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Thomas Kesselring zeichnet im ersten Teil dieses Buches die philosophische Diskussion um Entwicklungshilfe und internationale Gerechtigkeit seit den sechziger Jahren nach und analysiert im zweiten Teil neben den weiterführenden, konstruktiven auch die destruktiven und widersprüchlichen Seiten der Globalisierungs-Euphorie der neunziger Jahre. "Ethik hat etwas mit der Kunst zu tun, vom eigenen Standpunkt zu abstrahieren", sagt Thomas Kesselring und verdeutlicht in diesem Buch, wie notwendig diese Kunst gerade in Zeiten der sich rasch entfaltenden…mehr

Produktbeschreibung
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Thomas Kesselring zeichnet im ersten Teil dieses Buches die philosophische Diskussion um Entwicklungshilfe und internationale Gerechtigkeit seit den sechziger Jahren nach und analysiert im zweiten Teil neben den weiterführenden, konstruktiven auch die destruktiven und widersprüchlichen Seiten der Globalisierungs-Euphorie der neunziger Jahre.
"Ethik hat etwas mit der Kunst zu tun, vom eigenen Standpunkt zu abstrahieren", sagt Thomas Kesselring und verdeutlicht in diesem Buch, wie notwendig diese Kunst gerade in Zeiten der sich rasch entfaltenden Globalisierung ist. Denn die Zunahme des Entwicklungs- und Armutsgefälles und die anhaltende Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen führt heute gerade auch den reichen Industrienationen deutlich vor Augen, daß man diesem Trend nicht tatenlos zuschauen darf. Kesselring entwickelt aus philosophischer Perspektive eine Ethik der Entwicklungszusammenarbeit, die theoretisch fundiert ist, die praktische Analyse aber nie aus den Augen verliert. Für seine breit angelegte Studie erörtert er sowohl verschiedene philosophische Theorien zu den Themen Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Kooperation, analysiert Konzept und Praxis der Globalisierung, bespricht die Vor- und Nachteile des Freihandels und geht ausführlich auf die ökologische Dimension der internationalen Vernetzung ein. Daraus ergibt sich seine Vision, wie eine ernst gemeinte Entwicklungszusammenarbeit das Zusammenleben der Menschen und Völker gerechter und nachhaltiger gestalten kann. Denn wenn die reichen Nationen jetzt nicht von selbst handeln, werden sie die Konsequenzen bald spüren - die Ausbreitung des internationalen Terrorismus ist vielleicht nur ein erster Vorbote.
Autorenporträt
Thomas Kesselring, geb. 1948, lehrt Ethik und Philosophie an der Universität Bern. Nach seiner Habilitation an der FU Berlin war er mehrere Jahre Gastprofessor an der Bundesuniversität Rio Grande do Sul, Brasilien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2004

Mehr Offenheit
Wie aus Entwicklungspolitik Entwicklungsgerechtigkeit wird

Thomas Kesselring: Ethik der Entwicklungspolitik. Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung. Verlag C. H. Beck, München 2003. 321 Seiten, 24,90 [Euro].

Die Diskussion um Entwicklungshilfe und Gerechtigkeit wird nicht nur hierzulande seit den sechziger Jahren geführt, und es fehlt nicht an Warnungen vor den Konsequenzen im Falle eines Nichthandelns gerade der reichen Nationen in dem als Nord-Süd-Konflikt bezeichneten Kampf um die soziale Ungleichheit in der Welt. Kesselrings Studie reiht sich in den Kanon derer, die diese Ungleichheit und ihre stete Zunahme in drei Dimensionen registrieren: in ökonomischer Hinsicht, im Hinblick auf die Entwicklungschancen der Dritten Welt und bezüglich der Verteilung von Macht.

Armut und Elend, so der Autor, seien trotz fünf Jahrzehnten Entwicklungspolitik keineswegs verschwunden. Zur Jahrtausendwende verfügen 2,8 Milliarden Menschen, fast die Hälfte der Weltbevölkerung, über ein Tageseinkommen unterhalb von zwei Dollar, praktisch ohne Perspektive auf Zugang zu den Märkten. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Wohlstandsgefälle insgesamt eher vergrößert, und dies sowohl auf globaler wie auf regionaler Ebene. Zwar geht es heute, rein materiell gesehen, einer wesentlich größeren Zahl von Menschen besser als jemals zuvor, dennoch hat sich die Kluft zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel der Weltbevölkerung in etwa versiebenfacht. Hinzu komme, so der Verfasser weiter, das enorme Gefälle im Hinblick auf die Lebenschancen aller Art. Dort, wo es an ökonomischen Ressourcen fehle, seien meist auch die Bildungs- und Entwicklungschancen erheblich beeinträchtigt. Eine realistische Chance, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, besteht kaum, da es ohne diese Ressourcen und Entwicklungschancen auch keine Aussicht gibt, sich in der eigenen Gesellschaft Gehör zu verschaffen, geschweige denn internationale Unterstützung zu mobilisieren. Politische Ohnmacht ist somit der dritte Aspekt des "Ungleichheit-Syndroms".

