Die Bibliothekarin und Künstlerin Eva Hutchinson, 40, ist nicht auf Veränderungen aus. Doch genau die blühen ihr eines Freitags, am 13. Juni, als Hutch, mit dem sie seit zehn Jahren verheiratet ist, seinen Koffer packt und, ohne eine neue Freundin, indie Nacht hinausstapft auf der Suche nach jener Lebensfreude, die er in ihrer Ehe nicht mehr findet. Nichts in der Familie bleibt mehr so, wie es war.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2002Klopse in Tränenfonds
Valerie Wilson Wesleys Drohschrieb "Es wird alles anders bleiben"
Hutch und Eva sind ein schwarzes amerikanisches Mittelklasse-Ehepaar in den besten Jahren, und damit wäre eigentlich auch schon alles zu Valery Wilson Wesleys neuem Roman gesagt. Eines Nachts, Freitag, den 13., gegen zwei Uhr morgens, packt die Midlife- und Mitternachtskrise Hutch am Schopf und zerrt ihn aus den Kissen. Er verläßt das warme Ehebett, sucht seine sieben Sachen zusammen und verläßt seine Eva: "Es herrscht keine Freude zwischen uns." Es dauert exakt ein Jahr und vierhundert Seiten, bis er wieder zu seiner Frau unter die Decke schlüpft und zum süßen Geigenklang des Happy-Ends in den hoffentlich ewigen Schlaf aller überflüssigen Prosahelden fällt.
Zwischen Ehekrise und Happy-End hat der Herrgott die Soap-Literatur gesetzt. Hutch ist Bauunternehmer und kommt ohne treusorgende Frau erwartungsgemäß schlecht zurecht. Sein sorgfältig eingerüstetes Leben fällt nach seinem kurzen Akt des Aufbegehrens in sich zusammen. Eva ist im tiefen Innern Künstlerin und findet in der Auszeit vom Ehealltag zu ihrer wahren Berufung zurück. Neben dem Allerweltsschicksal der Eheleute hakt Wilson Wesley noch einige Nebenschauplätze rührseliger Seelendramolette ab: Hutchs Sohn aus erster Ehe hat sein Coming-out. Der Vater wird lernen, damit umzugehen. Evas Tochter aus erster Beziehung möchte Comedy-Star statt Star-Anwältin werden. Die Mutter wird lernen, damit umzugehen. Hutch fängt ein Verhältnis mit der Frau seines besten Freundes an. Bester Freund, Eva und die Kinder werden lernen, damit umzugehen. Eva fängt ein Verhältnis mit dem Ex-Liebhaber ihrer Tochter an. Hutch und Evas Tochter werden lernen, wozu mittlerweile kein Leser mehr bereit sein wird: auch noch mit diesem Humbug umzugehen.
Wilson Wesleys fadenscheiniges Klischee-Patchwork wird auch nicht dadurch aufgewertet, daß sie ihre Figuren immer wieder auf ihre eigene Banalität verweisen läßt: "Mein ganzes Leben ist ein Klischee." Das Buch besteht zu fünfzig Prozent aus Sätzen, die man im Freibad auf Frottee-Handtüchern lesen kann: "Glück heißt, sich über jeden Tag neu zu freuen." Seine Psychologie neigt zu latenter Putzigkeit. In die Augen ihrer Figuren zaubert Wilson Wesley lustige Krähenfüßchen, und wenn die Traurigkeit kommt, zieht sich das Lächeln aus den krähenfüßigen Augenwinkeln zurück in einen verborgenen "Seelenwinkel". Nicht einmal die Katzenpsychologie weiß die Autorin glaubhaft darzustellen: "Die Katze wollte ihm gleich mit der Zunge das Gesicht ablecken." So verhalten sich nur Hunde oder Waschbären.
