich der Einzige an deutschen Universitäten, der Scharfsinn und Gelehrsamkeit mit eigentlichem Kunstverständnis verbindet. Bitte entschuldigen Sie mit den besonderen Umständen, daß ich mir Ihnen ins Gesicht zu urteilen gestatte. Von dem Persönlichen abgesehen, erscheint mir Ihr Ausscheiden als ein höchst beklagenswerter Verlust für unsere Wissenschaft, und ich bin davon überzeugt, daß alle sachlich Denkenden derselben Ansicht sind. Ich nehme an, daß Sie in Amerika ... ein passendes Wirkungsfeld finden werden, leichter jedenfalls als irgend jemand. Glücklicherweise sind Sie ja noch in dem Lebensalter, in dem Umpflanzung möglich ist." Panofsky ist damals einundvierzig Jahre alt, Friedländer sechsundsechzig. Ein paar Jahre später wird auch er das Land verlassen.
In Amerika findet Panofsky neue Freunde, unter denen Alfred H. Barr und mehr noch dessen Frau die hilfreichsten sind. Rastlos sind sie bemüht, ihm, soweit nötig, gesellschaftliche Kontakte zu verschaffen und ihn in den Wissenschaftsbetrieb zu integrieren. Die Barrs sind Experten für moderne Kunst, und wenngleich Panofskys Äußerungen zu diesem Thema rar und unergiebig bleiben, spürt man doch, wie sein Blick sich abermals weitet. Die Konfrontation mit einer völlig anderen Kultur nötigt ihn, sein ganzes Instrumentarium noch einmal zu überdenken. Er wird gewissermaßen noch einmal zum Studenten, geht noch einmal in die Schule des Staunens. Völkerpsychologische Vergleiche beleben nun die Briefe mit einem Feuerwerk witziger Formulierungen.
"Auch habe ich das Schlüsselwort der amerikanischen Kultur entdeckt", schreibt er da augenzwinkernd, "es heißt: ,Why not?', beginnend mit der konventionellen Einladung ,Why don't you have dinner with me tomorrow?' und endigend mit der Liebeserklärung ,Why don't you sleep with me tonight?'. - Der Europäer tut etwas, wenn er einen gefühlsmäßigen oder rationalen Grund dafür hat - der Amerikaner, wenn er keinen Grund dagegen sieht. Das erklärt die bewundernswerte Aktivität und Gastfreundschaft, aber auch die Ziel- und Geschmacklosigkeit hierzulande, auch die furchtbare Küche. Ananas und Mayonnaise: why not?" Doch die Einsamkeit aller Emigranten macht auch vor der Familie des Glückskindes Panofsky nicht Halt. "Erst ganz langsam", berichtet seine Frau im Oktober 1934 nach London, fange sie an, "das Gefühl zu überwinden, in einem luftleeren Raum zu leben".
Und in welch dunklen Abgrund Panofsky damals fiel, ahnt man aus einem fulminanten Freundesbrief, den Fritz Saxl aus London an den "lieben alten Pan" verschickt. "Ich bin ziemlich verzweifelt über uns ... Und ich fühle mich so machtlos ... Wenn ich nur das Gefühl hätte, daß all die Krämpfe und Kämpfe lohnten. Daß jeder von uns am Ende bessere Arbeit leisten wird als vorher. Und wenn ich Ihnen doch ein bißchen besseres Lebensgefühl geben könnte, Sie ein bißchen auszusöhnen vermöchte mit der Welt, so daß Sie sich von ihr weder verwöhnt noch mißachtet fühlen. Ich weiß doch, welche Gaben in Ihnen liegen und welche Möglichkeiten, wenn Sie ganz ruhig ,der Forschung' und ,der Lehre' leben könnten. Ich möchte das ,Werk' mit Ihnen planen dürfen, von dem ich meine, daß Sie es in den nächsten Jahren schreiben müssen."
Diese Heimatlosigkeit ist es am Ende auch, die Panofsky im Land des Films zu einem brillanten Theoretiker des jungen Mediums machen wird. Wie alle Einsamen geht er ins Kino, und wie brillant er auch darüber zu schreiben weiß, ist zumindest in einigen Briefen dieses Bandes nachzulesen. Noch 1936 erscheint dann "On Movies", die erste Fassung seiner bis heute strahlend gedankenfrisch gebliebenen Theorie des Kinos.
