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Die literarischen und poetologischen Implikationen von Schriftvernichtung sind bisher unter der symbolischen Last historischer Bücherverbrennungen verborgen geblieben. Werden sie genauer untersucht, zeigt sich aber, dass zwischen Buchleidenschaft und Schriftfeindschaft, Philologie und Textangst, Kanonbildung und Bücherverbrennung eine enge Beziehung besteht. An zahlreichen Texten der amerikanischen, englischen, spanischen, französischen und deutschen Literatur, deren Spektrum vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart reicht, demonstriert Mona Körte, dass mit Szenarien der Schriftvernichtung…mehr

Produktbeschreibung
Die literarischen und poetologischen Implikationen von Schriftvernichtung sind bisher unter der symbolischen Last historischer Bücherverbrennungen verborgen geblieben. Werden sie genauer untersucht, zeigt sich aber, dass zwischen Buchleidenschaft und Schriftfeindschaft, Philologie und Textangst, Kanonbildung und Bücherverbrennung eine enge Beziehung besteht. An zahlreichen Texten der amerikanischen, englischen, spanischen, französischen und deutschen Literatur, deren Spektrum vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart reicht, demonstriert Mona Körte, dass mit Szenarien der Schriftvernichtung erstaunlicherweise sogar eine Aufwertung von Buch und Schrift einhergeht.
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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit viel Lob bespricht Rezensent Lothar Müller Mona Körtes neues Buch "Essbare Lettern, brennendes Buch". Die Literaturwissenschaftlerin untersuche hier anhand von Beispielen der europäischen und amerikanischen Literatur die Buch- und Schriftvernichtung seit der frühen Neuzeit. Die Vernichtung von Büchern muss nicht immer, wie etwa bei der von Nationalsozialisten organisierten Bücherverbrennung im Mai 1933, politisch-ideologisch motiviert sein, erfährt der Rezensent, sondern kann beispielsweise auch als Grundmotiv der literarischen Kultur als "dynamisches Element der fortwährenden Erneuerung" auftreten: In William Shakespeares "The Tempest" etwa überlebt das Buch, das Prospero, der Herzog von Mailand, im Meer versenkt, seinen Untergang. Während die Dichter des Göttinger Hains ihre geselligen Lektüren mit dem Verbrennen der Bücher Christoph Martin Wielands krönten, sei bereits in der Bibel eine Schriftrolle von Ezechiel verzehrt worden, informiert der Rezensent, der dieses "faszinierende" Buch nur unbedingt empfehlen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2012

