Nach dem Nr.-1-Bestseller »Der Circle« der neue Roman von Dave Eggers
In »Der Circle« entwarf Dave Eggers das düstere Szenario einer durch und durch digitalisierten Welt. In seinem neuen Roman, der in der kalifornischen Wüste spielt, erörtert seine Hauptfigur die brennendsten Fragen unserer Zeit. Thomas ist ein Getriebener, der Antworten sucht. Antworten auf die Fragen, die er sich als junger weißer Amerikaner, der aus vielen Rastern fällt, stellt. Und Thomas hat nur ein Mittel, diese Antworten zu finden: Er fragt. Er entführt nach und nach Menschen in eine stillgelegte Militäranlage weit ab von der Zivilisation, kettet sie dort in alten Baracken an und fragt. Fragt einen Astronauten, warum er nie zum Mars geflogen ist. Fragt einen Kongressabgeordneten, wie er die Zukunft des Landes sieht. Fragt seine Mutter, warum sie ihn auf ein Leben vorbereitet hat, das nicht existiert. Und er fragt, warum sein Freund Don unschuldig sterben musste. Thomas gerät immer tiefer in den Strudel der Sinnfrage, bis er den Verstand vollkommen zu verlieren droht. In manchmal sokratisch anmutenden Dialogen lässt Dave Eggers diesen verzweifelten jungen Amerikaner von der Leine, der herausfinden will, worin seine Aufgabe auf diesem Planeten besteht. Dabei werden all die großen Fragen unseres Daseins gestellt, während die sprichwörtliche Bombe tickt.
In »Der Circle« entwarf Dave Eggers das düstere Szenario einer durch und durch digitalisierten Welt. In seinem neuen Roman, der in der kalifornischen Wüste spielt, erörtert seine Hauptfigur die brennendsten Fragen unserer Zeit. Thomas ist ein Getriebener, der Antworten sucht. Antworten auf die Fragen, die er sich als junger weißer Amerikaner, der aus vielen Rastern fällt, stellt. Und Thomas hat nur ein Mittel, diese Antworten zu finden: Er fragt. Er entführt nach und nach Menschen in eine stillgelegte Militäranlage weit ab von der Zivilisation, kettet sie dort in alten Baracken an und fragt. Fragt einen Astronauten, warum er nie zum Mars geflogen ist. Fragt einen Kongressabgeordneten, wie er die Zukunft des Landes sieht. Fragt seine Mutter, warum sie ihn auf ein Leben vorbereitet hat, das nicht existiert. Und er fragt, warum sein Freund Don unschuldig sterben musste. Thomas gerät immer tiefer in den Strudel der Sinnfrage, bis er den Verstand vollkommen zu verlieren droht. In manchmal sokratisch anmutenden Dialogen lässt Dave Eggers diesen verzweifelten jungen Amerikaner von der Leine, der herausfinden will, worin seine Aufgabe auf diesem Planeten besteht. Dabei werden all die großen Fragen unseres Daseins gestellt, während die sprichwörtliche Bombe tickt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2015Ich bin hier der Mann mit Moral
Zeitgeistmaschine: Im neuen Buch von Dave Eggers liest ein amoklaufender Moralapostel Amerika die Leviten
Die amerikanische Literatur liebt Psychos - nicht erst seit Bret Easton Ellis. Noch lieber als den wahnsinnigen Serienmörder hat sie wohl den Renegaten aus gutem Herzen, der sich nur deswegen gegen Gesetz und Gesellschaft stellt, weil er selbst alles besser weiß und machen will. Gerade erst sind wir Varianten von solchen Staatsfeinden in T. C. Boyles Roman "Hart auf hart" begegnet. Und nun präsentiert uns Dave Eggers in seinem heute erscheinenden neuen Roman einen Moralapostel reinsten Wassers - einen, der Finger gleichzeitig in so viele amerikanische Wunden legen will, dass seine Hände dazu gar nicht ausreichen.
