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Der Autor zeigt in seiner klar strukturierten Abhandlung: Allen Versuchen einer objektiven Moralbegründung (Naturrechtsdenken, Intuitionismus, Kant, Habermas, Hare) fehlt das Fundament. Für den Autor sind es die Interessen des Einzelnen, die dessen Zustimmung zu bestimmten Moralnormen bedingen.

Produktbeschreibung
Der Autor zeigt in seiner klar strukturierten Abhandlung: Allen Versuchen einer objektiven Moralbegründung (Naturrechtsdenken, Intuitionismus, Kant, Habermas, Hare) fehlt das Fundament. Für den Autor sind es die Interessen des Einzelnen, die dessen Zustimmung zu bestimmten Moralnormen bedingen.
Autorenporträt
Norbert Hoerster, geb. 1937, lehrte von 1974 bis 1998 Rechts- und Sozialphilosophie an der Universität Mainz. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Ethik und Rechtsphilosophie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2003

Schiedsrichter ans Telefon
Norbert Hoerster gibt der Ethik ein interessiertes Gesicht

Geld macht nicht glücklich, Ethik aber auch nicht. Eine Binsenweisheit, sollte man meinen, die sich aber noch längst nicht überall herumgesprochen hat. Am anfälligsten für ethische Glücksutopien scheint der ethische Betrieb selbst, also all die Lehrstühle, Agenturen und Räte, die von Berufs wegen die eine Frage bewirtschaften: Dürfen wir alles, was wir können? Der Philosoph Norbert Hoerster ist nicht gegen Ethik, auch er fragt: Dürfen wir alles, was wir können? Aber Hoerster ist gegen das Glücksversprechen, das die Ethik abgibt. Das ist verdienstvoll, denn landläufig wird die Ethik noch immer überschätzt. Zumal die Kirche ist daran, wie Hoerster an historischen Beispielen schlagend zeigt, nicht unschuldig. Tatsächlich würde man gerne wissen, wie es kam, daß Ethik und religiöser Glaube eine derart innige Einheit eingingen, daß sie bisweilen für ein und dasselbe gehalten werden. Selbstverständlich ist das ja nicht. Hat die Religion es etwa nötig, sich an die Ethik zu klammern? Hat sie nicht, sagt der Schriftsteller Walker Percy - ein Katholik im Geiste wie Hoerster -, und zwar wie folgt: "Ein Mann, schrieb Johannes, der sagt, er glaube an Gott, und seine Gebote nicht hält, ist ein Lügner. Wenn Johannes recht hat, dann bin ich ein Lügner. Trotzdem, ich glaube noch."

Ist ein gutes Gewissen also gar nicht das sprichwörtlich sanfte Ruhekissen? Man ruht auch mit schlechtem Gewissen gut, sagt Hoerster "deskriptiv" und gibt der Kirche den gutgemeinten Rat, aus der Frage, wie sich Ethik anfühlt, nicht allzu helle geistliche Fünklein schlagen zu wollen. Hoerster ist bekennender ethischer Relativist, der freilich Wert darauf legt, daß nicht alles Wurscht ist. In dem jetzt vorliegenden Reclam-Bändchen macht er den Versuch, seine Ethik in einer Gesamtschau vorzustellen, das heißt jenseits der Aufgeregtheiten, die vor Jahren seine Thesen zu Tieren und Babys auslösten (die einen will er unbedingt vor Quälerei bewahren, die anderen nicht unbedingt am Leben erhalten). Lesenswert ist das Bändchen schon allein deshalb, weil es in der für den gelernten Juristen Hoerster typischen Art gängige Begriffsverwirrungen auflöst, Scheinevidenzen zerstört, Fehlschlüsse desavouiert. In diesem Sinne steht ein neuer Hoerster immer für ein intellektuelles Vergnügen. Was geht hier für ein Feuerwerk bedenkenswerter Unterscheidungen ab im Vergleich zu der ambitionistischen Kästchenausmalerei, mit der sich das eine oder andere Mitglied des Nationalen Ethikrats wichtig tut! Kann man nicht noch umdisponieren und Hoerster die Laudatio auf den nächsten Hegel-Preisträger Henrich halten lassen?