Mit diesem Jahr endet der erste Band. Wer ihn gelesen hat, verspürt nur einen Wunsch: daß möglichst bald die anderen Bände folgen.
Erwin Panofsky: "Korrespondenz 1910 bis 1968". Eine kommentierte Auswahl in fünf Bänden. Herausgegeben von Dieter Wuttke. Band 1: Korrespondenz 1910 bis 1936. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2001. 1142 S., 65 Abb., geb., 298,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die frühen Briefe des brillanten Erwin Panofsky durchmessen den weiten Weg vom Provinzialismus zur Kosmopolis der Wissenschaft / Von Wilfried Wiegand
Briefeditionen sind Ehrungen besonderer Art. Daß große Künstler, Dichter, Denker diese Huldigung erfahren, ist die Regel; aber ebenso, daß sie ihren Interpreten, den Geisteswissenschaftlern, vorenthalten wird. Das hat gute Gründe, denn Kunst altert auf andere Weise als Wissenschaft. Die Schönheit der Kunst nimmt zu, weil sie immer rätselhafter wird, während die Wahrheit der Wissenschaft nur immer kleiner werden kann, bis sie endgültig in der Banalität verschwindet. Deshalb ist Wissenschaft auch so wenig museumstauglich. Um so bewundernswerter sind Gelehrte wie Winckelmann oder Burckhardt, die einzigen Kunsthistoriker deutscher Sprache, denen große Briefeditionen gewidmet wurden. Sie sind bislang sogar vollständiger als die Ausgaben ihrer Werke. Nun ist Erwin Panofsky der dritte deutsche Kunstgelehrte, dessen Privatleben durch eine monumentale Briefausgabe erschlossen wird. Sie ist auf fünf stattliche Bände veranschlagt, wird aber nicht vollständig sein, was angesichts von 27000 erhaltenen Briefen auch wenig sinnvoll wäre. Eine vollständige Ausgabe wäre ein reines Bibliotheksereignis, während die fünfbändige Auswahl noch Chancen hat, ein Leseereignis zu werden.
Der Herausgeber Dieter Wuttke hat eine jahrelange, bewundernswerte Arbeit geleistet und neben Konvoluten mit Panofsky-Briefen auch Nachlässe seiner Briefpartner und Studienfreunde ausgewertet. Der erste Band dokumentiert mit gut sechshundert Briefen Jugendjahre und Studienzeit in Deutschland, die Lehrtätigkeit in Hamburg (seit 1920) und New York (seit 1931) sowie die ersten beiden Jahre in Princeton, New Jersey (1935/36), wo Panofsky bis zu seinem Tod 1968 bleiben sollte. Neben Panofsky-Briefen wurden auch Schreiben von Kollegen, Freunden und aus der Familie aufgenommen. Eine Elite von Kunsthistorikern gehört zu den Autoren. Aus der Generation der Lehrer begegnen wir Warburg, Wölfflin, Vöge, Goldschmidt, Pauli, Swarzenski und Walter Friedländer, unter den Gleichaltrigen hat er enge Freunde in Kurt Badt und vor allem in Fritz Saxl, dem es schließlich gelingen wird, das kostbare Forschungsinstrument der Bibliothek Warburg vor den Nationalsozialisten aus Hamburg nach London in Sicherheit zu bringen. Viele Studienfreunde stammen, wie Panofsky selbst, aus dem kultivierten jüdischen Bürgertum, und viele trifft er im amerikanischen Exil wieder, so daß die Korrespondenz, trotz einiger unvermeidlicher Gutachterprosa, fast durchgehend auf einen freundschaftlich warmherzigen Ton gestimmt ist. Schon das allein lohnt die Lektüre.
