Die rasante Geschichte von einem, der hart werden und zart bleiben will
Luis ist sechzehn und kein schmächiger Zauderer, kein pickliger Pubertierender: Er ist ein Bringer. Er ist der Trainer und er ist die Mannschaft, das ist sein Motto, und er trainiert jeden Tag. Gerade erst hat er die Höhenangst besiegt, nach jahrelangem Üben auf dem Balkon der Siedlungswohnung, in der er mit seiner Mutter wohnt - 15. Stock, nichts für Anfänger.Bei den Girls gibt's nichts mehr zu trainieren, bei den Fickwetten, die er mit den Jungs seiner Gang abschließt, gewinnt er fast immer. Nur mit Jenny vögelt er am liebsten privat, sie ist eine von den Guten. Manchmal besucht er Nutella, das Pony vom alten Autoschrauber Jablonski, aber heimlich. Das beste Mädchen allerdings ist Luis' Mutter, Ma, sie ist die Frau aller Frauen und hat die gleiche Zahnlücke wie er. Und dann ist da noch Milan, Luis' bester Freund, der ist der Chef der Gang und hat immer das letzte Wort, wenn's um Aktionen geht. Für Milan würde Luis fast alles machen. Luis hat sein Leben also fest im Griff, denn er hat einen Plan - bis er eines Tages auf die harte Tour lernen muss, dass nicht mal der größte Bringer Kontrolle hat, wenn die Welt aus den Fugen gerät. Und während ihm nach und nach alles entgleitet, erkennt er, dass man manche Dinge loslassen muss, um an sich selbst festhalten zu können ...Schonungslos und erschütternd, leichtfüßig und heiter erzählt Güntner von der Haltlosigkeit des Erwachsenwerdens und von der größten Kunst überhaupt: dem Besiegen der eigenen Ängste.
Luis ist sechzehn und kein schmächiger Zauderer, kein pickliger Pubertierender: Er ist ein Bringer. Er ist der Trainer und er ist die Mannschaft, das ist sein Motto, und er trainiert jeden Tag. Gerade erst hat er die Höhenangst besiegt, nach jahrelangem Üben auf dem Balkon der Siedlungswohnung, in der er mit seiner Mutter wohnt - 15. Stock, nichts für Anfänger.Bei den Girls gibt's nichts mehr zu trainieren, bei den Fickwetten, die er mit den Jungs seiner Gang abschließt, gewinnt er fast immer. Nur mit Jenny vögelt er am liebsten privat, sie ist eine von den Guten. Manchmal besucht er Nutella, das Pony vom alten Autoschrauber Jablonski, aber heimlich. Das beste Mädchen allerdings ist Luis' Mutter, Ma, sie ist die Frau aller Frauen und hat die gleiche Zahnlücke wie er. Und dann ist da noch Milan, Luis' bester Freund, der ist der Chef der Gang und hat immer das letzte Wort, wenn's um Aktionen geht. Für Milan würde Luis fast alles machen. Luis hat sein Leben also fest im Griff, denn er hat einen Plan - bis er eines Tages auf die harte Tour lernen muss, dass nicht mal der größte Bringer Kontrolle hat, wenn die Welt aus den Fugen gerät. Und während ihm nach und nach alles entgleitet, erkennt er, dass man manche Dinge loslassen muss, um an sich selbst festhalten zu können ...Schonungslos und erschütternd, leichtfüßig und heiter erzählt Güntner von der Haltlosigkeit des Erwachsenwerdens und von der größten Kunst überhaupt: dem Besiegen der eigenen Ängste.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Roswitha Budeus-Budde zeigt sich wenig überzeugt von Verena Güntners neuem Roman "Es bringen". Allzu viel "prolliges" Machogehabe von Besäufnissen und "Fickwetten" liest die Kritikerin hier, und bedauert, dass auch die von der Autorin zu weiten Teilen entsprechend gestaltete Sprache leider kaum Raum für sinnvolle Dialoge und Figurenentwicklung lässt. Auch der Handlung kann Budeus-Budde bald nicht mehr viel abgewinnen, zu durcheinander gerät ihr die in einen Psychokrimi mündende Geschichte, zu vorhersehbar das klassische Coming-of-age-Ende. In den Passagen allerdings, in denen Güntner tieferen Einblick in die Gefühlswelt und Kindheitsgeschichte des Protagonisten gewährt, entdeckt die Kritikerin das Erzähltalent der Autorin wieder.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2014Der coolste Junge von der Tankstelle
Verena Güntner betritt in ihrem Debüt Hochhäuser und billige Supermärkte
Diesen Luis wird man so schnell nicht vergessen. Mit seinen sechzehn Jahren ist er immerhin schon halb so alt wie seine Mutter, seine schöne, geliebte "Ma", mit der er in der Hochhaussiedlung lebt, ganz oben, im fünfzehnten Stock. Den Fahrstuhl benutzt Luis schon seit Jahren nicht mehr, denn er hat sich ein strenges Übungsprogramm auferlegt: "Ich bin der Trainer, und ich bin die Mannschaft." Das ist sein Motto, weiß er doch, dass ein echter "Bringer" den Schmerz überwinden kann. Also hält er sich fit und achtet auf Disziplin, auch dann, wenn er gegen die elende HA ankämpft, seine Höhenangst, derentwegen er sich täglich auf den Balkon stellt: ",Das ist der Triumph', sage ich laut. ,Das ist der Triumph!', und die Stadt unter mir zittert. Die Stadt, die Mädchen." Die Mädchen ganz besonders, denn Luis mit seiner attraktiven Zahnlücke und seiner sorgsam antrainierten Coolness ist für viele von ihnen unwiderstehlich. Das verschafft ihm einiges Taschengeld: Bei den Wetten mit seinen Freunden gewinnt er so gut wie immer, bekommt fast jedes "Girl" auf Anhieb herum, ob im Tankstellenklo oder im Freibad. Die anderen Jungs bewundern Luis dafür, und der zwanzigjährige Milan, unangefochtener und verehrter "Chef" der Gang, ist stolz auf seinen potenten Schützling.
