Nakuru School, Kenia, 1943. Vier jüdische Mädchen treffen sich regelmäßig unter dem Eukalyptusbaum. So unterschiedlich ihre Charaktere, so vielschichtig erleben sie Afrika. Mit psychologischem Gespür verwebt die Autorin ihre Lebenswege, die sie nach Israel, London und auch nach Deutschland führen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2005Mädchenträume unter dem Eukalyptusbaum
Die Verfilmung ihres Romans "Nirgendwo in Afrika" hat Stefanie Zweig angeregt, über ihre Schulfreundinnen ein Buch zu schreiben
VON EVA-MARIA MAGEL
FRANKFURT. Hätte Caroline Link nicht ihren Roman "Nirgendwo in Afrika" (2001) verfilmt - das neue Buch der Frankfurter Autorin Stefanie Zweig, "Es begann damals in Afrika", wäre nicht entstanden. Denn die Erinnerungen an ihre Schulzeit, die sich darin niederschlagen, und die Fragen, was aus den Mädchen von einst geworden ist, geworden sein könnte, hatte eine Wiederbegegnung ausgelöst.
Den Film "Nirgendwo in Afrika", 2003 mit einem Oscar ausgezeichnet und in vielen Ländern gezeigt, haben auch einige von Zweigs ehemaligen Schulkameradinnen, die heute in England leben, gesehen und sich daraufhin bei ihrer Jugendfreundin gemeldet, die so unverkennbar als Vorlage für die Figur der Regina gedient hatte. 1932 war Stefanie Zweig im schlesischen Leobschütz geboren worden, 1938 mußte sie mit ihren Eltern nach Kenia auswandern, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen.
Ein Schicksal, das so oder ähnlich auch die drei anderen jüdischen Mädchen teilen, die zu Beginn des Buchs 1944 als Zwölfjährige unter dem Eukalyptusbaum in ihrer strengen britischen Internatsschule sitzen und von einer besseren Zukunft träumen. Stefanie Zweig, die als einzige der Schulfreundinnen 1947 nach Deutschland zurückgekehrt ist und nach wie vor in der elterlichen Wohnung an der Frankfurter Rothschildallee lebt, fühlt sich von der britischen Erziehung geprägt, die sie in ihrem Buch beschreibt: "Ich bin ja mit englischer Literatur aufgewachsen, und das erzeugt eine enorme Verbundenheit."
Auch andere Verbindungen zu England gibt es, dem Briefwechsel der Queen Victoria mit ihrer Tochter Kaiserin Friedrich etwa verdankt sie ihr Hobby: Begeistert liest sie alles, was sie über die Hohenzollern in die Finger bekommt - solange es Sachbücher sind. "Ich schreibe zwar Romane, aber ich lese sie nicht", sagt die ehemalige Journalistin, die lange Jahre als Feuilletonistin bei den Frankfurter Zeitungen "Abendpost" und "Abendpost-Nachtausgabe" gearbeitet hat, resolut.
Bücher für Kinder hat sie schon früher geschrieben, ihre Karriere als Romanautorin begann, nachdem 1988 die "Nachtausgabe" eingestellt wurde. Noch einmal anderswo als Journalistin anzufangen, dazu hatte Stefanie Zweig keine Lust, wie sie trocken erklärt. So fand sie, die Nicht-Romanleserin, die allerdings "eine lebenslange Liebe" zu Dickens hegt, zum Roman.
Auch ihr neues Buch ist biographisch, durchmischt mit Fiktivem. Vier Lebensläufe spinnt Zweig in "Es begann damals in Afrika" aus, darunter ihren eigenen, der sich in jenem Reginas verbirgt, die der Leser schon aus "Nirgendwo in Afrika" und "Irgendwo in Deutschland" kennt. Einige Bruchstücke weiß Zweig aus dem Leben ihrer früheren Schulkameradinnen, doch nur mit einer steht sie in direktem Kontakt. Liesel heißt die Herzensfreundin Reginas im Buch - und an ihrer Charakterisierung, ihrem Lebenslauf stimme vieles mit der Wirklichkeit überein, sagt Stefanie Zweig. Doch darauf, daß die echte Freundin das Buch liest, ist sie nicht wirklich erpicht: "Wenn man Leute in einem Buch erwähnt, ist es besser, sie lesen es nicht", sagt sie. Nicht jeder reagiert positiv auf die schriftstellerische Freiheit. Und Liesels Werdegang in London, wo die echte Freundin heute noch lebt, hat Zweig zu einem großen Teil erfunden, einer Geschichte zuliebe, die sie unbedingt einmal hatte schreiben wollen. Liesels Gatten nämlich hat sie zu einem jener "Transportkinder" gemacht, die von ihren jüdischen Eltern aus Deutschland oder Österreich nach England, in Sicherheit, geschickt wurden.
