Was heißt es heute, modern zu sein?
Heinrich von Kleists »Das Erdbeben in Chili«, Wilhelm Raabes »Zum wilden Mann«, Gottfried Benns »Gehirne« - nie ist moderner geschrieben worden! Alle drei Texte waren zu ihrer Zeit Avantgarde und gehören heute zum Kanon. In diesem Band treffen sie auf die Gegenwart.
Thomas Hettche hat ganz unterschiedliche Autorinnen und Autoren zu einer Re-Lektüre großer Literatur eingeladen, die zu ihrer Zeit mit sämtlichen Konventionen brach. Das Ziel: eine Bestandsaufnahme dessen, was es heute heißt, modern zu sein. Entstanden sind zwölf brillante Essays, die uns Gelegenheit bieten, u.a. Monika Rinck, Durs Grünbein, Ingo Schulze, Felicitas Hoppe und Daniel Kehlmann dabei zuzusehen, wie sie in der Auseinandersetzung mit den Vorbildern ihr eigenes Schreiben reflektieren. In seinem Vorwort geht Thomas Hettche den überraschenden Verbindungen nach, die sich dabei ergeben und macht deutlich, was Erzählen zu allen Zeiten bedeutet hat. Der typographisch liebevoll gestaltete Band bietet zudem die kompletten Originaltexte von Kleist, Raabe und Benn, und erlaubt so eine vergleichende Lektüre.
Heinrich von Kleists »Das Erdbeben in Chili«, Wilhelm Raabes »Zum wilden Mann«, Gottfried Benns »Gehirne« - nie ist moderner geschrieben worden! Alle drei Texte waren zu ihrer Zeit Avantgarde und gehören heute zum Kanon. In diesem Band treffen sie auf die Gegenwart.
Thomas Hettche hat ganz unterschiedliche Autorinnen und Autoren zu einer Re-Lektüre großer Literatur eingeladen, die zu ihrer Zeit mit sämtlichen Konventionen brach. Das Ziel: eine Bestandsaufnahme dessen, was es heute heißt, modern zu sein. Entstanden sind zwölf brillante Essays, die uns Gelegenheit bieten, u.a. Monika Rinck, Durs Grünbein, Ingo Schulze, Felicitas Hoppe und Daniel Kehlmann dabei zuzusehen, wie sie in der Auseinandersetzung mit den Vorbildern ihr eigenes Schreiben reflektieren. In seinem Vorwort geht Thomas Hettche den überraschenden Verbindungen nach, die sich dabei ergeben und macht deutlich, was Erzählen zu allen Zeiten bedeutet hat. Der typographisch liebevoll gestaltete Band bietet zudem die kompletten Originaltexte von Kleist, Raabe und Benn, und erlaubt so eine vergleichende Lektüre.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
In den zwölf Essays dieses Bandes, die unter anderen von Ingo Schulze, Durs Grünbein, Monika Rinck und Felicitas Hoppe verfasst wurden, geht es "um das Offenlegen ästhetischer Verfahren", mit denen Kleist, Raabe und Benn auf große Umbrüche reagiert haben, erzählt Rezensentin Wiebke Porombka. Die Moderne, die sich in diesen Texten offenbart, ist von einer Widersprüchlichkeit geprägt, die man aushalten muss, erkennt sie. Und auch wenn die Autoren manchmal eher ins Moralische ausweichen statt über ästhetische Techniken zu reflektieren, als "kleine Schule des Lesens" kann Porombka den Band allemal empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2022Erzählen im Höllentempo
Und nachdenken über Giganten: Thomas Hettche versammelt Essays von zwölf Gegenwartsautoren über Novellen von Kleist, Raabe und Benn.
Der von Thomas Hettche herausgegebene Band "Es ist recht sehr Nacht geworden", in dem zwölf profilierte Autoren (sechs Frauen und sechs Männer) über Novellen von Heinrich von Kleist, Wilhelm Raabe und Gottfried Benn schreiben, ist ein ebenso geniales wie notwendiges Buch. Es geht in ihm um die alten Fragen, was Literatur ist und wie man sie liest. Zur Notwendigkeit des Buchs äußert sich Hettche in seinem sogleich Kleists, Raabes und Benns Radikalität erhellenden Vorwort: "Im Medienwandel, den wir erleben, gehen das Verständnis für die Geschlossenheit eines literarischen Textes, das Wissen um seinen Traditionsraum, die Techniken seiner hermeneutischen Aneignung zunehmend verloren."