Verena Güntner beschreibt eine Lebenswelt, die die wenigsten Leser aus eigener Anschauung kennen dürften. Luis stammt aus einem Milieu, für das sich der beruhigend-sachliche Name "Prekariat" eingebürgert hat. In dieser Sphäre der Hochhäuser, Afro-Shops und billigen Supermärkte leben die Jugendlichen allein mit ihren Müttern und Geschwistern. Die Familienväter, wenn es sie je gab, haben sich längst aus dem Staub gemacht. Umso mehr kommt es darauf an, dass sich die Jungen ihre eigenen Regeln geben, an die sie sich akribisch halten, ob beim rituellen Saufen, beim Freibadbesuch oder bei der Taschengelderpressung auf dem Spielplatz: "Die Kurzen müssen zahlen, ist schon immer so gewesen. Da musste ich, da mussten Marco, die Jungs, wir alle mussten da durch. Läuft aber friedlich ab, da mault keiner rum. Pro Kurzer bloß ein kleiner Betrag, hängt von der Höhe des Taschengeldes ab, und auch nur von denen, die überhaupt welches bekommen. Fickwettenfinanzierung, ihr wisst schon."
Und wer es noch nicht wissen sollte, lernt hier lesend eine Welt kennen, in der derbe Worte und Gesten die Regel sind und in der doch ein strenger Ehrbegriff und eine klare Vorstellung von Fairness regieren: "Ist einfach wichtig als Chef: Autorität zeigen, Ruhe bewahren." Luis, der sich so viele Gedanken über das richtige Leben und das Erwachsenwerden macht, hat viele literarische Vorgänger, von J.D. Salingers Holden Caulfield bis hin zu dem ungleichen Freundespaar aus Wolfgang Herrndorfs "Tschick".
Für Auszüge aus diesem Roman hat die 1978 geborene Verena Güntner, die als Schauspielerin bekannt wurde, bereits viel Anerkennung erhalten; beim Open Mike erreichte sie 2012 das Finale, beim letztjährigen Bachmann-Wettbewerb wurde ihr der Kelag-Preis zugesprochen. Die Juroren hatten ein gutes Gespür, denn der fertige Roman hält, was die Ausschnitte versprachen. Die Rollenprosa gelingt auch über die Langstrecke des Romans, und Verena Güntner bewältigt sicher die heikle Gratwanderung zwischen Sozialkitsch und sozialpädagogischer Besserwisserei.
Wie aber die Welt aus den Fugen gerät, die sich Luis mit all seiner Selbstdisziplin so mühsam aufgebaut hat, das hat das Zeug zum großen Drama. Auf seinen Freund Milan lässt er nichts kommen und auf seine schöne Mutter ebenso wenig. Als aber aus den beiden eines Tages ein Paar wird, steht Luis fassungslos daneben - so hatte er sich die ersehnte häusliche Idylle nicht ausgemalt. Rasant nimmt der Roman in seinem letzten Drittel an Fahrt auf, ohne je ins Melodramatische abzukippen. Die groteske Entführung eines Sportlehrers, die Begegnung mit einem Murmeltier in freier Natur, eine anrührende Begräbnisansprache und eimerweise frische Äpfel helfen Luis dabei, wieder zu innerem Gleichgewicht zu finden. Denn irgendwie gehört er ja doch zu den "Bringern". Auf Verena Güntners nächstes Buch dürfen wir aber jetzt schon neugierig sein.
SABINE DOERING.