Hoerster reißt das ethische Gewerbe aus der Umnachtung von Naturrechtsdenken und Intuitionismus heraus, stellt dem ums Ausloten von immer neuen Spielräumen sich verrenkenden Ethikbetrieb sehr grundsätzliche, sehr erhellende Fragen wie: Taugt das Gewissen als moralischer Maßstab? Ist es rational, seine Interessen zu vertreten? Wie könnten sich Moralnormen begründen lassen? Im Vorübergehen werden die wichtigsten Konzeptionen der Moralbegründung behandelt wie die Verfahrenstheorien der Unparteilichkeit von Kant, Habermas und Hare, um dann auf seine zentrale These zu kommen: Eine Moralnorm ist nur insoweit begründet, als ihre soziale Geltung im Interesse der sie vertretenden Individuen liegt. Einen Kognitivismus in ethischen Dingen zu vertreten ist Unsinn - vertretene Moralnormen und die Sicherung ihrer Befolgung sind "prinzipiell nichts anderes als Maßnahmen der Realisierung seiner Interessen". Einer derart subjektivistisch anmutenden "interessenfundierten Ethik" spricht Hoerster nun paradoxerweise jene Objektivität zu, die er den sich offen objektivistisch gebenden Konzeptionen abspricht.

Zunächst sieht es so aus, als entfalte Hoerster seine objektivierende Kraft aus der schlichten Tatsache, daß er Ethik bloß als Empiriker - "deskriptiv" - behandeln will: Was wird wann, wo, wie, weitgehend intersubjektiv als richtiges Handeln empfunden? Doch bald schon wird klar, daß Hoerster zur Stabilisierung der utilitaristischen Architektur noch weitere Pfeiler einzieht. Von Haus aus bewegliche, deutungsbedürftige Begriffe wie Rationalität, Interesse und Empirie werden gleichsam mit Beton ausgegossen, bis sie zu selbständigen Größen erstarrt sind, die "hieb- und stichfest" voraussetzen, was sie beweisen sollen. Das ist der Kunstgriff, mit dem der philosophische Bauingenieur aus Mainz seine wetterfeste Ethik zimmert. Hoerster errichtet ein Gebäude, das er gegen die Wogen der Libertinage nicht minder gut gerüstet wähnt wie Habermas' Diskurspraxis oder den Felsen Petri.

Schauen wir näher hin, wie der Autor seine Gußformen gewinnt. Als "Interesse", diese uns so leichtlebig berührende Kategorie, will Hoerster nur das "aufgeklärte Interesse" gelten lassen. Das ist ein solches Interesse, das sich notfalls auch gegen die artikulierten Interessen der Individuen in Stellung bringen läßt: Es gibt Individuen, "denen die Einsicht fehlt, daß die Geltung einer bestimmten Moralnorm durchaus in ihrem Interesse liegt". Man meint aus Hoerster geradezu einen Naturrechtler herauszuhören, wenn er erläuternd hinzufügt, daß es eben auch Individuen gebe, "die so sehr aus dem Rahmen der menschlichen Natur fallen, daß ihnen manche elementare Interessen ihrer Mitmenschen einfach fehlen". Da muß es also eine Instanz geben, die all das festsetzt: welche Interessen elementar sind, wie weit der Rahmen der menschlichen Natur gespannt ist, welche Individuen wegen Verstocktheit gegen ihre wahren Interessen als unzurechnungsfähig anzusehen sind. In Hoersters Moralmodell bleibt offen, wer der oberste Schiedsrichter sein soll, der all diese durchgreifenden Wertungen vornimmt, der das "irrende" (Hoerster) vom "richtigen" (Hoerster) Gewissen scheidet. Ist das für Hoerster-Leser eine Trübung des intellektuellen Vergnügens? So weit braucht man nicht zu gehen. Hoersters Produktionswerkstatt von Unterscheidungen läuft auf Hochtouren. Besser dafür gelegentlich etwas überpreisig bezahlen, als preiswert mit einem alerten Aufguß der Kant- und Nietzsche-Forschung davonzukommen.