Prosperos Zauberbuch
Eine große Geschichte der produktiven Schriftvernichtung
Der Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg war Experimentalphysiker und pflegte beim Nachdenken über die Requisiten seiner geistigen Existenz deren physisch-dingliche Seite nicht aus den Augen zu verlieren. Dass man ein Buch nicht nur lesen, sondern damit auch einen wackelnden Tisch stabilisieren kann, war ihm selbstverständlich, und so war kam er einmal auf den anregenden Gedanken, man schreibe Bücher womöglich weniger um der Lektüre willen, als zum „Unterlegen in der Haushaltung“: „Gegen eins, das durchgelesen wird, werden Tausende durchgeblättert, andere tausend liegen stille, andere werden auf Mauslöcher gepresst, nach Ratten geworfen, auf andern wird gestanden, gesessen, getrommelt, Pfefferkuchen gebacken, mit andern werden Pfeifen angesteckt.“
  In einer Buch- oder Manuskriptseite, die zum Fidibus gerollt und zum Anzünden verwendet wird, zeigt die Verbindung von Feuer und Schrift ihre undramatische Alltagsseite. Bläst man aber in dieses Motiv hinein, so ist man rasch bei den großen Bibliotheksbränden und Autodafés der Vernichtung von Büchern im Feuer. Und unvermeidlich stellen sich sogleich die Bilder des 10. Mai 1933 ein, der von den Nationalsozialisten organisierten Bücherverbrennung in Berlin. Und wie von selbst bringen sie das Begriffspaar mit, durch das wir diese Bilder in Worte zu fassen pflegen: Kultur und Barbarei. Über die Bücher als die Repräsentanten der Kultur bricht als feindliche, ihnen gegenüberstehende Kraft, die Vernichtung herein.
  In einem faszinierenden Buch erhebt jetzt die Literaturwissenschaftlerin Mona Körte Einspruch gegen diese reflexhafte Koppelung der Schrift- und Buchvernichtung an den Pol der Barbarei. Und zugleich gegen die Vorstellung, es breche über die Bücher die Vernichtung immer von außen herein, als fremde Macht. Ja, sagt sie, es gibt die politisch-ideologisch motivierte Vernichtung, Zensur und symbolische Hinrichtung der Bücher, aber zugleich ist die fortwährende Produktion von Gesten und Bildern der Löschung, Verbrennung und Zersetzung von Schrift und Buch ein Grundmotiv der literarischen Kultur selbst, ein dynamisches Element ihrer Entfaltung und fortwährenden Erneuerung.
  In einem großen Durchgang durch die europäische und amerikanische Literatur seit der Frühen Neuzeit stellt sie Bücher vor, die das Verbergen und Abschaben, das Zerreißen und Versenken, das Verbrennen und das Einverleiben von Schrift und Buch ins Bild setzen. In William Shakespeares „The Tempest“, dem Drama von Sturm, Schiffbruch und Landung auf einer außereuropäischen Insel, verfolgt sie, wie die Macht der Bücher gebrochen wird. Prospero, der Herzog von Mailand, und Caliban, der rechtmäßige Erbe der Insel, gleiten im Wechselspiel durch die Pole von Kultur und Barbarei, und wenn sich am Ende der mit allen Wassern der Geheimwissenschaften gewaschene Prospero in rätselhafter Freiwilligkeit selbst entmachtet, gleicht das eine Buch, das er im Meer versenkt, seinem Zauberstab, den er tief in der Erde vergräbt. Aber das Zauberbuch überlebt seinen Untergang.
  Auf Prosperos Zauberbuch der Alten Welt, in dessen Schicksal sich die Konfrontation mit der Neuen Welt spiegelt, folgt die Verbrennung der Bücher, mit der im „Don Quijote“ des Cervantes der Barbier und der Pfarrer vergeblich versuchen, den Zauber der Romane zu bannen. Ein ganzes Reich brennender Bibliotheken, bis hin zu Elias Canetti und Thomas Bernhard wird von hier aus erkundet, und es stellt sich heraus, dass nicht nur Diktatoren und Obskuranten solche Brände mit Wohlgefallen verfolgen, sondern dass immer wieder die Literaten und Philosophen selber reinigende oder strafende Feuer über die Bücher hereinbrechen lassen, sie in symbolischen Aktionen hinrichten und, wenn nicht ans Kreuz, so doch an Bäume nageln.
  Die Dichter des Göttinger Hains krönen ihre geselligen Lektüren durch das Verbrennen der Bücher Christoph Martin Wielands, Johann Wolfgang Goethe rückt Jacobis „Woldemar“, dem unerwünschten „Werther“-Abkömmling, physisch zu Leibe, eine breite Spur des Skelettierens und der furios inszenierten Bücherkriege führt vom England Jonathan Swifts ins Deutschland Johann Karl Wezels, nach Frankreich in die utopische Welt des Louis-Sébastien Mercier. Vom poetischen Feuer und Schwert der Autoren wird die Geschichte der Kanonbildung vorangetrieben.
  Natürlich führt die Nachzeichnung der Palimpseste, des Überschreibens und Durchstreichens, der Auslöschung und der Aschenschrift in die Lager und Vernichtungswelten des zwanzigsten Jahrhunderts hinein, etwa zu Imre Kertész. Aber es erweist sich, dass die Motive der Buch- und Schriftvernichtung sich nicht alle auf diesen perspektivischen Fluchtpunkt hin ordnen lassen. Nicht jedes brennende Buch gehört in die Vorgeschichte des 10. Mai 1933.
  An einem Strang dieser Studie zeigt sich das besonders: der Geschichte der Einverleibung der Bücher. Sie findet in der Bibel, in Ezechiels Verzehr der Schriftrolle, ihre Urszene. Ihr Hauptschauplatz in der vom Buchdruck beflügelten Literatenwelt ist der Riesenroman „Gargantua und Pantagruel“ von Rabelais, diesem aus Worten, in dem die Bücher Flaschenform annehmen und trinkbar sind. Von hier über Kleist, Balzac und Herman Melville bis in die Gegenwart hinein erweist sich das Verschlingen und Verdauen von Büchern, Dekreten, Prophezeiungen, Verträgen, Urkunden, Quittungen und Briefe sowie der pädagogischen Buchstabensuppe als Element der produktiven Schriftvernichtung.
  Einmal geht in diesem Buch Karl Valentin zum Bäcker und lässt sich ein „B“ backen, mehrmals, bis ihm die Form gefällt. Dann lässt er es sich nicht einpacken, sondern isst es auf. Rein als Zeichen betrachtet, wäre die Form des „B“, seine physische Gestalt gleichgültig. Dass ihre physische Gestalt der Literatur selbst alles andere als gleichgültig ist, lässt sich in diesem Buch lernen.  
LOTHAR MÜLLER
  
Mona Körte: Essbare Lettern, brennendes Buch. Schriftvernichtung in der Literatur der Neuzeit. Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 319 Seiten, 39,90 Euro.
Nicht jedes brennende Buch
gehört in die Vorgeschichte
des 10. Mai 1933
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