Erwin Panofsky (1892-1968) war einer der bedeutendsten Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Bis 1933 lehrte er als der erste Ordinarius seines Faches an der Universität Hamburg und stand im engen Kontakt zur Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Nach der erzwungenen Emigration wurde er 1935 zum ständigen Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton berufen, an dem er bis zu seinem Tode wirkte. Ca. 24000 von insgesamt wohl 27000 Briefen von und an Panofsky hat Dieter Wuttke in vieljähriger Arbeit aufgespürt und daraus mehr als 3000 zur Publikation ausgewählt. Korrespondenzpartner Panofskys waren neben bedeutenden Kunsthistorikern seiner Zeit wie z.B. Aby M. Warburg, Fritz Saxl, Gertrud Bing auch Naturwissenschaftler wie Albert Einstein, Wolfgang Pauli und J. Robert Oppenheimer. Die Auswahl wird - eingeleitet, textkritisch aufbereitet, kommentiert, durch Verzeichnisse und Register erschlossen - in fünf Bänden erscheinen. Das Werk verstehtsich als ein Beitrag zur Mikro-Historie des Lebens und Wirkens von Erwin Panofsky, der keine Autobiographie hinterlassen hat. Es bietet Einblicke in die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive einer exzeptionellen Persönlichkeit, wobei die Wissenschafts-, Sozial-, Personen- und Institutionengeschichte besondere Schwerpunkte bilden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Rezensent Horst Bredekamp ist schlichtweg begeistert und macht seiner Begeisterung in einer umfassenden und spannenden Besprechung Luft. Auf eineinhalbtausend Seiten, die über 700 (größtenteils unbekannte) Briefe aus den Jahren 1937 bis 1949, also aus Erwin Panofskys amerikanischer Wirkungszeit, versammeln, werden, so Bredekamp sowohl diejenigen auf ihre Kosten kommen, die nach "Reflexionen des Krieges und der Naziherrschaft" suchen, als auch jene, die Panofsky als Mensch und als Kunsttheoretiker kennen lernen wollen. Zunächst geben die Briefe Einblick in Panofskys Reaktion auf das amerikanische Exil, von dem er gesagt habe, er sei "nicht aus dem, sondern in das Paradies vertrieben" worden, und in sein großes Engagement für andere Flüchtlinge. Am politischsten zeige sich Panofsky in den Briefen an seine Söhne, die gleichzeitig den besten Einblick in die Psychologie Panofskys geben und "alle Züge" des "großen Pan" schillern lassen, der dem thelemischen "Tu was du willst!" den Vorrang gibt vor der Moral. Der für den Rezensenten "anrührendste" Briefwechsel ist der mit Panofskys Lehrer Wilhelm Vöge, dem er gesteht, "er sei durch eine einzige Vorlesung, diejenige Vöges über die von Dürer gezeichneten Hände König Maximilians I. im Wintersemester 1910/11, zum Kunsthistoriker geworden". Fassungslos hat den Rezensenten der Konflikt um die Mitautorenschaft von Raymond Klibansky an der erweiterten Ausgabe des Melancholie-Buches gemacht. Dieses Buch, so Bredekamps Fazit, ist einfach "immens" - in seinen Anforderungen an den Herausgeber und in seinem Gelingen: "Die Kommentare lassen kaum eine Lücke, das Namens- und Sachregister ist ein Kunstwerk in sich." Man lechzt nach mehr."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2004Mit der Bescheidenheit des praktizierenden Humanisten
Die Korrespondenz der Jahre 1937 bis 1949 liegt vor: Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky in seinen politischen und privaten Ansichten
Jetzt liegt der zweite Band der Korrespondenz des großen Kunsthistorikers Erwin Panofsky (1892 bis 1967) vor, den Dieter Wuttke mit liebevoller Hingabe und philologischer Akribie ediert hat. Er enthält nicht weniger als 762 Briefe von Panofsky selbst, seiner Frau Dora geb. Mosse, seinen beiden Söhnen und einer Vielzahl von privaten und öffentlichen Korrespondenten. Jede Epistel ist annotiert. Personennamen, Ereignisse, Titel von Schriften werden nachgewiesen. So haben wir ein biographisches Nachschlagewerk vor uns, das über Panofsky, seine Angehörigen, die deutsche Emigration nach 1933, die Geschichte des "Institute for Advanced Study", die Kunsthistorie und die "Humanities" in den Vereinigten Staaten nicht systematische, aber ungemein farbige Auskunft erteilt. Es ist eine fesselnde, aber auch zwiegesichtige Quellenausgabe, welche gelegentlich jenseits aller Diskretion Einblick in das Innenleben einer amerikanisch-deutschen Professorenfamilie nach der Austreibung von 1933 gewährt, zugleich aber eine ganze Wissenschaftslandschaft erhellt. Panofsky war ein ingeniöser Briefschreiber, und mindestens der Eingeweihte liest diese 1134 Seiten mit ebensoviel Spannung wie Vergnügen.