Die den zwölf professionellen Verfassern von Romanen und Gedichten gestellte Aufgabe ist, uns vorzuführen, wie man Kleists "Erdbeben in Chili", Raabes "Zum wilden Mann" und Benns "Gehirne" lesen kann. Die gewählten Ansätze könnten unterschiedlicher nicht sein. Durs Grünbein, vor die Aufgabe gestellt, mit Benns physisch plastischem Novellenzyklus "Gehirne" (1916) zurechtzukommen, beschreibt die ihm wichtige Einsicht, "einen Text so zu komponieren, daß man ihn immer wieder lesen wird, um in seine Kammern einzudringen, um zu begreifen, was da komplex erfaßt wurde, bis der Leser versteht, daß er hier dasselbe erleben soll wie beim Gang durch eine Kunstausstellung, ein Museum mit lauter Bildern, die zum Verweilen einladen (nur daß die Satzkonstruktionen hier das Visuelle ersetzen). Also: lauter Bildergefüge."
Aber es ist doch so, dass wir alle schon vor Bildern und Satzkonstruktionen standen wie die Kuh vorm Scheunentor, und es dann auch nicht hilft, dass es "einen Kommentator gibt, den Autor, das moderne Ich, das durch den Ausstellungstext führt". Also meint Lukas Bärfuss, der wie Grünbein vor Benn steht: "Zunächst muss man die Fakten vorrätig haben", denn "man weiss bei ihm" - Benn - "selten, wovon die Rede ist". So bräuchte man denn für Benns knappe Novellen über die Reflexionen des Arztes Werff Rönne als Angehöriger der deutschen Besatzungstruppen in Belgien während des Ersten Weltkriegs "das Studium einer kleinen Bibliothek". Und dann zitiert Bärfuss doch Benns Diktum "Stil ist der Wahrheit überlegen, er trägt in sich den Beweis der Existenz" und ist damit im spannungsreichen Kern von Benns dichterischen Werks angelangt.
Vielleicht weil Benns "Gehirne" wie Bilder einer Ausstellung als Stilerlebnis von jedem selbst erfahren (also gelesen) werden müssen, sind die Essays über diesen Autor etwas weniger ergiebig als die Essays über Raabe und Kleist, in denen gezeigt wird, dass nichts an Kleists "Erdbeben in Chili" und nichts an Raabes "Zum wilden Mann" trotz gegenteiligem Anschein realistisch ist. Jedes erzählerische Detail ist bewusst gesetzt und so elegant in das große Puzzle der Erzählungen eingefügt, dass es unscheinbar wirkt und doch gefunden und verstanden werden muss, wenn man zu einer plausiblen Interpretation gelangen will. Den Autoren der besten Essays (Ulrich Peltzer, Aris Fioretos, Monika Rinck und Daniel Kehlmann) gelingt auf der Basis sorgfältigster Beobachtungen die Entdeckung der erzählerischen Details, die es ihnen erlauben, die "Geschlossenheit" der Novellen von Raabe und Kleist und damit ihr Wesen als Kunstwerke sichtbar zu machen. Entdecken kann man diese Details, wenn man recherchiert, was Kleist und Raabe gewusst haben könnten.
