Der Vicomte Louis de Bonald und der Comte Joseph de Maistre zählen zu den wichtigsten Vertretern der französischen Reaktion und Gegenaufklärung. Persönlich sind sich diese beiden brillanten Autoren nie begegnet, aber sie haben ihre Gedanken in einer umfangreichen Korrespondenz ausgetauscht. Der hier erstmals in deutscher Übersetzung zugängliche Briefwechsel stellt somit ein einzigartiges Dokument aus der Zeit der Restauration dar. Er bietet tiefen Einblick in den politischen Alltag eines von konträren geistigen Strömungen aufgewühlten Frankreichs, aber vor allem auch in das philosophische Denken der beiden Intellektuellen, deren Ziel eine monarchistische Erneuerung Frankreichs war. In ihren eleganten und vor Geist sprühenden Briefen geht es aber immer auch um Fragen, die noch heute die politischen Agenden bestimmen: um die Idee eines geeinten Europas, um das Sterben von Nationen, um den Geist der Gesetze und um das Leben im Exil. Ergänzt wird diese kommentierte Edition durch einen ebenfalls erstmals ins Deutsche übertragenen Text von Jules Barbey d'Aurevilly aus dem Jahr 1851, mit dem die Rezeption dieser außergewöhnlichen Autoren beginnt, um später dann mit Emil Cioran, Isaiah Berlin und Robert Spaemann ihren Höhepunkt zu erfahren.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Benjamin Loy katapultiert der von Alexander Pschera "sorgfältig" edierte Briefwechsel zwischen Louis de Bonald und Joseph de Maistre zurück zum Beginn der Restauration unter Ludwig XVIII. Wie die beiden Briefeschreiber in St. Petersburg bzw. Paris die Gegenaufklärung betreiben, mit Verve, Verzweiflung und vor allem mit viel Ironie, macht Loy Freude. Den Leser erwartet keine Tagespolitik, sondern das Wälzen von einander widerstreitenden Ideen. Wie die beiden Vorstellungen von universellen Menschenrechten etwa bei Rousseau wortreich bezweifeln und "hellsichtig" die Entfesselung gieriger Märkte befürchten, findet Loy lesenswert.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2022Mit Ideen muss man zündeln
Gegenaufklärer unter sich: Der Briefwechsel zwischen Joseph de Maistre und Louis de Bonald
"Ist Frankreich tot?" Mit dieser Frage, wie sie im gegenwärtigen französischen Präsidentschaftswahlkampf auch Éric Zemmour entschlüpfen könnte, wendet sich 1814 Joseph de Maistre aus Sankt Petersburg an seinen gegenaufklärerischen Bruder im Geiste Louis de Bonald in Paris. Den könnte man zu Beginn der Restauration eigentlich in besserer Stimmung wähnen: Napoleon hat abgedankt, das Empire ist Geschichte, auf dem französischen Thron sitzt mit Ludwig XVIII. wieder ein Bourbone. Doch die Krise Europas reicht tiefer, sie ist weniger eine Frage des herrschenden Personals als einer Erschütterung des Denkens, die mit der Aufklärung und der Französischen Revolution über die Welt gekommen ist. Die Verarbeitung dieser historischen Schockwellen lässt sich in dem erstmals auf Deutsch erschienenen, von Alexander Pschera sorgfältig edierten und übersetzten Briefwechsel zwischen de Maistre und Bonald verfolgen, wobei der Reiz der insgesamt dreiundzwanzig Briefe nicht zuletzt im beständig zwischen Ironie und Verzweiflung changierenden Ton der beiden Verfasser liegt.