Es ist eine Auswahl aus der Korrespondenz zwischen 1937 und 1949. Der Abschied von Hamburg, wo Panofsky bis April 1933 Ordinarius gewesen war, liegt drei Jahre zurück. Seit zwei Jahren ist er "permanent member" des neu gegründeten "Institute for Advanced Study" in Princeton, damit von jenen Existenzängsten befreit, denen die Emigranten oft noch lange nach ihrer Ankunft ausgesetzt waren. So kann er 1947 in einem Brief an seinen alten Lehrer Wilhelm Vöge schreiben: "Im ganzen war uns die ,Austreibung' aus dem europäischen Paradies eher ein Segen in bezug auf das Wachsen unseres Horizonts und auch meiner eigenen Wirksamkeit." Als er im Sommer 1938 in Princeton ein eigenes Haus beziehen kann, schreibt er an den Direktor des Institutes: "Es ist ein seltsamer und etwas peinlicher Gedanke, wieviel Vorteil wir aus einem Ereignis gehabt haben, das über so viele Tausende Unglück gebracht hat." Im Juni 1940 wird er eingebürgert.
Seit 1930 war Panofsky als regelmäßiger Gastprofessor in Amerika gewesen. Nun aber - seit etwa 1937 - wird er zu jenen Vortragszyklen an amerikanischen Colleges und Universitäten eingeladen, die den Eingewanderten schnell zu dem leuchtenden Stern der Kunstgeschichte in seiner neuen Exilheimat werden lassen sollten. Vom März 1937 datiert der Brief, mit dem das Bryn Mawr College Panofsky einlädt, die angesehenen Mary Flexner Lectures zu übernehmen. Im Herbst hält Panofsky dann sechs Vorträge über "Humanistic Themes in the Art of the Renaissance", welche der Präsident des Colleges in einem Brief an das Institute in Princeton als ein "großes intellektuelles Vergnügen" feiern wird. Im Jahr darauf kommt von der Northwestern University eine ähnliche Aufforderung, und hier wird Panofsky im Herbst sechs Vorlesungen über "Albrecht Dürer, Artist and Thinker" geben. Der Erfolg war nicht geringer, wie wiederum ein Dankbrief aus Evanston zeigt. Aus diesen "Lectures" gingen die ersten englischsprachigen Bücher des früheren Hamburger Professors hervor: "Studies in Iconology" und "The Life and Art of Albrecht Dürer". Sie haben Panofsky in Amerika und in der ganzen Welt berühmt gemacht.
Diese Bücher waren vor allem einzigartig als Gewächse der intellektuellen und kulturellen Transplantation. Panofsky hat in ihnen die schwere Armierung des deutschen Professors umgeschmolzen nicht nur in eine andere Sprache, sondern in eine offene Mitteilung an ein neues Publikum. An einen früheren Hamburger Schüler schrieb er über Dürer: "Die Schwierigkeit ist, daß ich versucht habe, einigermaßen lesbar und doch nicht völlig dilettantisch zu sein mit dem Ergebnis, daß ich zwischen anstatt auf den beiden Stühlen sitze." Nun, Panofsky wußte, daß zum Witz des Humanisten das Spiel mit der Bescheidenheit gehörte. Die amerikanischen Leser waren von seinem Dürer wie elektrisiert. "Ich habe Tag und Nacht gelesen - dazzling", schrieb Fiske Kimball an den bewunderten Freund in Princeton.