Was also niemals funktioniert, ist ein autobiographischer Ansatz, und so scheitert denn auch Sibylle Lewitscharoff bei ihrem Versuch, die "wesentlichen Ingredienzen vom 'Wilden Mann' . . . in einen neuen Erzählstrom" zu überführen - auf der Basis, dass sie vor "vierzig Jahren zwei Jahre in Südamerika verbracht hat" und Raabes wilder Mann in Brasilien zum Teufel wird. Hilfreich ist hingegen Lewitscharoffs Bemerkung, Wetterlagen müsse man in Erzählungen immer ernst nehmen. Raabes Erzählung handelt von der gewaltigen ökonomischen und moralischen Revolution, die die brutale Ausbeutung der Kolonien durch die europäischen Besatzer in Bewegung setzte und mit der wir heute noch zu tun haben. Raabe inszeniert ihre Auswirkung auf ein altes Geschwisterpaar in einer kleinstädtischen Apotheke in Thüringen: "Wir sind in Frieden grau geworden", sagt der Apotheker, "und der Sturm, der vor dem Fenster vorbeibraust, kümmert uns wenig mehr." Und dann zeigt er, wie die teuflischen Taten in den Kolonien die beiden sehr wohl etwa angehen. Sie suchen sie heim.
Was auch nicht funktioniert, ist ein analoger Ansatz. Felicitas Hoppe (die Einzige, die notiert, dass der letzte Gewaltschub in Kleists "Erdbeben" von einem Dienstboten der Reichen ausgeht, von einem Schuhflicker, der nur die Füße der Oberschicht kennt) bemerkt, dass sich in Kleists Erzählungen die Zufälle unplausibel häufen und seine Figuren "Spielbälle in einer Welt des dramatischen Slapsticks" werden. Und so erscheint ihr Kleist als "Zeremonienmeister einer schlecht eingerichteten Stummfilmwelt". Doch wenn etwas schwer verständlich ist, etwa Kleists irre "Bewegungsenergie", sein Erzählen im Höllentempo des Zeitrafferstils, kann man das nicht einfach Slapstick nennen. Man muss das auflösen. Ulrich Peltzer tut es in seinem analytisch brillanten Essay: "Geraffteste Form meint, dass Kleist sich der Notwendigkeit, ein Liebesverhältnis als dramatischen Ausgangspunkt der Erzählung zu etablieren, in einer Weise entledigt, die alles ausspart, was romantische Empfindsamkeit erwarten würde . . . Er schleudert seine Figuren in ein katastrophisches Geschehen, zu dem es keine Distanz gibt in irgendwelchen Momenten der Reflexion oder Historisierung . . . Folgerichtig beraubt uns Kleist jeder Illusion von einer vordergründigen aufklärerischen Heilkraft des Erzählens." Fällt die Hausfassade im Film auf Buster Keaton, steht er unverletzt im Fensterausschnitt. Bei Kleist würde er blutig zermalmt. Peltzer zeigt, wie Kleist zu dieser Lebensauffassung kam.
Im mitreißendsten Essay des Bandes stellt Ingo Schulze eine herrliche Seminardiskussion über Raabes Novelle nach und erfindet eine Studentin, die fragt, was ihn, Schulze, der sich für das Seminar von der Krupp-Stiftung bezahlen lasse, denn vom Apotheker unterscheide, der vor dem kriminellen Teufel die Augen verschließe, damit er sagen kann: "Wir sind in Frieden (moralisch intakt) grau geworden." Es ist ein aufwühlender Essay, bei dem einem finster wird vor den Augen. Hettches Titel (aus Raabes Erzählung) ist gut gewählt: Es ist recht sehr Nacht worden. SUSANNE KLINGENSTEIN
Thomas Hettche (Hrsg.): "Es ist recht sehr Nacht geworden". Kleist, Raabe, Benn. Essays.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 336 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und nachdenken über Giganten: Thomas Hettche versammelt Essays von zwölf Gegenwartsautoren über Novellen von Kleist, Raabe und Benn.
Der von Thomas Hettche herausgegebene Band "Es ist recht sehr Nacht geworden", in dem zwölf profilierte Autoren (sechs Frauen und sechs Männer) über Novellen von Heinrich von Kleist, Wilhelm Raabe und Gottfried Benn schreiben, ist ein ebenso geniales wie notwendiges Buch. Es geht in ihm um die alten Fragen, was Literatur ist und wie man sie liest. Zur Notwendigkeit des Buchs äußert sich Hettche in seinem sogleich Kleists, Raabes und Benns Radikalität erhellenden Vorwort: "Im Medienwandel, den wir erleben, gehen das Verständnis für die Geschlossenheit eines literarischen Textes, das Wissen um seinen Traditionsraum, die Techniken seiner hermeneutischen Aneignung zunehmend verloren."
