Worin besteht das Mysterium der Mariechen? Was sind Karnevalsorden wert? Woher kommt die Tradition des Wildpinkelns? Was treibt Kamellekriminelle und Rosenmontagsmörder um? Warum wollen Scheichs den Karneval kaufen? Was haben Bläck Fööss und Black Sabbath gemeinsam? Wieso kommt der Witz nicht raus, obwohl er umzingelt ist? Wie funktioniert der heimliche Haha-Effekt? Und was findet der Prinz an Känguruschwanzsuppe so lecker? Karlheinz Filz war nur ein einfacher Prinzen-Gardist. Doch die zwei Dutzend Schränke und Vitrinen mit Karnevalssouvenirs, die er hinterließ, bringen bislang unbekannte Wahrheiten über den Kölner Karneval ans Licht: politische und psychologische, soziale und sexuelle. Sein Sohn Walter Filz - selbst als Kind Prinzen-Gardist - hat sie erforscht und schreibt eine andere Geschichte der Kölner und ihres Karnevals.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2018Zochpatrouille
Erbsensuppendicke Beschreibung: Walter Filz sichtet die Hinterlassenschaft seines Vaters, des Leibkochs der Prinzen-Garde des Kölner Karnevals.
Und? War es lustig? Hatte er seinen Spaß? Nachdem Walter Filz auf 340 Seiten "Die Wahrheit über den Kölner Karneval aufgrund der Beweismittel meines Vaters" ausgebreitet hat, bleibt die Gretchenfrage - oder vielleicht Mariechenfrage - unbeantwortet. Von der Fülle der Beweismittel kann diese Rezension und kann selbst obenstehende Abbildung auch nicht annähernd eine Vorstellung vermitteln. Das gilt erst recht von der Vielfalt der Untersuchungstechniken, mit denen der Ermittler auf familiärem Terrain den Beweisstücken zu Leibe rückt. Das hartnäckigste Vorurteil über den Karneval, das jenseits der Grenzen des Rheinlands die allgemeine Ansicht ist und sogar in Bonn, der von zugezogenen Beamten und Professoren bevölkerten Nachbarstadt Kölns, anzutreffen war, als der Rezensent dort den größten Teil seiner Kindheit verlebte, lautet ganz einfach: Er ist witzlos.
Die Karnevalisten behaupten zwar, Spaß zu haben, und einige mögen das sogar glauben. Aber es kann nicht sein. Das ganze Brimborium, das Vereins- und Sitzungs- und Umzugs- und Titelwesen, spricht dagegen. Kürze ist die Seele des Witzes; die Überraschung durch die Pointe setzt die Optimierung der ökonomischen Beziehung von Mittel und Zweck voraus. Eine Karnevalssession dagegen, abzulesen an dem Berg von Unrat, den sie hinterlässt und dessen Wachstum von Jahr zu Jahr neue unbeachtete Auflagen der Stadt Köln provoziert, ist apokalyptisches Sinnbild des Missverhältnisses von Aufwand und Ertrag.
Da das Prinzip des Karnevals die Umkehrung der Verhältnisse ist, könnte man sogar sagen: Der wirkliche Karneval ist der Karneval des Karnevals; mit einer Gründlichkeit, die in der Dombauhütte am Platz wäre, stellen die Jecken ihren Grundsatz auf den Kopf und die spießigen, unfrohen, autoritären Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft wieder her.
Wie verhält es sich nun mit Karlheinz Filz, dem 2002 verstorbenen Vater des Autors, dessen karnevalistischen Lebenslauf Walter Filz anhand von Dokumenten abschreitet, die der Vater selbst archiviert hat? Filz senior wurde 1962 in die Prinzen-Garde Köln 1906 e. V. aufgenommen. Die Gliederung der Darstellung von Filz junior liefern die Beförderungen des Vaters, wobei stets die Veränderungen der Uniform verzeichnet werden, wie sie den Akten zufolge mit dem Wechsel in die nächsthöhere Rangstufe verbunden waren. Als Gefreiter (ab 30. Januar 1964) trug Karlheinz Filz Schulterstücke mit einem silbernen Schrägbalken, als Hauptfeldwebel (ab 6. Januar 1971) drei Silbersterne auf dem roten Schulterstück, als Hauptmann (ab 6. Januar 1977) ein breites silbernes Schulterstück mit zwei Goldsternen. Die letzte Beförderung erfolgte 1999, zum Generalleutnant. Drei weitere Stufen hätte es noch gegeben: General, Generaloberst, Generalfeldmarschall. Ein Unvollendeter?
