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Wir erleben derzeit eine weltweite Renaissance des politischen Autoritarismus. Ungebremster Nationalismus und Populismus gehen dabei häufig Hand in Hand mit einer tiefsitzenden Eliten- und Institutionenfeindlichkeit. Gleichzeitig war das zurückliegende Jahrzehnt geprägt von tiefgreifenden Krisen und Veränderungen. Die Beiträge dieses Bandes, hervorgegangen aus vielbeachteten Vorträgen, die Andreas Voßkuhle während seiner Amtszeit als Präsident des Bundesverfassungsgerichts gehalten hat, reflektieren diese Phänomene aus unterschiedlichen Perspektiven. Gemeinsam bilden sie ein engagiertes…mehr

Produktbeschreibung
Wir erleben derzeit eine weltweite Renaissance des politischen Autoritarismus. Ungebremster Nationalismus und Populismus gehen dabei häufig Hand in Hand mit einer tiefsitzenden Eliten- und Institutionenfeindlichkeit. Gleichzeitig war das zurückliegende Jahrzehnt geprägt von tiefgreifenden Krisen und Veränderungen. Die Beiträge dieses Bandes, hervorgegangen aus vielbeachteten Vorträgen, die Andreas Voßkuhle während seiner Amtszeit als Präsident des Bundesverfassungsgerichts gehalten hat, reflektieren diese Phänomene aus unterschiedlichen Perspektiven. Gemeinsam bilden sie ein engagiertes Plädoyer für unsere verfassungsrechtlich verbürgten Grundvorstellungen von Europa, Demokratie und Rechtsstaat.
Autorenporträt
Andreas Voßkuhle lehrt Öffentliches Recht, Staatstheorie und Rechtsphilosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Von 2008 bis 2020 war er Richter und Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Wolfgang Janisch versteht mit den Vorträgen des ehemaligen obersten Bundesverfassungsrichters Andreas Voßkuhle manche Auseinandersetzung des BverfG der letzten Dekade besser. Auch Voßkuhles spektakuläres Ende begreift er nun eher. Die zeitliche (laut Rezensent nur in den Fußnoten aktualisierte) Perspektive der Texte ermöglicht ihm den Nachvollzug der harmonischen Anfangszeit Voßkuhles ebenso wie dessen härtere Gangart hinsichtlich der EU im Verlauf seiner Ära und die Kritik an seiner Amtszeit verbunden mit der Forderung nach weniger politischer Einmischung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2021

Die Karlsruher Welt ist nicht genug
Andreas Voßkuhles Vorträge machen klar, wie das Verfassungsgericht in seiner Amtszeit nach Europa ausgriff – und politisch wurde
Auch Andreas Voßkuhle hat nun ein Buch zum 70. Geburtstag des Bundesverfassungsgerichts vorgelegt, dessen Präsident er bis vor gut einem Jahr war. Der Band mit dem ambitionierten Titel „Europa, Demokratie, Verfassungsgerichte“ handelt freilich vor allem von der vergangenen Dekade, ohne Zweifel ein markanter Abschnitt, man denke nur an die Europa-Urteile. Ein Reader zur Ära Voßkuhle, wenn man so will: Man schreitet mit dem Autor durch seine Amtszeit, denn die Texte sind verschriftlichte Vorträge, welche die zeitliche Perspektive beibehalten und nur durch Fußnoten aktualisiert wurden.
Das hat zur Folge, dass der Leser manchmal schon mehr weiß als seinerzeit der Vortragende. Er weiß, dass der Zweite Senat im Urteil zur Europäischen Zentralbank (EZB) dem Europäischen Gerichtshof die Überschreitung seiner Befugnisse vorgeworfen und damit einen elementaren Konflikt heraufbeschworen hat – die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Der Senat hatte die Contenance verloren, im letzten Augenblick von Voßkuhles Amtszeit – aus Angst, auf ewig als der in Richtung Europa bellende Hund dazustehen, der sich nie zu beißen traute.
War das krachende Ende seiner Amtszeit ein Fehlgriff, geboren aus der Unterschätzung der politischen Folgen? Oder war es eine kalkulierte Eskalation? Liest man sich durch die Reden seiner Amtszeit, stellt man fest: Jedenfalls war es ein Zusammenstoß, mit dem man rechnen konnte.
Dabei klingt der Text vom Beginn seiner Präsidentschaft zum „Europäischen Gerichtsverbund“ noch sehr auf Harmonie bedacht. Er betont die „Europafreundlichkeit des Grundgesetzes“ und versichert: „Ein Macht- oder Konkurrenzkampf zwischen BVerfG und EuGH stand nicht und steht nicht zur Debatte.“ Und er spricht aus, was das Gericht stets beteuert hat, was ihm aber viele seit dem EZB-Urteil nicht mehr so recht glauben wollen: „Dem Gemeinschaftsrecht kommt Vorrang vor dem nationalen Recht zu.“ Freilich schickte er hinterher, dass dieser Vorrang nicht absolut sei, sondern „verfassungsrechtlich begrenzt“. Aber die „Reservekompetenz“, die sich das Verfassungsgericht vorbehalte, sei „nicht als Drohung gegenüber dem EuGH zu verstehen“. Der freundliche Sound der frühen Jahre legt nahe, dass es auch hätte gut gehen können. Dagegen klingt ein neuer, nach dem EZB-Urteil verfasster Text geradezu frostig. Man dürfe Kooperation nicht mit kritiklos-willfähriger Unterordnung verwechseln, schreibt Voßkuhle. „Das Bundesverfassungsgericht bricht den Dialog der Höchstgerichte insofern auch nicht ab, sondern setzt ihn – sicherlich in robuster Form – fort.“
Klar ist aber auch: In Voßkuhles Vorstellung vom „Europäischen Gerichtsverbund“ war dort schon immer ein zentraler Platz für das Bundesverfassungsgericht reserviert. Manch einer möge bedauern, dass das Gericht im Zuge der Europäisierung seine Alleinstellung einbüße. Aber gerade in Europa biete sich eine „bedeutsame Kompensationsmöglichkeit“ für das Gericht – nämlich an der Entwicklung europaweiter Grundrechtsstandards mitzuwirken und den Prozess der Zusammenarbeit im Gerichtsverbund „sachkundig zu begleiten“. Das war als Angebot formuliert, aber als Anspruch gemeint.