"Ich bin sechzig Jahre alt und ruiniert; das sind zwei wichtige Dinge, die ich mit Ihnen gemein habe - Gott sei Dank gibt es auch noch andere", schreibt de Maistre mit der ihm eigenen Selbstironie an Bonald, der wie er selbst nach der Revolution seinen Besitz verliert und ins Exil geht. Während de Maistre in die Schweiz flieht und dort seine Karriere als gegenrevolutionärer Propagandist beginnt, ehe er als Gesandter des sardischen Königs über ein Jahrzehnt in Russland zubringt, verfasst Bonald in Heidelberg seine ersten philosophischen Schriften und kehrt bereits 1796 in die Heimat zurück. Dort wird er unter der Restauration ins Parlament gewählt, wo er bald mit dem neuen System hadert, das mitnichten eine Rückkehr zur alten Ordnung bedeutet. Statt einer Restauration absoluter Königsherrschaft, wie sie Bonald propagiert, hat Ludwig mit seiner konstitutionellen Monarchie dem aufstrebenden Bürgertum Tür und Tor geöffnet und "die Wahl in die Hände der mittleren Klasse gelegt, die fleißig, eifersüchtig, selbstgefällig ist, die die Revolution machte und ihren Geist am Leben erhielt". Während de Maistre als freischwebende Intelligenz in Sankt Petersburg seine Werke verfasst, schildert ihm Bonald genervt, wie viel Geduld er doch brauche, "um jeden Tag vier oder fünf Stunden lang leidenschaftlich vorgebrachtem Unsinn zuzuhören".
Und doch geht es in den Briefen weniger um Tagespolitik als um das, was das postrevolutionäre Europa zusammenhält - oder zersprengt. Beide Autoren eint die Überzeugung, dass die Moderne zuvorderst ein Kampf der Ideen ist, die, wie de Maistre als Erfinder des Begriffs der Metapolitik weiß, durch hinlängliche Erhitzung zu gewaltigen Verschiebungen führen können: "Lassen Sie sich nicht von der Kälte, die Sie um sich herum empfinden, entmutigen; es gibt nichts Friedlicheres als ein Pulvermagazin eine halbe Sekunde vor seiner Explosion. Es braucht nur Feuer, und das haben wir."
Auf dem gemeinsam aufgeschichteten Scheiterhaufen der Ideen werden dementsprechend die Verderber der Tradition von Voltaire bis Condillac, von Montesquieu bis Rousseau rhetorisch geröstet. Geschriebene Verfassungen statt überlieferter und gottgegebener Herrschaft? Ein Wahnsinn. Die Vorstellung der Existenz universeller Menschenrechte statt historisch gewachsener und notwendig partikularer Traditionen? Eine Chimäre.
In den Beobachtungen des Heraufziehens einer neuen Welt steckt dabei durchaus Hellsichtiges. Neben der Sorge um die Stabilität von Institutionen sieht etwa Bonald im Paris seiner Zeit bereits die profunde Bedrohung des sittlichen Zusammenlebens der Menschen durch sich entfesselnde Märkte, die Gier der Bourgeoisie und die staatlichen Träume "vom englischen System unbeschränkten Kredits". Auch dass das Private zutiefst politisch ist, galt Bonald als Selbstverständlichkeit. Sein Traktat gegen die Ehescheidung geht von der Überzeugung aus, dass sich im Nukleus der Sozialbeziehungen die großen Welt- und Wahrheitsverhältnisse abbilden - womit er nebenbei, wie Robert Spaemann analysiert hat, den Übergang von der Metaphysik zur Soziologie und damit das auch in diesen Briefen deutlich wahrnehmbare "progressive Element des gegenrevolutionären Denkens" markiert.
Zugleich zeigen die Briefe, wie die Hoffnungen der beiden Autoren, den Geist der Revolution noch einmal in die Flasche der Tradition zurückzwingen zu können, von den Verhältnissen konterkariert werden. Ist de Maistre zunächst sicher, "dass wir Zeugen davon werden, wie etwas Wunderbares aus diesem Abgrund emporsteigt, so wie eine herrliche Nelke aus dem Misthaufen hervorbricht", so notiert Bonald 1819 resigniert: "Wir ähneln so ziemlich einem Mann in tiefer Lethargie, der die Augen und Ohren offen hat und die Vorbereitungen seines eigenen Begräbnisses beobachtet, ohne sich bewegen zu können." Nur wenig scheint nach einem Jahrzehnt der Enttäuschungen noch übrig von dem Feuer und Entscheidungseifer, der die beiden Reaktionäre einst zu Carl Schmitts dezisionistischen Gewährsmännern werden ließ.
