Essen - als ob nicht: als ob es nicht darauf ankäme; als ob es egal wäre, was, wann und wie; nebenbei essen, zwischendurch, weil's unbedingt sein muß, ohne Sinn und Verstand. Essen, als ob es das Gewöhnlichste und Niedrigste wäre, wofür das Billigste vom Discounter, aus der Kantine, vom Imbißstand gut genug ist; essen, als ob von der wichtigsten Regenerationsquelle für Leib und Seele nicht alles andere abhinge. - Die Autoren des Bandes untersuchen die diskursiven und materiellen Hintergründe der deutschen wie internationalen Eßkultur. Sie bieten Ansätze zu einem anderen, neuen Verständnis eines gerade wegen seiner Alltäglichkeit immer noch unterschätzten Phänomens und streiten für einen in Deutschland längst überfälligen gastrosophical turn.Mit Beiträgen von Jürgen Dollase, Harald Lemke, Daniele Dell'Agli, Martin Reuter, Claus-Dieter Rath u.a.
Man ist, was man isst. Diese Weisheit resümiert bündig das Ansinnen der Gastrosophen: Essen ist die wichtigste Regenerationsquelle für Leib und Seele, und unser kulinarisches Verhalten bestimmt, was wir tun und lassen, wie wir uns fühlen und mitteilen. Warum aber essen die Deutschen, als ob dies gar nicht so sei, fragen sich die Autoren eines Sammelbandes, der als Streitschrift daherkommt und zunächst einmal feststellt: Über Geschmack lässt sich sehr wohl streiten. Längst hat sich das nachlässige Verhältnis zum Essen zu einem Geschmacksrelativismus aufgeschwungen, der alles rechtfertigt. Und das allgegenwärtige Bio-Siegel erfüllt zuverlässig eine Alibifunktion, weil Bio für viele zum Synonym für gutes Essen geworden ist. Auf die tatsächliche Qualität wird nicht geachtet. Wie sollte es auch anders sein in einem Land, in dem sich die Bewohner das Essen permanent schlechtreden. Diesen traurigen Tatbestand führt der Herausgeber des Bandes, Daniele Dell'Agli, in einer fünfzig Seiten langen Schmachrede auf deutsche Sprach- und Essgewohnheiten vor. Ob jemand "dumm wie Brot" oder "ein Rotzlöffel" ist, ob ich gerade jemanden "gefressen" habe oder mir "alles wurscht" ist - das täglich Brot wird mit einem ganzen Arsenal pejorativer Redewendungen überzogen. Dass es auch anders geht, zeigt Harald Lemke in einer Hommage an die Esslust des Epikur. Die Epikureische Gastrosophie besagt: "Das größte menschliche Übel ist das Elend einer unerfüllten Essistenz." Eine Auseinandersetzung mit Essen jenseits von Fernsehkochshows, Diäthysterie und Discounterangeboten lohnt sich. (Daniele Dell'Agli [Hrsg.]: "Essen als ob nicht". Gastrosophische Modelle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 277 S., br., 12,- [Euro].) mith
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