Der dienstvorschriftsmäßige Aufstieg, der Schulterstückwerk bleibt, scheint das antikarnevalistische Vorurteil in der Variante zu bestätigen, welche die unbeirrbaren Spötter mit triumphierendem Fanfarenton vorzutragen pflegen: Die angebliche Parodie des preußischen Militärs mit dessen Uniformzinnober und Laufbahnwesen ist in Wahrheit eine Kopie.
Auf zeithistorischen Fotos ist der Gardist Filz eine Randfigur. Aber er war auch in den Zeitungen unverhältnismäßig oft im Bild, weil er unentbehrliche Funktionen innehatte. So ist er als Fahnenträger neben wechselnden Prinzen, Kommandanten und Präsidenten als ein Zelig seiner jecken Epoche präsent. Mit seinem Mondgesicht erkennt man ihn sofort, auch wenn er im Hintergrund steht. Und sofort sieht man: Er lächelt immer.
Er scheint tatsächlich seinen Spaß zu haben. Und man will gerne glauben, dass sein Schmunzeln ebenso der Sache gilt, neben der er zu stehen scheint, auch wenn er mitmarschiert. Sein Lächeln möchte man ganz selbstverständlich verschmitzt nennen - aber dadurch hat man sich vielleicht schon als innerlich teilnehmender Beobachter demaskiert, der gerne selbst Karnevalist wäre, jedenfalls von der distanzierten Sorte. Im Adjektiv "verschmitzt" steckt der Name Schmitz, den die Antihelden vieler Karnevalslieder tragen. Das methodisch Großartige am Buch von Walter Filz ist, dass er auf solche geläufigen Etiketten verzichtet, weil er den rheinischen Bedeutungshorizont der von ihm untersuchten Gebräuche eben nicht als bekannt und nicht weiter erklärungsbedürftig voraussetzt. Er nimmt den Kölnern den Universalismus ihres Selbstbilds nicht ab, die Einbildung, sie seien nun einmal ein besonders menschlicher Menschenschlag.
Sein Verfahren ist ethnologisch: dicke Beschreibung, dicker als je die Erbsensuppe, die sein Vater als Leibkoch der Garde beim Rosenmontagszug ausschenkte. Karlheinz Filz hob alle Orden auf, die er nach Hause brachte. Und er verstaute sie in 23 Schränken und Vitrinen, die zwei Zimmer der Wohnung der Familie in der Weidengasse nördlich des Hauptbahnhofs füllten. Ein privates Karnevalsmuseum. Ein Museum ohne Besucher.
Walter Filz beschreibt diese Dinge. Und er interpretiert sie Session für Session, Jahr für Jahr als Zeugnisse der Sitten des unoriginellen, nämlich wirklich ziemlich unwitzigen und gleichwohl interessanten Völkchens der Karnevalisten - und der Sittengeschichte der Bundesrepublik, die sozusagen in einem annalistischen Konzeptalbum wieder lebendig wird. Die B-Seite: eine Autobiographie, die Geschichte vom Aufwachsen in einer Zeit, in der Eltern und Kinder auf engem Raum nebeneinanderher lebten. Walter Filz spekuliert nicht über die Gemütslage seines Vaters, hat ihn offenbar nie nach dem Sinn der Ordensammelei gefragt und ihm erst recht nie in pubertärem Aufbegehren an den Kopf geworfen: Hör auf mit dem militaristischen Quatsch!
In der Intensität der Vergegenwärtigung einer in Ungesagtes eingehüllten Dingwelt ist das Buch dem Erzählungsband "Raumpatrouille" von Matthias Brandt vergleichbar, in dem es ebenfalls um das Leben eines in unverständliche Rituale verstrickten Vaters geht.
Es ist der Fluch der närrischen Selbstverliebtheit, dass sich oft nur Kölner für das interessieren, was aus Köln kommt. Dieses Buch hat ein anderes Schicksal verdient. Man liest es mit gewaltigem Staunen, stetig wachsender Neugier und unendlichem Spaß.
PATRICK BAHNERS
Walter Filz: "Es ist noch Känguruschwanzsuppe da". Die Wahrheit über den Kölner Karneval aufgrund der Beweismittel meines Vaters.
