Erinnern und Vergessen sind keine ethisch neutralen Vorkommnisse: Sie sind eingebettet in tiefliegende Vorstellungen vom ethisch Angemessenen und moralisch Gebotenen. Dieser meist nur implizit in Anspruch genommenen Ethik der Erinnerung gilt das Interesse des Autors. Avishai Margalit lehrt Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Der Autor, erklärt Martin Seel, wendet sich der Frage zu, inwieweit Individuen und Kollektive nicht allein das Bedürfnis, sondern die (nicht bloß religiös begründete) Verpflichtung haben, sich ihrer Angehörigen zu erinnern. Dem Rezensenten indessen fallen sogleich die Grenzen einer solchen Verbindlichkeit ins Auge. Ethische Beziehungen, schreibt er, greifen nur dort, wo eine gemeinsame Geschichte ein engeres soziales Verhältnis geschaffen habe. Den Autor weiß er dabei an seiner Seite: An eine Globalisierung der Erinnerungsfähigkeit ethischer Gemeinschaften glaube Margalit nicht. Diesen eher pessimistischen Standpunkt allerdings sieht Seel wiederum relativiert durch die vom Autor in seiner "überragenden Schlussvorlesung" hervorgehobene Figur des "moralischen Zeugen", einen Agenten der kollektiven Erinnerung und Anwalt der moralischen Urteilsbildung durch die Zeiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH