Peter Hamm im Gespräch mit Peter Handke: Über die Sicht auf die Welt, das Selbstverständnis und die biographischen Prägungen, über Philosophie und Glauben, über Bücher, Autoren und das Schreiben.Die Voraussetzungen für ein Gespräch zwischen Peter Handke und Peter Hamm sind geradezu ideal: sie kennen einander über vierzig Jahre, sind seit langem eng befreundet. Hier treffen nicht einfach Autor und Kritiker (oder Literaturwissenschaftler) aufeinander, sondern beide Gesprächspartner sind Autoren, die in den sechziger Jahren ihren Weg in die Literatur begannen und den Schaffensprozeß von beiden Seiten kennen. Außerordentlich genau reflektieren sie in ihrer Arbeit die Bedingungen des Schreibens mit; Handke über das eigene Schreiben hinaus auch als Übersetzer und im Schreiben über andere Schriftsteller, Hamm wie kaum ein anderer als einfühlsamer und kenntnisreicher Journalist. Wenn Peter Hamm nach Prägungen in der Kindheit fragt, nach der Mutter, den Jahren im Internat und an der Universität, nach den schriftstellerischen Anfängen, nach Kafka, Wim Wenders und Thomas Bernhard, nach Jugoslawien und Deutschland, nach dem Verhältnis von Spiel und Gebet in der Dichtung, so ist sofort spürbar, daß er das Werk des anderen in allen Verästelungen kennt. Er öffnet einen Gesprächsraum, den Peter Handke bereitwillig, mit äußerster und ungekannter Offenheit ausschreitet, dankbar für das »Auf-die-Sprünge-Helfen« und widersprechend, tastend, suchend nach der richtigen Formulierung, frozzelnd. Nicht zuletzt über sich selbst. Anlaß für diese Gespräche war der von Hamm gedrehte Film über Handke »Der schwermütige Spieler«. Daß sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckten, in einer fast unwirklichen Ruhe geführt wurden, gibt ihnen selbst einen literarischen Rhythmus, der sichtbar werden läßt, was Literatur heute sein kann.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2006Die Stunden der wahren Erfindung
Briefe, Gespräche und ein Drama: drei neue Bücher von und mit Peter Handke wenden den Blick wieder nach innen
Im neuen Stück von Peter Handke laufen Paare auf der Bühne wirr umher, suchen ihre Rollen, suchen ihr Stück. Bemühen sich um Tragödien, um dramatische Handlungen und finden nur falsche Rollen. Es sind Ziellose, verzweifelt um ein Ziel bemüht. Bis der Zuschauer eingreift, "Ich, der Zuschauer" heißt er in Handkes Stück "Spuren der Verirrten": "Jedenfalls habe ich meinen Zuschauerhocker aufgeklappt, mich an den Rand der Spielfläche gehockt und gerufen: ,He, ihr! Keine Tragödien vortäuschen. Alles nicht wahr. Auf, ihr Knochen. Tut was für mein Geld.'" Und das Ein-Mann-Publikum wütet und schimpft gegen die ratlos agierenden Paare auf der Bühne. Es ist eine Publikumsbeschimpfung der anderen Art. Das Publikum beschimpft die Schauspieler. Und hat am Ende einen freundlichen Rat: "Könnte nicht ein jeder von euch noch und noch Geschichten erzählen, wie sich das Blatt gewendet hat - und nicht immer zum Bösen - dadurch, daß er als Zuschauer tätig war? - Viel Glück!"
Wechselt die Rollen! Schaut zu! Schaut auf die Welt, im Schauen wird die Welt euch neu. So spricht es aus dem neuesten Handke-Stück, das vierzig Jahre nach seinem ersten, der legendären "Publikumsbeschimpfung", erscheint. Auch das war damals Dokument einer Befreiung. Die Befreiung von der Rolle, die dem Jura-Studenten Handke zugedacht war. Er würde Schriftsteller werden. Weltaufrüttler. Weltbetrachter. "Ich werde sicher weltberühmt", sagte er damals. Er ist es geworden.