Die "Studies in Iconology" waren 1939 erschienen, der Dürer folgte 1943. Das war in furchtbaren Zeiten. In diesen Stürmen schien das stille Princeton eine Insel der Seligen zu sein. Im Dezember 1939 schreibt Dora Panofsky an den alten Geheimrat Goldschmidt, welcher in Basel ein kümmerliches Emigrantendasein fristet: "Von hier ist wenig zu erzählen. Jeder sitzt so an seinen Problemen und vergißt darüber die Welt und die Ereignisse." Gewiß, Princeton war ein Hieronymusgehäuse für den Humanisten Panofsky, aber immer wieder pochten die Schrecken und Ängste der politischen Verfolgung vernehmlich an dessen Pforte. Die große Furcht war, daß die antisemitische Paranoia sich weiter ausbreiten könnte. Nach "München", im Oktober 1938, schreibt Panofsky an einen seiner Söhne: "Wir tun wahrscheinlich gut, irgendeinen Buschmann-Dialekt zu lernen, damit wir nach dem hiesigen Herauswurf (1941, taxiere ich bekanntlich) irgendwo vom Affenbrotbaum leben können."
Aber noch auf ganz andere Weise griff die Not der Zeit in die halkyonischen Tage des Princetoner Gelehrtendaseins ein. Im Januar 1939 schreibt Panofsky an seinen Sohn: "Ich bekomme jeden Tag zwei bis drei Notschreie von Juden, meist eingeschrieben, so daß ich noch zur Post rennen muß, um sie abzuholen", und fügt sarkastisch hinzu: "Es gibt doch wenig Arier in der Welt." Liest man den Briefwechsel durch, so sieht man, daß er sehr viel Zeit und Mühe darauf wandte, um sein wachsendes Ansehen dafür zu nutzen, an den amerikanischen Colleges und Universitäten Stellen für die aus Deutschland geflüchteten Kollegen zu finden. Allein für Alexander Dorner, einen Museumsdirektor aus Hannover, der ihm als "Moderner" wissenschaftlich gar nicht sonderlich nahestand, schreibt er im Lauf der Jahre wohl ein Dutzend solcher Empfehlungen. Klug, wie er war, schränkte Panofsky solche Befürwortungen auf den Kreis der Kunsthistoriker ein, wo er sich auf seine Fachkompetenz berufen konnte. Aber gelegentlich ging er doch weiter. Seine Liebe gehörte den alten Sprachen. Für Ernst Kapp, einen Altphilologen, der in Hamburg sein Kollege gewesen war, setzte er sich unermüdlich ein, einmal aber auch für den Gräzisten Rudolph Pfeiffer aus München, "die größte Autorität für hellenistische Dichtung". So wird die Hilfe für die Verstoßenen zum praktizierten Humanismus.
Wie aber steht es mit dem Verhältnis zu Deutschland, der Heimat, aus welcher der deutsche Jude verstoßen wurde? Dem alten Deutschland aus der Zeit vor Hitler gehört eine kaum verborgene Liebe. Im Briefwechsel mit den Söhnen, Freunden und Schicksalsgefährten erklingt die deutsche Sprache, die Panofsky modulationsreich und gefühlvoll, vor allem aber witzig gebraucht und gerne mit Zitaten aus Fontane, gelegentlich auch aus Jean Paul würzt. Oft hört man klassische deutsche Musik von Bach bis Beethoven, keinen Wagner und nichts Modernes. Aber die Beziehungen zum realen Deutschland sind zerstört. Zwischen 1937 und 1939 finden sich nur noch zwei Briefe aus Deutschland von treuen Hamburger Freunden, dem Kunsthallendirektor Pauli und dem Gräzisten Bruno Snell.
Nach 1945 werden die Verbindungen langsam und spärlich wiederaufgenommen. Die erste Nachricht vom 23. Juni 1945 kommt aus dem Zentrum des Schreckens. Ein amerikanischer Sergeant meldet, daß Martha Mosse, die Schwester von Panofskys Frau, die Haftjahre in Theresienstadt überlebt hat. Allmählich melden sich dann andere Stimmen. Kaum Kollegen, Ausnahmen: Bruno Snell, einzelne frühere Studenten, der Archäologe Peter H. Blanckenhagen, der Kunsthistoriker Heydenreich, die im Dritten Reich nicht mitgespielt hatten. Ein wirklich herzliches Verhältnis aber besteht zu Bertel Ziegenhagen, der treuen Hamburger Haushälterin, die von der ganzen Familie - auch von den beiden Söhnen - fürsorglich mit Care-Paketen beschickt wird. Es war wohl leichter, einem guten Herzen aus dem nichtakademischen Deutschland Vertrauen zu bewahren.