Viel zuwenig sei dies bekannt, findet Zweig, die selbst einmal ein solches ehemaliges "Transportkind" kennengelernt hat. Eindringlich beschreibt sie in ihrem neuen Buch den Schock des kleinen Wiener Jungen, der in einem fremden Land dem rauhen Ton in einem Kinderheim ausgeliefert ist, in einer Ziehfamilie landet und eine neue, britische Identität annimmt. Von den "Transportkindern" hat Zweig erst viel später erfahren. Aber wie Regina war ihr schon als Schulmädchen klar, daß sie ihre in Deutschland zurückgelassenen Verwandten wohl nie wiedersehen würde. Eine solche Bürde des Wissens trägt auch die Romanfigur Liesel, die von der Pogromnacht des 9. November 1938 traumatisiert ist.
Am weitesten von der Wirklichkeit entfernt sei die Figur der Vicky, der schönsten unter den vieren, so Zweig. Glorreich malt diese sich unter dem Eukalyptusbaum ihr Leben an der Seite eines englischen Gentleman aus, das sie nie mehr daran erinnern soll, eine deutsche Jüdin zu sein. Sie hat ein solches Leben bekommen - und ist nicht glücklich geworden.
"Solche habe ich viele gekannt", erinnert sich Zweig. Weg von der Identität der Eltern hätten diese Mädchen gewollt. Denn die ungeliebten Immigranten waren nicht nur jüdisch - sie gehörten auch dem Volk an, das den Krieg angefangen hatte. "Eine Kombination, die einem Kind zu schaffen macht", sagt Zweig lapidar. Auch die Erwachsenen hätten sich gewünscht, Engländer zu werden. Daß das nicht funktioniere, habe sie jedoch sehr früh von ihrem Vater gelernt. Die eigene Identität annehmen, die Brüche akzeptieren - Stefanie Zweig hat sich daran gehalten. "Vicky verstößt gegen alles, was in meinem Leben Credo ist", sagt sie.
Das Verleugnen der eigenen Eltern ist der Romanfigur Regina ebenso fremd, wie es Stefanie Zweig war: Deren warmen, herzlichen, "kontinentalen" Ton hätte sie nie missen wollen - selbst wenn er sich von dem unterschied, was man heutzutage propagiert: "Meine Eltern haben mir auch nie gesagt, daß sie mich lieben", sagt Zweig trocken, "aber sie haben es getan."
Mit ihnen ist sie zurückgekehrt in ein Land, das für sie Fremde war und in dem sie auf Menschen traf, die behaupteten, vom Holocaust nichts gewußt zu haben. "Das hat mich immer angeekelt." Sicher hat sie, wie auch die junge Journalistin Regina in "Es begann damals in Afrika", damit gerungen, aus Deutschland fortzugehen. Doch da war der Beruf, für sie damals untrennbar mit der deutschen Sprache verbunden. Daß sie auch auf englisch Artikel schreiben kann, hat sie erst festgestellt, als eine britische Zeitung anläßlich des Filmstarts einen Text bei ihr bestellte. Und da war eine Empfindung: ein Emigrantenkind, das nicht zu leben gelernt habe, sondern Gott täglich für das Überleben und das Zusammensein mit der Familie zu danken, so beschreibt Zweig die junge Frau Regina. Stefanie Zweig ist in Frankfurt geblieben, bei den Eltern und dem jüngeren Bruder, der 1999 starb. Sie plaudert temperamentvoll, eine lebenszugewandte Frau. Auf ihrem Handy kommt unterdessen eine SMS nach der anderen an. Ab und an liest sie in deutschen Städten aus ihren Büchern. Glück? Das ist eines dieser großen Worte, die ihr nicht liegen. "Meine Generation konnte gar nicht glücklich werden - aber wir haben auch nicht danach gefragt." Doch: Zufriedenheit hält sie für ein großes Glück. "Und zufrieden bin ich."
