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Ruth Picardie ist eine typische junge Frau der neunziger Jahre: scharfsinnig, eigenwillig, ganz die "abgeklärte postfeministische Braut". Sie ist zweiunddreißíg, glücklich verheiratet und frischgebackene Mutter von Zwillingen, als sie die Diagnose erhält: Krebs, an dem sie ein Jahr später sterben wird. Statt zu resignieren, beschrieb die Journalistin ihre Krankheit und ihr Leben bewußt provozierend und voller Galgenhumor.

Produktbeschreibung
Ruth Picardie ist eine typische junge Frau der neunziger Jahre: scharfsinnig, eigenwillig, ganz die "abgeklärte postfeministische Braut".
Sie ist zweiunddreißíg, glücklich verheiratet und frischgebackene Mutter von Zwillingen, als sie die Diagnose erhält: Krebs, an dem sie ein Jahr später sterben wird.
Statt zu resignieren, beschrieb die Journalistin ihre Krankheit und ihr Leben bewußt provozierend und voller Galgenhumor.

Autorenporträt
Justine Picardie is a journalist, novelist, and editor who lives in London. She was formerly the features editor of British Vogue and editor of the Observer magazine.
Rezensionen
Ein unendlich rührendes Buch
Was muß das für ein Buch sein, daß dem Leser (oder wohl eher der Leserin) noch minutenlang nach Beendigung der Lektüre die Tränen aus den Augen strömen läßt? Aber, noch viel wichtiger, was muß das für eine Frau (gewesen) sein, die im Angesichts des Todes E-Mails und eine Kolumne schreibt, die zum köstlichsten gehören, was man (oder wohl eher frau) jemals gelesen hat - so respektlos, ironisch, teilweise sarkastisch oder einfach nur hemmungslos komisch wird hier mit dem "bösen K-Wort" umgegangen und mit all dem, was mit einer Krankheit wie Brustkrebs zusammenhängt.
Dem Tod ins Gesicht lachen
Ruth Picardie ist jemand, den man schon nach den ersten Zeilen ins Herz schließt - ihr Bild auf dem Buchcover, das so viel Lebensfreude und Humor ausstrahlt, tut ein übriges, um dafür zu sorgen, daß man die Wahl-Londonerin noch lange im Gedächtnis behält, auch wenn man weder sie, noch ihre Artikel im Life-Magazin des Observers gekannt hat und sie bereits seit dem 22. September 1997 tot ist.
Die im Buch enthaltene elektronische Korrespondenz zwischen der Tochter südafrikanischer Emigranten und ihrer alten Freundin Carrie in Vietnam, dem schwulen Jamie, der an AIDS erkrankt ist und India, einer Journalistenkollegin beginnt im November 1996. Naturgemäß setzt sich Ruth darin mit den aktuellen Entwicklungen ihres Krankheitsverlaufs, sowie der Behandlung auseinander - auf herrlich pointierte Art und Weise, wenn sie etwa beschreibt, wie sie, (wer würde das in einer solchen Situation nicht tun!) auf "jede noch so verrückte Diät" einsteigt und "jeden rauschebärtigen Heiler der Branche" konsultiert, als Chemo und Strahlentherapie versagen. Und der Leser weiß ganz genau, wie sie sich fühlen muß, wenn sie Jamie vorschlägt: "Sollen wir einen albernen Film machen, den man nach unserem Tod auf BBC2 zeigen kann? Überbelichtet und schwarzweiß, damit wir toll aussehen, jede Menge Zeitlupen-Gerenne am Strand und Tom Cuise und Nicole Kidman, die unsere E-Mail-Korrespondenz rezitieren?"
Darüber hinaus geht es aber in Ruths Briefen und in ihren Kolumnen auch um andere, in diesem Fall jedoch ganz und gar nicht triviale, Dinge: zum Beispiel darum, wie durch Kauforgien - etwa von Wäsche oder Kosmetika - das Wohlbefinden einer Frau, selbst wenn sie todkrank ist, um ein Beträchtliches steigerbar ist. Darum, daß das Schlimmste am Sterben die Tatsache ist, daß sie nun niemals die 4. Staffel von Emergency Room sehen und nicht wissen wird, wie es mit Doug Ross und Schwester Carol Hathaway weitergeht. Oder darum, wie die Umwelt mit einer Todgeweihten umgeht - wer nicht betreten schweigt, will mit der nun sehr populären Journalistin essen gehen, damit er sich auf ihrer Beerdigung bedauern lassen kann.
Den Nerv getroffen
Welchen Nerv die Frau mit der scharfen Zunge englandweit bei den Menschen getroffen hat, zeigen die Reaktionen auf die fünf Artikel, die sie auf Betreiben ihrer Schwester vor ihrem Tod in der Sonntagsbeilage des Observer veröffentlichte. Stapel von Leserbriefen waren die Folge. Manche (zur Aufmunterung?) mit der Schilderung des eigenen schrecklichen Schicksals. Andere, in denen man sich für ihren schwarzen Humor bedankte und sie beschwor durchzuhalten. Und wieder andere, die außer unendlichem Mitgefühl zauberhafte Geschenke enthalten - und damit sind nicht die Bibeln und Traktate christlicher Rückbesinnung gemeint... So versuchte etwa ein Mitarbeiter von Channel 4, leider erfolglos, dem Ärzteserienfan Picardie doch noch Kassetten mit der Fortsetzung von E.R. zu verschaffen.
Taschentücher nicht vergessen!
In jeder Hinsicht also lesenswert, dieses Buch, das die Schwester und der Mann der Verstorbenen aus dem schriftlichen Nachlaß zusammengestellt haben. Ein Buch, das unendlich rührend ist - ohne jemals rührselig zu werden, betroffen macht - ohne deshalb in "Betroffenheitsliteratur" abzurutschen und, bei allem Schmerz und der Trauer, die der Gedanke hervorruft, daß eine Mutter ihre Kinder nur zwei Jahre auf deren Lebensweg begleiten durfte, Mut und Hoffnung ausstrahlt. Und außerdem Hochachtung und Dankbarkeit darüber erweckt, was diese tapfere Frau ihrer Familie, ihren Freunden und uns, völlig Unbekannten, hinterlassen hat. Also: Kaufen, lesen - und die große Packung Taschentücher nicht vergessen!
(Michaela Pelz)