Am anrührendsten sind Panofskys Briefe an seinen Lehrer Wilhelm Vöge, der hochbetagt in der russischen Zone lebte. In der Verehrung für Vöge rettet er für sich die Erinnerung an das Gute, das er einst im alten Deutschland empfangen hatte. An Vöge schreibend, wählt er ein biblisches Gleichnis für die "cultural migration": "Sie waren der Engel, der dem Jacob erscheint und sagt ,Nun mache dich auf und zeuch aus diesem Lande' (frei nach Josua I/2)."
Hochaktuell lesen sich die Briefe aus den Monaten nach der Explosion der ersten Atombombe, an deren Entwicklung der Sohn Wolfgang beteiligt war. Erschrocken nahm Panofsky Anteil an einer Debatte, in welcher die Wissenschaftler bestürzt und schuldbewußt internationale Kontrolle forderten, während Truman und die Generäle vor allem den Rüstungsvorsprung gegenüber Rußland wahren wollten. Auf einmal stand das stille Princeton mit Einstein - bald auch mit Oppenheimer - im Brennpunkt eines bedrohlichen Geschehens von apokalyptischen Ausmaßen. Im Feuer von Hiroshima war das Hieronymusgehäuse abgebrannt.
Bleiben die vielen Briefe, welche sich mit dem privaten Geschick der Familie befassen. Sie haben ihren eigenen Zauber. Panofsky erscheint als der "weise Jude", liebevoll, aber nie sentimental. Anstand und Klugheit schätzt er, Moral ist ihm verdächtig, und verrückt ist die Welt allemal. Erhebt sich die Frage, ob man diesen intimen Teil der Korrespondenz öffentlich machen durfte. Im Falle großer Schriftsteller ist solches Publizieren Usance. Wenn wir die Briefe von Flaubert, Goethe oder Henry James lesen, hoffen wir, deren Werke eindringlicher zu verstehen. Gilt das gleiche für einen Gelehrten wie Panofsky, der um die Separation von Leben und Werk wußte? Ich erinnere mich an ein Gespräch, in dem er um Unterstützung für einen Kollegen gebeten wurde, der "das Herz auf dem rechten Fleck" habe. Panofskys lächelnde Replik lautete: "Aber was hat er denn auf dem rechten Fleck geschrieben?" Damit war auf die Distanz zwischen menschlicher Empfindung und forscherlicher Arbeit verwiesen. Nur mit seiner Arbeit ist der Wissenschaftler eine öffentliche Person. Diese Ausgabe der Korrespondenz aber veröffentlicht den ganzen Menschen Panofsky. Man kann sich auch daran erfreuen, aber es hat etwas Problematisches. Trotzdem ist man Dieter Wuttke dankbar, daß er dieses unvergleichliche Zeugnis der "cultural migration" aus der Alten in die Neue Welt zugänglich gemacht hat. Sollte je eine intellektuelle Biographie Panofskys geschrieben werden, wird sie aus diesen Briefen ebensoviel Nahrung ziehen können wie aus Panofskys gelehrten Büchern.
WILLIBALD SAUERLÄNDER
Erwin Panofsky: "Korrespondenz". Korrespondenz 1910 bis 1968. Eine kommentierte Auswahl in 5 Bänden. Band II: 1937-1949. Herausgegeben von Dieter Wuttke. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2003. 1363 S., Abb., geb., 180,- [Euro].
