Was ist das für ein Land, in dem Minderjährige ohne Prozess im Gefängnis sitzen? In dem der Vizepremier Frauen das Lachen verbieten will? Und in dem gläubige Muslime zusammen mit Fußballfans und linken Aktivisten gegen die Zubetonierung eines Parks demonstrieren? Die Türkei präsentiert sich gerne als perfektes Beispiel einer gelungenen Synthese aus moderatem Islam und westlicher Demokratie. Tatsächlich, so konstatiert Ece Temelkuran, befindet sich ihr Land in einem schizophrenen Zustand, pendelt zwischen Minderwertigkeitskomplex und übersteigertem Selbstbewusstsein, baut neue Brücken nach Europa und bricht zugleich längst bestehende ab. Die blutige Vergangenheit wurde nie aufgearbeitet, und nach der kurzen Hoffnung, die die Proteste um den Gezi-Park brachten, ist die Gesellschaft mehr denn je auf Konformität ausgerichtet, für Andersdenkende wie emanzipierte Frauen oder Atheisten scheint kein Platz mehr zu sein. Anhand von persönlichen Erfahrungen und aktuellen politischen Ereignissen gibt die Autorin einen kenntnisreichen Einblick in ein Land voller Widersprüche, warnt vor einer zunehmenden Totalisierung und plädiert kompromisslos für eine offene Gesellschaft.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ece Temelkuras Buch ist für Luisa Seeling ein Aufschrei, keine nüchterne Analyse. Eher wie eine Granate, voll Zorn und Anklage. Grund genug, meint sie, hat die von der AKP drangsalierte Autorin. Grund genug, das Buch lesenswert zu finden, hat indes die Rezensentin, die Temelkuras Warnung vor Gleichschaltung und Faschismus in der Türkei sehr ernst nimmt. Hinter wilden Metaphern und ätzendem Sarkasmus entdeckt sie dann scharfsinnige Beobachtungen aus einem Land mit Amnesie, das in einem Kreislauf aus Gewalt gefangen scheint, und sogar einen Blick auf die reformorientierten Anfangsjahre der AKP.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ihr Buch [ist] ein starker Appell an den Westen, zu sprechen statt zu schweigen.« titel, thesen, temperamente 20151115