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Produktdetails
  • Bibliothek Suhrkamp
  • Verlag: Suhrkamp
  • Neuaufl.
  • Seitenzahl: 185
  • Abmessung: 20mm x 118mm x 180mm
  • Gewicht: 239g
  • ISBN-13: 9783518015636
  • ISBN-10: 351801563X
  • Artikelnr.: 24056108
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2000

Lesetipp zum Wochenende
Beim ersten Blick
Wie Konstantin Paustowskij
vom Leben erzählt hat
Wenn die Lauten und die Vorlauten das öffentliche Wort haben, können sich allenfalls deren entschiedenste Widersacher Gehör verschaffen. Die Leisen im Lande bleiben im Hintergrund – doch manche von ihnen haben am Ende einen längeren Atem als die Protagonisten und Propagandisten der „Epoche”.
Konstantin Paustowskij (1892-1968) gehörte zu jenen russischen Autoren der sowjetischen „Ära”, die sich weder der herrschenden Ideologie verschrieben noch gegen das System aufbegehrt haben. Ein „innerer Emigrant”? Nein, ein Prosadichter, der seine eigenen Themen fand – oder richtiger: der von ihnen gefunden und gefordert wurde. Unvorstellbar, dass er „den Menschen” oder gar den propagierten „neuen Menschen” und seine Heldentaten hätte feiern können. Das Personal seiner meist kurzen Erzählungen besteht aus – wie Tschechow sagen würde – „Episodenfiguren”. Der Dichter beobachtet sie in Momenten und Situationen, in denen sie auf Unerwartetes reagieren (müssen) und damit etwas meist auch für sie selbst Überraschendes offenbaren. Es geschieht beim ersten Blick, bei einem unverhofften Wiedersehen und, immer wieder, bei oder nach Abschieden, endgültigen und solchen, die alles offen lassen. Ob das wunderbar altmodische Erröten eines jungen Mädchens, die Mitleidsregung einer Verkäuferin am Kiosk, oder der leichtfertige Verrat eines ebenso schwachen wie eitlen Lyrikers, der seine Urlaubsgeliebte vor (ein)gebildeten ältlichen Anbeterinnen als Dummchen diffamiert – Paustowskij beschreibt es so, dass seine Leser davon wie von einer eigenen Wahrnehmung berührt werden.
Er zeigt auch, wie falsches Handeln zur Wendung ins Gute führen kann: etwa wenn, in der 1943 entstandenen Erzählung „Schnee”, Tatjana Petrowna, die aus Moskau evakuiert ist und im Haus des unlängst gestorbenen Potapow wohnt, einen Brief öffnet, in dem der ahnungslose Sohn seinem Vater schildert, wie er die Wohnung beim weihnachtlichen Fronturlaub anzutreffen hofft – und die junge Frau richtet alles diesem Wunsch entsprechend her, was wiederum zu einer schönen Selbsttäuschung des Mannes führt, die nicht zu zerstören Tatjana die allerbesten Gründe hat.
Mit der gleichen Empfindsamkeit, der gleichen intensiv geschulten Gabe genauer Beobachtung, die es ihm ermöglichen, solche subtilen Lebenszusammenhänge, solche Gewebe aus Gefühlen, Erwartungen, Wünschen nachzubilden, weiß Paustowskij (der dem bedeutendsten russischen Landschaftsmaler Isaak Lewitan einen biografischen Roman gewidmet hat) auch Natur und Landschaft in Sprache zu verwandeln, insbesondere die des moskaunahen Waldgebietes Meschtschora und der Schwarzmeerküste. Oft setzen seine Erzählungen mit einer präzisen „Wettermeldung” ein. Wolkenbildungen werden geschildert, Sonnenuntergänge, Regentage und die anderen Farben, die sie hervorrufen. Wie kaum ein anderer Autor achtet Paustowskij auf Gerüche und Geräusche. All das hat ihm die Bewunderung auch solcher Kollegen und Literaturkenner eingetragen, die vom Exil aus die „Sowjet-Literatur” äußerst kritisch beobachteten. In seiner sinnlichen und sinnfälligen Prosa fanden sie etwas von jenem Russland gerettet und aufbewahrt, das in der Stalin-Zeit unwiederbringlich zerstört zu werden drohte.
Paustowskijs Hauptwerk heißt „Powestj o shisni” – „Erzählung vom Leben”. Es ist ein sechsteiliger, 1946 begonnener und von 1955 bis 1963 weitergeführter autobiografischer Romanzyklus, der zahlreiche nahezu selbstständige Episoden-Erzählungen enthält. Einige davon findet man unter den zwölf „Erzählungen vom Leben”, die Wolfgang Kasack 1978 für den so betitelten Band der Bibliothek Suhrkamp ausgewählt und übersetzt hatte. Nicht einmal die erste Auflage war damals „vom Markt aufgesogen” worden. Der offenbar beträchtliche Rest ist jetzt aufgebunden worden – ohne dass der Herausgeber sein würdigendes Nachwort hätte „aktualisieren” müssen.
Es lohnt sich, Paustowskijs Prosa, von der sich der Autor wünschte, sie möge in den Herzen ihrer Leser „widerhallen”, zu entdecken. Verglichen mit dem „modernen, häufig ethischen” Erzählen der Zeit nach Stalin sei sie „eher zeitlos”, sagt Kasack. Sie enthält etwas, wovon sich auch unsere Zeit los gemacht hat. Beredte Stille. Wer sie lesend wiederfindet, weiß plötzlich, wie sehr er sie vermisst hatte.
WOLFGANG WERTH
KONSTANTIN PAUSTOWSKIJ: Erzählungen vom Leben. Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Wolfgang Kasack. Bibliothek Suhrkamp 563, Frankfurt 1999. 186 Seiten, 24,80 Mark.
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