Mit Fotografien von Boris Becker. Greven Verlag, Köln 2018. 340 S., zahlr. Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erbsensuppendicke Beschreibung: Walter Filz sichtet die Hinterlassenschaft seines Vaters, des Leibkochs der Prinzen-Garde des Kölner Karnevals.
Und? War es lustig? Hatte er seinen Spaß? Nachdem Walter Filz auf 340 Seiten "Die Wahrheit über den Kölner Karneval aufgrund der Beweismittel meines Vaters" ausgebreitet hat, bleibt die Gretchenfrage - oder vielleicht Mariechenfrage - unbeantwortet. Von der Fülle der Beweismittel kann diese Rezension und kann selbst obenstehende Abbildung auch nicht annähernd eine Vorstellung vermitteln. Das gilt erst recht von der Vielfalt der Untersuchungstechniken, mit denen der Ermittler auf familiärem Terrain den Beweisstücken zu Leibe rückt. Das hartnäckigste Vorurteil über den Karneval, das jenseits der Grenzen des Rheinlands die allgemeine Ansicht ist und sogar in Bonn, der von zugezogenen Beamten und Professoren bevölkerten Nachbarstadt Kölns, anzutreffen war, als der Rezensent dort den größten Teil seiner Kindheit verlebte, lautet ganz einfach: Er ist witzlos.
Die Karnevalisten behaupten zwar, Spaß zu haben, und einige mögen das sogar glauben. Aber es kann nicht sein. Das ganze Brimborium, das Vereins- und Sitzungs- und Umzugs- und Titelwesen, spricht dagegen. Kürze ist die Seele des Witzes; die Überraschung durch die Pointe setzt die Optimierung der ökonomischen Beziehung von Mittel und Zweck voraus. Eine Karnevalssession dagegen, abzulesen an dem Berg von Unrat, den sie hinterlässt und dessen Wachstum von Jahr zu Jahr neue unbeachtete Auflagen der Stadt Köln provoziert, ist apokalyptisches Sinnbild des Missverhältnisses von Aufwand und Ertrag.
Da das Prinzip des Karnevals die Umkehrung der Verhältnisse ist, könnte man sogar sagen: Der wirkliche Karneval ist der Karneval des Karnevals; mit einer Gründlichkeit, die in der Dombauhütte am Platz wäre, stellen die Jecken ihren Grundsatz auf den Kopf und die spießigen, unfrohen, autoritären Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft wieder her.
Wie verhält es sich nun mit Karlheinz Filz, dem 2002 verstorbenen Vater des Autors, dessen karnevalistischen Lebenslauf Walter Filz anhand von Dokumenten abschreitet, die der Vater selbst archiviert hat? Filz senior wurde 1962 in die Prinzen-Garde Köln 1906 e. V. aufgenommen. Die Gliederung der Darstellung von Filz junior liefern die Beförderungen des Vaters, wobei stets die Veränderungen der Uniform verzeichnet werden, wie sie den Akten zufolge mit dem Wechsel in die nächsthöhere Rangstufe verbunden waren. Als Gefreiter (ab 30. Januar 1964) trug Karlheinz Filz Schulterstücke mit einem silbernen Schrägbalken, als Hauptfeldwebel (ab 6. Januar 1971) drei Silbersterne auf dem roten Schulterstück, als Hauptmann (ab 6. Januar 1977) ein breites silbernes Schulterstück mit zwei Goldsternen. Die letzte Beförderung erfolgte 1999, zum Generalleutnant. Drei weitere Stufen hätte es noch gegeben: General, Generaloberst, Generalfeldmarschall. Ein Unvollendeter?
Der dienstvorschriftsmäßige Aufstieg, der Schulterstückwerk bleibt, scheint das antikarnevalistische Vorurteil in der Variante zu bestätigen, welche die unbeirrbaren Spötter mit triumphierendem Fanfarenton vorzutragen pflegen: Die angebliche Parodie des preußischen Militärs mit dessen Uniformzinnober und Laufbahnwesen ist in Wahrheit eine Kopie.
Auf zeithistorischen Fotos ist der Gardist Filz eine Randfigur. Aber er war auch in den Zeitungen unverhältnismäßig oft im Bild, weil er unentbehrliche Funktionen innehatte. So ist er als Fahnenträger neben wechselnden Prinzen, Kommandanten und Präsidenten als ein Zelig seiner jecken Epoche präsent. Mit seinem Mondgesicht erkennt man ihn sofort, auch wenn er im Hintergrund steht. Und sofort sieht man: Er lächelt immer.
