Der Osten ist der neue Westen! Michal Hvorecky hat den Roman zum neuen Europa geschrieben: die unglaubliche Geschichte von der Karriere eines Callboys an der Grenze zwischen Osten und Westen, zwischen Gegenwart und Zukunft.
Michal Kirchner ist Sprössling einer ungewöhnlichen Familie. Geboren aus der Zweckehe seiner homosexuellen Eltern muss er schon als Kind die skrupellose Überwachung durch den tschechoslowakischen Geheimdienst miterleben. Er flieht in den Westen und kehrt erst als junger Erwachsener in seine Heimatstadt Bratislava zurück. In der Metropole des neuen Turbokapitalismus beginnt seine Karriere in einem Begleitservice für reiche Managergattinen aus dem Westen. Michal Hvorecky hat einen ironischen und grotesken Roman über das neue Europa geschrieben - politisch, sexy und exzessiv.
Michal Kirchner ist Sprössling einer ungewöhnlichen Familie. Geboren aus der Zweckehe seiner homosexuellen Eltern muss er schon als Kind die skrupellose Überwachung durch den tschechoslowakischen Geheimdienst miterleben. Er flieht in den Westen und kehrt erst als junger Erwachsener in seine Heimatstadt Bratislava zurück. In der Metropole des neuen Turbokapitalismus beginnt seine Karriere in einem Begleitservice für reiche Managergattinen aus dem Westen. Michal Hvorecky hat einen ironischen und grotesken Roman über das neue Europa geschrieben - politisch, sexy und exzessiv.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2009Wo Staunen extra kostet
Der perfekte Ort zum Geldverbrennen: Der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky lässt in seinem neuen Buch "Eskorta" die wilden Jahre des entfesselten Nachwende-Kapitalismus in Osteuropa in Form eines frivolen Schelmenstücks wiederauferstehen.
Michal war in den achtziger Jahren mit seinen Eltern aus der Tschechoslowakei nach Deutschland ausgereist. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems kehrt er zurück nach Bratislava. Auf den ersten Blick ist es die Hölle. Am Bahnhof empfängt ihn "eine Horde aufdringlicher Geldwechsler", die Demonstranten im Stadtzentrum schwenken die Plastiktüten einer neuen Supermarktkette. Doch es dauert nicht lange, bis Michal von den neuen Zeiten profitiert. Kurz nach seinem 23. Geburtstag entdeckt er eine Anzeige. Jungen Männern mit "sympathischem Äußeren" wird eine "gut bezahlte, zeitlich flexible Tätigkeit" in Aussicht gestellt. Michal bewirbt sich, und kurz darauf arbeitet er für den ersten Escort-Service der Stadt: "Die Welt war in Veränderung begriffen, und ich wollte dabei sein."
Der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky erzählt in seinem Roman "Eskorta" die wundersame Erfolgsgeschichte eines postsozialistischen Callboys. Während Geschäftsleute aus aller Welt nach "Bratislava-Gratislava" kommen, um Investitionsverträge zu unterzeichnen und Kapital zu verbrennen, steht Michal ihren gelangweilten Ehefrauen mit erotischen Dienstleistungen zur Verfügung. Sonderwünsche sind im Preis inbegriffen. Seine "starke Seite" ist die Kommunikation, doch zu seinen Stammkundinnen gehört auch eine Amerikanerin, die nach dem Sex vornehmlich in Mineralwasser aus der Hohen Tatra badet - und von Michal verlangt, dass er ihr dabei in einer traditionellen Tracht Gesellschaft leistet: "Ich musste vor ihren Augen wahnsinnig über Wassertoiletten und elektrischen Strom staunen."
Hvorecky ist Jahrgang 1976, und wie viele jüngere Autoren aus Mittel- und Osteuropa neigt er dazu, seine literarischen Texte mit Theorie-Importen aus dem Westen anzureichern. So wird der Folklore-Fetisch der Amerikanerin unter der Überschrift "Postkolonialismus" verhandelt, und der aus Deutschland zurückgekehrte Erzähler selbst hadert nicht nur mit seiner nationalen und kulturellen Identität, sondern als Kind eines schwul-lesbischen Ehepaares auch noch mit seiner Geschlechterrolle. Ein "cultural studies"-Reader ist allerdings noch lange kein Roman: Hvoreckys Debüt "City: Der unwahrscheinlichste aller Orte" (deutsch 2006), in dem es um die körperliche Liebe und Pornographie im Zeitalter des Internet ging, war unter dieser Art von Ballast bereits nach wenigen Seiten zusammengebrochen.