Persönlich begegnen sollten sich die beiden Vordenker der Gegenaufklärung übrigens nie: Bei de Maistres einzigem Paris-Besuch auf der Rückreise aus Russland weilt Bonald im Süden. Stattdessen gerät der Briefwechsel mit wachsender Hoffnungslosigkeit über die Lage der Dinge auch zum Anlass wechselseitiger Tröstung: "Wenn Ihre Briefe bei mir eintreffen, dann werden sie wie wahrhafte Liebesbriefe empfangen." Zwei Monate vor seinem Tod im Februar 1821 schickt de Maistre dem bewunderten Freund aus Turin noch das Manuskript seiner ihn postum berühmt machenden "Soirées de Saint-Pétersbourg". Eine Replik erhält Bonald nicht mehr auf seinen letzten Brief, in welchem er noch einmal die ganze Welt- und Gefühlslage derer zusammenfasst, die von nun an gegen den Strom der Moderne anschwimmen werden: "Diejenigen Menschen, die mit ihren Gefühlen der Vergangenheit und mit ihren Gedanken der Zukunft angehören, finden in der Gegenwart nur schwer ihren Platz." BENJAMIN LOY
Louis de Bonald und Joseph de Maistre: "Europa auf dem Pulverfass". Briefwechsel 1812-1821.
Hrsg. und aus dem Französischen von Alexander Pschera. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 195 S., geb., 26,- Euro.
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Gegenaufklärer unter sich: Der Briefwechsel zwischen Joseph de Maistre und Louis de Bonald
"Ist Frankreich tot?" Mit dieser Frage, wie sie im gegenwärtigen französischen Präsidentschaftswahlkampf auch Éric Zemmour entschlüpfen könnte, wendet sich 1814 Joseph de Maistre aus Sankt Petersburg an seinen gegenaufklärerischen Bruder im Geiste Louis de Bonald in Paris. Den könnte man zu Beginn der Restauration eigentlich in besserer Stimmung wähnen: Napoleon hat abgedankt, das Empire ist Geschichte, auf dem französischen Thron sitzt mit Ludwig XVIII. wieder ein Bourbone. Doch die Krise Europas reicht tiefer, sie ist weniger eine Frage des herrschenden Personals als einer Erschütterung des Denkens, die mit der Aufklärung und der Französischen Revolution über die Welt gekommen ist. Die Verarbeitung dieser historischen Schockwellen lässt sich in dem erstmals auf Deutsch erschienenen, von Alexander Pschera sorgfältig edierten und übersetzten Briefwechsel zwischen de Maistre und Bonald verfolgen, wobei der Reiz der insgesamt dreiundzwanzig Briefe nicht zuletzt im beständig zwischen Ironie und Verzweiflung changierenden Ton der beiden Verfasser liegt.
"Ich bin sechzig Jahre alt und ruiniert; das sind zwei wichtige Dinge, die ich mit Ihnen gemein habe - Gott sei Dank gibt es auch noch andere", schreibt de Maistre mit der ihm eigenen Selbstironie an Bonald, der wie er selbst nach der Revolution seinen Besitz verliert und ins Exil geht. Während de Maistre in die Schweiz flieht und dort seine Karriere als gegenrevolutionärer Propagandist beginnt, ehe er als Gesandter des sardischen Königs über ein Jahrzehnt in Russland zubringt, verfasst Bonald in Heidelberg seine ersten philosophischen Schriften und kehrt bereits 1796 in die Heimat zurück. Dort wird er unter der Restauration ins Parlament gewählt, wo er bald mit dem neuen System hadert, das mitnichten eine Rückkehr zur alten Ordnung bedeutet. Statt einer Restauration absoluter Königsherrschaft, wie sie Bonald propagiert, hat Ludwig mit seiner konstitutionellen Monarchie dem aufstrebenden Bürgertum Tür und Tor geöffnet und "die Wahl in die Hände der mittleren Klasse gelegt, die fleißig, eifersüchtig, selbstgefällig ist, die die Revolution machte und ihren Geist am Leben erhielt". Während de Maistre als freischwebende Intelligenz in Sankt Petersburg seine Werke verfasst, schildert ihm Bonald genervt, wie viel Geduld er doch brauche, "um jeden Tag vier oder fünf Stunden lang leidenschaftlich vorgebrachtem Unsinn zuzuhören".