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Die Korrespondenz der Jahre 1937 bis 1949 liegt vor: Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky in seinen politischen und privaten Ansichten
Jetzt liegt der zweite Band der Korrespondenz des großen Kunsthistorikers Erwin Panofsky (1892 bis 1967) vor, den Dieter Wuttke mit liebevoller Hingabe und philologischer Akribie ediert hat. Er enthält nicht weniger als 762 Briefe von Panofsky selbst, seiner Frau Dora geb. Mosse, seinen beiden Söhnen und einer Vielzahl von privaten und öffentlichen Korrespondenten. Jede Epistel ist annotiert. Personennamen, Ereignisse, Titel von Schriften werden nachgewiesen. So haben wir ein biographisches Nachschlagewerk vor uns, das über Panofsky, seine Angehörigen, die deutsche Emigration nach 1933, die Geschichte des "Institute for Advanced Study", die Kunsthistorie und die "Humanities" in den Vereinigten Staaten nicht systematische, aber ungemein farbige Auskunft erteilt. Es ist eine fesselnde, aber auch zwiegesichtige Quellenausgabe, welche gelegentlich jenseits aller Diskretion Einblick in das Innenleben einer amerikanisch-deutschen Professorenfamilie nach der Austreibung von 1933 gewährt, zugleich aber eine ganze Wissenschaftslandschaft erhellt. Panofsky war ein ingeniöser Briefschreiber, und mindestens der Eingeweihte liest diese 1134 Seiten mit ebensoviel Spannung wie Vergnügen.
Es ist eine Auswahl aus der Korrespondenz zwischen 1937 und 1949. Der Abschied von Hamburg, wo Panofsky bis April 1933 Ordinarius gewesen war, liegt drei Jahre zurück. Seit zwei Jahren ist er "permanent member" des neu gegründeten "Institute for Advanced Study" in Princeton, damit von jenen Existenzängsten befreit, denen die Emigranten oft noch lange nach ihrer Ankunft ausgesetzt waren. So kann er 1947 in einem Brief an seinen alten Lehrer Wilhelm Vöge schreiben: "Im ganzen war uns die ,Austreibung' aus dem europäischen Paradies eher ein Segen in bezug auf das Wachsen unseres Horizonts und auch meiner eigenen Wirksamkeit." Als er im Sommer 1938 in Princeton ein eigenes Haus beziehen kann, schreibt er an den Direktor des Institutes: "Es ist ein seltsamer und etwas peinlicher Gedanke, wieviel Vorteil wir aus einem Ereignis gehabt haben, das über so viele Tausende Unglück gebracht hat." Im Juni 1940 wird er eingebürgert.
Seit 1930 war Panofsky als regelmäßiger Gastprofessor in Amerika gewesen. Nun aber - seit etwa 1937 - wird er zu jenen Vortragszyklen an amerikanischen Colleges und Universitäten eingeladen, die den Eingewanderten schnell zu dem leuchtenden Stern der Kunstgeschichte in seiner neuen Exilheimat werden lassen sollten. Vom März 1937 datiert der Brief, mit dem das Bryn Mawr College Panofsky einlädt, die angesehenen Mary Flexner Lectures zu übernehmen. Im Herbst hält Panofsky dann sechs Vorträge über "Humanistic Themes in the Art of the Renaissance", welche der Präsident des Colleges in einem Brief an das Institute in Princeton als ein "großes intellektuelles Vergnügen" feiern wird. Im Jahr darauf kommt von der Northwestern University eine ähnliche Aufforderung, und hier wird Panofsky im Herbst sechs Vorlesungen über "Albrecht Dürer, Artist and Thinker" geben. Der Erfolg war nicht geringer, wie wiederum ein Dankbrief aus Evanston zeigt. Aus diesen "Lectures" gingen die ersten englischsprachigen Bücher des früheren Hamburger Professors hervor: "Studies in Iconology" und "The Life and Art of Albrecht Dürer". Sie haben Panofsky in Amerika und in der ganzen Welt berühmt gemacht.
Diese Bücher waren vor allem einzigartig als Gewächse der intellektuellen und kulturellen Transplantation. Panofsky hat in ihnen die schwere Armierung des deutschen Professors umgeschmolzen nicht nur in eine andere Sprache, sondern in eine offene Mitteilung an ein neues Publikum. An einen früheren Hamburger Schüler schrieb er über Dürer: "Die Schwierigkeit ist, daß ich versucht habe, einigermaßen lesbar und doch nicht völlig dilettantisch zu sein mit dem Ergebnis, daß ich zwischen anstatt auf den beiden Stühlen sitze." Nun, Panofsky wußte, daß zum Witz des Humanisten das Spiel mit der Bescheidenheit gehörte. Die amerikanischen Leser waren von seinem Dürer wie elektrisiert. "Ich habe Tag und Nacht gelesen - dazzling", schrieb Fiske Kimball an den bewunderten Freund in Princeton.