Die den zwölf professionellen Verfassern von Romanen und Gedichten gestellte Aufgabe ist, uns vorzuführen, wie man Kleists "Erdbeben in Chili", Raabes "Zum wilden Mann" und Benns "Gehirne" lesen kann. Die gewählten Ansätze könnten unterschiedlicher nicht sein. Durs Grünbein, vor die Aufgabe gestellt, mit Benns physisch plastischem Novellenzyklus "Gehirne" (1916) zurechtzukommen, beschreibt die ihm wichtige Einsicht, "einen Text so zu komponieren, daß man ihn immer wieder lesen wird, um in seine Kammern einzudringen, um zu begreifen, was da komplex erfaßt wurde, bis der Leser versteht, daß er hier dasselbe erleben soll wie beim Gang durch eine Kunstausstellung, ein Museum mit lauter Bildern, die zum Verweilen einladen (nur daß die Satzkonstruktionen hier das Visuelle ersetzen). Also: lauter Bildergefüge."
Aber es ist doch so, dass wir alle schon vor Bildern und Satzkonstruktionen standen wie die Kuh vorm Scheunentor, und es dann auch nicht hilft, dass es "einen Kommentator gibt, den Autor, das moderne Ich, das durch den Ausstellungstext führt". Also meint Lukas Bärfuss, der wie Grünbein vor Benn steht: "Zunächst muss man die Fakten vorrätig haben", denn "man weiss bei ihm" - Benn - "selten, wovon die Rede ist". So bräuchte man denn für Benns knappe Novellen über die Reflexionen des Arztes Werff Rönne als Angehöriger der deutschen Besatzungstruppen in Belgien während des Ersten Weltkriegs "das Studium einer kleinen Bibliothek". Und dann zitiert Bärfuss doch Benns Diktum "Stil ist der Wahrheit überlegen, er trägt in sich den Beweis der Existenz" und ist damit im spannungsreichen Kern von Benns dichterischen Werks angelangt.
Vielleicht weil Benns "Gehirne" wie Bilder einer Ausstellung als Stilerlebnis von jedem selbst erfahren (also gelesen) werden müssen, sind die Essays über diesen Autor etwas weniger ergiebig als die Essays über Raabe und Kleist, in denen gezeigt wird, dass nichts an Kleists "Erdbeben in Chili" und nichts an Raabes "Zum wilden Mann" trotz gegenteiligem Anschein realistisch ist. Jedes erzählerische Detail ist bewusst gesetzt und so elegant in das große Puzzle der Erzählungen eingefügt, dass es unscheinbar wirkt und doch gefunden und verstanden werden muss, wenn man zu einer plausiblen Interpretation gelangen will. Den Autoren der besten Essays (Ulrich Peltzer, Aris Fioretos, Monika Rinck und Daniel Kehlmann) gelingt auf der Basis sorgfältigster Beobachtungen die Entdeckung der erzählerischen Details, die es ihnen erlauben, die "Geschlossenheit" der Novellen von Raabe und Kleist und damit ihr Wesen als Kunstwerke sichtbar zu machen. Entdecken kann man diese Details, wenn man recherchiert, was Kleist und Raabe gewusst haben könnten.
Was also niemals funktioniert, ist ein autobiographischer Ansatz, und so scheitert denn auch Sibylle Lewitscharoff bei ihrem Versuch, die "wesentlichen Ingredienzen vom 'Wilden Mann' . . . in einen neuen Erzählstrom" zu überführen - auf der Basis, dass sie vor "vierzig Jahren zwei Jahre in Südamerika verbracht hat" und Raabes wilder Mann in Brasilien zum Teufel wird. Hilfreich ist hingegen Lewitscharoffs Bemerkung, Wetterlagen müsse man in Erzählungen immer ernst nehmen. Raabes Erzählung handelt von der gewaltigen ökonomischen und moralischen Revolution, die die brutale Ausbeutung der Kolonien durch die europäischen Besatzer in Bewegung setzte und mit der wir heute noch zu tun haben. Raabe inszeniert ihre Auswirkung auf ein altes Geschwisterpaar in einer kleinstädtischen Apotheke in Thüringen: "Wir sind in Frieden grau geworden", sagt der Apotheker, "und der Sturm, der vor dem Fenster vorbeibraust, kümmert uns wenig mehr." Und dann zeigt er, wie die teuflischen Taten in den Kolonien die beiden sehr wohl etwa angehen. Sie suchen sie heim.