Und doch geht es in den Briefen weniger um Tagespolitik als um das, was das postrevolutionäre Europa zusammenhält - oder zersprengt. Beide Autoren eint die Überzeugung, dass die Moderne zuvorderst ein Kampf der Ideen ist, die, wie de Maistre als Erfinder des Begriffs der Metapolitik weiß, durch hinlängliche Erhitzung zu gewaltigen Verschiebungen führen können: "Lassen Sie sich nicht von der Kälte, die Sie um sich herum empfinden, entmutigen; es gibt nichts Friedlicheres als ein Pulvermagazin eine halbe Sekunde vor seiner Explosion. Es braucht nur Feuer, und das haben wir."
Auf dem gemeinsam aufgeschichteten Scheiterhaufen der Ideen werden dementsprechend die Verderber der Tradition von Voltaire bis Condillac, von Montesquieu bis Rousseau rhetorisch geröstet. Geschriebene Verfassungen statt überlieferter und gottgegebener Herrschaft? Ein Wahnsinn. Die Vorstellung der Existenz universeller Menschenrechte statt historisch gewachsener und notwendig partikularer Traditionen? Eine Chimäre.
In den Beobachtungen des Heraufziehens einer neuen Welt steckt dabei durchaus Hellsichtiges. Neben der Sorge um die Stabilität von Institutionen sieht etwa Bonald im Paris seiner Zeit bereits die profunde Bedrohung des sittlichen Zusammenlebens der Menschen durch sich entfesselnde Märkte, die Gier der Bourgeoisie und die staatlichen Träume "vom englischen System unbeschränkten Kredits". Auch dass das Private zutiefst politisch ist, galt Bonald als Selbstverständlichkeit. Sein Traktat gegen die Ehescheidung geht von der Überzeugung aus, dass sich im Nukleus der Sozialbeziehungen die großen Welt- und Wahrheitsverhältnisse abbilden - womit er nebenbei, wie Robert Spaemann analysiert hat, den Übergang von der Metaphysik zur Soziologie und damit das auch in diesen Briefen deutlich wahrnehmbare "progressive Element des gegenrevolutionären Denkens" markiert.
Zugleich zeigen die Briefe, wie die Hoffnungen der beiden Autoren, den Geist der Revolution noch einmal in die Flasche der Tradition zurückzwingen zu können, von den Verhältnissen konterkariert werden. Ist de Maistre zunächst sicher, "dass wir Zeugen davon werden, wie etwas Wunderbares aus diesem Abgrund emporsteigt, so wie eine herrliche Nelke aus dem Misthaufen hervorbricht", so notiert Bonald 1819 resigniert: "Wir ähneln so ziemlich einem Mann in tiefer Lethargie, der die Augen und Ohren offen hat und die Vorbereitungen seines eigenen Begräbnisses beobachtet, ohne sich bewegen zu können." Nur wenig scheint nach einem Jahrzehnt der Enttäuschungen noch übrig von dem Feuer und Entscheidungseifer, der die beiden Reaktionäre einst zu Carl Schmitts dezisionistischen Gewährsmännern werden ließ.
Persönlich begegnen sollten sich die beiden Vordenker der Gegenaufklärung übrigens nie: Bei de Maistres einzigem Paris-Besuch auf der Rückreise aus Russland weilt Bonald im Süden. Stattdessen gerät der Briefwechsel mit wachsender Hoffnungslosigkeit über die Lage der Dinge auch zum Anlass wechselseitiger Tröstung: "Wenn Ihre Briefe bei mir eintreffen, dann werden sie wie wahrhafte Liebesbriefe empfangen." Zwei Monate vor seinem Tod im Februar 1821 schickt de Maistre dem bewunderten Freund aus Turin noch das Manuskript seiner ihn postum berühmt machenden "Soirées de Saint-Pétersbourg". Eine Replik erhält Bonald nicht mehr auf seinen letzten Brief, in welchem er noch einmal die ganze Welt- und Gefühlslage derer zusammenfasst, die von nun an gegen den Strom der Moderne anschwimmen werden: "Diejenigen Menschen, die mit ihren Gefühlen der Vergangenheit und mit ihren Gedanken der Zukunft angehören, finden in der Gegenwart nur schwer ihren Platz." BENJAMIN LOY
Louis de Bonald und Joseph de Maistre: "Europa auf dem Pulverfass". Briefwechsel 1812-1821.
Hrsg. und aus dem Französischen von Alexander Pschera. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 195 S., geb., 26,- Euro.
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