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Rosa Schapire - emanzipierte Frau, leidenschaftliche Förderin expressionistischer Kunst, entwurzelt im Londoner Exil, aber Kämpferin bis zum Schluss.»Hätte ich im Mittelalter gelebt, ich wäre wohl eine Nonne oder Heilige geworden«, schrieb Rosa Schapire kurz vor ihrem Tod 1954. Um die Jahrhundertwende hatte sie sich gegen traditionelle Rollenbilder und für ein Leben als Intellektuelle entschieden. Als eine der ersten Frauen wurde sie im Fach Kunstgeschichte in Heidelberg promoviert, zog 1905 nach Hamburg und begeisterte sich dort für den gerade aufkommenden Expressionismus - besonders für die…mehr

Produktbeschreibung
Rosa Schapire - emanzipierte Frau, leidenschaftliche Förderin expressionistischer Kunst, entwurzelt im Londoner Exil, aber Kämpferin bis zum Schluss.»Hätte ich im Mittelalter gelebt, ich wäre wohl eine Nonne oder Heilige geworden«, schrieb Rosa Schapire kurz vor ihrem Tod 1954. Um die Jahrhundertwende hatte sie sich gegen traditionelle Rollenbilder und für ein Leben als Intellektuelle entschieden. Als eine der ersten Frauen wurde sie im Fach Kunstgeschichte in Heidelberg promoviert, zog 1905 nach Hamburg und begeisterte sich dort für den gerade aufkommenden Expressionismus - besonders für die Künstlergruppe »Brücke« und Karl Schmidt-Rottluff, den sie später als Mäzenin unterstützte. Ihr Einsatz für die neue Kunstrichtung, die von den Nationalsozialisten als »entartet« verfemt wurde, machte sie - zumal als Jüdin - den Machthabern verdächtig. Der antisemitischen Verfolgung entging sie nur aufgrund ihrer Flucht nach London 1939. Während der Kriegsjahre baute sich Rosa Schapire dorteine neue, allerdings zeitlebens prekäre Existenz u. a. als Übersetzerin auf. Ihre Briefe aus den letzten Lebensjahren an Karl Schmidt-Rottluff, die hier erstmals umfänglich ausgewertet werden, zeigen eine exilierte Frau, die trotz Sorgen und Todessehnsucht, doch immer die Kraft fand, sich für die expressionistische Kunst einzusetzen.
Autorenporträt
Susanne Wittek ist Autorin, Übersetzerin und Moderatorin. In ihrer Übersetzung erschien Jacques Semelins Studie 'Das Überleben von Juden in Frankreich 1940-1944' (2018). Veröffentlichungen u. a.: 'So muss ich fortan das Band als gelöst ansehen.' Ernst Cassirers Hamburger Jahre 1919 bis 1933 (2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2022

Sozialistin und Feministin blieb sie wohl ihr Leben lang
Zuneigungsbekundungen waren dringend erwünscht: Susanne Wittek erzählt das Leben der Kunstförderin Rosa Schapire entlang ihrer Briefe an Karl Schmidt-Rottluff

Zu den völlig Vergessenen zählt die Kunsthistorikerin und -sammlerin Rosa Schapire nicht - einige Publikationen, eine Hamburger Ausstellung im Jahr 2009 und ein seit mehreren Jahren regelmäßig verliehener Rosa Schapire Kunstpreis erinner(te)n an sie und ihr Engagement für den deutschen Expressionismus, insbesondere für das Werk von Karl Schmidt-Rottluff. Eine biographische Monographie fehlte aber bislang.

Dieser Aufgabe stellte sich nun die Autorin und Übersetzerin Susanne Wittek. Der Untertitel ihres Buches erwähnt zwar den wichtigsten Quellenbestand, auf den sie sich stützt, unterschlägt aber, dass wir es tatsächlich mit einer - freilich nicht alle Lebensabschnitte gleichwertig behandelnden - Biographie Rosa Schapires zu tun haben. Die Jahre 1950 bis 1954, in denen auch die von Wittek analysierten, über fünfhundert Briefe von und an Schmidt-Rottluff geschrieben wurden, bilden darin freilich den Schwerpunkt.

Rosa Schapire wurde 1874 in Brody geboren. Die heute in der Ukraine liegende Stadt gehörte damals zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Bereits mit dreiundzwanzig Jahren trat sie mit ihrem Artikel "Ein Wort zur Frauenemanzipation" in den "Sozialistischen Monatsheften" öffentlich in Erscheinung. Sozialistin und Feministin war sie wohl ihr Leben lang, doch bemerkenswerterweise blieb dieser Beitrag in ihrer schließlich mehrere Hundert Titel umfassenden Publikationsliste der einzig explizit politische.