Die "Studies in Iconology" waren 1939 erschienen, der Dürer folgte 1943. Das war in furchtbaren Zeiten. In diesen Stürmen schien das stille Princeton eine Insel der Seligen zu sein. Im Dezember 1939 schreibt Dora Panofsky an den alten Geheimrat Goldschmidt, welcher in Basel ein kümmerliches Emigrantendasein fristet: "Von hier ist wenig zu erzählen. Jeder sitzt so an seinen Problemen und vergißt darüber die Welt und die Ereignisse." Gewiß, Princeton war ein Hieronymusgehäuse für den Humanisten Panofsky, aber immer wieder pochten die Schrecken und Ängste der politischen Verfolgung vernehmlich an dessen Pforte. Die große Furcht war, daß die antisemitische Paranoia sich weiter ausbreiten könnte. Nach "München", im Oktober 1938, schreibt Panofsky an einen seiner Söhne: "Wir tun wahrscheinlich gut, irgendeinen Buschmann-Dialekt zu lernen, damit wir nach dem hiesigen Herauswurf (1941, taxiere ich bekanntlich) irgendwo vom Affenbrotbaum leben können."
Aber noch auf ganz andere Weise griff die Not der Zeit in die halkyonischen Tage des Princetoner Gelehrtendaseins ein. Im Januar 1939 schreibt Panofsky an seinen Sohn: "Ich bekomme jeden Tag zwei bis drei Notschreie von Juden, meist eingeschrieben, so daß ich noch zur Post rennen muß, um sie abzuholen", und fügt sarkastisch hinzu: "Es gibt doch wenig Arier in der Welt." Liest man den Briefwechsel durch, so sieht man, daß er sehr viel Zeit und Mühe darauf wandte, um sein wachsendes Ansehen dafür zu nutzen, an den amerikanischen Colleges und Universitäten Stellen für die aus Deutschland geflüchteten Kollegen zu finden. Allein für Alexander Dorner, einen Museumsdirektor aus Hannover, der ihm als "Moderner" wissenschaftlich gar nicht sonderlich nahestand, schreibt er im Lauf der Jahre wohl ein Dutzend solcher Empfehlungen. Klug, wie er war, schränkte Panofsky solche Befürwortungen auf den Kreis der Kunsthistoriker ein, wo er sich auf seine Fachkompetenz berufen konnte. Aber gelegentlich ging er doch weiter. Seine Liebe gehörte den alten Sprachen. Für Ernst Kapp, einen Altphilologen, der in Hamburg sein Kollege gewesen war, setzte er sich unermüdlich ein, einmal aber auch für den Gräzisten Rudolph Pfeiffer aus München, "die größte Autorität für hellenistische Dichtung". So wird die Hilfe für die Verstoßenen zum praktizierten Humanismus.
Wie aber steht es mit dem Verhältnis zu Deutschland, der Heimat, aus welcher der deutsche Jude verstoßen wurde? Dem alten Deutschland aus der Zeit vor Hitler gehört eine kaum verborgene Liebe. Im Briefwechsel mit den Söhnen, Freunden und Schicksalsgefährten erklingt die deutsche Sprache, die Panofsky modulationsreich und gefühlvoll, vor allem aber witzig gebraucht und gerne mit Zitaten aus Fontane, gelegentlich auch aus Jean Paul würzt. Oft hört man klassische deutsche Musik von Bach bis Beethoven, keinen Wagner und nichts Modernes. Aber die Beziehungen zum realen Deutschland sind zerstört. Zwischen 1937 und 1939 finden sich nur noch zwei Briefe aus Deutschland von treuen Hamburger Freunden, dem Kunsthallendirektor Pauli und dem Gräzisten Bruno Snell.