Liest man den Band, wie es sich gehört, von vorne an, so muß man erst einmal die Hürde einer langen, betulichen Einleitung nehmen. Darin bemüht sich der Herausgeber um passende Worte für Panofskys Bedeutung, findet aber nur hübsche, hilflose Formeln wie "Gedächtnisriese" oder "Einstein der Kunstgeschichtswissenschaft". Pedantisch tadelt er "bestimmte Kreise" in Amerika, weil die Panofsky als typischen DWEM, als "Dead White European Male" diffamieren, anstatt derlei modischen Unsinn souverän zu ignorieren. Schmunzeln muß man schließlich, wenn Wuttke auf Panofskys Dissertation zu sprechen kommt und sich nicht verkneifen kann, sie kritisch zu rezensieren, als sei er eben mit der Zeitmaschine im Freiburg des Jahres 1914 gelandet und müsse über den Doktoranden Erwin Panofsky das Gutachten schreiben. Die zweite Enttäuschung läßt nach der Einleitung nicht lange auf sich warten. Das erste Hundert der Panofsky-Briefe wirkt nämlich, von ein paar Ausnahmen abgesehen, sprachlich, gedanklich und sogar menschlich ausgesprochen blaß. Das gilt nicht etwa nur für die konventionellen Ansichtskartentexte des Jünglings, sondern überraschenderweise auch für die Jahre des Ersten Weltkriegs, bei dessen Beginn Panofsky immerhin zweiundzwanzig Jahre alt ist. Wegen eines Leistenbruchs braucht er nicht an die Front, wird schließlich aber doch zu Verwaltungsarbeiten herangezogen, die er in Kasseler und Berliner Bürostuben abdient. Er meidet das Thema Krieg, wo er kann, und wenn der Freund Kurt Badt von ihm eine Stellungnahme fordert, flüchtet Panofsky in die pazifistische Utopie, "eine Besserung der politischen Situation" sei "einzig von dem Denken zu erhoffen", und das wohl erst "in den nächsten Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten". Nun waren pazifistische Utopien damals nicht ungewöhnlich, aber derart verblasen hatte man sie von Panofsky nicht erwartet. Das Niveau, auf dem beispielsweise Käthe Kollwitz oder Hermann Hesse, beide fern von jeder Front, damals über den Krieg geschrieben haben, ist weit weg von dieser zaghaften Gelehrtenprosa.
Erst als Panofsky die sieben Jahre ältere Kommilitonin Dorothea Mosse umwirbt, die er 1916 heiraten wird, werden die Briefe länger. Aber er hat immer noch Berührungsangst und verschanzt sich hinter allerlei rhetorischen Hilfskonstruktionen. Nur nicht direkt heraus mit der Sprache, scheint sein Motto zu lauten, bloß nicht einfach sagen, was ich wirklich denke und fühle. Solche Zurückhaltung ist sein gutes Recht, aber sie ist nicht gerade das, was den großen Briefschreiber ausmacht. Ein geborener Briefschreiber ist Panofsky nicht. Man muß nur seine Doktorarbeit in die Hand nehmen, die 1915 als Buch erscheint und ihn bereits als Meister zeigt. Die Sprache funkelt vor Lebendigkeit, und die Gedanken entwickeln sich so spannend wie ein Drama. Nichts davon findet sich in seinen Briefen aus derselben Zeit. Er braucht den Zwang der Form, die Vorschriften der Rhetorik, die strengen Regeln des wissenschaftlichen Essays, um seine Höchstform zu finden. Am Gerüst ist er ein Akrobat, während er beim Bodenturnen schlechte Figur macht.
Einmal begegnet man einem Brief seiner Schwägerin, die anrührend naiv und ernst erläutert, was sie für den Sinn des Lebens hält. Das ist nur eine Seite lang, aber man sieht den ganzen Menschen vor sich. Oder der Brief, den Aby Warburg seinen Lieblingsschülern Saxl und Panofsky schreibt. Hinter einem Schutzwall von Humor verbarrikadiert er sich da gegen den drohenden Wahn, und in diesen paar schrecklichen Zeilen verdichtet sich ein ganzes Leben. So etwas kann Panofsky nicht, jedenfalls noch nicht.
Später kann er es durchaus. Man braucht den Band nur hinten aufzuschlagen und sich in den Briefen aus Amerika festzulesen, und man könnte meinen, einen anderen Menschen vor sich zu haben. Jetzt sind die Briefe prägnant, spontan und witzig, sie haben das gleiche gedankliche und sprachliche Niveau wie seine Bücher. Aber wann beginnt diese neue Qualität seiner Briefe? Ab wann sind sie so lebendig? Und durch welches Ereignis wurde diese Wandlung ausgelöst? Hier liegt die Vermutung verführerisch nahe, der Wandel müsse mit schweren Schicksalsschlägen, mit dem Antisemitismus in Deutschland oder der Heimatlosigkeit des Emigrantendaseins zu tun haben, doch es ist nicht so. Panofskys Wandlung vollzieht sich in der Mitte der zwanziger Jahre, als er zum ersten Mal tut, was während des Krieges unmöglich war und was er sich jetzt, finanziell freilich nur mit Ach und Krach, erlauben kann: Er fährt nach Florenz und Rom, nach Amsterdam und London und Paris. Zum ersten Mal erlebt er Europa, und mit einem Mal fällt die ganze Miefigkeit des im Krieg völlig provinzialisierten Deutschland von ihm ab.