Will man es überwinden, so Kesselring, bedarf es auch einer normativen Reflexion über Entwicklungszusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Zu diesem Zweck unternimmt er zunächst einen Ritt durch vier Jahrzehnte Gerechtigkeits- und Entwicklungsdiskussion, die bei John Rawls' Konzeption internationaler Gerechtigkeit endet. Diese hält er zwar unter all den Ansätzen für die relevanteste zur Beschreibung des Entwicklungsdilemmas, hält ihr aber vor, den Fokus allzusehr auf die Frage zu legen, ob eine benachteiligte Gesellschaft sich ihre Situation im wesentlichen selber zuzuschreiben habe. Dabei sei die Frage viel entscheidender, ob sich dieses Dilemma nicht vielmehr als Folge aus den Mechanismen des "Weltsystems" ergebe. Eine weitere Dimension des Problems liege schließlich auch in den Entwicklungsunterschieden zwischen den verschiedenen Gesellschaften: Viele Länder stehen wirtschaftlich schlechter da als andere, weil sie bisher primär Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte exportiert haben und nun Industrien aufbauen müßten, um ihre wirtschaftliche Struktur zu verbessern.

Dieser Aufbau ist für den Verfasser eine hochkomplexe Aufgabe und mit einer Vielzahl von Risiken verbunden: Interne Absatzmärkte müssen erst erschlossen werden. Vielfach verfügt nur die Oberschicht über die nötige Kaufkraft. Die Schaffung eines Marktzugangs für alle setzt somit politische und soziale Verhältnisse voraus, die in vielen Gesellschaften heute nicht gegeben sind. Neu aufzubauende Industrien müssen höchste Standards erfüllen, wenn sie sich gegenüber Produktionszentren auf dem Weltmarkt durchsetzen wollen. Das wiederum erfordert auch einschlägiges organisatorisches Know-how et cetera. Diese und ähnliche Tatsachen sind also ausdrücklich mit zu berücksichtigen, so der Anspruch des Verfassers, will man eine ethische Diskussion um "Entwicklungsgerechtigkeit" führen.

Dies versucht Kesselring im zweiten Teil seiner Studie, in dem er zu dem Schluß kommt, daß der Schlüssel zur legitimen Einforderung von Grundbedürfnissen und Grundrechten (Sicherheit, Freiheitsrechte, Gewissens- beziehungsweise Religionsfreiheit, Leistungsrechte, Mitbestimmungsrechte) sowie politischer und ökonomischer Freiheit in der Akzeptanz einer Ordnung liegt, in der die Gesellschaft sich gleichzeitig als eine Produktionsgemeinschaft begreift, in der alle für das Gesamtresultat mitverantwortlich sind und in der deshalb auch alle berechtigt sein müssen, über die Verwendung des Sozialprodukts mit zu entscheiden. Mit anderen Worten, zu einer demokratischen Einstellung gehört, daß diese Tatsache internalisiert worden ist.

Die Frage nach den "Möglichkeitsbedingungen" von Demokratie stellt sich dabei nicht nur auf der staatlichen Ebene, sondern auch auf globaler. Die aktuellen Demokratiedefizite, die wichtige internationale Institutionen (Weltbank, IWF, WTO) kennzeichnen, bedeuten für viele Gesellschaften ein zusätzliches Entwicklungshemmnis. Wo es aber darum geht, die Regeln der Verteilung wesentlicher sozialer und politischer Güter (Rechte, Macht- und Entscheidungsbefugnisse) ethisch zu legitimieren, ist daher von der Voraussetzung der gleichen Menschenwürde und Autonomie aller Menschen auszugehen. Eine solche Politik ist für Kesselring Voraussetzung für die Überwindung "purer Machtpolitik" und eine "echte" Entwicklungspolitik. Diese Erkenntnis hat mittlerweile auch den "Norden" inklusive seiner Institutionen erreicht, wo man wohl spätestens seit der Asien-Krise endgültig bemerkt hat, daß der Öffnungsgrad der Märkte des "Südens" nur dann zu Wohlstandsgewinnen in der breiten Gesellschaft führt, wenn er von größerer Offenheit der politischen Systeme begleitet wird.

STEFAN FRÖHLICH

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mit seinem "gut durchargumentierten Traktat" sucht Thomas Kesselring eine neue, der Globalisierung angemessene Ethik der Entwicklungspolitik zu begründen. Ein Versuch, der nach Ansicht von Rezensent Claus Leggewie rundum gelungen ist. Kesselring sehe im nationalstaatliche Rahmen keine probate Bemessungsgrundlage für soziale Gerechtigkeitsforderungen mehr. Postulate politischer Gerechtigkeit müssten vielmehr den nationalen wie staatlichen Rahmen überspringen und auch Nicht-Regierungs-Organisationen in den Blick nehmen. Leggewie lobt Kesselrings ausführliche Erörterung von philosophischen Positionen. Er hebt hervor, dass bei Kesselring auch an praktischen Schlussfolgerungen und konkreten Anweisungen kein Mangel besteht. So plädiere Kesselring für einen den Freihandel beschränkenden "Erziehungsschutz" für Wirtschaftszweige im Süden hinaus, die sich in Ruhe entwickeln sollen. Insgesamt sieht Leggewie in Kesselrings Werk einen Beitrag, der die Philosophie "zeitgemäßer" und "kosmopolitischer" macht.

© Perlentaucher Medien GmbH