Dass Karlsruhe im Herzen Europas liegt, ergibt sich in der Lesart des Ex-Präsidenten fast wie von selbst aus einem Konzept, das er mit „Integration durch Recht“ überschreibt. Danach ist es nicht die Wirtschaft, nicht mehr der Frieden und noch nicht die Wertegemeinschaft, die Europa zusammenhält, sondern die Idee einer „europäischen Rechtsgemeinschaft“, eine der größten Erfolgsgeschichten der vergangenen Jahrzehnte. Denn das Recht bleibe gerade angesichts auseinanderstrebender Interessen auch in Zeiten der Krise „Europas stabilstes Fundament“. Diesen Prozess der rechtlichen Integration habe das Bundesverfassungsgericht gefördert, selbst dort, wo es „dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts Grenzen zog und damit vordergründig eher retardierend agierte“. Damit meint er die sogenannte „Solange“-Rechtsprechung aus den 70er- und 80er-Jahren, mit der das Verfassungsgericht den Anstoß dafür gegeben habe, dass der EuGH schon damals einen Katalog ungeschriebener Grundrechte entwickelt habe.
Die Welt der Paragrafen als europäische Basis? Die Alternative, warnt Voßkuhle, wäre der ewige politische Streit, in dem sich die Großen gegen die Kleinen durchsetzen. Da biete der Rechtsrahmen doch einen entscheidenden Vorteil: „Die Politisierung eines konkreten Streitfalls wird dadurch zwar nicht immer, aber im Regelfall verhindert.“ Es ist also, mit anderen Worten, ein Planetensystem mit mehreren Sonnen, das Voßkuhle da konzipiert; eine davon, vermutlich die hellste, ist das deutsche Verfassungsgericht. Das System des Rechts ist eines der Rationalität, der Sachlichkeit, des rechten Maßes.
Vor allem aber ist es ein System, das die Bedeutung politischer Mehrheitsentscheidungen eher auf Schummerlicht herunterdimmt. Florian Meinel, Rechtsprofessor in Göttingen, hat kürzlich in der Zeitschrift Der Staat dargelegt, wie Voßkuhles Zweiter Senat seit dem Lissabon-Urteil von 2009 die Gewichte bei der europäischen Integration verschoben hat – zu seinen eigenen Gunsten. Er macht dies am Begriff der Verantwortung deutlich, den das Gericht zum Beispiel als „Integrationsverantwortung“ oder „Haushaltsverantwortung“ geprägt hat. Verantwortung sei in der parlamentarischen Demokratie eigentlich ein ethischer Begriff, sagt Meinel: Das Parlament „verantworte“ seine Entscheidungen, sie unterlägen keiner anderen Überprüfung als der Wahl; sie seien „demokratisch offen“. Das Gericht habe jedoch den Begriff verfassungsrechtlich aufgeladen, mit der Folge, dass demokratische Entscheidungen des Bundestags nunmehr in den rechtlich steuerbaren Einflussbereich des Bundesverfassungsgerichts geraten; was in Europa verantwortbar ist, bestimmt demnach auch das Bundesverfassungsgericht. Das Gericht schwinge sich damit gleichsam zum Repräsentanten des Volkes auf, notfalls auch gegen den Bundestag – „als Konkurrenzrepräsentation zu einem demokratischen Parlament“.
Damit wird verständlich, warum das Gericht am Ende der Voßkuhle-Jahre einen derartigen Sturm der Kritik erntete. Es hatte mit seinen immer intensiveren juristischen Steuerungsinstrumenten – von der EZB forderte es eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ein – das verminte Gelände der Politik betreten. Womit das Programm für die Post-Voßkuhle-Ära formuliert wäre: political restraint.
WOLFGANG JANISCH
Die „Rechtsgemeinschaft“
hält Europa zusammen, findet
der Jurist und Hochschullehrer
Andreas Voßkuhle (links), Gerichtspräsident in Karlsruhe von 2010-2020, im Jahr 2016 mit dem französischen Politiker Laurent Fabius.
Foto: Matthias Doering
Andreas Voßkuhle:
Europa, Demokratie,
Verfassungsgerichte.
Suhrkamp-Verlag,
Berlin 2021.
377 Seiten, 24 Euro.
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»... eine wahre Fundgrube für verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch Interessierte ...« Hans-Günter Henneke Der Landkreis