Stefanie Zweig, Es begann damals in Afrika, Langen Müller, München, 335 Seiten, 19,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Verfilmung ihres Romans "Nirgendwo in Afrika" hat Stefanie Zweig angeregt, über ihre Schulfreundinnen ein Buch zu schreiben
VON EVA-MARIA MAGEL
FRANKFURT. Hätte Caroline Link nicht ihren Roman "Nirgendwo in Afrika" (2001) verfilmt - das neue Buch der Frankfurter Autorin Stefanie Zweig, "Es begann damals in Afrika", wäre nicht entstanden. Denn die Erinnerungen an ihre Schulzeit, die sich darin niederschlagen, und die Fragen, was aus den Mädchen von einst geworden ist, geworden sein könnte, hatte eine Wiederbegegnung ausgelöst.
Den Film "Nirgendwo in Afrika", 2003 mit einem Oscar ausgezeichnet und in vielen Ländern gezeigt, haben auch einige von Zweigs ehemaligen Schulkameradinnen, die heute in England leben, gesehen und sich daraufhin bei ihrer Jugendfreundin gemeldet, die so unverkennbar als Vorlage für die Figur der Regina gedient hatte. 1932 war Stefanie Zweig im schlesischen Leobschütz geboren worden, 1938 mußte sie mit ihren Eltern nach Kenia auswandern, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen.
Ein Schicksal, das so oder ähnlich auch die drei anderen jüdischen Mädchen teilen, die zu Beginn des Buchs 1944 als Zwölfjährige unter dem Eukalyptusbaum in ihrer strengen britischen Internatsschule sitzen und von einer besseren Zukunft träumen. Stefanie Zweig, die als einzige der Schulfreundinnen 1947 nach Deutschland zurückgekehrt ist und nach wie vor in der elterlichen Wohnung an der Frankfurter Rothschildallee lebt, fühlt sich von der britischen Erziehung geprägt, die sie in ihrem Buch beschreibt: "Ich bin ja mit englischer Literatur aufgewachsen, und das erzeugt eine enorme Verbundenheit."
Auch andere Verbindungen zu England gibt es, dem Briefwechsel der Queen Victoria mit ihrer Tochter Kaiserin Friedrich etwa verdankt sie ihr Hobby: Begeistert liest sie alles, was sie über die Hohenzollern in die Finger bekommt - solange es Sachbücher sind. "Ich schreibe zwar Romane, aber ich lese sie nicht", sagt die ehemalige Journalistin, die lange Jahre als Feuilletonistin bei den Frankfurter Zeitungen "Abendpost" und "Abendpost-Nachtausgabe" gearbeitet hat, resolut.
Bücher für Kinder hat sie schon früher geschrieben, ihre Karriere als Romanautorin begann, nachdem 1988 die "Nachtausgabe" eingestellt wurde. Noch einmal anderswo als Journalistin anzufangen, dazu hatte Stefanie Zweig keine Lust, wie sie trocken erklärt. So fand sie, die Nicht-Romanleserin, die allerdings "eine lebenslange Liebe" zu Dickens hegt, zum Roman.
Auch ihr neues Buch ist biographisch, durchmischt mit Fiktivem. Vier Lebensläufe spinnt Zweig in "Es begann damals in Afrika" aus, darunter ihren eigenen, der sich in jenem Reginas verbirgt, die der Leser schon aus "Nirgendwo in Afrika" und "Irgendwo in Deutschland" kennt. Einige Bruchstücke weiß Zweig aus dem Leben ihrer früheren Schulkameradinnen, doch nur mit einer steht sie in direktem Kontakt. Liesel heißt die Herzensfreundin Reginas im Buch - und an ihrer Charakterisierung, ihrem Lebenslauf stimme vieles mit der Wirklichkeit überein, sagt Stefanie Zweig. Doch darauf, daß die echte Freundin das Buch liest, ist sie nicht wirklich erpicht: "Wenn man Leute in einem Buch erwähnt, ist es besser, sie lesen es nicht", sagt sie. Nicht jeder reagiert positiv auf die schriftstellerische Freiheit. Und Liesels Werdegang in London, wo die echte Freundin heute noch lebt, hat Zweig zu einem großen Teil erfunden, einer Geschichte zuliebe, die sie unbedingt einmal hatte schreiben wollen. Liesels Gatten nämlich hat sie zu einem jener "Transportkinder" gemacht, die von ihren jüdischen Eltern aus Deutschland oder Österreich nach England, in Sicherheit, geschickt wurden.
