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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2006

Im Geiste Europas
In Österreich gibt es ein neues Schulbuch, das über die EU aufklärt - auch andere Staaten zeigen daran Interesse
Die Theorie vom „offensichtlichen Wissen” sagt, dass manche Dinge so vertraut erscheinen, dass sich die Menschen nicht mehr darum kümmern, ob auch stimmt, was sie zu wissen glauben. Sol-chermaßen leben oft krasse Fehlinformationen und Fehlurteile über Generationen fort. Sie richten sich in diesen Tagen des europäischen Missmuts auch gegen die Europäische Union. Zunächst soll dieses Theorem aber an einem anderen Beispiel erörtert werden. Fragt man irgendwen auf der Welt, insbesondere aber unsere österreichischen Nachbarn, von welchem Land Maria Theresia Kaiserin gewesen ist, kommt wie aus der Pistole geschossen: von Österreich. Setzen, Sechs! Sie war Großherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Kaiserin - auch hier gäbe es noch staatsrechtliche Einwände - des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Ein Kaiserreich Österreich gab es zu ihren Zeiten gar nicht.
Das Beispiel passt zu dem Buch „EU for You”, weil zwei Österreicher, deren Landsleute besonders EU-mürrisch sind, sich darin der Mühe unterzogen haben, den schwammigen Einbildungen über Europa ein schultaugliches Werk entgegenzusetzen. Otmar Lahodynsky und Wolfgang Böhm, zwei Journalisten, die seit Jahren beruflich und auch mit persönlicher Leidenschaft dem Thema Europa verbunden sind, machen sich daran, die Union zu erklären. Und das Erklären wird hier ganz schnell zum Aufklären, und das ist der beste Mythenkiller. Es passt, dass dieses Buch aus Anlass der Ratspräsidentschaft Österreichs erschienen ist. Einer der verbreitetsten Mythen über die EU ist ihre bürokratische Monstrosität. Ein Moloch vorgeblich, der die Interessen der Nationalstaaten und ihrer Bürger im Würgegriff halte und unglaublich teuer sei. Da sind Böhm und Lahodynsky erfrischend direkt: Die Verwaltungskosten der EU, so klären sie auf, sind für eine Institution dieser Ausmaße ausgesprochen bescheiden. Und, so fügen sie hinzu, Großstädte wie Paris oder London hätten weit mehr Beamte als die EU, die 400 Millionen Menschen betrifft. Sie hätten auch die viel kleinere eigene Heimatstadt Wien nehmen können, für die das ebenfalls gilt.
Übersetzung für die Türkei
Das Lehrbuch hält sich zurück mit wolkigem Geschwafel. Es ist kein Überzeugungs-, sondern ein Erklärbuch und damit wirklich für Schulen geeignet. In Ös-terreich ist es offiziell zugelassen, ebenso seit neuestem in Kroatien, das der EU noch nicht angehört. Für die Türkei wird es übersetzt. Es gibt jeweils ein „nationales” Kapitel über das eigene Land, das je nach Erscheinungsort austauschbar ist. Der Rest ist allgemein gültig.
Eingehende Betrachtungen der bibliographischen Landkarte offenbaren, dass es überhaupt nur in Finnland ein ähnliches Schulwerk zu dem Thema gibt. Wen wundert da der ahnungslose Missmut? Eine der Aufgaben des Werkes ist es, lakonisch die Funktionsweise der Institutionen, ihre Gestalt und ihr Zusammenwirken zu erläutern. Es erfüllt deshalb Bedürfnisse weit über den Schulbetrieb hinaus, zumal ja auch viele Erwachsene ihr Wissen mit Hilfe der Schulbücher ihrer Sprösslinge auffrischen und erweitern.
Einige Kapitel sind arg kursorisch ausgefallen, etwa das über die Geschichte, wiewohl hier dankenswerterweise der friedensstiftende Charakter des Unternehmens EU gebührend hervorgehoben wird. Namen wie Konrad Adenauer oder Alcide de Gasperi tauchen gar nicht auf, so als hätten Robert Schuman und Jean Monnet die europäische Einigung im Alleingang entworfen.
Auch stecken die beiden Autoren manchmal so drin im EU-Getriebe, dass sie elementare Publikumsfragen nicht erkennen. Sie erklären säuberlich das Haushaltsgebaren der EU und wie das alles zu Stande kommt. Warum ausgerechnet aber die Landwirtschaft mit ihrem gigantischen Anteil von fast der Hälfte aller Ausgaben so einsam dasteht, erklären sie nicht. Und dann - zum Glück nur selten - dieses schlampige austriakische Faulheitsdeutsch: So ist etwa von den Römer Verträgen die Rede, wo es um die Römischen Verträge geht.
Dafür setzt dieses Buch auf Anschaulichkeit, es erzählt, worum es bei der EU institutionell und theoretisch geht. Das macht das Bändchen ausnehmend brauchbar für Schüler, Lehrer und Eltern in unserer weiten, ahnungslosen Europäischen Union.
MICHAEL FRANK
WOLFANG BÖHM, OTMAR LAHODYNSKY: EU for You. öbv & hpt Verlag Wien, 16,80 Euro.
Unterricht für junge Europäer: Es ist auch eine Aufgabe der Schulen, Vorurteile über die EU zu hinterfragen und abzubauen.
Foto: dpa
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