Thomas heißt der Mann, ist Mitte dreißig, und er entführt Menschen. Erst einen Astronauten, dann einen Kongressabgeordneten, dann seine eigene Mutter und noch weitere. Er bringt sie auf ein verlassenes Militärgelände am Pazifik, wo er sie einzeln in Baracken einsperrt und ankettet. Er will von diesen Menschen nichts - außer Antworten. Erklärungen für das, was schiefgelaufen ist, nicht nur in seinem Leben, sondern überhaupt und allgemein.
Warum wurde der Astronaut, der doch, wie im Buch mehrfach betont wird, "alles richtig gemacht" hat, um die verdiente Mission im Spaceshuttle gebracht? Warum finanziert der Staat lieber Klimaanlagen im Irak als Gesundheit und Bildung im eigenen Land? Warum kümmern sich Eltern nicht so um ihr Kind, wie sie sollten? Als "Roman" wird das Buch bezeichnet, aber es gibt hier keinen Erzähler, nur Dialoge. Man könnte also auch von einem Theaterstück oder Drehbuch sprechen. Es herrscht Einheit von Ort, Zeit und Handlung, die Szenen werden lediglich getrennt durch die Angabe, in welcher der numerierten Baracken sie stattfinden.
Diese totale Reduktion ist ein stellenweise effektiver Kunstgriff: Es entsteht ein gewisser Lesesog dadurch, dass man die Verletzungen an Thomas und seiner Umwelt nur durch sein bohrendes Fragespiel erfährt. Gut wird das Buch immer dann, wenn es um konkrete Verletzungen geht. Wenn sich also die verzwickte Geschichte seines Aufwachsens bei der alleinerziehenden Mutter als dramatischer Streit um die Erinnerung entpuppt, in dem wohl niemand die alleinige Wahrheit besitzt: War Thomas nun von Geburt an ein gestörter Charakter, oder hat ihn erst das unstete Leben der Mutter mit ständig wechselnden, teils kriminellen Männern dazu gemacht?
Aufwühlend zu lesen ist auch die Episode um die Erschießung von Thomas' bestem Freund, einem vietnamesischen Einwanderer. So unglaubwürdig es zwar ist, dass Thomas durch Zufall gerade einen der daran beteiligten Polizisten entführt, so unnachgiebig und entlarvend ist das Gespräch mit ihm über die Neigung der amerikanischen Cops zum voreiligen Gebrauch der Schusswaffe, die ein furchtbares Schlaglicht auf viele aktuelle Fälle wirft. Aber so interessant diese Debattenthemen im Einzelnen sind, so mutwillig zusammengefügt wirken sie in Eggers' Konstruktion - für jedes neue Thema gibt sie ihm praktischerweise die Möglichkeit, einfach noch eine weitere Baracke aufzumachen, und da warten noch: Pädophilie, unerwiderte Liebe, Rassismus, Wut, Krieg.
Nicht zum ersten Mal drängt sich mit diesem Buch der Eindruck auf, dass der engagierte Schreiblehrer, Verleger und Herausgeber Eggers zu viel auf einmal will. Seine Werke befeuern eine große Zeitgeistreflexionsmaschine, und die vieldiskutierte Google-Allegorie "The Circle" im vergangenen Jahr war ein besonders gewichtiges Brikett. Aber einer der Hauptvorwürfe, nämlich dass Eggers oft zu plakativ und geheimnislos erzähle, trifft auch hier zu. Die Bibelstelle, von der das Buch seinen merkwürdigen Titel leiht, rückt Thomas in die Nähe eines mahnenden Predigers, und tatsächlich wirkt sein Sprechen oft wie ein arg pathetischer Sermon: "Finden Sie nicht, dass das Chaos auf der Welt zum weitaus größten Teil von einer relativ kleinen Gruppe enttäuschter Männer verursacht wird?", fragt er einmal.
