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Die Geschichte eines heranwachsenden Mädchens aus den vierziger und fünfziger Jahren. Mit großer Präzision wird die Atmosphäre der Zeit beschworen, in einer lakonischen Sprache, die sich einprägt, in scharfen Bildern, faszinierend und bedrängend. Knapp und packend erzählt, realistisch und parabolisch zugleich. Unmittelbar ergreifend und transparent auf das Schicksalhafte eines menschlichen Lebens.

Produktbeschreibung
Die Geschichte eines heranwachsenden Mädchens aus den vierziger und fünfziger Jahren. Mit großer Präzision wird die Atmosphäre der Zeit beschworen, in einer lakonischen Sprache, die sich einprägt, in scharfen Bildern, faszinierend und bedrängend. Knapp und packend erzählt, realistisch und parabolisch zugleich. Unmittelbar ergreifend und transparent auf das Schicksalhafte eines menschlichen Lebens.
Autorenporträt
Marianne Hofmann, in Niederbayern geboren und aufgewachsen, studierte Religions- und Sozialpädagogik. Nach Berufstätigkeit in beiden Bereichen, verbrachte sie einige Jahre in Berlin und Liverpool, wo sie zu schreiben begann. Seit 1985 lebte sie wieder in München, wo sie im Jahr 2012 verstarb.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.1997

Die Zunge eines Ungeheuers
Marianne Hofmanns spätes Debüt über eine Kindheit auf dem Lande · Von Walter Hinck

Das Mißverständnis könnte schon mit dem Titel beginnen. Denn weder die Menschen noch die Pferde oder das Heu sind von der Abendsonne angestrahlt. Kein Alpenglühen taucht die Landschaft in Rot. Keine Naturseligkeit kommt auf im niederbayerischen Dorf "am Rande der Holledau", von dem Marianne Hofmann in ihrer Kindheitsgeschichte erzählt. In der sengenden Julisonne, bei der Heuernte, glühen und dampfen die Pferde und die Menschen.

Zu keiner Rückkehr also in eine heimelige Heimat, in die grüne Heide eines Hermann Löns oder in die urigen Gebirgsdörfer Ludwig Ganghofers und Heinrich Waggerls, lädt die Autorin ein. In Marianne Hofmanns Dorfwelt riecht es nach Schweiß. Und dennoch ist sie nicht ständig damit beschäftigt, gegen einen bedenklichen Dorf- und Bodenkult zu protestieren wie ehedem Franz Innerhofer oder Gert Jonke und auch noch Gerhard Roth; ihr ist die anklägerische Geste des antiidyllischen Regional- und Dorfromans fremd.

Marianne Hofmann hat in München studiert und war, wie der Klappentext verrät, "im Schul- und Sozialbereich" tätig. Mit großer Konsequenz hält sie ihre späteren Erfahrungen aus der erzählten Kindheitswelt heraus und verzichtet auf Korrektiv und Retusche. Hier unterscheidet sich ihr Buch vom autobiographischen Erzählen, das im Rückblick alles besser weiß. Die Erzählerin rückt die Vergangenheit von sich ab. Sie sagt nie "ich", sondern spricht immer nur von dem Mädchen, dem Kind. Diesem Kind sind noch keine Weichen in die Zukunft gestellt. Es lebt wie in einer vorgeschichtlichen Welt, obwohl auch diese Welt von den Einbrüchen der Historie nicht verschont bleibt. Der Soldatentod in der Familie während des Zweiten Weltkriegs, die Besetzung der väterlichen Gastwirtschaft durch eine Wehrmachtseinheit, das Einrücken der Amerikaner und das Erschrecken über den "Negersoldaten", der mit Schokolade um Vertrauen wirbt - alles dies sind Ereignisse, die in den Alltag des Mädchens eingehen, nicht aber in einen übergeordneten historischen Zusammenhang. Sie erscheinen dem Kind nicht anders als die Naturereignisse.