Viel zuwenig sei dies bekannt, findet Zweig, die selbst einmal ein solches ehemaliges "Transportkind" kennengelernt hat. Eindringlich beschreibt sie in ihrem neuen Buch den Schock des kleinen Wiener Jungen, der in einem fremden Land dem rauhen Ton in einem Kinderheim ausgeliefert ist, in einer Ziehfamilie landet und eine neue, britische Identität annimmt. Von den "Transportkindern" hat Zweig erst viel später erfahren. Aber wie Regina war ihr schon als Schulmädchen klar, daß sie ihre in Deutschland zurückgelassenen Verwandten wohl nie wiedersehen würde. Eine solche Bürde des Wissens trägt auch die Romanfigur Liesel, die von der Pogromnacht des 9. November 1938 traumatisiert ist.
Am weitesten von der Wirklichkeit entfernt sei die Figur der Vicky, der schönsten unter den vieren, so Zweig. Glorreich malt diese sich unter dem Eukalyptusbaum ihr Leben an der Seite eines englischen Gentleman aus, das sie nie mehr daran erinnern soll, eine deutsche Jüdin zu sein. Sie hat ein solches Leben bekommen - und ist nicht glücklich geworden.
"Solche habe ich viele gekannt", erinnert sich Zweig. Weg von der Identität der Eltern hätten diese Mädchen gewollt. Denn die ungeliebten Immigranten waren nicht nur jüdisch - sie gehörten auch dem Volk an, das den Krieg angefangen hatte. "Eine Kombination, die einem Kind zu schaffen macht", sagt Zweig lapidar. Auch die Erwachsenen hätten sich gewünscht, Engländer zu werden. Daß das nicht funktioniere, habe sie jedoch sehr früh von ihrem Vater gelernt. Die eigene Identität annehmen, die Brüche akzeptieren - Stefanie Zweig hat sich daran gehalten. "Vicky verstößt gegen alles, was in meinem Leben Credo ist", sagt sie.
Das Verleugnen der eigenen Eltern ist der Romanfigur Regina ebenso fremd, wie es Stefanie Zweig war: Deren warmen, herzlichen, "kontinentalen" Ton hätte sie nie missen wollen - selbst wenn er sich von dem unterschied, was man heutzutage propagiert: "Meine Eltern haben mir auch nie gesagt, daß sie mich lieben", sagt Zweig trocken, "aber sie haben es getan."
Mit ihnen ist sie zurückgekehrt in ein Land, das für sie Fremde war und in dem sie auf Menschen traf, die behaupteten, vom Holocaust nichts gewußt zu haben. "Das hat mich immer angeekelt." Sicher hat sie, wie auch die junge Journalistin Regina in "Es begann damals in Afrika", damit gerungen, aus Deutschland fortzugehen. Doch da war der Beruf, für sie damals untrennbar mit der deutschen Sprache verbunden. Daß sie auch auf englisch Artikel schreiben kann, hat sie erst festgestellt, als eine britische Zeitung anläßlich des Filmstarts einen Text bei ihr bestellte. Und da war eine Empfindung: ein Emigrantenkind, das nicht zu leben gelernt habe, sondern Gott täglich für das Überleben und das Zusammensein mit der Familie zu danken, so beschreibt Zweig die junge Frau Regina. Stefanie Zweig ist in Frankfurt geblieben, bei den Eltern und dem jüngeren Bruder, der 1999 starb. Sie plaudert temperamentvoll, eine lebenszugewandte Frau. Auf ihrem Handy kommt unterdessen eine SMS nach der anderen an. Ab und an liest sie in deutschen Städten aus ihren Büchern. Glück? Das ist eines dieser großen Worte, die ihr nicht liegen. "Meine Generation konnte gar nicht glücklich werden - aber wir haben auch nicht danach gefragt." Doch: Zufriedenheit hält sie für ein großes Glück. "Und zufrieden bin ich."
Stefanie Zweig, Es begann damals in Afrika, Langen Müller, München, 335 Seiten, 19,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main