Doch noch vor all dem, noch bevor die große Handke-Story begann, hat der damals 23jährige 1965 ein Buch rezensiert, das sonst beinahe niemand rezensierte. "Die Augen eines Dieners" von Hermann Lenz. Leider wissen wir nicht, was er über das Buch sagte, Handke erinnert sich später, er habe es, um überhaupt einen Vergleich zu haben, mit den Büchern Knut Hamsuns verglichen, aber die Rezension ging verloren. Doch wir ahnen, er wird es euphorisch gelobt haben, denn es war der Anfang einer lebenslangen Bewunderung. Sieben Jahre später, als Handke in seinem Buchladen, der "Kronberger Bücherstube", nach dem neuen Lenz fragte, dem Roman "Der Kutscher und der Wappenmaler", sagte die Buchhändlerin zu ihm, das habe sie jetzt nicht mehr bestellt. Keinen einzigen Lenz-Roman habe sie über all die Jahre verkauft. "Bei dem neuen Buch habe ich mir gedacht, das hat keinen Sinn mehr." Die Romane des damals fast sechzigjährigen Lenz erreichen eine verkaufte Auflage von 300. Manchmal hat er Glück, und Käufer verwechseln ihn mit seinem erfolgreichen Namensvetter Siegfried. Um Leben zu können, arbeitet er beim Württembergischen Schriftstellerverband als Sekretär. Ein demütigendes Leben ohne Leser und ohne Geld. Fast dreißig Jahre lang schreibt er nun schon ohne Publikum.
Doch dann beginnt plötzlich eine Geschichte, die in der deutschen Literatur wohl einmalig ist und bleibt. Ein dreißig Jahre jüngerer Schriftsteller, schon früh auf dem Gipfel des Erfolgs, beschließt, diesen Mann, das Werk dieses Mannes dem Vergessen zu entreißen. Und gemeinsam mit seinem entschlossenen, mächtigen Verleger gelingt es ihm auch. Im Dezember 1973 erscheint in der "Süddeutschen Zeitung" Handkes Text "Einladung Hermann Lenz zu lesen". Damit fängt alles an. Leser, Preise, Ruhm und Ehre. Die rasante Reise des Hermann Lenz aus dem Nichts in den Olymp. Jetzt ist im Insel-Verlag der Briefwechsel der beiden Schriftsteller erschienen, die Briefe vom alten Mann und seinem Verehrer.
Schon der Anfang ist fast mythisch. Handke hat am frühen Morgen die Lektüre des neuen Buchs von Hermann Lenz beendet, wenige Stunden später erreicht ihn mit der Post eine Karte und - jenes Buch, das er soeben ausgelesen hat. Lenz hatte, von seiner Frau gedrängt, dem berühmten jungen Mann den Roman "Der Kutscher und der Wappenmaler" zugeschickt. Handke schreibt zurück: "Ich bin sicher, Sie und Ihre ruhige, verläßliche Art der Weltsicht sehr zu verehren. Ihr letztes Buch habe ich Satz für Satz gelesen, weil ich auf jede Einzelheit neugierig war. Einmal dachte ich: ,Da kann man sich wirklich auf die Einzelheiten ganz und gar verlassen' - und das ist sicher ein Zeichen, daß da wirklich ein Schriftsteller arbeitet und kein bloßer Behaupter. Ich las in dem Buch einen Monat lang, und es hat mir sehr geholfen. Ich halte Sie für einen der wenigen Schriftsteller, bei denen man sich lesend zwar fremd, aber doch ganz zu Hause fühlen kann."
Gegen die Neugier
So geht es los. Beide loben sich und freuen sich, einen Schreib-Verwandten gefunden zu haben. Lenz antwortet beseelt, Brief auf Brief, und immer wieder ängstlich, ob er dem jungen Mann nicht auf die Nerven geht: ". . . und ich denke: hoffentlich wird Ihnen mein Geschwätz nicht lästig, wenn ich immer wieder schreibe." Handke lobt weiter, bekundet, gerührt von der übergroßen Dankbarkeit, schon früh seinen Willen, über Lenz schreiben zu wollen. Die beiden treffen sich in Stuttgart, Lenz' Heimatstadt, für die Handke nur Abscheu empfindet, dafür aber - für den alten Dichter in dieser Stadt - nur Bewunderung und Staunen. Da wäre man ja gern dabeigewesen, bei diesem ersten Treffen. Der Langhaar-Popstar-Dichter und der feine graue Herr mit Silberbrille. Lenz erinnert sich später: "In der Nacht hielt das Taxi auf dem anderen Trottoir. Er stieg aus, hob eine Plastiktüte zum Gruß hoch und kam über die Straße. Er sah aus, wie ich ihn von Photographien kannte."