Der Verzicht auf geschichtliche Einbindung wird durch einen großen Gewinn an Authentizität aufgewogen. Die Beobachtungen gehen nicht widerstandslos in einem Verstehensraster auf, sondern halten das Merkwürdige fest. Auch wo der Tagesablauf durch Viehfüttern, Schule, Feldarbeit und Aushilfsdienste in der Gastwirtschaft bestimmt wird, wo die Woche ihren Zeittakt durch den sonntäglichen Kirchgang erhält und sich im Jahresrhythmus die Heuernte im Juli, die Hopfenernte im September, das Kühehüten im Herbst und das Eisschlagen im Winter wiederholen - nirgendwo wird etwas zur Selbstverständlichkeit, überall bleibt die Frische der Entdeckung erhalten.

Zur Hopfenernte bricht man im Morgennebel auf. "In die Furche den Hocker gesetzt, den Korb am rechten Knie, die nasse Rebe auf dem Schoß. Die Zunge eines Ungeheuers könnte nicht rauher sein, an Händen und Gelenken hält sie sich fest, ritzt feine Striche in die Haut." Die Beschreibung der "Ewigkeit" des Arbeitstages wird deshalb so genau, weil das Mädchen Geburtstag hat und weil das vergebliche Warten auf irgendeine Vergünstigung das Arbeiten noch qualvoller macht. Die Sinnesorgane sind mit den feinsten Tentakeln versehen. Auf dem Hof und in seiner Umgebung könnte das Mädchen sich blind bewegen.

Besondere Aufmerksamkeit gilt den Zugewanderten, den Mönchen aus Böhmen, dem Musiklehrer aus Schlesien, der dorfbekannten Frau, die ständig um den Vaterschaftsnachweis für eines ihrer Kinder kämpft. Interessant ist auch die abenteuerliche Gestalt des Mannes, der wegen Führerbeleidigung in Dachau saß und nicht wieder ins Gleis gekommen ist, nun in jedem Spätherbst eine Straftat begeht, um im Winter warm im Gefängnis zu sitzen. Scham hingegen erfaßt das Mädchen, als die eigene Mutter wieder schwanger wird, als sie selbst die Schwellung der Brüste bemerkt; sie schämt sich, als im Exerzitienhaus der Pater ihr Sündenbewußtsein testet und sie mit Fragen nach unkeuschen Handlungen "entblößt".

Nein, eine Gemeinschaft der Feinfühligen ist das Dorf nicht. Zwar darf das Mädchen Geige üben, aber Arbeitserleichterung wird nicht gewährt. Der Vater läßt sich dazu hinreißen, sie zu schlagen. Auf das erste zarte Liebeserlebnis mit einem Internatsschüler folgt gleich der Vergewaltigungsversuch eines Gutsbesitzers. Wahrlich keine heile Welt, aber doch eine in sich ganze Welt. Es ist vor allem die Sprache, die diesen Eindruck von Geschlossenheit hervorruft. Sie paßt sich der kindlichen Psyche genau an, ohne den peinlichen Beigeschmack der künstlichen Naivität. Sie nimmt Dialoge im niederbayerischen Dialekt fugenlos in sich auf. Es ist eine unverbrauchte, ganz der Beobachtung dienende, zugleich aber auch von unschuldiger Phantasie belebte Sprache. Da fallen dann Sätze wie der für den Titel übernommene: "Es glühen die Menschen, die Pferde, das Heu", oder: "Am Sonntag spürt man Gott am meisten." So drängt eine einfache Wahrnehmung in eine entwaffnend schöne Prosa.

Ein Riß zeichnet sich ab, als das Mädchen den Umkreis des Dorfes verläßt und eine Stelle als Küchenhilfe auf dem Flughafen München-Riem annimmt. Sie ist nicht mehr das Kind, nicht mehr die Evi, sondern die Eva. Der Flughafen ist ein Knotenpunkt des modernen Lebens; das Verständigungsrepertoire einer begrenzten Gemeinschaft greift nicht mehr recht. An diesem Punkt deutet sich an, vor welche Probleme ein weiterer Roman Marianne Hofmann stellen könnte. Aber dieses späte Debüt ist makellos, verfaßt in einer Prosa, in der plötzlich Möglichkeiten des Heimat- und Kindheitsromans aufscheinen, an die man schon lange nicht mehr glaubte.

Marianne Hofmann: "Es glühen die Menschen, die Pferde, das Heu". Roman. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1997. 160 S., geb., 32,- DM.

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