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.1999

Das Auslaufen der Sanduhr
Bewegende Berichte aus einer kurzen Krankheit zum Tode

Zu den Errungenschaften moderner Medizin gehört sicherlich, daß sie auch über ihre Ohnmacht von Fall zu Fall besser Bescheid weiß als je zuvor. Nur ist es zugleich Teil menschlicher Natur, sich gegen Ohnmacht immer wieder aufzulehnen. Bei einer jungen Engländerin, zweiunddreißig, wird Brustkrebs diagnostiziert. Ein Jahr zuvor hatte sie Zwillinge geboren, und ganz auf Zukunft war nun ihr Leben eingestellt. Wochen nach der Diagnose weiß sie bereits, daß sie nur noch Monate zu leben hat: Metastasen melden sich überall im Körper. "Doch egal welcher Teil meiner siechen Anatomie zuerst versagen mag, ich bin ziemlich fertig. Am meisten schmerzt es, die Zukunft zu verlieren. Ich werde nicht mehr da sein und applaudieren, wenn meine geliebten Babys zum erstenmal ihren Namen schreiben, wie sie schwimmen lernen oder in die Schule gehen."

Angst und Mut, emotionale Leere und Überfülle wechseln einander ab, und das schöne große Wort Hoffnung schrumpft zusammen: "Ich hoffe, es wird kein langsames Lungenversagen sein, sondern Tochtergeschwulste im Gehirn, die mich ins Koma fallen lassen. Ich kann noch immer nicht ganz glauben, daß ich sterben werde, und tief im Innern rechne ich mit einem Wunder." Schnell lernt man allerdings, daß die Gurus und Wunderheiler ihre Hilflosigkeit um des Geldes willen lediglich geschickter kaschieren als die Ärzte. Aber auch gegen deren Euphemismus, ihre "Heimlichtuerei" und ihr Versprechen von "palliativer Behandlung" entsteht Abwehr, ebenso wie gegen die Illusion vom würdevollen Tod.