Es war nicht leicht, das erste Treffen. Und auch das zweite noch nicht ganz. "Ich hätte ihn gern gefragt, ob er sich manchmal vor den Leuten fürchte", erinnert sich Lenz später. Und sagt sich selbst: "Doch die Frage war überflüssig, weil ich seine Bücher kannte." Sie sind einverstanden miteinander, mit ihrem Schreiben, bewundern sich, ohne Erklärungen. Später einmal wird Lenz Handke in seinem Haus in Kronberg besuchen. Sie sitzen auf der Terrasse, ein Passant ruft herauf: "Sind Sie Herr Handke?", Herr Handke sagt "Ja", und daraufhin will der Passant wissen, was "die Aussage" seines Theaterstücks "Kaspar" sei. "Daß das Leben schwer ist", sagt Handke. Unsinn, sagt der Passant und lädt ihn ein, drüben in einer Garage mit ihm und Freunden zu tanzen und später über die Zäune einer Badeanstalt zu klettern und baden zu gehen. "Nein, das will ich nicht", erwidert Handke. Und Lenz sieht: "In diesem Augenblick war Kühle um ihn, und mir gefiel's, wie er sich gegen die Neugier abzuschirmen wußte."
Gegen die Neugier da draußen und billigen Frohsinn. Darin sind die zwei von Anfang an sich eins. In der Verachtung der sogenannten "Wirklichkeitsmenschen", wie Lenz sie nennt. Und dem "Wissenszeug", wie es bei Handke heißt. "Ich bin nun zwei Wochen in Japan", schreibt Handke an Lenz, "und ahne hier und da etwas, das leider immer wieder zerstoßen wird durch das Wissenszeug." Manchmal scheinen die beiden Abseitssteher in ihren Briefen geradezu einen Wettbewerb in der Disziplin auszutragen, wer näher dran ist an der wahren Anschauung und weiter weg vom sogenannten Weltgeschehen. Handke hat, auf seinem weiten Weg nach innen, auf den er spätestens mit der "Langsamen Heimkehr" (1979) und der "Lehre der Sainte-Victoire" (1980) einbog, viel von Lenz gelernt. Und vieles in diesem Briefwechsel klingt wie aus seinen Romanen, nur leichter hier, angenehmer, nicht so auftrumpfend die poetische Welterkenntnis seiner späten Werke: "Hier ist ein wunderbarer Tag, und ich saß bis jetzt fast nur draußen und versuchte, sein Berichterstatter zu sein." Und er beschreibt eine Blume, den Wind und eine Katze und schreibt: "Ein langweiliges Leben, aber es gibt wohl nichts Schöneres (wenn man dafür dankbar sein kann)."
Im Nebendraußen
Aber dieser Briefwechsel ist nicht nur Poesie und Blumenbetrachtung. Er ist vor allem auch die Geschichte eines gemachten Erfolges. Handke hatte sein großes Lob geschrieben. Doch das reichte natürlich nicht. Jetzt brauchte Lenz noch einen Verlag - den Verlag. Der alte Suhrkamp-Verleger Unseld mußte überzeugt werden. Handkes Feuer war so groß, daß es scheinbar ein leichtes war. Schon drei Monate nachdem Handkes Lob erschienen war, ist Lenz ein Suhrkamp-Autor. Zunächst ein Buch und nach und nach das ganze Werk. Vier weitere Jahre später ist er schon Büchnerpreisträger und berühmt. Das hat Unseld gemacht mit aller Unseld-Macht. "Ich bin sicher, daß wir eine Spur für die kommende Zeit gelegt haben", schreibt der Verleger an Lenz. Und dieser schreibt an Handke, daß er immer Angst habe, Unseld gehe seinetwegen eines Tages bankrott. Wie Lenz ihn beschreibt, wie er ihn da, barfuß und mit offenem Hemd, die starke Brustbehaarung entblößend, Lenz' Texte auswendig deklamierend, in seinem Arbeitszimmer empfängt, da steckt alles drin, was einst die Suhrkamp-Kultur war.
Es ist ein schönes Buch aus den innersten Schichten einer leuchtenden Innenwelt. In seinem letzten Brief, wenige Wochen vor seinem Tod im Mai 1998, schreibt Lenz an Handke über dessen neuestes Buch: "Ich danke dir. Im ,Felsfenster' schließen sich nach Notizen über soeben Gehörtes Überlegungen, Gedanken, Meditationen an, die Stufe um Stufe nach innen führen. So werden die Schichten unserer Welt sichtbar gemacht."
Das ist die Lebenslehre, die Handke von seinem alten Freund gelehrt wurde. Er spricht davon auch immer wieder in den ausufernden Gesprächen, die er mit dem Journalisten Peter Hamm führte und die jetzt als Buch erschienen sind. "Nebendraußen" hatte Hermann Lenz diese andere Welt genannt, an die Handke immer wieder erinnert, den Glauben an diese andere Welt, jenseits des sogenannten Weltgeschehens. Und Handke sagt: "Wenn ich ein Gebet hätte, wäre das: mit diesem Glauben dann auch von der Welt verschwinden zu dürfen, am Ende."