Auf der Rückreise von London nach Hamburg schreibt er im März 1924, ganz Globetrotter, an Bord des Schiffes einen Brief an seine Frau. "Es war natürlich etwas Wunderbares, fast Unbegreifliches, nach einem Jahrzehnt (es ist wirklich schon ein Jahrzehnt seit Kriegsbeginn!) fast völligen Eingesperrtseins wieder in ,Europa' zu sein, und gerade für mich, der ich noch so wenig wirklich gesehen habe und immer in Gefahr bin, über dem Gelesenen und allenfalls Gedachten das Gesehene zu vergessen ..." Ein Jahr später schreibt er aus Paris: "Es ist einfach unbeschreiblich, die ganze Stadt ... Es ist tatsächlich die Hauptstadt Europas, und wenn man auf der Seine-Insel vor Notre-Dame steht, woher alles gekommen ist, kriegt man fast so historische Gefühle wie auf dem Kapitol - nur daß (und das ist das Schöne) ein Schnitt zwischen einst und jetzt viel weniger, vielleicht gar nicht, vorhanden ist." Ist für den Unterschied der beiden Welthauptstädte, der alten und der neuen, jemals eine schönere Formel gefunden worden? Und das Ganze steht in einem einzigen Satz.
Nur zehn Tage später steht Panofsky in Chartres vor der Kathedrale, "und wenn man sie nicht kennt", schreibt er seiner Frau noch am Tatort, "sollte man eigentlich überhaupt nicht von Plastik und Architektur reden. Die Gotik ist hier noch ganz frisch und mit einem leichten Hauch von Schüchternheit in der Handhabung des neuen, wunderbaren Systems ..." Welche abgrundtiefe Kritik an der ganzen deutschen Kunstgeschichte mit ihrer nationalistischen Nabelschau versteckt sich in dieser Begeisterung. Und welch herrliches Gefühl von Freiheit beflügelt nun die Sprache. Der Erste Weltkrieg hatte eine Generation nationalistisch vergiftet. Wie Panofsky sich von diesem Gift befreit, wie sich sein Auge weitet und die Zunge endlich löst, ist ein herrliches Schauspiel, zumal man es überhaupt nicht erwartet hat. Man begreift mit einem Mal, wie obskurantenhaft das intellektuelle Leben Deutschlands noch Jahre nach dem Krieg gewesen ist. Durch die Schrecken des Zweiten Weltkrieges haben wir die Sensibilität verloren, auch die des Ersten zu empfinden. Daß Panofsky seine Reisen mit bescheidenem Aufwand unternimmt, die Frau also zu Hause bei den Kindern bleiben muß, isoliert ihn von der Heimat und verwandelt ihn, der vorher sich in seinen Briefen so verschlossen zeigte, schlagartig in einen Erzähler. Begeistert berichtet er den Daheimgebliebenen von den Herrlichkeiten, die er gesehen hat. Damit hat er endgültig die Haltung gefunden, die er künftig gerade in seinen besten Büchern einnehmen wird. Genau so, wie er in seinen Briefen aus dem Herzen Europas seiner Frau berichtet, wird er später in "Early Netherlandish Painting" und "Albrecht Dürer", seinen beiden Jahrhundertbüchern, den amerikanischen Studenten von den Wunderwerken europäischer Kunst erzählen. Damals, Mitte der zwanziger Jahre, findet Panofsky zu sich selbst, und dank dieses Briefbandes dürfen wir dabeisein.