Diese junge Engländerin, Ruth Picardie, lernt es, sich auf andere Weise zu bewahren: Sie macht sich schön, erfüllt sich Wünsche, tut das, was sie "Konsumtherapie" nennt. Und sie korrespondiert per E-Mail mit ein paar Freunden. Merkwürdig: Das neue, scheinbar so kalte technische Kommunikationsmittel wird die angemessenste Form für sie, sich auszudrücken. Leichter zu handhaben ist es als die Mühen der Handschrift, dennoch unmittelbar, ohne Zwischenträger und dauerhaft zugleich. Die Tröstungen des Glaubens sind der Atheistin nicht zugänglich, im virtuellen Raum sucht sie sich ihre eigenen. Doch beschreibt sie, was sie fühlt, leidet, denkt, in ein paar Beiträgen, die der "Observer" veröffentlicht, und sieht sich plötzlich nützlich für andere, wo sie nur noch selbst hilfsbedürftig zu sein schien.

Aus diesen Dokumenten über Ruth Picardies Krankheit - sie starb ein Jahr nach der Diagnose - ist von Angehörigen ein bewegendes Buch zusammengestellt worden. Man wird es seiner Art nach in Beziehung setzen können zu den Aids-Tagebüchern des letzten Jahrzehnts: Jamie, der aidskranke Freund, schreibt solidarisch von den "Brustkrebsmädels". Bücher dieser Art lassen sich angesichts der Wirklichkeit des Todes ihrer Verfasser nicht mit ästhetischen Geschmacksurteilen messen. Krankheiten wiederum existieren nicht um einer guten Sache willen, an die man glauben und deren Märtyrer man sein könnte. Pathos verbietet sich, aber dessen bewußte Vermeidung kann Berichte über eigenes Leiden zuweilen literarischen Rang verleihen.

1976 war bei dem damals siebenunddreißigjährigen Horst Karasek eine unheilbare Nierenerkrankung festgestellt worden. Karasek, den seine Freunde als einen sanften Anarchisten kannten, war in einer Reihe von Büchern den Schicksalen der Verfolgten und Geschlagenen in der Geschichte nachgegangen; nun wurde er als Patient selbst ein Geschlagener. Sein Widerstand dagegen war 1985 sein Buch "Blutwäsche", die "Chronik eines eingeschränkten Lebens", worin er ohne Selbstmitleid und Sentimentalität physische Prozesse, seelische und körperliche Qualen und das Aufbegehren gegen alle Einschränkungen dargestellt hat. Karasek starb 1995.

Seine Aufzeichnungen hat er nun über dieses Buch hinaus bis in die letzte Lebenszeit fortgesetzt. "Rasend das Herz" lautet dessen zweiter Teil, der jetzt als "Chronik eines zu Ende gehenden Lebens" aus dem Nachlaß erschienen ist. Im Unterschied zu Picardie ist Karasek der professionelle Schriftsteller, den nicht erst die Krankheit zum Schreiben brachte und der anderes als nur sich selbst beobachtet. Die Landschaft Burgunds, ihre Menschen und ihre Geschichte beschäftigen ihn, wenn er sich dort zu langen Besuchen bei der Schwester aufhält: Fragmente eines Reisebuchs um seiner selbst willen. Aber die Krankheit läßt sich nicht verdrängen: Dialyse, eine mißlungene Transplantation, Kreislaufstörungen, Infarkt und Fußamputation machen den Reisenden mehr und mehr zum abhängigen Patienten. Körperlicher Verfall und sommerlich blühende Landschaft treten so in einen beklemmenden Kontrast.

Was Picardie ihre "Konsumtherapie" bedeutet, ist Karasek die Lust an einem anderen Lande, das er sich mit seinem Mofa zu erfahren sucht, und es ist zugleich der nie aufgegebene Versuch, Leben als körperlichen Genuß zu erfahren, in der Liebe, im Essen, Trinken, im Freundesgespräch. Darüber hinaus jedoch verbindet die beiden einander so ganz und gar fernen, über das eigene Sterben Berichtenden die sehr alte Erkenntnis, daß zwar am Ende gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist, Schreiben wie schöpferische Arbeit überhaupt - öffentliche oder privateste - ihm hingegen ein Schnippchen schlägt. Denn über das, was Feder, Schreibmaschine oder Computer-Tastatur hervorbringen, hat er keine Macht. GERHARD SCHULZ

Horst Karasek: "Rasend das Herz. Chronik eines zu Ende gehenden Lebens". Mit einem Vorwort von Hellmuth Karasek. Luchterhand Literaturverlag, München 1998. 136 S., geb. 32,- DM.

Ruth Picardie: "Es wird mir fehlen, das Leben". Aus dem Englischen übersetzt von Kim Schwaner. Wunderlich Verlag, Reinbek 1999. 176 S., geb., 29,80 DM.

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