VOLKER WEIDERMANN
Peter Handke: "Spuren der Verirrten", Suhrkamp-Verlag, 88 Seiten, 14,80 Euro. Handke und Hermann Lenz: "Briefwechsel - Berichterstatter des Tages", Insel-Verlag, 459 Seiten, 24,80 Euro. Handke und Peter Hamm: "Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo", Wallstein-Verlag, 183 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Briefe, Gespräche und ein Drama: drei neue Bücher von und mit Peter Handke wenden den Blick wieder nach innen
Im neuen Stück von Peter Handke laufen Paare auf der Bühne wirr umher, suchen ihre Rollen, suchen ihr Stück. Bemühen sich um Tragödien, um dramatische Handlungen und finden nur falsche Rollen. Es sind Ziellose, verzweifelt um ein Ziel bemüht. Bis der Zuschauer eingreift, "Ich, der Zuschauer" heißt er in Handkes Stück "Spuren der Verirrten": "Jedenfalls habe ich meinen Zuschauerhocker aufgeklappt, mich an den Rand der Spielfläche gehockt und gerufen: ,He, ihr! Keine Tragödien vortäuschen. Alles nicht wahr. Auf, ihr Knochen. Tut was für mein Geld.'" Und das Ein-Mann-Publikum wütet und schimpft gegen die ratlos agierenden Paare auf der Bühne. Es ist eine Publikumsbeschimpfung der anderen Art. Das Publikum beschimpft die Schauspieler. Und hat am Ende einen freundlichen Rat: "Könnte nicht ein jeder von euch noch und noch Geschichten erzählen, wie sich das Blatt gewendet hat - und nicht immer zum Bösen - dadurch, daß er als Zuschauer tätig war? - Viel Glück!"
Wechselt die Rollen! Schaut zu! Schaut auf die Welt, im Schauen wird die Welt euch neu. So spricht es aus dem neuesten Handke-Stück, das vierzig Jahre nach seinem ersten, der legendären "Publikumsbeschimpfung", erscheint. Auch das war damals Dokument einer Befreiung. Die Befreiung von der Rolle, die dem Jura-Studenten Handke zugedacht war. Er würde Schriftsteller werden. Weltaufrüttler. Weltbetrachter. "Ich werde sicher weltberühmt", sagte er damals. Er ist es geworden.
Doch noch vor all dem, noch bevor die große Handke-Story begann, hat der damals 23jährige 1965 ein Buch rezensiert, das sonst beinahe niemand rezensierte. "Die Augen eines Dieners" von Hermann Lenz. Leider wissen wir nicht, was er über das Buch sagte, Handke erinnert sich später, er habe es, um überhaupt einen Vergleich zu haben, mit den Büchern Knut Hamsuns verglichen, aber die Rezension ging verloren. Doch wir ahnen, er wird es euphorisch gelobt haben, denn es war der Anfang einer lebenslangen Bewunderung. Sieben Jahre später, als Handke in seinem Buchladen, der "Kronberger Bücherstube", nach dem neuen Lenz fragte, dem Roman "Der Kutscher und der Wappenmaler", sagte die Buchhändlerin zu ihm, das habe sie jetzt nicht mehr bestellt. Keinen einzigen Lenz-Roman habe sie über all die Jahre verkauft. "Bei dem neuen Buch habe ich mir gedacht, das hat keinen Sinn mehr." Die Romane des damals fast sechzigjährigen Lenz erreichen eine verkaufte Auflage von 300. Manchmal hat er Glück, und Käufer verwechseln ihn mit seinem erfolgreichen Namensvetter Siegfried. Um Leben zu können, arbeitet er beim Württembergischen Schriftstellerverband als Sekretär. Ein demütigendes Leben ohne Leser und ohne Geld. Fast dreißig Jahre lang schreibt er nun schon ohne Publikum.
Doch dann beginnt plötzlich eine Geschichte, die in der deutschen Literatur wohl einmalig ist und bleibt. Ein dreißig Jahre jüngerer Schriftsteller, schon früh auf dem Gipfel des Erfolgs, beschließt, diesen Mann, das Werk dieses Mannes dem Vergessen zu entreißen. Und gemeinsam mit seinem entschlossenen, mächtigen Verleger gelingt es ihm auch. Im Dezember 1973 erscheint in der "Süddeutschen Zeitung" Handkes Text "Einladung Hermann Lenz zu lesen". Damit fängt alles an. Leser, Preise, Ruhm und Ehre. Die rasante Reise des Hermann Lenz aus dem Nichts in den Olymp. Jetzt ist im Insel-Verlag der Briefwechsel der beiden Schriftsteller erschienen, die Briefe vom alten Mann und seinem Verehrer.