Das Buch steckt voller Überraschungen. So wird man mehrmals daran erinnert, wie allgegenwärtig der Antisemitismus schon Jahre vor Hitlers Machtergreifung war. Besonders an den Universitäten mischt er sich hinter den Kulissen in so manche Berufungsverhandlung ein. Und wie vertratscht und intrigant es in der Gelehrtenrepublik schon damals zuging, begreift man spätestens beim Sündenfall des großen Bernard Berenson. Aus schierer Eifersucht auf den Erfolg des Jüngeren versteigt er sich dazu, den eben nach Amerika gekommenen Panofsky als eroberungslüsternen "Hitler der Kunstgeschichte" zu titulieren, auch das natürlich nur hinter den Kulissen des Betriebes. Sprachlos wird man, wenn der Hamburger Museumsdirektor Gustav Pauli, der wahrscheinlich mehr als jeder andere dafür getan hat, Panofsky in Hamburg an die Universität zu binden, den "lieben Freund" noch im April 1933 inständig bittet, nicht etwa in Amerika zu bleiben, sondern nach Hamburg zurückzukehren. "Eine antisemitische Aktion" habe es zwar gegeben, räumt er ein, aber doch nur "als eine energische Abwehr der verlogenen Alarmnachrichten der offenbar von jüdischer Seite angefeuerten Auslandspresse". Pauli glaubt das offenbar und erlaubt sich schließlich die gönnerhafte Frage, wo anders als in Hamburg Panofsky denn sonst seine Heimat habe: "Etwa in Palästina? In Amerika können Sie Dich doch unmöglich wohl fühlen ..." Aber es gibt auch bewegende Zeugnisse menschlichen Großmuts, als sich abzeichnet, daß Panofsky, genau wie die anderen jüdischen Gelehrten, von der Universität vertrieben wird. Der 1933 "zwangspensionierte" Fritz Schumacher, Hamburgs großer Stadtbaumeister, schreibt ihm aus dem Sanatorium, wie gerne er sich persönlich verabschiedet hätte, zumal er "glaube, wir hätten uns noch manches zu sagen". Peter von Blanckenhagen, später ein angesehener Archäologe, schreibt ihm aus München, wo er mittlerweile studiert: "Das Sommersemester 1929 ist mir durch Sie zu einer meiner schönsten Studienerinnerungen geworden, und es drängt mich, Ihnen das zu schreiben, obwohl ich nicht weiß, ob Sie sich meiner noch entsinnen. Aber meine Person spielt hier auch keine Rolle. Ich bin überzeugt, daß Sie und alle anderen ,beurlaubten' oder nicht mehr lesenden Professoren in diesen Tagen viele ähnliche Briefe erhalten werden, Briefe von den Studenten, denen deutscher Geist und deutsche Kultur nicht Schlagworte für den Tag, sondern Verpflichtung an die Zukunft bedeuten. Diese Studenten leben, sie sind da trotz Studentenschaft und trotz des Geschreis der Masse, heute vielleicht sind ihnen die Hände gebunden, aber sie werden nicht untergehen ..." Und aus Berlin meldet sich der grandseigneurale Kenner Max J. Friedländer noch mit dem Briefkopf des Museums, das ihn wenig später wegen seiner jüdischen Abkunft entlassen wird: "Schwer betroffen hat mich Ihre Mitteilung in bezug auf Ihr Schicksal, obwohl ich schon abgehärtet genug bin durch Maßnahmen ähnlicher Art. In meinen Augen sind Sie so ziemlich der Einzige an deutschen Universitäten, der Scharfsinn und Gelehrsamkeit mit eigentlichem Kunstverständnis verbindet. Bitte entschuldigen Sie mit den besonderen Umständen, daß ich mir Ihnen ins Gesicht zu urteilen gestatte. Von dem Persönlichen abgesehen, erscheint mir Ihr Ausscheiden als ein höchst beklagenswerter Verlust für unsere Wissenschaft, und ich bin davon überzeugt, daß alle sachlich Denkenden derselben Ansicht sind. Ich nehme an, daß Sie in Amerika ... ein passendes Wirkungsfeld finden werden, leichter jedenfalls als irgend jemand. Glücklicherweise sind Sie ja noch in dem Lebensalter, in dem Umpflanzung möglich ist." Panofsky ist damals einundvierzig Jahre alt, Friedländer sechsundsechzig. Ein paar Jahre später wird auch er das Land verlassen.
In Amerika findet Panofsky neue Freunde, unter denen Alfred H. Barr und mehr noch dessen Frau die hilfreichsten sind. Rastlos sind sie bemüht, ihm, soweit nötig, gesellschaftliche Kontakte zu verschaffen und ihn in den Wissenschaftsbetrieb zu integrieren. Die Barrs sind Experten für moderne Kunst, und wenngleich Panofskys Äußerungen zu diesem Thema rar und unergiebig bleiben, spürt man doch, wie sein Blick sich abermals weitet. Die Konfrontation mit einer völlig anderen Kultur nötigt ihn, sein ganzes Instrumentarium noch einmal zu überdenken. Er wird gewissermaßen noch einmal zum Studenten, geht noch einmal in die Schule des Staunens. Völkerpsychologische Vergleiche beleben nun die Briefe mit einem Feuerwerk witziger Formulierungen.