Stärker politisch engagiert war hingegen ihre jüngere Schwester Anna, die wie sie als junge Frau in Hamburg lebte und arbeitete. Anna Schapire wurde deswegen auch von der politischen Polizei beobachtet und schließlich aus der Stadt ausgewiesen. Sie heiratete später in Wien den linken Sozialwissenschaftler und Wissenschaftsphilosophen Otto Neurath. Rosa Schapire blieb hingegen ihr Leben lang unverheiratet und kinderlos, sie lebte auch materiell bescheiden. Entscheidend für sie wurde 1908 die Begegnung mit Karl Schmidt-Rottluff - "solch ein stiller, scheuer Mensch, ich möchte gut zu ihm sein", erinnerte sie sich rückblickend an ihre damaligen Gedanken.

1916 gründete Schapire gemeinsam mit Ina Dehmel den Frauenbund zur Förderung der deutschen bildenden Kunst und begann, sich als viel gefragte Vortragende zu etablieren. Doch immer wieder wurde sie auch mit Antisemitismus konfrontiert, von dem übrigens auch Schmidt-Rottluff nicht frei war. Ihre späte Emigration führte sie im August 1938 nach London. Auf nicht vollständig geklärten Wegen gelang es ihr dabei auch, zahlreiche Arbeiten von Schmidt-Rottluff mitzunehmen.

Ihre Jahre in England waren durch bescheidene Lebensverhältnisse, gleichzeitig aber auch durch ausgesprochen vielfältige Aktivitäten gekennzeichnet. Vor allem Vorträge, Übersetzungen und Publikationen zur bildenden Kunst, aber zum Beispiel auch Arbeiten für ihren ebenfalls nach England geflüchteten Schwager Otto Neurath zählten dazu. Unablässig engagierte sie sich vor allem für Karl Schmidt-Rottluff, der in England nahezu unbekannt war. Obwohl dieser in Deutschland geblieben war - er hatte im Nationalsozialismus Berufsverbot und einige seiner Bilder wurden bei der Propagandaausstellung "Entartete Kunst" gezeigt -, kehrte Schapire nicht mehr dorthin zurück.

Der Briefwechsel zwischen Rosa Schapire und Karl Schmidt-Rottluff ist, wie Wittek schreibt, ungleichgewichtig, denn Schapire schrieb durchweg längere Briefe, ließ weniger Zeit für ihre Antworten verstreichen und reagierte immer wieder emotional - enttäuscht bei ausbleibender Zuneigungsbekundung, euphorisiert, wenn Schmidt-Rottluff dann manchmal doch ihre Bedeutung für sein Leben und seine Arbeit betonte.

Gleichzeitig spiegeln Schapires Briefe sowohl Todessehnsucht wie auch Gelassenheit gegenüber dem Tod wider. Ihre Jahre in England waren hart. Sie plagten Augenprobleme, es folgten Staroperationen mit mäßigem Erfolg, zudem hatte sie ein schwaches Herz. Als Mieterin kleiner Zimmer und Wohnungen geriet sie wegen zahlreicher Kündigungen in eine permanente Umzugsodyssee, die sie durch viele Stadtteile Londons führte.

Schapire starb, so wie sie es sich immer gewünscht hatte: mitten aus der Arbeit gerissen, bei einem Besuch in der Londoner Tate Gallery im Februar 1954. Sie wäre bald achtzig Jahre alt geworden.

In Erinnerung wird sie nicht alleine durch Schmidt-Rottluffs Porträts bleiben. Das flüssig geschriebene und mit zahlreichen Abbildungen versehene Buch von Susanne Wittek vermag sicherlich zu noch größerer Bekanntheit der kunstgeschichtlichen Arbeiten Schapires beizutragen und weitere Studien anzuregen. GÜNTHER SANDNER

Susanne Wittek: "Es gibt keinen direkteren Weg zu mir als über Deine Kunst". Rosa Schapire im Spiegel ihrer Briefe an Karl Schmidt-Rottluff 1950-1954.

Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 208 S., Abb., geb., 23,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Günther Sandner liest Susanne Witteks Monografie über die Kunstsammlerin und -historikerin Rosa Schapire mit Interesse. Wenig ist über die Förderin von Karl Schmidt-Rottluff bekannt, bedauert Sandner und freut sich, nun biografische Einzelheiten aus dem Leben der aktiven Frau zu erhalten. Zwar behandelt Wittek nicht alle Lebensabschnitte gleichwertig, stellt er fest, doch bietet die Biografie ihm ausreichend Einblicke in Schapires bescheidene Lebensverhältnisse, ihr Engagement für die bildende Kunst und ihre Publikationen. Zahlreiche Abbildungen bereichern den in einem eingängigen Stil verfassten Band, so Sandner.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das flüssig geschriebene und mit zahlreichen Abbildungen versehene Buch (...) vermag sicherlich zu noch größerer Bekanntheit der kunstgeschichtlichen Arbeiten Schapires beizutragen und weitere Studien anzuregen.« (Günther Sandner, FAZ, 07.10.2022) »Wittek vermittelt ein vielschichtiges Bild dieser ungewöhnlichen Frau« (Ruth Asseyer, kulturport.de, 22.12.2022) »das eindringliche Zeugnis einer Exilerfahrung« (Ruth Asseyer, kulturport.de, 22.12.2022)