Schon der Anfang ist fast mythisch. Handke hat am frühen Morgen die Lektüre des neuen Buchs von Hermann Lenz beendet, wenige Stunden später erreicht ihn mit der Post eine Karte und - jenes Buch, das er soeben ausgelesen hat. Lenz hatte, von seiner Frau gedrängt, dem berühmten jungen Mann den Roman "Der Kutscher und der Wappenmaler" zugeschickt. Handke schreibt zurück: "Ich bin sicher, Sie und Ihre ruhige, verläßliche Art der Weltsicht sehr zu verehren. Ihr letztes Buch habe ich Satz für Satz gelesen, weil ich auf jede Einzelheit neugierig war. Einmal dachte ich: ,Da kann man sich wirklich auf die Einzelheiten ganz und gar verlassen' - und das ist sicher ein Zeichen, daß da wirklich ein Schriftsteller arbeitet und kein bloßer Behaupter. Ich las in dem Buch einen Monat lang, und es hat mir sehr geholfen. Ich halte Sie für einen der wenigen Schriftsteller, bei denen man sich lesend zwar fremd, aber doch ganz zu Hause fühlen kann."
Gegen die Neugier
So geht es los. Beide loben sich und freuen sich, einen Schreib-Verwandten gefunden zu haben. Lenz antwortet beseelt, Brief auf Brief, und immer wieder ängstlich, ob er dem jungen Mann nicht auf die Nerven geht: ". . . und ich denke: hoffentlich wird Ihnen mein Geschwätz nicht lästig, wenn ich immer wieder schreibe." Handke lobt weiter, bekundet, gerührt von der übergroßen Dankbarkeit, schon früh seinen Willen, über Lenz schreiben zu wollen. Die beiden treffen sich in Stuttgart, Lenz' Heimatstadt, für die Handke nur Abscheu empfindet, dafür aber - für den alten Dichter in dieser Stadt - nur Bewunderung und Staunen. Da wäre man ja gern dabeigewesen, bei diesem ersten Treffen. Der Langhaar-Popstar-Dichter und der feine graue Herr mit Silberbrille. Lenz erinnert sich später: "In der Nacht hielt das Taxi auf dem anderen Trottoir. Er stieg aus, hob eine Plastiktüte zum Gruß hoch und kam über die Straße. Er sah aus, wie ich ihn von Photographien kannte."
Es war nicht leicht, das erste Treffen. Und auch das zweite noch nicht ganz. "Ich hätte ihn gern gefragt, ob er sich manchmal vor den Leuten fürchte", erinnert sich Lenz später. Und sagt sich selbst: "Doch die Frage war überflüssig, weil ich seine Bücher kannte." Sie sind einverstanden miteinander, mit ihrem Schreiben, bewundern sich, ohne Erklärungen. Später einmal wird Lenz Handke in seinem Haus in Kronberg besuchen. Sie sitzen auf der Terrasse, ein Passant ruft herauf: "Sind Sie Herr Handke?", Herr Handke sagt "Ja", und daraufhin will der Passant wissen, was "die Aussage" seines Theaterstücks "Kaspar" sei. "Daß das Leben schwer ist", sagt Handke. Unsinn, sagt der Passant und lädt ihn ein, drüben in einer Garage mit ihm und Freunden zu tanzen und später über die Zäune einer Badeanstalt zu klettern und baden zu gehen. "Nein, das will ich nicht", erwidert Handke. Und Lenz sieht: "In diesem Augenblick war Kühle um ihn, und mir gefiel's, wie er sich gegen die Neugier abzuschirmen wußte."
Gegen die Neugier da draußen und billigen Frohsinn. Darin sind die zwei von Anfang an sich eins. In der Verachtung der sogenannten "Wirklichkeitsmenschen", wie Lenz sie nennt. Und dem "Wissenszeug", wie es bei Handke heißt. "Ich bin nun zwei Wochen in Japan", schreibt Handke an Lenz, "und ahne hier und da etwas, das leider immer wieder zerstoßen wird durch das Wissenszeug." Manchmal scheinen die beiden Abseitssteher in ihren Briefen geradezu einen Wettbewerb in der Disziplin auszutragen, wer näher dran ist an der wahren Anschauung und weiter weg vom sogenannten Weltgeschehen. Handke hat, auf seinem weiten Weg nach innen, auf den er spätestens mit der "Langsamen Heimkehr" (1979) und der "Lehre der Sainte-Victoire" (1980) einbog, viel von Lenz gelernt. Und vieles in diesem Briefwechsel klingt wie aus seinen Romanen, nur leichter hier, angenehmer, nicht so auftrumpfend die poetische Welterkenntnis seiner späten Werke: "Hier ist ein wunderbarer Tag, und ich saß bis jetzt fast nur draußen und versuchte, sein Berichterstatter zu sein." Und er beschreibt eine Blume, den Wind und eine Katze und schreibt: "Ein langweiliges Leben, aber es gibt wohl nichts Schöneres (wenn man dafür dankbar sein kann)."