Zwischen den Zeilen dieses Textes fließt ein gewaltiger Strom von Tränen, in dem ungezählte Klöße herumschwimmen, die alle zwanzig Seiten an die Textoberfläche steigen und sich im Hals der Figuren festsetzen. Hinzu kommt die regelmäßige Turnstunde im Brustkasten: "Die Harmonie war wiederhergestellt, und sein Herz machte einen freudigen Sprung." Das Gefühl des sprichwörtlichen "Schlages in die Magengrube" ist ebenfalls chronisch. Mehr Worte findet Wesley Wilson auch schon nicht für das Gefühlsspektrum ihrer Figuren, die Bandbreite ihrer Gesichtsausdrücke entspricht derjenigen des frühen Pac-Man.
Es ist immer wieder verblüffend, mit welcher Unverfrorenheit ein Groschenroman reinsten Rosenwassers als höhere Kunst auf dem Literaturmarkt positioniert wird. Der deutsche Sprachraum kennt so viele schreibende Talkmasterinnen, Autorinnen, die Prosecco trinken, und Schriftstellerinnen, bei deren nächsten Männern und Büchern alles anders bleiben wird, daß man sich diesen Import getrost hätte sparen können.
STEPHAN MAUS
Valerie Wilson Wesley: "Es wird alles anders bleiben". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 422 S., geb., 22,90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Valerie Wilson Wesleys Drohschrieb "Es wird alles anders bleiben"
Hutch und Eva sind ein schwarzes amerikanisches Mittelklasse-Ehepaar in den besten Jahren, und damit wäre eigentlich auch schon alles zu Valery Wilson Wesleys neuem Roman gesagt. Eines Nachts, Freitag, den 13., gegen zwei Uhr morgens, packt die Midlife- und Mitternachtskrise Hutch am Schopf und zerrt ihn aus den Kissen. Er verläßt das warme Ehebett, sucht seine sieben Sachen zusammen und verläßt seine Eva: "Es herrscht keine Freude zwischen uns." Es dauert exakt ein Jahr und vierhundert Seiten, bis er wieder zu seiner Frau unter die Decke schlüpft und zum süßen Geigenklang des Happy-Ends in den hoffentlich ewigen Schlaf aller überflüssigen Prosahelden fällt.
Zwischen Ehekrise und Happy-End hat der Herrgott die Soap-Literatur gesetzt. Hutch ist Bauunternehmer und kommt ohne treusorgende Frau erwartungsgemäß schlecht zurecht. Sein sorgfältig eingerüstetes Leben fällt nach seinem kurzen Akt des Aufbegehrens in sich zusammen. Eva ist im tiefen Innern Künstlerin und findet in der Auszeit vom Ehealltag zu ihrer wahren Berufung zurück. Neben dem Allerweltsschicksal der Eheleute hakt Wilson Wesley noch einige Nebenschauplätze rührseliger Seelendramolette ab: Hutchs Sohn aus erster Ehe hat sein Coming-out. Der Vater wird lernen, damit umzugehen. Evas Tochter aus erster Beziehung möchte Comedy-Star statt Star-Anwältin werden. Die Mutter wird lernen, damit umzugehen. Hutch fängt ein Verhältnis mit der Frau seines besten Freundes an. Bester Freund, Eva und die Kinder werden lernen, damit umzugehen. Eva fängt ein Verhältnis mit dem Ex-Liebhaber ihrer Tochter an. Hutch und Evas Tochter werden lernen, wozu mittlerweile kein Leser mehr bereit sein wird: auch noch mit diesem Humbug umzugehen.
Wilson Wesleys fadenscheiniges Klischee-Patchwork wird auch nicht dadurch aufgewertet, daß sie ihre Figuren immer wieder auf ihre eigene Banalität verweisen läßt: "Mein ganzes Leben ist ein Klischee." Das Buch besteht zu fünfzig Prozent aus Sätzen, die man im Freibad auf Frottee-Handtüchern lesen kann: "Glück heißt, sich über jeden Tag neu zu freuen." Seine Psychologie neigt zu latenter Putzigkeit. In die Augen ihrer Figuren zaubert Wilson Wesley lustige Krähenfüßchen, und wenn die Traurigkeit kommt, zieht sich das Lächeln aus den krähenfüßigen Augenwinkeln zurück in einen verborgenen "Seelenwinkel". Nicht einmal die Katzenpsychologie weiß die Autorin glaubhaft darzustellen: "Die Katze wollte ihm gleich mit der Zunge das Gesicht ablecken." So verhalten sich nur Hunde oder Waschbären.