Nur komisch ist es dann schon, mit welcher Verve ein derart voraussetzungsreicher Interessenbegriff von sich behauptet, daß er "auf weltanschauliche Voraussetzungen verzichtet", daß "allein die interessenfundierte Theorie ohne fragwürdige metaphysische Voraussetzungen und unbegründete Postulate auskommt". Was fragwürdig, was unbegründet ist - darüber behält sich wieder allein der unsichtbare Schiedsrichter das letzte Wort vor. Wenn es doch aber erklärtermaßen richtige und falsche Interessen gibt und wenn die richtigen Interessen sogar gegen das ausdrückliche Votum der faktischen, aber eben falschen durchzusetzen sind - rücken dann nicht notgedrungen Weltanschauungen in die frei gewordene Stelle der "Empirie" hinein? Also "Leitauffassungen vom Leben und von der Welt als einem Sinnganzen", die der Autor gerade als metaphysisch und vorpositiv weit von sich weisen möchte? Norbert Hoerster hat es ja gleich gesagt: Es ist schön und gut, was die Ethik so meint. Glücklich macht sie nicht.

CHRISTIAN GEYER

Norbert Hoerster: "Ethik und Interesse". Reclam Verlag, Stuttgart 2003. 235 S., br., 6,- [Euro].

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Hoerster ist bekennender ethischer Relativist, der freilich Wert darauf legt, daß nicht alles Wurscht ist. In dem jetzt vorliegenden Reclam-Bändchen macht er den Versuch, seine Ethik in der Gesamtschau vorzustellen, ... Lesenswert ist das Bändchen schon allein deshalb, weil es in der für den gelernten Juristen Hoerster typischen Art gängige Begriffsverwirrungen zerstört, Fehlschlüsse desavouiert. In diesem Sinne steht ein neuer Hoerster immer für ein intellektuelles Vergnügen. ... Hoerster reißt das ethische Gewerbe aus der Umnachtung von Naturrechtsdenken und Intuitionismus heraus, stellt dem ums Ausloten von immer neuen Spielräumen sich verrenkenden Ethikbetrieb sehr grundsätzliche, sehr erhellende Fragen wie: Taugt das Gewissen als moralischer Maßstab? Ist es rational, seine Interessen zu vertreten? Wie könnten sich Moralnormen begründen lassen? Im Vorübergehen werden die wichtigsten Konzeptionen der Moralbegründung behandelt wie die Verfahrenstheorie der Unparteilichkeit von Kant, Habermas und Hare, um dann auf seine zentrale These zu kommen: Eine Moralnorm ist nur insoweit begründet, als ihre soziale Geltung im Interesse der sie vertretenden Individuen liegt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Mit 'Ethik und Interesse' ist Norbert Hoerster ein inhaltlich anspruchsvolles und durch die vielen anschaulichen Beispiele zugleich auch unterhaltsames Buch gelungen, das die metaphysischen Nebelbomben, die auf dem Gebiet der Ethik immer wieder gezündet werden, als solche erkennbar macht. ... Ein Buch, das wohl auch von philosophischen Laien mit Gewinn gelesen werden kann. Wie schon bei 'Ethik des Embryonenschutzes' ist auch bei diesem Reclamband das Preis-Leistungsverhältnis unschlagbar. Anschaffung dringend empfohlen!Materialien und Informationen zur Zeit…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christian Geyer erinnert daran, dass Norbert Hoerster vor Jahren mit seinen Thesen zu Tieren und Babys - die ersten will er unbedingt vor Quälerei bewahren, und die letzteren nicht unbedingt am Leben erhalten - viel Aufregung ausgelöst hat. Hier, so erfährt man vom Rezensenten, hat Hoerster nun "seine Ethik in einer Gesamtschau vorzustellen" versucht. "Verdienstvoll" findet Geyer, dass Norbert Hoerster dabei gegen das Glücksversprechen eintritt, das die Ethik abgebe - denn sie werde landläufig noch immer überschätzt. Und "lesenswert", schreibt der Rezensent weiter, sei dieses Buch schon allein deshalb, weil "in der für den gelernten Juristen Hoerster typischen Art" hier "gängige Begriffsverwirrungen" aufgelöst, "Scheinevidenzen zerstört" und "Fehlschlüsse desavouiert" würden. Die zentrale Aussage von Hoersters Ethik gibt Geyer so wieder: "Eine Moralnorm ist nur insoweit begründet, als ihre soziale Geltung im Interesse der sie vertretenden Individuen liegt." Paradox, ja zuweilen sogar "komisch" sei nur, befindet der Rezensent, dass Hoerster seiner Ethik dann an einigen Stellen genau die Objektivität zuspreche, die er allen anderen "Ethikmodellen" abspreche.

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