Im Nebendraußen
Aber dieser Briefwechsel ist nicht nur Poesie und Blumenbetrachtung. Er ist vor allem auch die Geschichte eines gemachten Erfolges. Handke hatte sein großes Lob geschrieben. Doch das reichte natürlich nicht. Jetzt brauchte Lenz noch einen Verlag - den Verlag. Der alte Suhrkamp-Verleger Unseld mußte überzeugt werden. Handkes Feuer war so groß, daß es scheinbar ein leichtes war. Schon drei Monate nachdem Handkes Lob erschienen war, ist Lenz ein Suhrkamp-Autor. Zunächst ein Buch und nach und nach das ganze Werk. Vier weitere Jahre später ist er schon Büchnerpreisträger und berühmt. Das hat Unseld gemacht mit aller Unseld-Macht. "Ich bin sicher, daß wir eine Spur für die kommende Zeit gelegt haben", schreibt der Verleger an Lenz. Und dieser schreibt an Handke, daß er immer Angst habe, Unseld gehe seinetwegen eines Tages bankrott. Wie Lenz ihn beschreibt, wie er ihn da, barfuß und mit offenem Hemd, die starke Brustbehaarung entblößend, Lenz' Texte auswendig deklamierend, in seinem Arbeitszimmer empfängt, da steckt alles drin, was einst die Suhrkamp-Kultur war.
Es ist ein schönes Buch aus den innersten Schichten einer leuchtenden Innenwelt. In seinem letzten Brief, wenige Wochen vor seinem Tod im Mai 1998, schreibt Lenz an Handke über dessen neuestes Buch: "Ich danke dir. Im ,Felsfenster' schließen sich nach Notizen über soeben Gehörtes Überlegungen, Gedanken, Meditationen an, die Stufe um Stufe nach innen führen. So werden die Schichten unserer Welt sichtbar gemacht."
Das ist die Lebenslehre, die Handke von seinem alten Freund gelehrt wurde. Er spricht davon auch immer wieder in den ausufernden Gesprächen, die er mit dem Journalisten Peter Hamm führte und die jetzt als Buch erschienen sind. "Nebendraußen" hatte Hermann Lenz diese andere Welt genannt, an die Handke immer wieder erinnert, den Glauben an diese andere Welt, jenseits des sogenannten Weltgeschehens. Und Handke sagt: "Wenn ich ein Gebet hätte, wäre das: mit diesem Glauben dann auch von der Welt verschwinden zu dürfen, am Ende."
VOLKER WEIDERMANN
Peter Handke: "Spuren der Verirrten", Suhrkamp-Verlag, 88 Seiten, 14,80 Euro. Handke und Hermann Lenz: "Briefwechsel - Berichterstatter des Tages", Insel-Verlag, 459 Seiten, 24,80 Euro. Handke und Peter Hamm: "Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo", Wallstein-Verlag, 183 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2007Auf Prosa-Planken
Jenseits des Deutens: Peter Handke im Gespräch mit Peter Hamm
Ein Dichter, der dem eigenen Werk erläuternd zur Seite tritt, geht ein Risiko ein. Je mehr er den Sinn des von ihm selbst Geschriebenen nachreicht, desto dringender wird der Verdacht, das, was er gedichtet habe, könne gar nicht für sich selber sprechen. Es müsse gedeutet und gerichtet werden, so dass am Ende das Werk nur dasteht als ein Kommentar zum Dichter. Aber nicht nur das Werk, auch der Autor kann beim Deuten verlieren: Denn je mehr er redet, desto offenbarer wird, dass er als Dichter versagte – denn anderenfalls stünde, was er zu sagen hätte, ja in seinen Büchern. Autoren der späten ästhetischen Moderne – etwa Günter Grass oder Helmut Heißenbüttel – haben sich als Kommentatoren ihrer selbst literarisch nicht wenig beschädigt.