Verena Güntner: "Es bringen". Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 250 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verena Güntner betritt in ihrem Debüt Hochhäuser und billige Supermärkte
Diesen Luis wird man so schnell nicht vergessen. Mit seinen sechzehn Jahren ist er immerhin schon halb so alt wie seine Mutter, seine schöne, geliebte "Ma", mit der er in der Hochhaussiedlung lebt, ganz oben, im fünfzehnten Stock. Den Fahrstuhl benutzt Luis schon seit Jahren nicht mehr, denn er hat sich ein strenges Übungsprogramm auferlegt: "Ich bin der Trainer, und ich bin die Mannschaft." Das ist sein Motto, weiß er doch, dass ein echter "Bringer" den Schmerz überwinden kann. Also hält er sich fit und achtet auf Disziplin, auch dann, wenn er gegen die elende HA ankämpft, seine Höhenangst, derentwegen er sich täglich auf den Balkon stellt: ",Das ist der Triumph', sage ich laut. ,Das ist der Triumph!', und die Stadt unter mir zittert. Die Stadt, die Mädchen." Die Mädchen ganz besonders, denn Luis mit seiner attraktiven Zahnlücke und seiner sorgsam antrainierten Coolness ist für viele von ihnen unwiderstehlich. Das verschafft ihm einiges Taschengeld: Bei den Wetten mit seinen Freunden gewinnt er so gut wie immer, bekommt fast jedes "Girl" auf Anhieb herum, ob im Tankstellenklo oder im Freibad. Die anderen Jungs bewundern Luis dafür, und der zwanzigjährige Milan, unangefochtener und verehrter "Chef" der Gang, ist stolz auf seinen potenten Schützling.
Verena Güntner beschreibt eine Lebenswelt, die die wenigsten Leser aus eigener Anschauung kennen dürften. Luis stammt aus einem Milieu, für das sich der beruhigend-sachliche Name "Prekariat" eingebürgert hat. In dieser Sphäre der Hochhäuser, Afro-Shops und billigen Supermärkte leben die Jugendlichen allein mit ihren Müttern und Geschwistern. Die Familienväter, wenn es sie je gab, haben sich längst aus dem Staub gemacht. Umso mehr kommt es darauf an, dass sich die Jungen ihre eigenen Regeln geben, an die sie sich akribisch halten, ob beim rituellen Saufen, beim Freibadbesuch oder bei der Taschengelderpressung auf dem Spielplatz: "Die Kurzen müssen zahlen, ist schon immer so gewesen. Da musste ich, da mussten Marco, die Jungs, wir alle mussten da durch. Läuft aber friedlich ab, da mault keiner rum. Pro Kurzer bloß ein kleiner Betrag, hängt von der Höhe des Taschengeldes ab, und auch nur von denen, die überhaupt welches bekommen. Fickwettenfinanzierung, ihr wisst schon."
Und wer es noch nicht wissen sollte, lernt hier lesend eine Welt kennen, in der derbe Worte und Gesten die Regel sind und in der doch ein strenger Ehrbegriff und eine klare Vorstellung von Fairness regieren: "Ist einfach wichtig als Chef: Autorität zeigen, Ruhe bewahren." Luis, der sich so viele Gedanken über das richtige Leben und das Erwachsenwerden macht, hat viele literarische Vorgänger, von J.D. Salingers Holden Caulfield bis hin zu dem ungleichen Freundespaar aus Wolfgang Herrndorfs "Tschick".
Für Auszüge aus diesem Roman hat die 1978 geborene Verena Güntner, die als Schauspielerin bekannt wurde, bereits viel Anerkennung erhalten; beim Open Mike erreichte sie 2012 das Finale, beim letztjährigen Bachmann-Wettbewerb wurde ihr der Kelag-Preis zugesprochen. Die Juroren hatten ein gutes Gespür, denn der fertige Roman hält, was die Ausschnitte versprachen. Die Rollenprosa gelingt auch über die Langstrecke des Romans, und Verena Güntner bewältigt sicher die heikle Gratwanderung zwischen Sozialkitsch und sozialpädagogischer Besserwisserei.
Wie aber die Welt aus den Fugen gerät, die sich Luis mit all seiner Selbstdisziplin so mühsam aufgebaut hat, das hat das Zeug zum großen Drama. Auf seinen Freund Milan lässt er nichts kommen und auf seine schöne Mutter ebenso wenig. Als aber aus den beiden eines Tages ein Paar wird, steht Luis fassungslos daneben - so hatte er sich die ersehnte häusliche Idylle nicht ausgemalt. Rasant nimmt der Roman in seinem letzten Drittel an Fahrt auf, ohne je ins Melodramatische abzukippen. Die groteske Entführung eines Sportlehrers, die Begegnung mit einem Murmeltier in freier Natur, eine anrührende Begräbnisansprache und eimerweise frische Äpfel helfen Luis dabei, wieder zu innerem Gleichgewicht zu finden. Denn irgendwie gehört er ja doch zu den "Bringern". Auf Verena Güntners nächstes Buch dürfen wir aber jetzt schon neugierig sein.
SABINE DOERING.
Verena Güntner: "Es bringen". Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 250 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ganz und gar gegenwärtige Literatur ohne Aktualitätszwang - das ist die Zukunft.« welt.de 20141117