"Eskorta" ist glücklicherweise robuster gebaut. Die theoretische Frage, ob Michal mit seinem neuen Job in erster Linie "die Frau in ihm" töten will, kann man einfach ignorieren und sich stattdessen daran erfreuen, wie er sich ganz praktisch durch die Welt des globalen Finanzkapitals vögelt. Die fiktive Lebensbeichte des charmanten Callboys und professionellen Frauenverstehers liest sich über weite Strecken wie das gutgelaunte Remake eines Michel-Houellebecq-Romans: Boomtown Bratislava verwandelt sich in den späten Neunzigerjahren in die "Metropole des mitteleuropäischen Sextourismus", und mit jedem diskreten Zahlungseingang auf dem Konto des Begleitservices tritt die verdeckte Triebstruktur des entfesselten Kapitalismus deutlicher zutage. "Ihrer Phantasie", verspricht die Website der Agentur, "sind keine Grenzen gesetzt."
"Eskorta" lässt die Jahre der "totalen Ökonomie" in Form eines frivolen Schelmenstücks wiederauferstehen und ist darum genau die richtige, besinnliche Lektüre für unsere krisengeschüttelten Zeiten. Lange hält Michals hormonelle Hausse allerdings nicht an. Nach einem kurzen Höhenflug fallen seine Aktien ins Bodenlose, bis er schließlich nur noch gebucht wird, um einen Langhaar-Chihuahua zum Hundefriseur zu begleiten. Zuletzt wird er ganz aus dem Angebot der Agentur gestrichen. Doch er hat Glück. Michal Hvorecky verordnet seinem Erzähler nach dem Crash ein emotionales Konjunkturprogramm. Der Callboy darf sich verlieben, und damit ist das kapitalistische Märchen schon fast perfekt.
KOLJA MENSING
Michal Hvorecky: "Eskorta". Roman. Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch. Tropen Verlag, Stuttgart 2009. 252 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der perfekte Ort zum Geldverbrennen: Der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky lässt in seinem neuen Buch "Eskorta" die wilden Jahre des entfesselten Nachwende-Kapitalismus in Osteuropa in Form eines frivolen Schelmenstücks wiederauferstehen.
Michal war in den achtziger Jahren mit seinen Eltern aus der Tschechoslowakei nach Deutschland ausgereist. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems kehrt er zurück nach Bratislava. Auf den ersten Blick ist es die Hölle. Am Bahnhof empfängt ihn "eine Horde aufdringlicher Geldwechsler", die Demonstranten im Stadtzentrum schwenken die Plastiktüten einer neuen Supermarktkette. Doch es dauert nicht lange, bis Michal von den neuen Zeiten profitiert. Kurz nach seinem 23. Geburtstag entdeckt er eine Anzeige. Jungen Männern mit "sympathischem Äußeren" wird eine "gut bezahlte, zeitlich flexible Tätigkeit" in Aussicht gestellt. Michal bewirbt sich, und kurz darauf arbeitet er für den ersten Escort-Service der Stadt: "Die Welt war in Veränderung begriffen, und ich wollte dabei sein."
Der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky erzählt in seinem Roman "Eskorta" die wundersame Erfolgsgeschichte eines postsozialistischen Callboys. Während Geschäftsleute aus aller Welt nach "Bratislava-Gratislava" kommen, um Investitionsverträge zu unterzeichnen und Kapital zu verbrennen, steht Michal ihren gelangweilten Ehefrauen mit erotischen Dienstleistungen zur Verfügung. Sonderwünsche sind im Preis inbegriffen. Seine "starke Seite" ist die Kommunikation, doch zu seinen Stammkundinnen gehört auch eine Amerikanerin, die nach dem Sex vornehmlich in Mineralwasser aus der Hohen Tatra badet - und von Michal verlangt, dass er ihr dabei in einer traditionellen Tracht Gesellschaft leistet: "Ich musste vor ihren Augen wahnsinnig über Wassertoiletten und elektrischen Strom staunen."