Aus solchen Gründen ist man ein wenig misstrauisch, nimmt man den schmalen Band zur Hand, in dem der Journalist und Lyriker Peter Hamm einige Gespräche mit Peter Handke festhält, die die beiden im Frühjahr 2002 geführt haben. Und umso größer ist die Überraschung, dass die Selbstbeschädigung durch Redseligkeit in diesem Fall ausbleibt. Peter Hamm fragt als bewundernder, manchmal ein wenig schlichter Freund, und Peter Handke reagiert, wenn auch weniger schlicht, als ebensolcher: geradeaus, redlich, oft den Gedanken beim Sprechen verfertigend.
Er hat nichts zu verbergen, und schon gar steht in seinen Werken nichts, was irgendwie verborgen wäre. Und weil alles so offen daliegt, gewinnt das Werk nicht die falsche Tiefe, die so oft durch den sich selbst erläuternden Dichter entsteht, sondern verlängert sich gleichsam ins Leben hinein. Er sei ein „loyaler Bürger” der „Bücherwelt”, sagt Peter Handke, und weder für Peter Hamm noch für den Leser gibt es einen Grund, daran zu zweifeln. Deswegen steht auch wenig Neues in diesem Buch. Wer die Romane und Erzählungen gelesen, oder gar die Theaterstücke gesehen hat, der kennt diese Sätze und die Welt, die sie heraufbeschwören. Dieses Buch ist die Bestätigung einer vorhandenen Verbindung, es dient nicht der Entstehung einer neuen.
Und so erzählt Peter Handke von seiner Heimat, einer unscheinbaren Landschaft in Kärnten, von der Beförderung des kleinkarierten Nationalismus durch das vereinte Europa, von der Pariser Vorstadt, in der er lebt, von seiner Prägung durch die Filme von Jean-Luc Godard oder Michelangelo Antonioni, von seiner Bewunderung für die mittelalterlichen Epen, und er spricht über das Schreiben als „Heuwenden” oder „Apfelwenden” – und vom Schmerz, den man aber nicht, wie die von Peter Hamm bewunderte Nelly Sachs es tat, deklamieren dürfe: „Auf die Oberfläche dieses . . . Jammertals . . . muss man seine Planken legen, und dann darüberbalancieren, mit der Prosa.” Weil jeder Handke-Leser diesen Mann, der da über die Bretter wankt und geht, schon lange kennt, gleicht dieses Buch einem Wiedersehen unter lang Vertrauten.
Es bietet allerdings Variationen auf bekannte Motive, bei denen das Überraschende in der kleinen Abweichung liegt: in der Art etwa, wie Peter Handke das Zuschauen zum eigentlich göttlichen Akt erklärt (wodurch das Fußballspiel zu Epiphanie wird), wie er sich in eine „Grundwut” gegenüber Deutschland hineinsteigert (der dominanten Staatlichkeit wegen) oder darin, wie er erzählt, dass er der ästhetischen Moderne so früh und gründlich abhanden kam oder warum die Zeitgeschichte eine so furchtbare Technik im Umgang mit der Zeit ist. Und wenn er so daherredet, dieser Dichter in seinem kleinen Haus bei Paris – dann weiß man, warum man sich im Lauf der vielen Jahre immer wieder gern an ihn gewöhnte. THOMAS STEINFELD
PETER HANDKE, PETER HAMM: Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 184 Seiten, 20 Euro.
Peter Handke (links) und Peter Hamm Fotos: dpa, Brigitte Friedrich
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Jenseits des Deutens: Peter Handke im Gespräch mit Peter Hamm
Ein Dichter, der dem eigenen Werk erläuternd zur Seite tritt, geht ein Risiko ein. Je mehr er den Sinn des von ihm selbst Geschriebenen nachreicht, desto dringender wird der Verdacht, das, was er gedichtet habe, könne gar nicht für sich selber sprechen. Es müsse gedeutet und gerichtet werden, so dass am Ende das Werk nur dasteht als ein Kommentar zum Dichter. Aber nicht nur das Werk, auch der Autor kann beim Deuten verlieren: Denn je mehr er redet, desto offenbarer wird, dass er als Dichter versagte – denn anderenfalls stünde, was er zu sagen hätte, ja in seinen Büchern. Autoren der späten ästhetischen Moderne – etwa Günter Grass oder Helmut Heißenbüttel – haben sich als Kommentatoren ihrer selbst literarisch nicht wenig beschädigt.
