Der Schneemann steht im Garten. Er ist ein ganz gewöhnlicher Schneemann - bis ihm die kleine Lisa einen Schluck heißen Tee bringt, damit er nicht friert. Da regt sich im Bauch des Schneemanns ein kribbeliges, krabbeliges Gefühl und in seinem Kopf ein kribbeliger, krabbeliger Gedanke.Er stapft durchs Gartentor und geht in die Stadt. Aber dort fühlt sich der Schneemann gar nicht wohl. Er wandert aufs Land, wo er sich auf eine dick verschneite Wiese stellt. Hier gefällt es ihm. Doch dann erzählt ihm eine Krähe vom Sommer und dass in der Hitze alle Schneemänner schmelzen. "Oje!", denkt sich der Schneemann und macht sich auf nach Norden, in eine Gegend, in die kein Sommer kommt. Er reist auf einer Eisscholle den Fluss hinunter und übers Meer und immer weiter. Ob er wohl angekommen ist und ob es ihm gut geht?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2008Still wird das Echo sein
Jeder Frühling hat den leisen Tod im Gepäck: Mira Lobe und Winfried Opgenoorth erzählen vom Schicksal eines Schneemanns in einer ungünstigen Jahreszeit.
Das Schönste an Winfried Opgenoorths Bildern sind die Perspektivwechsel. Das beginnt schon auf der ersten Doppelseite links oben. "Im Garten vor dem Haus stand ein Schneemann", heißt es da, doch der Schneemann steht in Wahrheit neben dem Text. Groß ist er, einen Ast als Nase hat er, schwarze Steine als Knöpfe auf dem Leib und einen alten Hut auf dem Kopf. Und dann steht er doch noch im Garten, nämlich auf dem großen Bild, das die ganze rechte Seite füllt (und auch noch einen nennenswerten Teil der linken). Da blicken wir aus Vogelsicht herab über eine verschneite Straße und einen Lattenzaun hinweg in den Vorgarten eines kleinen Hauses mit dem Schneemann mittendrin - und jetzt wirkt er geradezu riesig, wie er da so steht, am Ende der gewalzten Bahn, die seine Herstellung erfordert hat. Aber wir sehen ihn nur von hinten, und deshalb ist es gut, dass er links oben en face betrachtet werden kann (wenn er auch etwas misanthropisch blickt).
Diese Wechsel von einer Vignette mit der jeweiligen Hauptperson des Geschehens oben links zu einem doppelseitigen Bild daneben, das dann die Umgebung präsentiert, durchziehen das ganze Buch - oder fast das ganze, denn es gibt zwei Doppelseiten, in denen die Vignetten entfallen. Da steht der Schneemann längst nicht mehr im Garten, denn er ist zum Gehmann geworden und einfach losspaziert, durch das Gartentor und die trubelige Innenstadt hinaus aufs Land. Ein weites weißes Land ist das, und weil es so weiß und weit ist, zeichnet Opgenoorth auch die Doppelseite so. Eine Vignette hätte dabei nur gestört, denn außer dem Schneemann ist ohnehin kaum etwas in der weißen Weite auszumachen. Weil es dort aber so schön ist, wird der Gehmann wieder zum Schnee- oder besser: zum Stehmann und bleibt. Die nächste Doppelseite zeigt ihn in derselben Position wie zuvor, nur jetzt blüht alles um ihn herum. Er ist zum Kleemann geworden. Und eine Vignette braucht es auch hier nicht, denn der weiße Herr sticht aus dem bunten Feld ganz schön heraus.
Wie die Sache weitergeht, kann sich jedes Kind denken, aber nicht, auf welche Idee der Schneemann kommt, als ihm die Sache mit der aufblühenden Natur zu heiß wird. Die renommierte Kinderbuchautorin Mira Lobe erzählt es uns - jene Mira Lobe, mit der zusammen der mittlerweile fast siebzigjährige Winfried Opgenoorth schon vor drei Jahrzehnten sein erstes Bilderbuch gemacht hat: "Hokuspokus in der Nacht". Seitdem illustrierte Opgenoorth immer wieder Geschichten von ihr, und er tat es noch über Mira Lobes Tod im Jahr 1995 hinaus. "Es ging ein Schneemann durch das Land" ist eine solche posthume Zusammenarbeit.
Es gibt darin Wimmelbilder (das Stadtzentrum, eine Flussfahrt), mit denen man sich viertelstundenlang vergnügen kann, und Illustrationen, die sich ganz auf den Schneemann konzentrieren. Als Stil hat Opgenoorth sich für jenen nostalgischen Detailreichtum entschieden, wie er bei österreichischen Zeichnern sehr häufig ist (man denke nur an Walter Schmögner). Aber zu der leisen Geschichte passen diese Bilder perfekt, und wer wollte schon die lärmdämpfende Wirkung eines Schneetages durch schreiende Bilder konterkariert sehen? Wo wir doch ohnehin in Deutschland kaum mehr Schnee haben.
ANDREAS PLATTHAUS
Mira Lobe, Winfried Opgenoorth: "Es ging ein Schneemann durch das Land". Verlag Jungbrunnen, Wien 2007. 21 S., Abb., geb., 13,90 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jeder Frühling hat den leisen Tod im Gepäck: Mira Lobe und Winfried Opgenoorth erzählen vom Schicksal eines Schneemanns in einer ungünstigen Jahreszeit.