Hvorecky ist Jahrgang 1976, und wie viele jüngere Autoren aus Mittel- und Osteuropa neigt er dazu, seine literarischen Texte mit Theorie-Importen aus dem Westen anzureichern. So wird der Folklore-Fetisch der Amerikanerin unter der Überschrift "Postkolonialismus" verhandelt, und der aus Deutschland zurückgekehrte Erzähler selbst hadert nicht nur mit seiner nationalen und kulturellen Identität, sondern als Kind eines schwul-lesbischen Ehepaares auch noch mit seiner Geschlechterrolle. Ein "cultural studies"-Reader ist allerdings noch lange kein Roman: Hvoreckys Debüt "City: Der unwahrscheinlichste aller Orte" (deutsch 2006), in dem es um die körperliche Liebe und Pornographie im Zeitalter des Internet ging, war unter dieser Art von Ballast bereits nach wenigen Seiten zusammengebrochen.
"Eskorta" ist glücklicherweise robuster gebaut. Die theoretische Frage, ob Michal mit seinem neuen Job in erster Linie "die Frau in ihm" töten will, kann man einfach ignorieren und sich stattdessen daran erfreuen, wie er sich ganz praktisch durch die Welt des globalen Finanzkapitals vögelt. Die fiktive Lebensbeichte des charmanten Callboys und professionellen Frauenverstehers liest sich über weite Strecken wie das gutgelaunte Remake eines Michel-Houellebecq-Romans: Boomtown Bratislava verwandelt sich in den späten Neunzigerjahren in die "Metropole des mitteleuropäischen Sextourismus", und mit jedem diskreten Zahlungseingang auf dem Konto des Begleitservices tritt die verdeckte Triebstruktur des entfesselten Kapitalismus deutlicher zutage. "Ihrer Phantasie", verspricht die Website der Agentur, "sind keine Grenzen gesetzt."
"Eskorta" lässt die Jahre der "totalen Ökonomie" in Form eines frivolen Schelmenstücks wiederauferstehen und ist darum genau die richtige, besinnliche Lektüre für unsere krisengeschüttelten Zeiten. Lange hält Michals hormonelle Hausse allerdings nicht an. Nach einem kurzen Höhenflug fallen seine Aktien ins Bodenlose, bis er schließlich nur noch gebucht wird, um einen Langhaar-Chihuahua zum Hundefriseur zu begleiten. Zuletzt wird er ganz aus dem Angebot der Agentur gestrichen. Doch er hat Glück. Michal Hvorecky verordnet seinem Erzähler nach dem Crash ein emotionales Konjunkturprogramm. Der Callboy darf sich verlieben, und damit ist das kapitalistische Märchen schon fast perfekt.
KOLJA MENSING
Michal Hvorecky: "Eskorta". Roman. Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch. Tropen Verlag, Stuttgart 2009. 252 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sehr enttäuscht wirkt Lothar Müller von diesem Roman des slowakischen Autors Michal Hvorecky, denn nach seiner Anlage habe Buches durchaus das Zeug zu einem veritablen "Schelmenroman" über den "entfesselten Kapitalismus" in postkommunistischen Zeiten. Michal Kirchner, der 1996 in der Überzeugung, dass in Osteuropa seit 1989 alles zur Ware geworden ist, Callboy wird, erzählt von seinem Aufstieg in der Agentur "Eskorta", dem der Abstieg in Drogensucht folgt und ihn schließlich als Werbetexter in Berlin landen lässt. Ein "verkappter Thesenroman", so der Rezensent missvergnügt, der den durchaus vielversprechenden Stoff durch die witz- und fantasielose Rollenprosa verschenkt sieht und dessen Held, wie er moniert, einen allzu "beschränkten Horizont" aufweist. Während die Bettszenen sich durch Klischees auszeichnen, dräut, wenn die Hauptfigur sich schließlich verliebt, handfester Kitsch, so Müller schaudernd. Und weil Kirchner, wie der Rezensent kritisiert, nicht das sprachliche Format eines grotesken Helden aufweist, so pumpt Hvorecky zumindest die Handlung durch immer absurdere Wendungen auf, denen Müller dann aber nicht mehr wirklich zu folgen bereit ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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