Nach 1945 werden die Verbindungen langsam und spärlich wiederaufgenommen. Die erste Nachricht vom 23. Juni 1945 kommt aus dem Zentrum des Schreckens. Ein amerikanischer Sergeant meldet, daß Martha Mosse, die Schwester von Panofskys Frau, die Haftjahre in Theresienstadt überlebt hat. Allmählich melden sich dann andere Stimmen. Kaum Kollegen, Ausnahmen: Bruno Snell, einzelne frühere Studenten, der Archäologe Peter H. Blanckenhagen, der Kunsthistoriker Heydenreich, die im Dritten Reich nicht mitgespielt hatten. Ein wirklich herzliches Verhältnis aber besteht zu Bertel Ziegenhagen, der treuen Hamburger Haushälterin, die von der ganzen Familie - auch von den beiden Söhnen - fürsorglich mit Care-Paketen beschickt wird. Es war wohl leichter, einem guten Herzen aus dem nichtakademischen Deutschland Vertrauen zu bewahren.
Am anrührendsten sind Panofskys Briefe an seinen Lehrer Wilhelm Vöge, der hochbetagt in der russischen Zone lebte. In der Verehrung für Vöge rettet er für sich die Erinnerung an das Gute, das er einst im alten Deutschland empfangen hatte. An Vöge schreibend, wählt er ein biblisches Gleichnis für die "cultural migration": "Sie waren der Engel, der dem Jacob erscheint und sagt ,Nun mache dich auf und zeuch aus diesem Lande' (frei nach Josua I/2)."
Hochaktuell lesen sich die Briefe aus den Monaten nach der Explosion der ersten Atombombe, an deren Entwicklung der Sohn Wolfgang beteiligt war. Erschrocken nahm Panofsky Anteil an einer Debatte, in welcher die Wissenschaftler bestürzt und schuldbewußt internationale Kontrolle forderten, während Truman und die Generäle vor allem den Rüstungsvorsprung gegenüber Rußland wahren wollten. Auf einmal stand das stille Princeton mit Einstein - bald auch mit Oppenheimer - im Brennpunkt eines bedrohlichen Geschehens von apokalyptischen Ausmaßen. Im Feuer von Hiroshima war das Hieronymusgehäuse abgebrannt.
Bleiben die vielen Briefe, welche sich mit dem privaten Geschick der Familie befassen. Sie haben ihren eigenen Zauber. Panofsky erscheint als der "weise Jude", liebevoll, aber nie sentimental. Anstand und Klugheit schätzt er, Moral ist ihm verdächtig, und verrückt ist die Welt allemal. Erhebt sich die Frage, ob man diesen intimen Teil der Korrespondenz öffentlich machen durfte. Im Falle großer Schriftsteller ist solches Publizieren Usance. Wenn wir die Briefe von Flaubert, Goethe oder Henry James lesen, hoffen wir, deren Werke eindringlicher zu verstehen. Gilt das gleiche für einen Gelehrten wie Panofsky, der um die Separation von Leben und Werk wußte? Ich erinnere mich an ein Gespräch, in dem er um Unterstützung für einen Kollegen gebeten wurde, der "das Herz auf dem rechten Fleck" habe. Panofskys lächelnde Replik lautete: "Aber was hat er denn auf dem rechten Fleck geschrieben?" Damit war auf die Distanz zwischen menschlicher Empfindung und forscherlicher Arbeit verwiesen. Nur mit seiner Arbeit ist der Wissenschaftler eine öffentliche Person. Diese Ausgabe der Korrespondenz aber veröffentlicht den ganzen Menschen Panofsky. Man kann sich auch daran erfreuen, aber es hat etwas Problematisches. Trotzdem ist man Dieter Wuttke dankbar, daß er dieses unvergleichliche Zeugnis der "cultural migration" aus der Alten in die Neue Welt zugänglich gemacht hat. Sollte je eine intellektuelle Biographie Panofskys geschrieben werden, wird sie aus diesen Briefen ebensoviel Nahrung ziehen können wie aus Panofskys gelehrten Büchern.
WILLIBALD SAUERLÄNDER
Erwin Panofsky: "Korrespondenz". Korrespondenz 1910 bis 1968. Eine kommentierte Auswahl in 5 Bänden. Band II: 1937-1949. Herausgegeben von Dieter Wuttke. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2003. 1363 S., Abb., geb., 180,- [Euro].
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