Das Schönste an Winfried Opgenoorths Bildern sind die Perspektivwechsel. Das beginnt schon auf der ersten Doppelseite links oben. "Im Garten vor dem Haus stand ein Schneemann", heißt es da, doch der Schneemann steht in Wahrheit neben dem Text. Groß ist er, einen Ast als Nase hat er, schwarze Steine als Knöpfe auf dem Leib und einen alten Hut auf dem Kopf. Und dann steht er doch noch im Garten, nämlich auf dem großen Bild, das die ganze rechte Seite füllt (und auch noch einen nennenswerten Teil der linken). Da blicken wir aus Vogelsicht herab über eine verschneite Straße und einen Lattenzaun hinweg in den Vorgarten eines kleinen Hauses mit dem Schneemann mittendrin - und jetzt wirkt er geradezu riesig, wie er da so steht, am Ende der gewalzten Bahn, die seine Herstellung erfordert hat. Aber wir sehen ihn nur von hinten, und deshalb ist es gut, dass er links oben en face betrachtet werden kann (wenn er auch etwas misanthropisch blickt).
Diese Wechsel von einer Vignette mit der jeweiligen Hauptperson des Geschehens oben links zu einem doppelseitigen Bild daneben, das dann die Umgebung präsentiert, durchziehen das ganze Buch - oder fast das ganze, denn es gibt zwei Doppelseiten, in denen die Vignetten entfallen. Da steht der Schneemann längst nicht mehr im Garten, denn er ist zum Gehmann geworden und einfach losspaziert, durch das Gartentor und die trubelige Innenstadt hinaus aufs Land. Ein weites weißes Land ist das, und weil es so weiß und weit ist, zeichnet Opgenoorth auch die Doppelseite so. Eine Vignette hätte dabei nur gestört, denn außer dem Schneemann ist ohnehin kaum etwas in der weißen Weite auszumachen. Weil es dort aber so schön ist, wird der Gehmann wieder zum Schnee- oder besser: zum Stehmann und bleibt. Die nächste Doppelseite zeigt ihn in derselben Position wie zuvor, nur jetzt blüht alles um ihn herum. Er ist zum Kleemann geworden. Und eine Vignette braucht es auch hier nicht, denn der weiße Herr sticht aus dem bunten Feld ganz schön heraus.
Wie die Sache weitergeht, kann sich jedes Kind denken, aber nicht, auf welche Idee der Schneemann kommt, als ihm die Sache mit der aufblühenden Natur zu heiß wird. Die renommierte Kinderbuchautorin Mira Lobe erzählt es uns - jene Mira Lobe, mit der zusammen der mittlerweile fast siebzigjährige Winfried Opgenoorth schon vor drei Jahrzehnten sein erstes Bilderbuch gemacht hat: "Hokuspokus in der Nacht". Seitdem illustrierte Opgenoorth immer wieder Geschichten von ihr, und er tat es noch über Mira Lobes Tod im Jahr 1995 hinaus. "Es ging ein Schneemann durch das Land" ist eine solche posthume Zusammenarbeit.
Es gibt darin Wimmelbilder (das Stadtzentrum, eine Flussfahrt), mit denen man sich viertelstundenlang vergnügen kann, und Illustrationen, die sich ganz auf den Schneemann konzentrieren. Als Stil hat Opgenoorth sich für jenen nostalgischen Detailreichtum entschieden, wie er bei österreichischen Zeichnern sehr häufig ist (man denke nur an Walter Schmögner). Aber zu der leisen Geschichte passen diese Bilder perfekt, und wer wollte schon die lärmdämpfende Wirkung eines Schneetages durch schreiende Bilder konterkariert sehen? Wo wir doch ohnehin in Deutschland kaum mehr Schnee haben.
ANDREAS PLATTHAUS
Mira Lobe, Winfried Opgenoorth: "Es ging ein Schneemann durch das Land". Verlag Jungbrunnen, Wien 2007. 21 S., Abb., geb., 13,90 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Titel dieses Kinderbuchs beschreibt den Inhalt offenbar adäquat: Ein Schneemann, dem es an seinem Standort zu langweilig wird, geht wandern und wird so, wie Andreas Platthaus formuliert, zum "Gehmann". Als er an einen Ort gelangt, an dem es ihm gefällt, wird er dort ansässig, mithin zum "Stehmann". Die Autorin des Buches Mira Lobe ist bereits 1995 verstorben, der Künstler Winried Opgenoorth hat nun in postumer Zusammenarbeit die Illustrationen zu ihrer Geschichte entworfen. Meist, erklärt Platthaus, gibt es auf jeder Seite eine kleine Vignette links oben und auf der anderen Seite dann eine größere Zeichnung. Den Stil - der durch typisch österreichischen "nostalgischen Detailreichtum" gekennzeichnet ist - findet der Rezensent dem Gegenstand angemessen und das ganze Buch offensichtlich empfehlenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Es ist eine Freude, wie hier mit Sprachbildern experimentiert und gespielt wird - für die kindliche Sprachentwicklung ganz unverzichtbar. (Manuela Haselberger, Eselsohr, 02/2009) Eine warmherzige Erzählung voller Verständnis für die Wünsche eines "Außenseiters" (Astrid van Nahl, www.alliteratus.com) Pflichtlektüre für alle Kinder und Erwachsene, weil sie die Sprachmelodie und den Sprachwitz genießen werden und weil dieses ... Buch viele "moderne" Kinderbücher "sehr alt aussehen lässt". (Elisabeth Totschnig, Unsere Kinder)