"Auch habe ich das Schlüsselwort der amerikanischen Kultur entdeckt", schreibt er da augenzwinkernd, "es heißt: ,Why not?', beginnend mit der konventionellen Einladung ,Why don't you have dinner with me tomorrow?' und endigend mit der Liebeserklärung ,Why don't you sleep with me tonight?'. - Der Europäer tut etwas, wenn er einen gefühlsmäßigen oder rationalen Grund dafür hat - der Amerikaner, wenn er keinen Grund dagegen sieht. Das erklärt die bewundernswerte Aktivität und Gastfreundschaft, aber auch die Ziel- und Geschmacklosigkeit hierzulande, auch die furchtbare Küche. Ananas und Mayonnaise: why not?" Doch die Einsamkeit aller Emigranten macht auch vor der Familie des Glückskindes Panofsky nicht Halt. "Erst ganz langsam", berichtet seine Frau im Oktober 1934 nach London, fange sie an, "das Gefühl zu überwinden, in einem luftleeren Raum zu leben".
Und in welch dunklen Abgrund Panofsky damals fiel, ahnt man aus einem fulminanten Freundesbrief, den Fritz Saxl aus London an den "lieben alten Pan" verschickt. "Ich bin ziemlich verzweifelt über uns ... Und ich fühle mich so machtlos ... Wenn ich nur das Gefühl hätte, daß all die Krämpfe und Kämpfe lohnten. Daß jeder von uns am Ende bessere Arbeit leisten wird als vorher. Und wenn ich Ihnen doch ein bißchen besseres Lebensgefühl geben könnte, Sie ein bißchen auszusöhnen vermöchte mit der Welt, so daß Sie sich von ihr weder verwöhnt noch mißachtet fühlen. Ich weiß doch, welche Gaben in Ihnen liegen und welche Möglichkeiten, wenn Sie ganz ruhig ,der Forschung' und ,der Lehre' leben könnten. Ich möchte das ,Werk' mit Ihnen planen dürfen, von dem ich meine, daß Sie es in den nächsten Jahren schreiben müssen."
Diese Heimatlosigkeit ist es am Ende auch, die Panofsky im Land des Films zu einem brillanten Theoretiker des jungen Mediums machen wird. Wie alle Einsamen geht er ins Kino, und wie brillant er auch darüber zu schreiben weiß, ist zumindest in einigen Briefen dieses Bandes nachzulesen. Noch 1936 erscheint dann "On Movies", die erste Fassung seiner bis heute strahlend gedankenfrisch gebliebenen Theorie des Kinos.
Mit diesem Jahr endet der erste Band. Wer ihn gelesen hat, verspürt nur einen Wunsch: daß möglichst bald die anderen Bände folgen.
Erwin Panofsky: "Korrespondenz 1910 bis 1968". Eine kommentierte Auswahl in fünf Bänden. Herausgegeben von Dieter Wuttke. Band 1: Korrespondenz 1910 bis 1936. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2001. 1142 S., 65 Abb., geb., 298,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Wer den durchaus naheliegenden Gedanken hegt, mit der Publikation der "Altniederländischen Malerei" sei die "Repatriierung" des emigrierten Erwin Panofsky abgeschlossen, dem empfiehlt Martin Warnke diesen 1100-seitigen Korrespondenz- Band, den ersten von insgesamt fünf avisierten. Dieser, so Warnke, erwecke nämlich den Eindruck, "dass unsere Kenntnis von Panofsky erst am Anfang steht". Ausdrücklich gilt der Dank des Rezensenten dem Herausgeber, der die "Herkulesarbeit" vollbracht habe, "an zahllosen Stellen Briefe und Gegenbriefe Panofskys aufzuspüren, auszuwählen, zu erläutern." Und nicht nur das. Warnke konstatiert das Gelingen der erklärten Absicht, mit dem Band zugleich eine Autobiographie Panofskys vorzulegen. "Es sind wunderbare Briefe darunter, die literarisch, persönlich, fach- und institutionengeschichtlich sowie wissenschaftlich gleich ergiebig sind." Das reicht von Post aus der Hand Friedrich Gundolfs bis zu Briefen der Haushälterin Berta Ziegenhagen.
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