Immerhin schafft der Autor es noch, diesen Thomas am Ende nicht als strahlenden Inhaber der Weisheit, sondern doch wieder als Psycho hinzustellen. Eggers treibt die verzerrte Wahrnehmung seines Protagonisten auf die Spitze: "Ich bin hier der Mann mit Moral. Ich bin der Mann mit Prinzipien" - das sagt jemand, der seinen Gefangenen Gewalt androht, sollten sie nicht so antworten, wie er will.
Die Fragen, die Thomas stellt, sind, wie er selbst zugibt, ziemlich einfache. Man könnte auch sagen, sie sind naiv. So ein Prinzip gibt es ja manchmal auch im Journalismus oder bei Udo Lindenberg: Wozu sind Kriege da? Egal, wo man ihm begegnet: Es nervt schnell. Und nach der Lektüre von Eggers' neuem Buch denkt man vielleicht auch anders über die pädagogische Leitmaxime, dass es keine dummen Fragen gebe.
JAN WIELE
Dave Eggers: "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 224 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zeitgeistmaschine: Im neuen Buch von Dave Eggers liest ein amoklaufender Moralapostel Amerika die Leviten
Die amerikanische Literatur liebt Psychos - nicht erst seit Bret Easton Ellis. Noch lieber als den wahnsinnigen Serienmörder hat sie wohl den Renegaten aus gutem Herzen, der sich nur deswegen gegen Gesetz und Gesellschaft stellt, weil er selbst alles besser weiß und machen will. Gerade erst sind wir Varianten von solchen Staatsfeinden in T. C. Boyles Roman "Hart auf hart" begegnet. Und nun präsentiert uns Dave Eggers in seinem heute erscheinenden neuen Roman einen Moralapostel reinsten Wassers - einen, der Finger gleichzeitig in so viele amerikanische Wunden legen will, dass seine Hände dazu gar nicht ausreichen.
Thomas heißt der Mann, ist Mitte dreißig, und er entführt Menschen. Erst einen Astronauten, dann einen Kongressabgeordneten, dann seine eigene Mutter und noch weitere. Er bringt sie auf ein verlassenes Militärgelände am Pazifik, wo er sie einzeln in Baracken einsperrt und ankettet. Er will von diesen Menschen nichts - außer Antworten. Erklärungen für das, was schiefgelaufen ist, nicht nur in seinem Leben, sondern überhaupt und allgemein.
Warum wurde der Astronaut, der doch, wie im Buch mehrfach betont wird, "alles richtig gemacht" hat, um die verdiente Mission im Spaceshuttle gebracht? Warum finanziert der Staat lieber Klimaanlagen im Irak als Gesundheit und Bildung im eigenen Land? Warum kümmern sich Eltern nicht so um ihr Kind, wie sie sollten? Als "Roman" wird das Buch bezeichnet, aber es gibt hier keinen Erzähler, nur Dialoge. Man könnte also auch von einem Theaterstück oder Drehbuch sprechen. Es herrscht Einheit von Ort, Zeit und Handlung, die Szenen werden lediglich getrennt durch die Angabe, in welcher der numerierten Baracken sie stattfinden.
Diese totale Reduktion ist ein stellenweise effektiver Kunstgriff: Es entsteht ein gewisser Lesesog dadurch, dass man die Verletzungen an Thomas und seiner Umwelt nur durch sein bohrendes Fragespiel erfährt. Gut wird das Buch immer dann, wenn es um konkrete Verletzungen geht. Wenn sich also die verzwickte Geschichte seines Aufwachsens bei der alleinerziehenden Mutter als dramatischer Streit um die Erinnerung entpuppt, in dem wohl niemand die alleinige Wahrheit besitzt: War Thomas nun von Geburt an ein gestörter Charakter, oder hat ihn erst das unstete Leben der Mutter mit ständig wechselnden, teils kriminellen Männern dazu gemacht?