Was auch nicht funktioniert, ist ein analoger Ansatz. Felicitas Hoppe (die Einzige, die notiert, dass der letzte Gewaltschub in Kleists "Erdbeben" von einem Dienstboten der Reichen ausgeht, von einem Schuhflicker, der nur die Füße der Oberschicht kennt) bemerkt, dass sich in Kleists Erzählungen die Zufälle unplausibel häufen und seine Figuren "Spielbälle in einer Welt des dramatischen Slapsticks" werden. Und so erscheint ihr Kleist als "Zeremonienmeister einer schlecht eingerichteten Stummfilmwelt". Doch wenn etwas schwer verständlich ist, etwa Kleists irre "Bewegungsenergie", sein Erzählen im Höllentempo des Zeitrafferstils, kann man das nicht einfach Slapstick nennen. Man muss das auflösen. Ulrich Peltzer tut es in seinem analytisch brillanten Essay: "Geraffteste Form meint, dass Kleist sich der Notwendigkeit, ein Liebesverhältnis als dramatischen Ausgangspunkt der Erzählung zu etablieren, in einer Weise entledigt, die alles ausspart, was romantische Empfindsamkeit erwarten würde . . . Er schleudert seine Figuren in ein katastrophisches Geschehen, zu dem es keine Distanz gibt in irgendwelchen Momenten der Reflexion oder Historisierung . . . Folgerichtig beraubt uns Kleist jeder Illusion von einer vordergründigen aufklärerischen Heilkraft des Erzählens." Fällt die Hausfassade im Film auf Buster Keaton, steht er unverletzt im Fensterausschnitt. Bei Kleist würde er blutig zermalmt. Peltzer zeigt, wie Kleist zu dieser Lebensauffassung kam.
Im mitreißendsten Essay des Bandes stellt Ingo Schulze eine herrliche Seminardiskussion über Raabes Novelle nach und erfindet eine Studentin, die fragt, was ihn, Schulze, der sich für das Seminar von der Krupp-Stiftung bezahlen lasse, denn vom Apotheker unterscheide, der vor dem kriminellen Teufel die Augen verschließe, damit er sagen kann: "Wir sind in Frieden (moralisch intakt) grau geworden." Es ist ein aufwühlender Essay, bei dem einem finster wird vor den Augen. Hettches Titel (aus Raabes Erzählung) ist gut gewählt: Es ist recht sehr Nacht worden. SUSANNE KLINGENSTEIN
Thomas Hettche (Hrsg.): "Es ist recht sehr Nacht geworden". Kleist, Raabe, Benn. Essays.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 336 S., geb., 24,- Euro.
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»ein ebenso geniales wie notwendiges Buch« Susanne Klingenstein FAZ 20220915
Rezensentin Susanne Klingenstein empfiehlt unbedingt den von Thomas Hettche herausgegebenen Band. Was einen literarischen Text ausmacht und was er uns geben kann, vermittelt der Band laut Klingenstein sowohl im Vorwort des Herausgebers als auch in den einzelnen Essays von Durs Grünbein bis Felicitas Hoppe zu Novellen von Kleist, Raabe und Benn. Regelrecht baff ist die Rezensentin, wenn Ulrich Peltzer sich analytisch Kleists Aussparungstechnik zuwendet oder Ingo Schulze eine Seminardebatte über Raabes "Zum wilden Mann" nachstellt. Auch wenn die Benn-Aufsätze für Klingenstein weniger ertragreich sind, wünscht sie diesem Buch gerade heute viele Leser und Leserinnen.
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