Er scheint tatsächlich seinen Spaß zu haben. Und man will gerne glauben, dass sein Schmunzeln ebenso der Sache gilt, neben der er zu stehen scheint, auch wenn er mitmarschiert. Sein Lächeln möchte man ganz selbstverständlich verschmitzt nennen - aber dadurch hat man sich vielleicht schon als innerlich teilnehmender Beobachter demaskiert, der gerne selbst Karnevalist wäre, jedenfalls von der distanzierten Sorte. Im Adjektiv "verschmitzt" steckt der Name Schmitz, den die Antihelden vieler Karnevalslieder tragen. Das methodisch Großartige am Buch von Walter Filz ist, dass er auf solche geläufigen Etiketten verzichtet, weil er den rheinischen Bedeutungshorizont der von ihm untersuchten Gebräuche eben nicht als bekannt und nicht weiter erklärungsbedürftig voraussetzt. Er nimmt den Kölnern den Universalismus ihres Selbstbilds nicht ab, die Einbildung, sie seien nun einmal ein besonders menschlicher Menschenschlag.
Sein Verfahren ist ethnologisch: dicke Beschreibung, dicker als je die Erbsensuppe, die sein Vater als Leibkoch der Garde beim Rosenmontagszug ausschenkte. Karlheinz Filz hob alle Orden auf, die er nach Hause brachte. Und er verstaute sie in 23 Schränken und Vitrinen, die zwei Zimmer der Wohnung der Familie in der Weidengasse nördlich des Hauptbahnhofs füllten. Ein privates Karnevalsmuseum. Ein Museum ohne Besucher.
Walter Filz beschreibt diese Dinge. Und er interpretiert sie Session für Session, Jahr für Jahr als Zeugnisse der Sitten des unoriginellen, nämlich wirklich ziemlich unwitzigen und gleichwohl interessanten Völkchens der Karnevalisten - und der Sittengeschichte der Bundesrepublik, die sozusagen in einem annalistischen Konzeptalbum wieder lebendig wird. Die B-Seite: eine Autobiographie, die Geschichte vom Aufwachsen in einer Zeit, in der Eltern und Kinder auf engem Raum nebeneinanderher lebten. Walter Filz spekuliert nicht über die Gemütslage seines Vaters, hat ihn offenbar nie nach dem Sinn der Ordensammelei gefragt und ihm erst recht nie in pubertärem Aufbegehren an den Kopf geworfen: Hör auf mit dem militaristischen Quatsch!
In der Intensität der Vergegenwärtigung einer in Ungesagtes eingehüllten Dingwelt ist das Buch dem Erzählungsband "Raumpatrouille" von Matthias Brandt vergleichbar, in dem es ebenfalls um das Leben eines in unverständliche Rituale verstrickten Vaters geht.
Es ist der Fluch der närrischen Selbstverliebtheit, dass sich oft nur Kölner für das interessieren, was aus Köln kommt. Dieses Buch hat ein anderes Schicksal verdient. Man liest es mit gewaltigem Staunen, stetig wachsender Neugier und unendlichem Spaß.
PATRICK BAHNERS
Walter Filz: "Es ist noch Känguruschwanzsuppe da". Die Wahrheit über den Kölner Karneval aufgrund der Beweismittel meines Vaters.
Mit Fotografien von Boris Becker. Greven Verlag, Köln 2018. 340 S., zahlr. Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Patrick Bahners hat unendlichen Spaß beim Lesen dieses Buches von Walter Filz. Das Kleinklein des Kölner Karnevals vermag der Autor anhand seiner Familiengeschichte und eines Zimmers voller Karnelvalsorden ins Allgemeine zu befördern, findet er. Dem Witz des Ganzen auf der Spur entfaltet der Autor den Lebenslauf seines Vaters, eines inbrünstigen Fahnenträgers, erklärt Bahners. Methodisch geht er dabei gekonnt und effektiv vor, wie der Rezensent versichert, indem er ethnologisch ins Kleingedruckte vordringt und den Kölner Karneval so auch dem Laien auseinanderzusetzen vermag. Eine Autobiografie des Autors und eine Sittengeschichte der BRD entstehen laut Bahners so gleich mit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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