Aufwühlend zu lesen ist auch die Episode um die Erschießung von Thomas' bestem Freund, einem vietnamesischen Einwanderer. So unglaubwürdig es zwar ist, dass Thomas durch Zufall gerade einen der daran beteiligten Polizisten entführt, so unnachgiebig und entlarvend ist das Gespräch mit ihm über die Neigung der amerikanischen Cops zum voreiligen Gebrauch der Schusswaffe, die ein furchtbares Schlaglicht auf viele aktuelle Fälle wirft. Aber so interessant diese Debattenthemen im Einzelnen sind, so mutwillig zusammengefügt wirken sie in Eggers' Konstruktion - für jedes neue Thema gibt sie ihm praktischerweise die Möglichkeit, einfach noch eine weitere Baracke aufzumachen, und da warten noch: Pädophilie, unerwiderte Liebe, Rassismus, Wut, Krieg.
Nicht zum ersten Mal drängt sich mit diesem Buch der Eindruck auf, dass der engagierte Schreiblehrer, Verleger und Herausgeber Eggers zu viel auf einmal will. Seine Werke befeuern eine große Zeitgeistreflexionsmaschine, und die vieldiskutierte Google-Allegorie "The Circle" im vergangenen Jahr war ein besonders gewichtiges Brikett. Aber einer der Hauptvorwürfe, nämlich dass Eggers oft zu plakativ und geheimnislos erzähle, trifft auch hier zu. Die Bibelstelle, von der das Buch seinen merkwürdigen Titel leiht, rückt Thomas in die Nähe eines mahnenden Predigers, und tatsächlich wirkt sein Sprechen oft wie ein arg pathetischer Sermon: "Finden Sie nicht, dass das Chaos auf der Welt zum weitaus größten Teil von einer relativ kleinen Gruppe enttäuschter Männer verursacht wird?", fragt er einmal.
Immerhin schafft der Autor es noch, diesen Thomas am Ende nicht als strahlenden Inhaber der Weisheit, sondern doch wieder als Psycho hinzustellen. Eggers treibt die verzerrte Wahrnehmung seines Protagonisten auf die Spitze: "Ich bin hier der Mann mit Moral. Ich bin der Mann mit Prinzipien" - das sagt jemand, der seinen Gefangenen Gewalt androht, sollten sie nicht so antworten, wie er will.
Die Fragen, die Thomas stellt, sind, wie er selbst zugibt, ziemlich einfache. Man könnte auch sagen, sie sind naiv. So ein Prinzip gibt es ja manchmal auch im Journalismus oder bei Udo Lindenberg: Wozu sind Kriege da? Egal, wo man ihm begegnet: Es nervt schnell. Und nach der Lektüre von Eggers' neuem Buch denkt man vielleicht auch anders über die pädagogische Leitmaxime, dass es keine dummen Fragen gebe.
JAN WIELE
Dave Eggers: "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 224 S., geb., 18,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Katharina Granzin fühlt sich provoziert von diesem Buch des amerikanischen Autors Dave Eggers, das keinen Roman für sie darstellt, sondern eine einzige Textoberfläche aus Dialogen, die der Protagonist mit lauter von ihm angeklagten Menschen führt, mit einer Krankenschwester ohne Mitgefühl, mit seiner Mutter, die ihn vernachlässigt hat usw. Seine schlussfolgernde Reaktion ist eine extreme Tat, die Granzin nicht verrät, die sie aber zum Nachdenken und zur Positionierung drängt. Schroff und sperrig bei aller Kürze kommt ihr das vor, aber auch gut lesbar in seiner Ungekünsteltheit, sodass sie aufpassen muss, nicht die "inhaltlich bequemste" Haltung zu den im Text aufgeworfenen existenziellen Fragen einzunehmen. Genau dieses moralisch Fordernde ist es auch, was sie an dem Text vor allem reizt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Nach dem Bestseller Der Circle ist Dave Eggers erneut ein fulminantes Werk gelungen.« Forum 20150612