Die Rede von kultureller Aneignung ist allgegenwärtig. Infrage steht mit ihr gerade für eine progressive politische Position die Legitimität kultureller Produktion, die sich an den Beständen anderer, ihr »fremder« Traditionen bedient. Während viele diese als eine Form des Diebstahls an marginalisierten Gruppen kritisieren, weisen andere den Vorwurf zurück: Er drücke eine Vorstellung von Identität aus, die Berührungspunkte mit der völkischen Rechten aufweise. Tatsächlich, so zeigt Jens Balzer, beruht jede Kultur auf Aneignung. Die Frage ist daher nicht, ob Appropriation berechtigt ist, sondern wie man richtig appropriiert. Kenntnisreich skizziert Balzer im Rückgriff auf die Entstehung des Hip Hop wie auf die erstaunliche Beliebtheit des Wunsches, »Indianer« zu sein, in der bundesdeutschen Nachkriegszeit eine Ethik der Appropriation. In ihr stellt er einer schlechten, weil naturalisierenden und festlegenden, eine gute, ihre eigene Gemachtheit bewusst einsetzende Aneignung entgegen. Ausgehend von dem Denken des Kreolischen Édouard Glissants und Paul Gilroys »Schwarzem Atlantik« sowie der Queer Theory Judith Butlers wird eine solche Aneignungsethik auch zur Grundlage eines aufgeklärten Verhältnisses zur eigenen Identität.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kai Spanke macht sich mit Jens Balzer und seinem Essay Gedanken über kulturelle Aneignung und das Überschreiten geschlechtlicher Normen mit Winnetou. Handelt es sich um Rassismus oder linke Besessenheit, wenn Appropriation im Spiel ist? Balzers Idee, dass es "geschlossene kulturelle Traditionen" nicht gibt, und sein Vorschlag, zwischen "guter" und "schlechter" Appropriation zu trennen, lassen Spanke keine Ruhe, weil er die Grenzen der "hegemonialen Mehrheitsgesellschaft" nicht ohne weiteres erkennen kann. Wenn Balzer mit Butler, Deleuze und Glissant, aber auch mit Rappern wie Afrika Bambaataa das Heterogene feiert, bleiben bei Spanke Zweifel. Lesenswert und diskussionswürdig findet er den Band aber allemal.
© Perlentaucher Medien GmbH
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