Mit "Ethel & Ernest" setzt Raymond Briggs seinen Eltern ein bewegendes Denkmal, und mit ihnen den ganz gewöhnlichen Leuten in außergewöhnlichen Zeiten.Ethel und Ernest gehörten als Mitglieder der englischen Arbeiterklasse jener Generation an, die die bewegtesten Jahre des 20. Jahrhunderts erlebte. Voller Sympathie, aber ohne Sentimentalität bringt Raymond Briggs die Ängste, die Befremdung, doch auch die Aufregung und das Amüsement seiner Eltern angesichts der gewaltigen Umwälzungen zu Papier: Von der Großen Depression über die Jahre des Zweiten Weltkriegs spiegeln sich im Leben von Ethel und Ernest das Aufkommen des Radios und des Fernsehens, die Entwicklung der Atombombe, die Mondlandung, die gesellschaftlichen Umbru¨che der 60er Jahre.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2015Glück im Winkel
„Ethel & Ernest“ – ein Comic über die Working Class von Raymond Briggs
Ethel ist Hausmädchen bei zwei alten Damen, Ernest kommt aus ärmlichen Cockney-Verhältnissen und arbeitet als Milchfahrer. Jeden Tag saust er auf einem Fahrrad an ihrem Fenster vorbei; die Blicke kreuzen sich. Dann steht er eines Tages mit einem Blumenstrauß da. Im Kino legt er sanft, aber besitzergreifend einen Arm um ihre Schulter. Die Hochzeit lässt nicht lange auf sich warten; bald wird auch Raymond, das einzige Kind der beiden, geboren.
Mit Bilderbüchern wie „Was macht der Weihnachtsmann im Juli?“ und dem bitteren Anti-Atomkriegs-Comic „Strahlende Zeiten“ ist Raymond Briggs weltberühmt geworden. In „Ethel & Ernest“ – im Original bereits 1998 erschienen – erzählt er das Leben seiner Eltern zwischen 1928 und 1971. Weltwirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg, Aufbau eines modernen Sozialstaates und Swinging Sixties: Es passiert unendlich viel in dieser Zeit. Hier wird es ausschließlich von unten geschildert, aus dem Blickwinkel der kleinen Leute, die wenig zu gestalten, aber viel auszuhalten haben – und denen der Besitz eines Kühlschranks und die Schuluniform ihres Sohnes daher mindestens so wichtig sind wie alle Wechselfälle der Geschichte.
Den unermüdlichen Willen zu einem bescheidenen Glück, der Ethel und Ernest antreibt, zeichnet Briggs ebenso liebe- wie humorvoll auf, ohne dass die freundlichen Buntstiftbilder je eine falsche Behaglichkeit verströmen würden. Bei den politischen Auseinandersetzungen zwischen dem Paar – er sympathisiert mit Labour, sie dagegen mit den Torys – fliegen schon mal die Fetzen. Auch dass am Ende Krankheit, Einsamkeit und Tod stehen, wird nicht ausgespart, und die raffende, sprunghafte Erzählweise vermittelt nahezu schmerzlich, wie schnell letztlich die Jahrzehnte verfliegen. „Ethel & Ernest“ ist ein rührendes Denkmal, stellvertretend errichtet für all jene, deren Erdenweg sonst keine Beachtung findet.
CHRISTOPH HAAS
Raymond Briggs:
Ethel & Ernest. Eine wahre Geschichte.
Aus dem Englischen von Thomas
Schlachter. Reprodukt Verlag,
Berlin 2015. 104 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Ethel & Ernest“ – ein Comic über die Working Class von Raymond Briggs
Ethel ist Hausmädchen bei zwei alten Damen, Ernest kommt aus ärmlichen Cockney-Verhältnissen und arbeitet als Milchfahrer. Jeden Tag saust er auf einem Fahrrad an ihrem Fenster vorbei; die Blicke kreuzen sich. Dann steht er eines Tages mit einem Blumenstrauß da. Im Kino legt er sanft, aber besitzergreifend einen Arm um ihre Schulter. Die Hochzeit lässt nicht lange auf sich warten; bald wird auch Raymond, das einzige Kind der beiden, geboren.
Mit Bilderbüchern wie „Was macht der Weihnachtsmann im Juli?“ und dem bitteren Anti-Atomkriegs-Comic „Strahlende Zeiten“ ist Raymond Briggs weltberühmt geworden. In „Ethel & Ernest“ – im Original bereits 1998 erschienen – erzählt er das Leben seiner Eltern zwischen 1928 und 1971. Weltwirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg, Aufbau eines modernen Sozialstaates und Swinging Sixties: Es passiert unendlich viel in dieser Zeit. Hier wird es ausschließlich von unten geschildert, aus dem Blickwinkel der kleinen Leute, die wenig zu gestalten, aber viel auszuhalten haben – und denen der Besitz eines Kühlschranks und die Schuluniform ihres Sohnes daher mindestens so wichtig sind wie alle Wechselfälle der Geschichte.
Den unermüdlichen Willen zu einem bescheidenen Glück, der Ethel und Ernest antreibt, zeichnet Briggs ebenso liebe- wie humorvoll auf, ohne dass die freundlichen Buntstiftbilder je eine falsche Behaglichkeit verströmen würden. Bei den politischen Auseinandersetzungen zwischen dem Paar – er sympathisiert mit Labour, sie dagegen mit den Torys – fliegen schon mal die Fetzen. Auch dass am Ende Krankheit, Einsamkeit und Tod stehen, wird nicht ausgespart, und die raffende, sprunghafte Erzählweise vermittelt nahezu schmerzlich, wie schnell letztlich die Jahrzehnte verfliegen. „Ethel & Ernest“ ist ein rührendes Denkmal, stellvertretend errichtet für all jene, deren Erdenweg sonst keine Beachtung findet.
CHRISTOPH HAAS
Raymond Briggs:
Ethel & Ernest. Eine wahre Geschichte.
Aus dem Englischen von Thomas
Schlachter. Reprodukt Verlag,
Berlin 2015. 104 Seiten, 20 Euro.
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