Aus solchen Gründen ist man ein wenig misstrauisch, nimmt man den schmalen Band zur Hand, in dem der Journalist und Lyriker Peter Hamm einige Gespräche mit Peter Handke festhält, die die beiden im Frühjahr 2002 geführt haben. Und umso größer ist die Überraschung, dass die Selbstbeschädigung durch Redseligkeit in diesem Fall ausbleibt. Peter Hamm fragt als bewundernder, manchmal ein wenig schlichter Freund, und Peter Handke reagiert, wenn auch weniger schlicht, als ebensolcher: geradeaus, redlich, oft den Gedanken beim Sprechen verfertigend.
Er hat nichts zu verbergen, und schon gar steht in seinen Werken nichts, was irgendwie verborgen wäre. Und weil alles so offen daliegt, gewinnt das Werk nicht die falsche Tiefe, die so oft durch den sich selbst erläuternden Dichter entsteht, sondern verlängert sich gleichsam ins Leben hinein. Er sei ein „loyaler Bürger” der „Bücherwelt”, sagt Peter Handke, und weder für Peter Hamm noch für den Leser gibt es einen Grund, daran zu zweifeln. Deswegen steht auch wenig Neues in diesem Buch. Wer die Romane und Erzählungen gelesen, oder gar die Theaterstücke gesehen hat, der kennt diese Sätze und die Welt, die sie heraufbeschwören. Dieses Buch ist die Bestätigung einer vorhandenen Verbindung, es dient nicht der Entstehung einer neuen.
Und so erzählt Peter Handke von seiner Heimat, einer unscheinbaren Landschaft in Kärnten, von der Beförderung des kleinkarierten Nationalismus durch das vereinte Europa, von der Pariser Vorstadt, in der er lebt, von seiner Prägung durch die Filme von Jean-Luc Godard oder Michelangelo Antonioni, von seiner Bewunderung für die mittelalterlichen Epen, und er spricht über das Schreiben als „Heuwenden” oder „Apfelwenden” – und vom Schmerz, den man aber nicht, wie die von Peter Hamm bewunderte Nelly Sachs es tat, deklamieren dürfe: „Auf die Oberfläche dieses . . . Jammertals . . . muss man seine Planken legen, und dann darüberbalancieren, mit der Prosa.” Weil jeder Handke-Leser diesen Mann, der da über die Bretter wankt und geht, schon lange kennt, gleicht dieses Buch einem Wiedersehen unter lang Vertrauten.
Es bietet allerdings Variationen auf bekannte Motive, bei denen das Überraschende in der kleinen Abweichung liegt: in der Art etwa, wie Peter Handke das Zuschauen zum eigentlich göttlichen Akt erklärt (wodurch das Fußballspiel zu Epiphanie wird), wie er sich in eine „Grundwut” gegenüber Deutschland hineinsteigert (der dominanten Staatlichkeit wegen) oder darin, wie er erzählt, dass er der ästhetischen Moderne so früh und gründlich abhanden kam oder warum die Zeitgeschichte eine so furchtbare Technik im Umgang mit der Zeit ist. Und wenn er so daherredet, dieser Dichter in seinem kleinen Haus bei Paris – dann weiß man, warum man sich im Lauf der vielen Jahre immer wieder gern an ihn gewöhnte. THOMAS STEINFELD
PETER HANDKE, PETER HAMM: Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 184 Seiten, 20 Euro.
Peter Handke (links) und Peter Hamm Fotos: dpa, Brigitte Friedrich
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einen "Solitär im Gespräch" hat Friedmar Apel hier erlebt. Natürlich ist damit nicht Peter Hamm gemeint, sondern Handke, dessen "ungebrochenes Selbstbewusstsein" auffällt. Er sehe sich selbst als Verkörperung des Prinzips von Dichtung als Beruf wie Berufung. Zugleich attestiert Apel Handke eine geringe Medienkompetenz, kann und will dieser in den Gesprächen über Dichtung, Medien und Jugoslawien nicht so ganz auf den Punkt kommen: trotz laufender Kamera - Hamm interviewte Handke für eine TV-Dokumentation - rede er wie spätabends beim Wein, antworte nie direkt auf Fragen, erzähle, schweife ab, falle sich ins Wort, bekomme einen Wutausbruch, nehme sich zurück, ironisiere die eigenen Ressentiments. Apel betrachtet dies andererseits durchaus als Programm Handkes, nichts Vorgefertigtes von sich geben zu wollen. Während er Handkes Tiraden in Sachen Jugoslawien bisweilen als nervtötend empfindet, kann er den Ausführungen über Dichtung viel abgewinnen. In diesem Zusammenhang verortet er Handke in die Tradition von "Goethes Projekt einer Rettung der Sichtbarkeit gegen die Anmaßungen der theoretischen Vernunft".
© Perlentaucher Medien GmbH
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