Zwischen den Zeilen dieses Textes fließt ein gewaltiger Strom von Tränen, in dem ungezählte Klöße herumschwimmen, die alle zwanzig Seiten an die Textoberfläche steigen und sich im Hals der Figuren festsetzen. Hinzu kommt die regelmäßige Turnstunde im Brustkasten: "Die Harmonie war wiederhergestellt, und sein Herz machte einen freudigen Sprung." Das Gefühl des sprichwörtlichen "Schlages in die Magengrube" ist ebenfalls chronisch. Mehr Worte findet Wesley Wilson auch schon nicht für das Gefühlsspektrum ihrer Figuren, die Bandbreite ihrer Gesichtsausdrücke entspricht derjenigen des frühen Pac-Man.
Es ist immer wieder verblüffend, mit welcher Unverfrorenheit ein Groschenroman reinsten Rosenwassers als höhere Kunst auf dem Literaturmarkt positioniert wird. Der deutsche Sprachraum kennt so viele schreibende Talkmasterinnen, Autorinnen, die Prosecco trinken, und Schriftstellerinnen, bei deren nächsten Männern und Büchern alles anders bleiben wird, daß man sich diesen Import getrost hätte sparen können.
STEPHAN MAUS
Valerie Wilson Wesley: "Es wird alles anders bleiben". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 422 S., geb., 22,90
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Unheil brach in einer Freitagnacht im Juni herein, eine Woche nach dem zehnten Hochzeitstag der Hutchinsons..." So beginnt Valerie Wilson Wesley ihre Geschichte einer ehelichen Trennung: Die Bibliothekarin und Künstlerin Eva Hutchinson hat Mann und Kinder und wähnt sich glücklich verheiratet. Bis ihr Mann eines schönen Tages scheinbar unvermittelt feststellt: Ich muss hier weg! "Es herrscht keine Freude zwischen uns", wirft er der verstörten Eva als Begründung hin. Binnen Minuten, während derer Hutch seinen Koffer packt, um vorerst mal bei seinem Freund Donald und dessen Frau Raye unterzuschlüpfen, bricht Evas wohlgeordnete Welt zusammen. Auch die erwachsenen Kinder bekommen das zu spüren ... Sicher ahnt der Leser schnell, dass die beiden ungeachtet aller Affären am Ende wieder zusammenkommen und gemeinsam neu beginnen werden. Gleichwohl überzeugt Wesleys Roman als humorvolle Bestandsaufnahme einer Ehe, der Höhen, der Tiefen und der gefürchteten Durststrecken, aber auch als die Geschichte einer Frau, die zu innerer Stärke findet. Die Autorin versteht es dabei meisterhaft, sich in alle Beteiligten einzufühlen. (www.parship.de)
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Zugegeben, sieht aus wie der Plot eines Groschenromans. Was die Autorin allerdings daraus macht, verdient das Lob des Rezensenten Thomas Leuchtenmüller: In einer "psychologisch in weiten Teilen äußerst differenzierten Story" gibt sie nicht nur "kenntnisreich und ironisch" Einblicke in die wachsende schwarze Mittelschicht Amerikas, sondern zollt auch afroamerikanischen Erzählkonventionen "maßvollen Tribut", indem sie etwa dem Erbe der Vorfahren oder versierten Künstlern zentrale Rollen zugesteht. Dass sich Wesley nicht auf das "bekannte Wechselspiel von Liebe und Lüge" beschränkt, sondern auf Nebenschauplätzen die Verluste auch der "Umgebung" einer Mesalliance thematisiert, wertet das Buch für den Rezensenten gleichfalls auf. Gesegnet außerdem mit einer "adäquaten" Übersetzung wird es für ihn zu einem "guten Unterhaltungsroman".
© Perlentaucher Medien GmbH
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